§ 1358 BGB regelt endlich die Notvertretung
Es gehörte zu den typischen Irrtümern im Familienrecht: wenn man verheiratet ist, können Eheleute sich im Notfall gegenseitig vertreten und bekommen medizinische Auskünfte und Entscheidungsrechte. Das stimmte bisher nicht, aber nun, seit 1.1.2023, durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v. 4.5.2021. Allerdings birgt die Vorschrift viele Unklarheiten. Gesetzgeberisches Ziel war die Entlastung der Betreuungsgerichte. Ein Vertretungsrecht von Kindern gibt es gesetzlich weiterhin nicht. Der Rat, lieber eine individuelle Vorsorgevollmacht zu errichten, bleibt, denn das Ehegattenvertretungsrecht ist inhaltlich und zeitlich beschränkt.
Wenn es eine Vorsorgevollmacht oder gar eine gerichtlich angeordnete Betreuung für die Gesundheitsfürsorge gibt, scheidet das Ehegatten-Vertretungsrecht aus.
Patientenverfügungen oder der mutmaßliche Wille nach § 630d Abs. 1 S. 4 BGB haben ebenfalls Vorrang vor dem, was der Ehegatte anordnet.
Das Notvertretungsrecht erlischt nach 6 Monaten. Diese Frist beginnt mit einer ärztlichen Bescheinigung der Einwilligungsunfähigkeit und beginnt nach einem luziden Intervall nicht neu zu laufen.
Allerdings kann die Frist durch eine neue Krankheit (zuerst Verkehrsunfall, dann Schlaganfall) wieder neu laufen bzw. sich verlängern.
Ein Heimvertrag, der erst mehr als 6 Monate nach Beginn des Vertretungsfalles beginnen soll, dürfte auch vor Fristablauf nicht geschlossen werden.
Der vertretende Ehegatte kann keine geschlossene Unterbringung anordnen. Er benötigt dafür wie ein Betreuer die Genehmigung des Betreuungsgerichts.
Soll die Freiheitsentziehung länger als 6 Wochen dauern, reicht das Notvertretungsrecht gar nicht, dann muss ein Betreuer bestellt werden. Davon betroffen sind auch kleinere freiheitsentziehende Maßnahmen wie ein dauerhaftes Bettgitter, das den Willen des Betroffenen, sein Bett zu verlassen, einschränkensoll.
§ 630d Abs. 1 S. 4 BGB formuliert, dass dann, wenn für eine unaufschiebbare medizinische (§ 630a Abs. 1 BGB) Maßnahme eine Einwilligung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, die Maßnahme ohne Einwilligung durchgeführt werden kann, vorausgesetzt, sie entspricht dem mutmaßlichen Willen des Patienten (sog. mutmaßliche Einwilligung).
§ 1358 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 BGB zählt abschließend die Angelegenheiten der Gesundheitssorge auf, in denen eine Vertretung durch Ehegatten erfolgen kann. Das sind typische Entscheidungen und Maßnahmen in einer Akutphase. Er erfasst neben den der Gesundheitssorge im engeren Sinne dienenden Maßnahmen auch Rechtsgeschäfte, die im engen Zusammenhang mit der Gesundheitssorge stehen und häufig zügig nach dem Beginn der Handlungsunfähigkeit anfallen. Aus dem Gesetzeszweck und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich eine Beschränkung auf unaufschiebbare Maßnahmen und auf das, was medizinisch notwendig ist (z.B. keine Schönheits-OP).
Die medizinische Einwilligungsunfähigkeit ist nicht gleichbedeutend mit Geschäftsunfähigkeit.
Zur Unterstützung des Kommunikationsprozesses zwischen vertretenden Ehegatten und behandelnden Ärzten haben die Bundesärztekammer und das Bundesjustizministerium einen entsprechenden Vordruck entwickelt.
Im Fall des AG Frankfurt / Main hatte das Universtitätsklinikum eine Eilbetreuung bei Gericht beantragt, weil für einen Patienten etwas zu entscheiden war, was dieser selbst nicht mehr konnte. Aus den weiteren Informationen des Krankenhauses hat sich ergeben, dass der Betroffene verheiratet ist. Deshalb lehnte das Gericht die Einrichtung der Eilbetreuung mit Hinweis auf § 1358 BGB ab.
Die Klinik war mit der Ehefrau als Vertreterin nicht einverstanden, weil es eine „Sprachbarriere“ gebe. Auch mit diesem Argument gab es keinen externen Betreuer. Eine wie auch immer geartete Eignungsprüfung des Ehegatten findet vor Eintritt des gesetzlichen Ehegattennotvertretungsrechts nicht statt.
Mangelnde Deutschkenntnisse allein rechtfertigen nicht, dass jemand ungeeignet ist, für sich oder andere medizinische Entscheidungen zu treffen. Hier ist ein Dolmetscher die passende Lösung, keine gerichtliche Betreuung. Anders wäre es gewesen, wenn die Ehefrau selbst die Vertretung wegen Überforderung abgelehnt hätte.
AG Frankfurt/ Main 15.01.2023 43 XVII 178/23