Scheidungsfolgen-Vertrag

"Wir wollen die Streitwerte aus der Scheidung raushalten"

Vertragliche Vereinbarungen unter Eheleuten sind in verschiedenen Lebenssituationen möglich: Vor der Hochzeit, während des Zusammenlebens, anlässlich einer Trennung oder Scheidung und ggf. auch zwischen geschiedenen Eheleuten.
Mehr über die Notwendigkeit vorsorgender Verträge, die man in guten Zeiten der Ehe schliesst, finden Sie hier.
Auf dieser Seite geht es nach gescheiterter Beziehung um die Vorbereitung einer sogenannten "unstreitigen Scheidung" zur Vermeidung von Kosten und Nervenkriegen.

Eigene Lösungen vereinbaren

Wenn man vermeiden möchte, dass der Familienrichter nach teurem und nervenzehrendem Schriftsatzkrieg über die eigene Zukunft entscheidet, schließt man einen "Scheidungsfolgenvertrag". Das ist sozusagen ein nachträglicher Ehevertrag. Manche Notare nennen ihn auch "scheidungserleichternde Vereinbarung". Die Bezeichnung ist egal - wichtig ist der Inhalt.

Der typische Weg zum Ziel des Scheidungsfolgenvertrages:

  1. Ich bespreche mit meinem Mandanten seinen Verhandlungsspielraum und entwerfe für ihn einen Vorschlag, wie wir uns ein "Gesamtpaket" vorstellen könnten.
  2. Die Gegenseite vertritt ihre Interessen selbst - ohne Anwalt. Wir verhandeln schriftlich, telefonisch oder treffen uns zu dritt. Oder die Gegenseite lässt sich anwaltlich verteten, dann können wir uns zu Viert treffen. In diesem Fall darf ich aus berufsrechtlichen Gründen nicht mir dem Gegner persönlich Kontakt haben, ohne dass sein Anwalt dabei ist.
  3. Die Einigungsergebnisse werden schriftlich skizziert, in verständlicher Spreche, rein ergebnisorientiert - ohne die notwendigen juristischen Begleitfloskeln, die nichts individuell regeln. Noch ist alles unverbindlich, denn die Einigungen sind i.d.R. formbedürftig (Notarzwang).
  4. Ein gemeinsam beauftragter Notar setzt dies in seine üblichen Textbausteine um. Ich prüfe für meinen Mandanten, dass es keine Mißverständnisse gibt. Ggf. muss jetzt noch über Details nachverhandelt werden.
  5. Die Eheleute beurkunden beim Notar.

Gemeinsamer Anwalt entwirft Scheidungsfolgenvertrag?

Gerade bei den Ehepartnern, die eine vertragliche Regelung anstreben, besteht das Bedürfnis, von einem gemeinsamen Anwalt beraten zu werden. Dem liegt die laienhafte Vorstellung zugrunde, es gebe auf alle familienrechtlichen Fragen jeweils eine eindeutige Antwort, die sich womöglich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe - und es bedürfe der anwaltlichen Dienstleistung nur im Sinne einer Auskunft darüber, was im Gesetz geregelt sei. Die gemeinsame anwaltliche Beratung getrennt lebender Eheleute kann zulässig sein. Zeichnen sich aber widerstreitende Interessen der Eheleute konkret ab, muss der Anwalt beide Mandate niederlegen. Daher halte ich es für sauberer, dass bei den Scheidungsfolgeverträgen jeder Ehegatte eigene anwaltliche Beratung hat. Ich nehme solche Zwitter-Mandate nicht an. Damit wirkt man auch der Einrede der Sittenwidrigkeit des Vertrages vorsorglich entgegen.

Alternativer Weg: Mediation

Sie und Ihr Partner wollen "auf Augenhöhe" miteinander verhandeln. Um eine sachliche Diskussion führen zu können, wünschen Sie sich zusätzlich
  •     eine neutrale Atmosphäre
  •     neutrale allgemeine rechtliche Informationen
  •     Hilfe bei der Themensammlung (Vollständigkeit)
  •     Gesprächsführung
  •     klare Ziele der Verhandlung
  •     ein rechtsverbindliches, sicheres Ergebnis.
Entweder - oder: Ich kann  partelicher Anwalt für eine Seite sein oder gemeinsamer Mediator. Diese Weiche muss vor unserem ersten perönlichen Gespräch gestellt werden. Wenn ich ein Vier-Augen-Gespräch mit einer Seite hatte, bin ich als Mediatorin "verbrannt". Für diesen Fall kann ich aber gern Mediations-Kollegen empfehlen, meinen Mandanten während der Mediation im Hintergrund beraten und für ihn die Einigungensoptionen prüfen.
Hier können Sie sich über Mediation informieren

Der passende Zeitpunkt...

...für die Verhandlungen ist individuell und wird mehr durch emotionale Gesichtspunkte bestimmt als durch objektive Faktoren.
Möglich ist dies:
  • schon vor der Trennung auch zur Klärung der Wohnsituation nach Trennung
  • nach Trennung im ersten Trennungsjahr oder später
  • vor Einreichung des Scheidungsantrages
  • nach Einreichung des Scheidungsantrages
  • im Verlauf des Scheidungsverfahrens
  • nach Zugang aller Rentenauskünfte (bei Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich)
  • nach unangenehmen Erfahrungen mit Gerichtsverfahren
  • sogar noch nach rechtskräftiger Scheidung oder verlorenen Verfahren

Scheidungsfolgeverträge mit anwaltlicher Beratung sind in der Regel wirksam

Seit 2004 sind Eheverträge nicht mehr immer uneingeschränkt wirksam. Sie können durch das Familiengericht noch überprüft und aufgehoben oder geändert werden. Das nennt sich Inhalts- oder Ausübungskontrolle. Die Grenze der Freiheit ist die Sittenwidrigkeit. Der BGH hat dazu die Lehre von "unantastbaren Kernbereich der Scheidungsfolgen" entwickelt. Nun darf man aber nicht meinen, jeder Verzicht sei unwirksam! Es bleibt der Einzelfall zu prüfen.
BGH, Urteil vom 29. Januar 2014 - XII ZB 303/13 zu Wirksamkeit und Sittenwidrigkeit von Scheidungsfolgeverträgen (Gesamtwürdigung)

Selbst wenn die ehevertraglichen Einzelregelungen zu den Scheidungsfolgen jeweils für sich genommen den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht zu rechtfertigen vermögen, kann sich ein Ehevertrag nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Rahmen einer Gesamtwürdigung als insgesamt sittenwidrig erweisen, wenn das Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt.

Das Gesetz kennt indessen keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zugunsten des berechtigten Ehegatten, so dass auch aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen nur dann auf die weiter erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden kann, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt. Eine lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung gegründete tatsächliche Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit lässt sich bei familienrechtlichen Verträgen nicht aufstellen. Ein unausgewogener Vertragsinhalt mag zwar ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichwohl wird das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt sein, wenn außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit, hindeuten könnten.

Das Ansinnen eines Ehegatten, eine Ehe nur unter der Bedingung eines Ehevertrages eingehen oder - wie hier - fortsetzen zu wollen, begründet für sich genommen für den anderen Ehegatten noch keine Lage, aus der ohne weiteres auf dessen unterlegene Verhandlungsposition geschlossen werden kann. Etwas anderes mag unter Umständen bei einem erheblichen Einkommens- oder Vermögensgefälle zwischen den Ehegatten gelten, wenn der mit dem Verlangen auf Abschluss eines Ehevertrages konfrontierte Ehegatte erkennbar in einem besonderem Maße auf die Eingehung oder Fortführung der Ehe angewiesen ist, weil er ohne den ökonomischen Rückhalt der Ehe einer ungesicherten wirtschaftlichen Zukunft entgegensehen würde.

So liegt der Fall hier aber nicht, selbst wenn man zugunsten der Antragsgegnerin anführen will, dass sie nach ihren eigenen beruflichen Möglichkeiten für den Fall der Scheidung nur die Erzielung eines bescheidenen Einkommens zu erwarten hatte und sie unter dem Eindruck der Ankündigung des Antragstellers gestanden haben mag, ihr wegen vermeintlicher Verwirkung sämtlicher Unterhaltsansprüche keinerlei Unterhalt zahlen zu wollen. Denn andererseits besaß die Antragsgegnerin angesichts ihres Privatvermögens in Höhe von rund 115.000 € und den letztlich gegen ihren Willen nicht entziehbaren Rechtspositionen, die sie bezüglich Güterrecht, Versorgungsausgleich und Teilhabe am gemeinsamen Wertpapier- und Immobilienvermögen bereits erworben hatte, genügend wirtschaftliche Unabhängigkeit, um dem Ansinnen des Antragstellers entgegentreten oder auf die Gestaltung des Ehevertrages Einfluss nehmen zu können.

Das Beschwerdegericht hat auch das Vorbringen der Antragsgegnerin, dass diese eine Scheidung im Interesse des gemeinsamen Sohnes unbedingt vermeiden wollte und sie daher in einer Zwangslage gewesen sei, gewürdigt und hierin keinen tragfähigen Anhaltspunkt für eine Störung der subjektiven Vertragsparität erblickt, weil auch die Verhandlungsposition des Antragstellers davon geprägt gewesen sei, seinem Sohn eine Scheidung ersparen zu wollen. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.

Soweit der Senat darauf hingewiesen hat, dass in einem objektiv benachteiligenden Vertragsinhalt ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten zu sehen sein kann, hat das Beschwerdegericht dieses Indiz ersichtlich durch die Umstände des Vertragsschlusses, in dessen Vorfeld mehrere Monate lang unter Austausch von Entwurf und Gegenentwurf über den Inhalt des Ehevertrages verhandelt worden war, widerlegt gesehen. Auch hiergegen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Schließen Eheleute im Hinblick auf eine Ehekrise oder auf eine bevorstehende Scheidung unter anwaltlichem Beistand auf beiden Seiten nach langen Verhandlungen und genügender Überlegungszeit einen Vertrag zur umfassenden Regelung aller Scheidungsfolgen, kann zunächst davon ausgegangen werden, dass sie ihre gegenläufigen vermögensrechtlichen Interessen zu einem angemessenen Ausgleich gebracht haben und selbst eine besondere Großzügigkeit oder Nachgiebigkeit des einen Ehegatten nicht auf einer Störung der subjektiven Vertragsparität beruht.

Soweit die Antragsgegnerin ihre eigene anwaltliche Beratung durch die Behauptung, sie habe "vor Abschluss des Vertrages lediglich einmal mit einem Rechtsanwalt aus ihrem Bekanntenkreis telefoniert", zu relativieren sucht, hat sie bereits den widerstreitenden Vortrag des Antragstellers, sie habe ihren Rechtsanwalt mandatiert und auch bezahlt, nicht widerlegt. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts beruhte die Bereitschaft der Antragsgegnerin, den Ehevertrag mit einem für sie objektiv möglicherweise deutlich nachteiligen Inhalt abzuschließen, nicht auf einer ungleichen Verhandlungsposition, sondern vielmehr auf einer groben Fehleinschätzung über die Höhe der Kapitalerträge, welche die Antragsgegnerin nach Vertragsschluss mit ihrem dann vorhandenen Geld- und Wertpapiervermögen zukünftig würde erwirtschaften können. Dies hält sich im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung, zumal die Antragsgegnerin hierzu selbst vorträgt, dass sie vor Abschluss des Ehevertrages mit einem Finanzberater der D.-Bank Kontakt aufgenommen hatte, nach dessen Auskunft bei einem "Gesamtdepotwert von ca. 240.000 € monatliche Zinsen von 1.500 € erzielbar seien".

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich eine Sittenwidrigkeit des Ehevertrages schließlich auch nicht daraus, dass der Antragsteller mit dem Vertrag das verwerfliche Ziel verfolgt habe, die Antragsgegnerin für den ihr vorgeworfenen Ehebruch unter Umgehung von gesetzlichen Wertungen (§ 1587 c Nr. 1 BGB bzw. § 27 VersAusglG) mit dem Ausschluss des Versorgungsausgleichs "bestrafen" zu wollen.

Ob dies überhaupt zutrifft, kann dahinstehen. Das Motiv des begünstigten Ehegatten, sich Genugtuung für die durch den Ehebruch des Partners erlittenen Verletzungen verschaffen zu wollen, könnte zwar entgegen der Auffassung des Antragstellers einem unter unfairen Verhandlungsbedingungen zustande gekommenen Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht zur Wirksamkeit verhelfen. Lässt sich indessen - wie hier - eine ungleiche Verhandlungsposition nicht feststellen, vermag eine solche Motivation umgekehrt für sich genommen dem Ehevertrag nicht den Makel der Sittenwidrigkeit anzuheften. Denn es kann nicht einleuchten, warum ein tatsächlich oder vermeintlich "betrogener" Ehegatte, der bei den Verhandlungen über einen Ehevertrag einen Ausschluss des Versorgungsausgleiches verlangt, subjektiv verwerflich handeln sollte, ein "nicht betrogener" Ehegatte in derselben Situation aber nicht.


Quitt im Vertrag - aber einer hat etwas verschwiegen

1. Eine in einem Vergleich enthaltene Abgeltungsklausel, die vorsieht, dass mit Zahlung eines vereinbarten Betrages sämtliche - auch unbekannte - wechselseitigen Ansprüche der Ehegatten im Zusammenhang mit ihrer Trennung und Beendigung der Ehe abgegolten sein sollen, erfasst allein die bis zum Abschluss des Vergleichs entstandenen Ansprüche.

2. Nicht erfasst von einem solchen Vergleich wird hingegen ein sich erst aus dem Vorgang des Vergleichsschlusses selbst ergebender Schadensersatzanspruch des einen Ehegatten gegen den anderen (hier nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung durch Unterlassen einer Aufklärung eines Ehegatten über einen für dessen Bereitschaft zum Abschluss des Vergleichs offenkundig essentiellen, nur dem anderen Ehegatten bekannten Umstand).

Der Fall:
Am 16.7.2012 schlossen die Beteiligten im Rahmen eines anlässlich ihres Ehescheidungsverfahrens durchgeführten Mediationsverfahrens vor dem Amtsgericht Kiel einen Vergleich. Darin heißt es:

"Damit sind sämtliche Ansprüche auf Zugewinnausgleich und sonstige Ansprüche, die mit der Beendigung der Ehe/Trennung in Zusammenhang stehen, mit Ausnahme des noch durchzuführenden Versorgungsausgleiches, seien sie bekannt oder unbekannt, wechselseitig abgegolten."

Vor der Mediation hatte es finanzielles Hin und Her zwischen den Eheleuten sowie mit der Bank wegen unberechtigter Kontoverfügungen gegeben. Der Mann hatte gemeinsames Geld komplett auf seinen Namen umgebucht, daraufhin hatte die Frau seine Unterschrift gefälscht, um sich „ihre Hälfte“ im Wege der „Selbstjustiz“ zurück zu holen.

Die Frau wusste - dies war dem Mann klar - bei Abschluss des Vergleichs nicht, dass die Bank dem Mann diesen streitigen Betrag wegen der gefälschten Unterschrift erstattet hatte. Zwei Jahre später forderte die Bank dieses Geld aber von ihr zurück, zu Recht, weil sie es ohne Kontoverfügungsbefugnis ausgezahlt bekommen hatte. Das wollte sie nun wiederum vom Mann ersetzt haben.

Das Familiengericht Bremen wies ihren Antrag wegen der „Abgeltungsklausel“ ab.
Anders das OLG.

Aus den Gründen:
Dem Antragsgegner war - wie er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 17.8.2018 freimütig eingeräumt hat - klar, dass die Antragstellerin den Vergleich mit der weit gefassten Abgeltungsklausel nur deshalb zu schließen bereit war, weil sie davon ausging, mit der Zahlung des im Vergleich benannten Betrages von 11.500 € zusammen mit dem von ihr vom Konto des Antragsgegners abgehobenen Betrag von 10.311,75 € das im Innenverhältnis unstreitig ihr allein zustehende, auf den Namen des Antragsgegners angelegte Geld vollständig zurückzuerhalten. Gleichwohl erwähnte er im Rahmen des zwischen den Beteiligten vor dem Amtsgericht Kiel geführten Mediationsverfahrens nicht, dass er sich zwischenzeitlich den von der Antragstellerin abgehobenen verfahrensgegenständlichen Betrag von der Bank hatte zurückerstatten lassen. Zu einer entsprechenden Aufklärung wäre der Antragsgegner angesichts der Gesamtsituation jedoch verpflichtet gewesen. Das Unterlassen der deshalb gebotenen Aufklärung der Antragstellerin stellt sich im vorliegenden Fall für den Senat als ein objektiv wie subjektiv besonders verwerflicher Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, mithin als sittenwidrig i. S. des § 826 BGB dar (vgl. Palandt/Sprau, BGB , 77. Aufl., § 826 Rn. 4). (…)

Dieser Schadensersatzanspruch der Antragstellerin scheitert nicht an der im Vergleich vom 16.7.2012 enthaltenen Abgeltungsklausel. Dem Familiengericht ist allerdings darin zuzustimmen, dass die Abgeltungsklausel weit gefasst ist und nicht nur Ansprüche auf Zugewinn und Unterhalt, sondern ausdrücklich auch alle weiteren sonstigen bekannten oder unbekannten Ansprüche, die mit der Beendigung der Ehe bzw. mit der Trennung der Beteiligten in Zusammenhang stehen umfasst, mithin nicht nur vertragliche, sondern auch deliktische Ansprüche.

(…) Allerdings kann nach Auffassung des Senats die Abgeltungsklausel bei verständiger Würdigung nur dahingehend ausgelegt werden, dass lediglich alle bis zum Abschluss des Vergleichs entstandenen bekannten oder unbekannten Ansprüche wechselseitig abgegolten sein sollen. Nicht von der Abgeltungsklausel erfasst sind hingegen Ansprüche, die sich - wie hier der Anspruch nach § 826 BGB - erst aus dem Vorgang des Vergleichsschlusses selbst ergeben. Eine anderweitige Auslegung verbietet sich, weil niemand, der zur Bereinigung eines zurückliegenden Lebenssachverhalts vergleichsweise zu einem Schulderlass bereit ist, sich dadurch zugleich schutzlos gegenüber einem ihn schädigenden sittenwidrigen Verhalten seines Vertragspartners im Zusammenhang mit dem Abschluss des den Schulderlass beinhaltenden Vertrages stellen will. Vor diesem Hintergrund bedarf die Frage, ob der Antragsgegner sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB ) auf einen Ausschluss des Anspruchs der Antragstellerin durch die Abgeltungsklausel im Vergleich berufen könnte, wenn der Anspruch von ihr erfasst wäre, keiner Entscheidung.

(…) Es gibt keinen Vorrang des Anfechtungsrechts vor einer auf Schadensersatz gerichteten Haftung. Vielmehr kommt eine Haftung nach § 826 BGB neben dem Anfechtungsrecht nach § 123 BGB in Betracht (MünchKommBGB/Armbrüster, a.a.O. § 124 Rn. 9; Palandt/Sprau, a.a.O., Rn. 2). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - im Einzelfall eine Anfechtung ausscheidet, weil die Frist des § 124 BGB versäumt worden ist (BGH, NJW 1998, 302, 303 f.).

OLG Bremen - Beschluss vom 26.10.2018
4 UF 39/18


Wie man auch der "armen" Partei eine gute Gesamtlösung verschaffen kann:

VKH für einen Ehevertrag

Hinweis auf die Möglichkeit, die Gebühren für die anwaltliche Mitwirkung an Scheidungsfolgeverträgen gegen die Staatskasse abzurechnen, wenn VKH für die Ehesache bewilligt ist:


In der Praxis weithin unbekannt ist diese Möglichkeit, die der Gesetzgeber geschaffen hat, um entbehrlich zu machen, dass in VKH-Sachen Folgeanträge nur deswegen gestellt werden, damit im Termin eine Einigung auf Staatskosten erfolgen kann. Beispiel:

Haben die Ehegatten eine gemeinsame Immobilie, die Gegenstand einer umfassenden Scheidungsfolgenvereinbarung werden soll, vielleicht des Inhaltes, dass die Frau die Immobilie ganz bekommt und dabei Versorgungsausgleich, Zugewinnausgleich und Unterhalt mitverrechnet werden, ist ein Notarvertrag unentbehrlich - aber die Honorarfrage gegenüber dem im Übrigen mittellosen Mandanten unerquicklich.


Kraft Gesetzes erstreckt sich die Beiordnung für eine Ehesache lt. § 48 III RVG auf die außergerichtliche Einigung in Folgesachen, z.B. mittels Notarvertrages.


Gesetzesfassung § 48 III RVG ab 1.8.2013:

(3) Die Beiordnung in einer Ehesache erstreckt sich im Fall des Abschlusses eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 des Vergütungsverzeichnisses auf alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten, soweit der Vertrag

1. den gegenseitigen Unterhalt der Ehegatten,

2. den Unterhalt gegenüber den Kindern im Verhältnis der Ehegatten zueinander,

3. die Sorge für die Person der gemeinschaftlichen minderjährigen Kinder,

4. die Regelung des Umgangs mit einem Kind,

5. die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung und den Haushaltsgegenständen oder

6. die Ansprüche aus dem ehelichen Güterrecht betrifft.


Die Vorschrift bezweckt, der bedürftigen Partei den Abschluss einer Vereinbarung auch über familienrechtliche Folgesachen zu möglichen, die noch nicht rechtshängig sind, OLG Nürnberg - Beschluss vom 29.04.2009 (9 WF 472/09).


Betrifft das auch "nicht anhängige" Gegenstände?


Ja, auf die Anhängigkeit der entsprechenden Folgesachen und die Erfolgsaussicht etwaiger Anträge kommt es nicht an - so OLG Bamberg, Beschluss vom 10.06.2021 - Aktenzeichen 2 WF 61/21: "Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 48 Abs. 3 RVG ist es unerheblich, ob der Einigungsvertrag außergerichtlich oder im gerichtlichen Verfahren abgeschlossen wird. Entsprechendes gilt für den Versorgungsausgleich nach § 149 FamFG. Unerheblich ist ferner, ob die in § 48 Abs. 3 RVG genannten Regelungsgegenstände im Verfahren anhängig sind oder nicht." (...)


"Denn Zweck der gesetzlichen Erstreckung der Beiordnung auf Einigungsverträge gem. § 48 Abs. 3RVG ist es gerade, zur Entlastung der Gerichte eine gütliche Einigung zu fördern und ein Anhängigmachen der üblicherweise zu regelnden Folgesachen möglichst zu vermeiden (vgl. BeckOK RVG/ K. Sommerfeldt / M. Sommerfeldt, 51. Edition 01.03.2021, § 48RVG Rn 102, ebenso im Ergebnis Gerold/Schmidt, RVG -Kommentar, 24. Auflage 2019, § 48 Rn 19; Hartung/Schons/Enders, RVG , 3. Aufl. 2017, § 48 Rn 30). Die vom Amtsgericht zitierte Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 15.10.2007, 18 WF 104/06, vertritt ausdrücklich die selbst als Mindermeinung gekennzeichnete Auffassung, dass außergerichtliche Einigungen über nicht anhängige Folgesachen nicht von § 48 Abs. 3 RVG umfasst seien. Anders dagegen OLG Köln vom 19.12.2005, 27 WF 126/05 und OLG Koblenz vom 15.10.2008, 7 WF 803/2008, die jeweils von einer Anwendbarkeit des § 48 Abs. 3 RVG auf nicht anhängige Folgesachen ausgehen aus dem oben genannten Grund der Förderung außergerichtlicher Einigungen."


Welche Gegenstände sind erfasst?

Inhaltlich ist § 48 Abs. 3 RVG nicht auf Vereinbarungen zu Folgesachen im strengen Sinne des § 137 Abs. 2 S. 1 FamFG beschränkt. Es ist also nicht erforderlich, dass ausschließlich Regelungen für den Fall der Scheidung getroffen werden, sondern im Einigungsvertrag nach § 48 Abs. 3 RVG können auch Regelungen der dort genannten Bereiche für die Zeit vor Rechtskraft der Scheidung getroffen werden (OLG Bamberg, Beschluss vom 10.06.2021 - 2 WF 61/21 - mit Bezugnahme auf Gerold/Schmidt, RVG -Kommentar, 24. Auflage 2019, § 48 Rn 30; OLG Dresden, 14.01.2021, 20 WF 936/20).


Auch die Einigung über die Immobilie muss im Gegenstandswert Berücksichtigung finden. Der Begriff "Güterrecht" ist weit zu fassen.

OLG Nürnberg - Beschluss vom 29.04.2009 (9 WF 472/09) : „Es kann dahinstehen, ob der Begriff der >Ansprüche aus dem ehelichen Güterrecht< in § 48 Abs. 3 RVG dahin auszulegen ist, dass er auch die Verpflichtung zur Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück und zur Übernahme der mit dem Grundstück verbundenen Schulden umfasst; nach § 48 Abs. 4 S. 1 RVG ist der bedürftigen Partei die Prozesskostenhilfe auf Antrag nämlich auch für die Vereinbarung über weitere familienrechtliche Angelegenheiten zu gewähren, wenn sie im Zusammenhang mit der Ehesache stehen.“


Mangels ausdrücklicher Einschränkung im Gesetz gilt auch für Einigungen, die die Zeit vor Rechtskraft der Scheidung betreffen, die nicht Folgesachen sein könnten, namentlich den Trennungsunterhalt und den Kindesunterhalt während der Trennungszeit, OLG Nürnberg - Beschluss vom 22.12.2010 (7 WF 1773/10).


Kindesunterhalt für ein volljähriges Kind ist allerdings nicht includiert, weil es einen anderen Beteiligten betrifft, OLG Bamberg, Beschluss vom 10.06.2021  - 2 WF 61/21.


Wird eine Erfolgsaussicht fiktiv geprüft?


Nein - OLG Rostock - Beschluss vom 10.08.2006 (11 WF 4/06): „Die Erstreckung gilt selbst dann, wenn für eine entsprechende Folgesache PKH (Anm.: mangels Erfolgsaussicht) verweigert wurde, vgl. Zöller [26.] 114 ZPO R.47. Der Abschluss eines Scheidungsfolgenvergleichs über Folgesachen, die die Parteien bisher im Scheidungsverbund nicht anhängig gemacht haben, ist nicht mutwillig im Sinne des § 114 ZPO. Es liegt im wohlverstandenen Interesse der Ehegatten, sich über die Scheidungsfolgen (den Kindesunterhalt, den nachehelichen Unterhalt und die Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung und am Hausrat) zu einigen und erforderlichenfalls einen Vollstreckungstitel zu schaffen.“


Sogar, wenn danach die Scheidung gar nicht erfolgt?


Ja, so OLG Bamberg, Beschluss vom 10.06.2021 - 2 WF 61/21: "Unerheblich ist, dass nach Abschluss des Einigungsvertrags der Scheidungsantrag zurückgenommen worden ist. Denn § 48 Abs. 3 RVG setzt lediglich voraus, dass nach Beiordnung in einer Ehesache ein Einigungsvertrag über einen der dort genannten Gegenstände geschlossen worden ist."


Was ist für den Anwalt zu tun?


Das ist umstritten.

OLG Düsseldorf FamRZ 1998,112: Für den Mehr-Vergleich müsste VKH gesondert beantragt werden.

a.A.: OLG Zweibrücken - Beschluss vom 10.08.2006 (5 WF 99/06): Ein entsprechender Antrag ist ggf. konkludent gestellt  – hier ging es jedoch nicht um einen bereits geschlossenen Notarvertrag, sondern um einen Mehrvergleich im Termin.

OLG Bamberg, Beschluss vom 10.06.2021 - 2 WF 61/21: Die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe und der Anwaltsbeiordnung tritt im Zeitpunkt des Abschlusses des Einigungsvertrages kraft Gesetzes ein, ohne dass ein Erstreckungsantrag notwendig ist.

Sicherheitshalber: beantragen und um Festsetzung des Gegenstandswertes bitten.


Welche Gebühren fallen an?


Durch die Neufassung von § 48 III 1 RVG ab 08/2013 wird klargestellt, dass sämtliche im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss tatsächlich anfallenden Gebühren aus der Staatskasse zu erstatten sind, also auch ggf. Differenzverfahrens- (3101 Nr.2 Anm.(1) VV-RVG ) und Differenzterminsgebühr, BT-Drs.17/11471 S.270. Der für die Ehesache beigeordnete Anwalt verdient für einen Vergleich über nicht rechtshängige Folgesachen (also auch für den scheidungsvorbereitend geschlossenen Notarvertrag) eine 1,5 Einigungsgebühr, eine 0,8 Verfahrensgebühr und eine 1,2 Terminsgebühr, OLG Bamberg - Beschluss vom 05.05.2009 (2 WF 20/09), OLG Nürnberg - Beschluss vom 22.12.2010 (7 WF 1773/10).


Mehrvergleich im VKH-Mandat

Der BGH hat im Beschluss vom 17.1.2018 - XII ZB 248/16 - eine umstrittene Frage geklärt: Bekommt der Anwalt bei einem Mehrvergleich im VKH-Mandat alle Gebühren aus der Staatskasse ersetzt, auch die Differenzverfahrens- und die Differenzterminsgebühr? Der BGH hat sich der zutreffenden Auffassung angeschlossen, dass, wenn die Beteiligten einer selbstständigen Familiensache einen Vergleich unter Einbeziehung nicht anhängiger Verfahrensgegenstände (Mehrvergleich) schließen, der unbemittelte Beteiligte einen Anspruch auf Erweiterung der ihm bewilligten Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten auf sämtliche in diesem Zusammenhang ausgelöste Gebühren hat. Die durch Art. 3 I iVm Art. 20 III GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit im Vergleich zu Bemittelten wäre nicht gewährt, wenn trotz der Erweiterung der bereits bewilligten Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des Mehrvergleichs die dem beigeordneten Rechtsanwalt durch die Vornahme dieser Verfahrenshandlung nach den Regelungen des RVG erwachsenden Gebühren teilweise nicht von der Staatskasse getragen würden. Auch aus § 48 III RVG lasse sich nicht im Wege eines Umkehrschlusses ableiten, dass außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Abschluss eines Mehrvergleichs nicht auf die Verfahrens- und Terminsgebühr erstreckt werden könne.


1. Wird in einer selbständigen Familiensache ein Vergleich unter Einbeziehung nicht anhängiger Verfahrensgegenstände geschlossen (sog. Mehrvergleich), entsteht für den am Vergleich mitwirkenden Rechtsanwalt hinsichtlich der nicht anhängigen Verfahrensgegenstände neben der Einigungsgebühr (Nr. 1000 VV RVG) regelmäßig auch eine 0,8-fache Verfahrensgebühr (Nrn. 3100, 3101 Ziffer 2 VV RVG). Erfolgt der Abschluss des Vergleichs in einem Termin zur mündlichen Verhandlung, fällt zudem eine 1,2-fache Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG sowie Vorb. 3 Abs. 3 VV RVG aus dem Wert des Vergleichs an. Wegen der Begrenzung der jeweiligen Einzelgebühren auf den Wert aus dem Gesamtbetrag sämtlicher Verfahrensgegenstände nach dem höchsten Gebührensatz (§ 15 Abs. 3 RVG) reduzieren sich die Einzelgebühren für die nicht anhängigen Verfahrensgegenstände gewöhnlich auf sogenannte Differenzgebühren.


2. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der beigeordnete Rechtsanwalt - außerhalb des Anwendungsbereichs des § 48 Abs. 3 RVG - diese zusätzlichen Gebühren im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe von der Staatskasse erstattet verlangen kann, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Bewilligungsbeschluss die Verfahrenskostenhilfe nur auf den Abschluss der Vereinbarung erstreckt. Dies ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten.


(…) c) Andere Oberlandesgerichte sind der Meinung, dass durch die Erweiterung einer bereits bewilligten Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss eines Mehrvergleichs dem beigeordneten Rechtsanwalt sämtliche mit dem Vergleichsschluss anfallenden Gebühren aus der Staatskasse zu erstatten sind, auch wenn der Bewilligungsbeschluss dies nicht ausdrücklich anordnet. Dabei werden insbesondere der Sinn und Zweck der Verfahrenskostenhilfe sowie die Verfahrensökonomie in den Vordergrund gerückt (OLG Karlsruhe FamRZ 2017, 1959 f.; OLG Celle [21. Zivilsenat] FamRZ 2017, 394, 395 f. und OLG Celle [15. Zivilsenat] FamRZ 2014, 1878 f.; OLG Stuttgart FamRZ 2017, 317, 318; OLG Koblenz [2. Senat für Familiensachen] JurBüro 2016, 136 f.; OLG Köln FamRZ 2014, 1875, 1876 f.; OLG Schleswig FamRZ 2012, 1416, 1417; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG 22. Aufl. § 48 Rn. 168 ff. mwN).


d) Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu. Der unbemittelte Verfahrensbeteiligte in einer selbständigen Familiensache hat einen Anspruch auf Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten auf sämtliche im Zusammenhang mit einem Mehrvergleich ausgelöste Gebühren sei es im Wege der Auslegung einer bereits erfolgten Bewilligung, sei es im Wege einer ergänzenden Beschlussfassung.


aa) Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG bzw. § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Verfahrensführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Verfahrenskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dieser Anspruch auf Verfahrenskostenhilfe ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gebots einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, welches in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (BVerfG NJW 2012, 3293 mwN; BVerfG NJW 1991, 413 [BVerfG 13.03.1990 - 2 BvR 94/88] mwN). Danach darf Unbemittelten die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Der Unbemittelte muss grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Bemittelter. Er muss einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt (BVerfG NJW 2012, 3293 [BVerfG 02.07.2012 - 2 BvR 2377/10] mwN).


Diese durch Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit wäre nicht gewahrt, wenn trotz der Erweiterung der bereits bewilligten Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss des Mehrvergleichs die dem beigeordneten Rechtsanwalt durch die Vornahme dieser Verfahrenshandlung nach den Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes erwachsenden Gebühren teilweise nicht von der Staatskasse getragen würden und im Übrigen die Vergütungspflicht des bedürftigen Beteiligten bestehen bliebe. Anders als ein begüterter Verfahrensbeteiligter könnte der bedürftige Beteiligte in diesem Fall von der Möglichkeit, das anhängige Verfahren durch den Abschluss eines Mehrvergleichs zu beenden, nur dann Gebrauch machen, wenn er trotz seiner im Bewilligungsverfahren festgestellten Bedürftigkeit wirtschaftlich in der Lage wäre, die zusätzlich anfallenden Rechtsanwaltsgebühren zu tragen. Sollte er die hierfür erforderlichen Mittel nicht aufbringen können, bliebe ihm nur die Möglichkeit, bezüglich der nicht anhängigen Gegenstände ein gesondertes Verfahren zu betreiben und dort erneut um die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe anzutragen. Dem bedürftigen Beteiligten würde dadurch gegenüber einem begüterten Beteiligten die - oft zweckmäßige - umfassende Regelung von streitigen Rechtsverhältnissen erheblich erschwert. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen tragfähigen sachlichen Grund.


(…) Da die gesetzliche Vergütung des Rechtsanwalts für die Mitwirkung an einem (Mehr-)Vergleich sich nicht in der Einigungsgebühr aus dem erhöhten Vergleichswert erschöpft, sondern sich auch auf die Differenzverfahrens- und terminsgebühr erstreckt, widerspräche eine Beschränkung der Verfahrenskostenhilfe auf die Einigungsgebühr nicht nur dem Grundsatz des § 45 Abs. 1 RVG, wonach der beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung aus der Staatskasse erhält (OLG Celle FamRZ 2014, 1878, 1879). Es bliebe auch unberücksichtigt, dass die zuletzt genannten Differenzgebühren in einem engen Zusammenhang mit dem Abschluss des Mehrvergleichs stehen (vgl. OLG Celle FamRZ 2017, 394, 396). Die Verfahrensgebühr ist sogar unlösbar mit der Entstehung der Einigungsgebühr verbunden (OLG Köln FamRZ 2014, 1875, 1876) und der unbemittelte Verfahrensbeteiligte darf darauf vertrauen, aufgrund der für den Abschluss des Mehrvergleichs bewilligten Verfahrenskostenhilfe von sämtlichen Gebührenansprüchen freigestellt zu werden, die seinem beigeordneten Rechtsanwalt zustehen (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2017, 1959 f.). (…)


(1) Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 RVG erstreckt sich die Beiordnung in einer Ehesache im Falle des Abschlusses eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 des Vergütungsverzeichnisses auf alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten, soweit der Vertrag einen der in der Vorschrift bezeichneten Regelungsbereiche betrifft. Der Vorschrift kommt insoweit Ausnahmecharakter zu, als der für die Ehesache beigeordnete Rechtsanwalt kraft Gesetzes auch für den Abschluss eines Mehrvergleichs beigeordnet ist, sofern dieser einen der in der Vorschrift genannten Regelungsbereiche betrifft. Das Gericht muss daher innerhalb des Anwendungsbereichs der Norm die für die Ehesache bewilligte Verfahrenskostenhilfe nicht auf den Abschluss des Mehrvergleichs erstrecken. Zweck dieser Vorschrift ist es, Beteiligten mit geringem Einkommen auch ohne einen entsprechenden Ausspruch in der Bewilligungsentscheidung die gleiche Möglichkeit zu verschaffen, eine Vereinbarung zu Scheidungsfolgen zu schließen, wie Beteiligten mit ausreichend hohem Einkommen und dadurch weitere Rechtsstreitigkeiten über die Scheidungsfolgen zu verhindern. In der Zusammenschau mit § 48 Abs. 1 und 5 RVG lässt sich daher aus § 48 Abs. 3 RVG im Wege eines Umkehrschlusses nur herleiten, dass bei selbständigen Familiensachen eine Erweiterung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss eines Mehrvergleichs nicht kraft Gesetzes eintritt, sondern einer Anordnung durch gerichtlichen Beschluss bedarf. Demgegenüber lässt sich hieraus nicht folgern, außerhalb des Ehescheidungsverbunds könne sich eine Erweiterung der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Fall eines Mehrvergleichs allein auf die Einigungsgebühr und nicht auch auf die übrigen Differenzgebühren beziehen.     


(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber durch das zweite Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23. Juli 2013 (BGBl I 2586) mit Wirkung zum 1. August 2013 den Wortlaut des § 48 Abs. 3 Satz 1 RVG dahingehend ergänzt hat, dass sich die Beiordnung in einer Ehesache im Fall des Abschlusses eines Vergleichs auf alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten erstreckt, soweit der Vergleich auch eine der in § 48 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 6 RVG genannten Angelegenheiten betrifft.


Aufgrund des Wortlauts des § 48 Abs. 3 Satz 1 RVG in der bis zum 31. Juli 2013 gültigen Fassung wurden in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen insbesondere dazu vertreten, ob die gesetzliche Ausdehnung der in einer Ehe- oder Partnerschaftssache bewilligte Verfahrenskostenhilfe zur Folge hat, dass der beigeordnete Rechtsanwalt neben der Einigungsgebühr auch die Differenzterminsgebühr von der Staatskasse erstattet verlangen kann (ablehnend: OLG Brandenburg FamRZ 2005, 1264; OLG München FamRZ 2009, 1779 und OLG Hamm Beschluss vom 25. Februar 2012 - 6 WF 109/12 - juris; bejahend: OLG Köln FamRZ 2008, 707; OLG Stuttgart FamRZ 2008, 1010 und OLG Saarbrücken FamRZ 2009, 143).   


Im Hinblick auf diesen Meinungsstreit wollte der Reformgesetzgeber mit der Ergänzung des Wortlauts der Vorschrift lediglich klarstellen, dass im Falle eines Vergleichsschlusses in einer Ehe- oder Lebenspartnerschaftssache alle in diesem Zusammenhang anfallenden Gebühren zu erstatten sind, weil allein hierdurch Beteiligte mit einem geringem Einkommen die gleiche Möglichkeit erhalten würden, ihre Streitigkeiten möglichst umfangreich beizulegen, wie Beteiligte mit einem ausreichend hohen Einkommen (BT-Drucks. 17/11471 S. 270). Diese Erwägung, welche maßgeblich auf den verfahrensökonomischen Aspekt eines Vergleichsschlusses abstellt, gilt aber in gleichem Maße für einen Mehrvergleich im Rahmen einer selbständigen Familiensache. Deshalb wäre es nach diesem Gesetzeszweck bereits von Verfassungs wegen (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht gerechtfertigt, die Frage des Vergütungsanspruchs für die Herbeiführung eines Mehrvergleichs bei selbständigen Familiensachen anders zu behandeln als bei einem Vergleichsschluss im Scheidungsverbund (OLG Celle FamRZ 2014, 1878, 1879). 


(3) Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 48 Abs. 3 RVG die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht auf sämtliche durch den Abschluss eines Mehrvergleichs anfallenden Rechtsanwaltsgebühren erstreckt werden kann, lassen sich daher weder dem Wortlaut der Vorschrift noch dem Gesetzeszweck entnehmen. Auch die Gesetzesbegründung gibt für eine entsprechende Absicht des Gesetzgebers nichts her.


dd) Der vom Antragsteller begehrten Erweiterung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe steht auch nicht entgegen, dass für die weiteren in den Vergleich einbezogenen Regelungsgegenstände die nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe grundsätzlich erforderliche Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht erfolgen kann.


Richtig ist, dass ohne Anhängigkeit der betreffenden Verfahrensgegenstände, d.h. ohne einen verfahrenseinleitenden Antrag gemäß §§ 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 FamFG oder eine Antragsschrift im Sinne der §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 253 Abs. 2 ZPO, eine diesbezügliche summarische Prüfung kaum durchführbar sein dürfte (vgl. OLG Koblenz FamRZ 2014, 1877, 1878). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die von einem Mehrvergleich erfassten nicht anhängigen Verfahrensgegenstände regelmäßig allenfalls eingeschränkt einer Beurteilung ihrer Erfolgsaussichten nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zugänglich sind. Denn ein Mehrvergleich erschöpft sich nicht darin, einen Streit oder eine Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens zu beseitigen (§ 779 Abs. 1 BGB). Er geht vielmehr über den eigentlichen Streitfall hinaus. Die nicht anhängigen Verfahrensgegenstände, welche im Rahmen eines Mehrvergleichs mitgeregelt werden, müssen daher nicht notwendigerweise streitige Positionen betreffen. Es erscheint ebenso naheliegend, dass die Beteiligten zur Vermeidung weiterer gerichtlicher Auseinandersetzungen gegnerische Ansprüche unstreitig stellen und einer einvernehmlichen Regelung zuführen, deren Durchsetzung nach summarischer Prüfung eher wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Oder sie beziehen von vornherein unstreitige Punkte in ihren Vergleich mit ein, um etwa im Zusammenhang mit ihrer Ehescheidung eine umfassende Vermögensauseinandersetzung zu erreichen. Eine derartige Einigung würde aber weniger das Ergebnis gegenseitigen Nachgebens wiedergeben als vielmehr eine bloße Feststellung beinhalten (vgl. OLG Celle FamRZ 2011, 835, 836).


Daher müsste in zahlreichen Fällen mangels Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung schon die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auf die Einigungsgebühr für einen Mehrvergleich auf rechtliche Bedenken stoßen. Dies würde der besonderen Bedeutung nicht gerecht, welche dem Mehrvergleich für eine umfassende Regelung komplexer Lebenssachverhalte zukommt. Im Übrigen liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob und in welchem Umfang es die Einigung, welche über den Verfahrensgegenstand hinausgeht, als gerichtlichen Vergleich protokolliert (Senatsbeschluss BGHZ 191, 1 = FamRZ 2011, 1572 Rn. 16 f.).


ee) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts steht einer Erstreckung der Verfahrenskostenhilfebewilligung auf sämtliche durch den Abschluss eines Mehrvergleichs anfallenden Rechtsanwaltsgebühren auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen.


(1) Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass bei Abschluss eines Mehrvergleichs im Erörterungstermin nach § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO Prozesskostenhilfe nur für den Vergleich selbst und nicht für das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren bewilligt werden könne. Deshalb beschränke sich die Gewährung der Prozesskostenhilfe ausschließlich auf den Vergleich und umfasse insbesondere nicht die einem Rechtsanwalt unabhängig hiervon zustehende Verfahrensgebühr gemäß Nrn. 3100, 3335 VV RVG (nach altem Recht: §§ 51 Abs. 1, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) sowie die Terminsgebühr gemäß Vorb. 3 Abs. 3 i.V.m. Nr. 3104 VV RVG (nach altem Recht: Erörterungsgebühr nach §§ 51 Abs. 1, 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO).   

(2) Diese Rechtsprechung beruht indes auf dem Grundsatz, wonach für das Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren an sich eine Bewilligung von Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe nicht in Betracht kommt (vgl. BGHZ 159, 263 = FamRZ 2004, 1708, 1709; BGHZ 91, 311 = FamRZ 1985, 690). Insoweit stellt § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO eine Ausnahmevorschrift dar. Bei Einigungsbereitschaft auf beiden Seiten sprengt die Vorschrift den Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens und gestattet aus Zweckmäßigkeitsgründen eine gütliche Regelung über die Hauptsache bereits vorprozessual im Wege eines Vergleichs (BGHZ 159, 263 = FamRZ 2004, 1708, 1709).


Wird demgegenüber - wie im vorliegenden Fall - ein Mehrvergleich im Rahmen einer bereits rechtshängigen selbständigen Familiensache geschlossen, ist dem unbemittelten Beteiligten für den rechtshängigen Verfahrensgegenstand Verfahrenskostenhilfe bereits bewilligt worden. Der Grundsatz, wonach Verfahrenskostenhilfe für das Verfahrenskostenhilfebewilligungsverfahren an sich nicht gewährt werden kann, entfaltet dann keine Wirkung mehr. Es kommt nicht länger darauf an, ob und inwieweit § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO ausnahmsweise eine Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe im Verfahrenskostenhilfeverfahren ermöglicht, sondern es geht um den Umfang der Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten in einem bereits rechtshängigen Verfahren, in dem zulässigerweise materiell-rechtliche Gegenstände mitgeregelt werden, welche außerhalb des Verfahrensstoffs streitig oder ungewiss sind (OLG Schleswig FamRZ 2012, 1416, 1417 mwN).     


3. Gemessen hieran kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. (…)


Bundesgerichtshof: Beschluss vom 17.01.2018 – XII ZB 248/16


++++

OLG Bamberg - Beschluss vom 23.09.2022 -  2 WF 111/22

zur 1,5 Vergleichsgebühr für den Mehrvergleichsteil:

Durch das KostRÄG vom 21.12.2020 wurde die Nichtherabsetzung des Gebührensatzes in der Anmerkung Abs. 1, Satz 1, 2. Hs. zu Nr. 1003 VV- RVG auf die Fälle der Erstreckung der Beiordnung nach § 48 Abs. 1 RVG ausgeweitet. Dieses erfolgte in ausdrücklicher kritischer Auseinandersetzung mit der von Teilen der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass im Umkehrschluss aus der ausdrücklichen gesetzlichen Erstreckung in Ehesachen nach § 48 Abs. 3 RVG in anderen Fällen des Mehrvergleichs in selbständigen Familienstreitsachen ein Gleichlauf des Gebührenanspruchs des beigeordneten mit demjenigen des nicht im Rahmen einer Beiordnung im Verfahren tätigen Rechtsanwalts gesetzlich nicht bestimmt sei (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum KostRÄG 2021, BT-Drs. 19/23484, S. 78). Die gesetzliche Neuregelung von § 48 Abs. 1 RVG sowie der Anmerkung zu Nr. 1003 VV- RVG beruhte demgegenüber auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss v. 17.01.2018, Az. XII ZB 248/16 -, BGHZ 217, 206 -218), nach der der unbemittelte Verfahrensbeteiligte in einer selbständigen Familiensache einen Anspruch auf Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten auf sämtliche im Zusammenhang mit einem Mehrvergleich ausgelöste Gebühren hat. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird hierzu ausgeführt:

"Im vorgeschlagenen § 48 Absatz 1 Satz 2 RVG wird nunmehr allgemein für alle Verfahrensarten bestimmt, dass der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse im Falle der Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss eines Vergleichs alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen umfasst, die durch die Tätigkeiten entstehen, die zur Herbeiführung der Einigung erforderlich sind. Dies soll auch dann gelten, wenn sich die Beiordnung oder die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Vergleichs beschränkt. Durch die Regelung ist gewährleistet, dass dies auch gilt, wenn die Bewilligung oder Beiordnung in einem PKH-Bewilligungsverfahren erfolgt."

§ 48 Abs. 1 Satz 2 RVG umfasst demnach über den in § 48 Abs. 3 RVG geregelten Fall der gesetzlichen Erstreckung der Beiordnung auf bestimmte Folgesachen im Rahmen eines Scheidungsverbundverfahrens hinaus sämtliche Fälle der gerichtlichen Erstreckung der Beiordnung für die Mitwirkung am Abschluss von Verträgen nach Nr. 1000 VV- RVG. Nach der Neufassung der Anmerkung Abs. 1 Satz 1 2. Hs. zu Nr. 1003 VV- RVG gilt die Absenkung der Einigungsgebühr auf 1,0 nicht, soweit sich die Beiordnung gemäß § 48 Abs. 1 RVG auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 VV- RVG erstreckt.

3. Soweit dem in der Rechtsprechung teilweise entgegengehalten wird, dass sich aus der Neufassung von § 48 Abs. 1 RVG durch das KostRÄG 2021 nichts für die konkrete Höhe der Einigungsgebühr ergebe und es diesbezüglich weiterhin bei der Bestimmung der Nr. 1003 VV- RVG verbleibe, ist dieses zwar dem Grunde nach zutreffend (vgl. BeckOK-RVG/Sefrin, 57. Edition Stand 01.09.2022, Nr. 1003 VV- RVG Rn. 11), führt jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut der Anmerkung Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 zu Nr. 1003 VV- RVG zu keinem anderen Ergebnis (entgegen LAG München, Beschluss v. 14.03.2022, Az. 6 Ta 8/22; Beschluss v. 23.03.2022, Az. 6 TA 275/21). Bereits die nach § 48 Abs. 1 Satz 2 RVG erfolgende gerichtliche Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss eines Mehrvergleichs als Vertrag im Sinne von Nr. 1000 VV- RVG führt zur Nichtanwendbarkeit der Ermäßigung nach Nr. 1003 VV- RVG, so dass es bei der 1,5 Gebühr nach Nr. 1000 VV- RVG verbleibt (so auch LAG Nürnberg, Beschluss v. 26.07.2021, Az 3 Ta 68/21; Mayer/Kroiß-Mayer, a.a.O., Nr. 1003 VV- RVG Rn. 12a).

4. Da somit bereits aufgrund der Erstreckung der Beiordnung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 RVG die 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV- RVG verwirklicht ist, kann dahingestellt bleiben, ob auch ein Fall der Rückausnahme in Anmerkung Abs. 1, Satz 1, Hs. 2 zu Nr. 1003 VV- RVG "soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für (...) die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird" einschlägig ist.


Download: VKH für Scheidungsfolgenvergleich OLG Köln

Was kostet der Anwalt, der beim Scheidungsfolgenvertrag hilft?

Ist der Trennungs- und Scheidungsfolgenvertrag erfolgreich beurkundet, kommt die Rechnung, und damit oft eine Überraschung des Mandanten, wenn vorher nicht offen kommuniziert wurde.

Gesetzlich rechnet der Anwalt hierbei in der Regel eine Geschäfts- und Einigungsgebühr nach dem Gegenstandswert des Vertrages ab. Dieser ist nicht automatisch identisch mit dem Gegenstandswert, den der Notar bestimmt. Im Schrifttum werden insoweit unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, wie der Anwalt den gegenstandswert ermitteln muss (zu finden in BGH 29.10.2020 – IX ZR 264/19). Eines der Probleme dabei ist, dass es außergerichtlich keinen Verbund gibt; ein anderes, dass die in einen typischen Trennung -und Scheidungsfolgenvertrag gemeinsam geregelten Gegenstände gerichtlich in verschiedenen Verfahren hätten geltend gemacht werden müssen (Ehe- und Folgesachen, FamFG-Familiensachen, Familienstreitsachen; vgl. § 126 Abs. 2 FamFG). Auch die Rechtsprechung zur Abgrenzung der Angelegenheiten nach Beratungshilfegesetz (BerHG) ist zur Auslegung des § 15 Abs. 2 RVG nicht heranzuziehen, weil sich bei der Beratungshilfe die Zusammenrechnung von Gegenstandswerten nicht auf die Gebühren auswirkt.

 

Fazit:

Die Abrechnung der Tätigkeit rund um einen notariellen Trennungs- und Scheidungsfolgenvertrag birgt Konfliktpotential mit Mandanten, der die Bestimmung des Gegenstandswertes durch den Anwalt als willkürlich empfinden kann.

 

Daher nehme ich § 34 Abs. 1 RVG beim Wort und schließe mit meinen Mandanten für meine Tätigkeit bei der Herbeiführung der Einigung eine Vergütungsvereinbarung ab. Diese weicht evtl. vom gesetzlichen Ergebnis ab, sorgt aber für Klarheit.


Notarkosten für einen Ehevertrag

Wer nach der Beurkundung eines Notarvertrages zweifelt, ob die Gebühren korrekt abgerechnet wurden, kann dies beim Landgericht prüfen lassen. So war es im Fall von Eheleuten, die einen Ehe- und Erbvertrag miteinander angeschlossen hatten. Der Vertrag wurde im Hinblick auf die tödliche Erkrankung des Ehemannes geschlossen.Auf Zugewinnausgleich im Todesfall wollten sie gegenseitig verzichten, d.h. die güterrechtlichen Ansprüche aus § 1371 Abs. 2 und Abs. 3 BGB wurden ausgeschlossen. Das führt im Erbfall dazu, dass nichts konkret gerechnet wird, sondern die Witwe ¼ Erbteil zusätzlich bekommt.


Es entsteht eine 2,0 Beurkundungsgebühr nach KV-Nr. 21100 GNotKG aus dem Geschäftswert des Vertrages.

Dieser ist durch Zusammenrechnung der Werte der unterschiedlichen Verfahrensgegenstände zu bestimmen (§ 35 Abs. 1 GNotKG ).

 

Fraglich war nun, ob der Notar den gesamten Wert des beiderseitigen Vermögens für den Gegenstandswert heranziehen durfte, das war hier über eine Million Euro. Das Landgericht gab dem Notar recht, die Rechnung belief sich auf über 11.000 EUR.


Nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG ist der Geschäftswert bei der Beurkundung von Eheverträgen im Sinne des § 1408 BGB , die sich nicht auf Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich beschränken, nach der Summe der Werte der gewärtigen Vermögen beider Ehegatten zu bestimmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll durch den Verweis auf § 1408 BGB klargestellt werden, dass diese Bestimmung nur dann gilt, wenn ein Ehevertrag die güterrechtlichen Verhältnisse betrifft (BT-Drs. 17/11471 (neu), S. 181).

Demgegenüber ist § 102 Abs. 2 GNotKG anwendbar, wenn der Ehevertrag nur bestimmte Vermögenswerte betrifft, auch wenn sie dem Anfangsvermögen hinzuzurechnen wären, oder bestimmte güterrechtliche Ansprüche. Dann wird der Geschäftswert (nur) durch den Wert dieser Ansprüche bestimmt. Der Gesetzgeber hat also für Eheverträge, die nur bestimmte güterrechtliche Ansprüche regeln, eine abweichende Regelung getroffen. Zur Begründung hat er angegeben, dass durch diese Regelung die zuvor geltende Regelung des § 39 Abs. 3 KostO übernommen und in verschiedener Hinsicht ergänzt werden sollte (BT-Drs. 11/11471 (neu), S. 181).

Der Bundesgerichtshof hat zur Abgrenzung entschieden, dass sich der Geschäftswert nach § 100 Abs. 1 GNotKG richtet, wenn der beurkundete Ehevertrag die Wahl des Güterstands regelt und damit eine strukturelle Änderung des Güterstands bewirkt (BGH, Beschluss vom 19. April 2023 - XII ZB 234/22, juris Rn. 10).

Die weiteren Einzelheiten der Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 100 Abs. 1 und Abs. 2 GNotKG werden in der Literatur insbesondere unter dem Stichwort einer "Modifikation" oder "Modifizierung" des gesetzlichen Güterstands diskutiert (…). Die Diskussion in der Literatur kann aber weder eine Abweichung von der Entscheidung des Gesetzgebers begründen, für die Regelung (nur) bestimmter güterrechtlicher Ansprüche in einem Ehevertrag nach § 100 Abs. 2 GNotKG nur deren Geschäftswert bei den Notarkosten zu berücksichtigen, noch die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Maßstäbe ändern.

 

Verfahrensgegenstand ist das notarielle Beurkundungsverfahren (§ 85 GNotKG ) und Beurkundungsgegenstand das Rechtsverhältnis, auf das sich die Erklärungen beziehen (§ 86 Abs. 1 GNotKG ). Mehrere Rechtsverhältnisse sind verschiedene Beurkundungsgegenstände, soweit in § 109 GNotKG nichts anderes bestimmt ist (§ 86 Abs. 2 GNotKG ). Als besonderer Beurkundungsgegenstand gilt nach § 111 Nr. 1 GNotKG stets eine letztwillige Verfügung (vorbehaltlich der Regelung in § 109 Satz 2 GNotKG ) und nach § 111 Nr. 2 GNotKG ein Ehevertrag im Sinne des § 1408 BGB .

Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass der Geschäftswert für das Beurkundungsverfahren sich aus den Werten für drei Beurkundungs- bzw. Verfahrensgegenstände zusammensetzt, nämlich dem Wert für die erbrechtlichen Verfügungen der Beteiligten zu 1, dem gegenseitigen Pflichtteilsverzicht und dem Ausschluss eines Anspruchs nach § 1371 Abs. 2 und Abs. 3 BGB .

nur im Einzelnen bezeichnete, gesonderte Ansprüche ausgeschlossen sind, ohne dass damit eine grundlegende strukturelle Änderung des Güterstands bewirkt wird. Der Zugewinnausgleich wird weder grundsätzlich noch für einen bestimmten Fall ausgeschlossen. Ausgeschlossen wird lediglich eine bestimmte Möglichkeit einer von dem Grundsatz der erbrechtlichen Lösung abweichenden Berechnung des Zugewinnausgleichs bei Beendigung des Güterstands durch den Tod eines Ehegatten (sogenannte güterrechtliche Lösung).

Der Ausschluss der Ansprüche aus § 1371 Abs. 2 und Abs. 3 BGB bewirkt im vorliegenden Fall auch deshalb keine strukturelle Änderung des Güterstands, weil nur eine von bestimmten (weiteren) Voraussetzungen abhängige andere Berechnung des Zugewinnausgleichs ausgeschlossen wird. Die Regelung des § 1371 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass der überlebende Ehegatte weder Erbe noch Vermächtnisnehmer ist. Die Regelung des § 1371 Abs. 3 BGB setzt die Ausschlagung einer Erbschaft durch den überlebenden Ehegatten voraus. Da die Beteiligte zu 1 in dem beurkundeten Erbvertrag den Beteiligten zu 2 mit mehreren Vermächtnissen bedacht hat, würden ihm bei einem Vorversterben der Beteiligten zu 1 Vermächtnisse zustehen, so dass weder § 1371 Abs. 2 BGB noch § 1371 Abs. 3 BGB eingreifen würden. Der Beteiligte zu 2 könnte einen Anspruch aus § 1371 Abs. 2 BGB nur durch eine Ausschlagung der Vermächtnisse herbeiführen (§§ 2180 Abs. 3 , 1953 Abs. 1 BGB ). Über letztwillige Verfügungen des Beteiligten zu 2 ist nichts bekannt. Sollte er entweder keine letztwillige Verfügung getroffen oder in einer solchen die Beteiligte zu 1 als Erbin eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht habe, würden bei einem Vorversterben des Beteiligten zu 2 weder § 1371 Abs. 2 BGB noch § 1371 Abs. 3 BGB eingreifen. Auch insoweit könnten die Ansprüche aus § 1371 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nur durch eine Ausschlagung durch die Beteiligte zu 1 herbeigeführt werden. Nur für diese Fälle wird die Berechnung eines Zugewinnausgleichs nach der sogenannten güterrechtlichen Lösung in dem beurkundeten Erbvertrag ausgeschlossen.

Die wirtschaftliche Bedeutung der zu bewertenden notarvertraglichen Regelung in IX § 2 liegt darin, dass dem überlebenden Ehegatten die Möglichkeit genommen wird, anstelle des erbrechtlichen Ausgleichs des Zugewinns nach § 1371 Absatz 1 BGB denjenigen nach Absatz 2 oder 3 dieser Regelung zu wählen. Der Wert des entsprechenden Verzichts lässt sich nicht beziffern, weil zum einen Angaben zum Anfangsvermögen der Urkundsbeteiligten bei Eheschließung fehlen und zum anderen keine belastbare Prognose darüber angestellt werden kann, ob und ggf. in welcher Höhe ein nach § 1371 Absatz 2 oder 3 BGB berechneter Zugewinnausgleich über denjenigen nach § 1371 Absatz 1 BGB hinausgehen würde.

Soweit die Regelung der güterrechtlichen Ansprüche aus § 1371 Abs. 2 und Abs. 3 BGB im beurkundeten Erbvertrag im Zusammenhang mit den gesondert bewerteten weiteren Regelungen (der erbrechtlichen Verfügung der Beteiligten zu 1, s.o. unter a: Geschäftswert nach § 102 Abs. 1 GNotKG 1.054.901,10 EUR; dem gegenseitigen Verzicht auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche, s.o. unter b: Geschäftswert nach § 102 Abs. 1 , Abs. 4 GNotKG 340.530,55 EUR) zu dem von den Beteiligten gewünschten Ergebnis führt, dass im Falle eines Vorversterbens der Beteiligten zu 1 der Beteiligte zu 2 (nur) die in dem Erbvertrag geregelten Vermächtnisse erhält, werden dadurch keine weiteren güterrechtlichen Ansprüche geregelt. Sie sind nur die Folge der anderweitigen Regelungen. Nicht durch die ehevertragliche Regelung ist im Ergebnis ein Verzicht auf den Zugewinnausgleich für den Fall der Beendigung des Güterstands durch den Tod eines Ehegatten vereinbart worden, sondern dadurch, dass die Beteiligte zu 1 den Beteiligten zu 2 (nur) als Vermächtnisnehmer eingesetzt und dieser sodann auf Pflichtteilsansprüche verzichtet hat. Die ehevertragliche Regelung sichert diese Regelung lediglich für den gesonderten Fall der Ausschlagung der Vermächtnisse durch den Beteiligten zu 2 im Falle des Vorversterbens der Beteiligten zu 1 ab. Darin liegt keine grundlegende strukturelle Modifikation des gesetzlichen Güterstands.

dd)

Nach § 100 Abs. 2 GNotKG ist für den Geschäftswert von bestimmten güterrechtlichen Ansprüchen deren Wert maßgebend.



Da somit keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des Geschäftswerts nach § 36 Abs. 1 GNotKG bestehen, ist nach § 36 Abs. 3 GNotKG von einem Geschäftswert von 5.000 EUR auszugehen.

Für die Bestimmung des Geschäftswerts scheidet auch eine Orientierung an § 51 Abs. 2 GNotKG aus (entgegen der Stellungnahme des Bezirksrevisors). Danach beträgt der Wert einer Verfügungsbeschränkung 30% des von der Beschränkung betroffenen Gegenstands. Eine Verfügungsbeschränkung wird in dem beurkundeten Ehevertrag nicht geregelt.

Die Rechnung des Notars wurde auf rd. 5.000 EUR gekürzt.


OLG Karlsruhe - Beschluss vom 14.05.2024 (19 W 76/23)


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