Ich selbst habe das Nestmodell als Anwältin oder Mediatorin auch schon in passenden Konstellationen begleitet, z.B.:
- Die Familie hatte neben leiblichen Kindern auch Pflegekinder, insgesamt 7 Kinder im Alter von 6 Monaten bis 19 Jahren. Die wirtschaftlichen Verhältnisse ließen nicht zu, dass das große Eigenheim erhalten bleiben konnte, wenn dazu noch eine ausreichend große Wohnung angemietet würde, in der der andere Elternteil wohnen und zumindest den leiblichen Kindern Umgang hätte anbieten können. Man wollte aber auch die Pflegekinder und die leiblichen gar nicht verschieden behandeln, und man wollte auch nicht die Pflegekinder vderlieren. Aufgrund der großen Altersunterschiede waren die Kinder auch gar nicht begeistert von der Idee, Freizeit gemeinsam außerhalb ihres Umfeldes zu verbringen. Dafür waren ihre Interessen und Bedürfnisse zu verschieden. Die Eheleute mieteten eine Strasse weiter ein 1-Zimmer-Appartement an. Sie wechselten sich wochenweise mit dem Wohnen in Haus und Appartement ab. Für eine dritte Wohnung reichte das Geld nicht. Das Pflege-Baby zog anfangs immer mit der Mutter zusammen um, später nicht mehr. Noch später fand der Mann eine neue Freundin, bei der er in seiner nicht-Betreuungs-Woche wohnen konnte, so dass die Mutter das Appartement als ihre eigene Privatsphäre hatte und ihre kinderfreie Woche sehr genoss.
- Die Eltern waren schon länger getrennt, die Kinder wohnten bei der Mutter im "alten Haus" und besuchten den Vater am Wochenende, wo auch seine neue Freundin wohnte. Also erstmal "das Übliche". Dann bekam die Mutter Krebs und hatte etliche längere stationäre Aufenthalte zu bewältigen. Während dieser Phasen zog der Vater zu den Kindern, damit Schulweg, Freundschaften etc. stabil blieb. Auch nachdem der Krebs besiegt war, blieb die Familie dabei, dass die nun verrentete Mutter sich eine Woche im Monat "Auszeit nahm", verreiste, bei ihren Eltern oder Freunden wohnte, und der Vater währenddessen mit den Töchtern im Haus lebte. Aufgrund ihrer existentiellen Erfahrung mit der Krebserkrankung hatte sich für diese Mutter als wichtige Priorität ergeben, dass Töchter und Vater ein Alltagsleben kennen, falls sie stirbt. Alle Kritik an ihm als Erziehungsperson, die sie vorher gespürt hatte, fiel mit der Diagnose von ihr ab, und sie war froh, dass ihre Töchter diesen Vater hatten.
- Beide Eltern arbeiten als Selbständige in einer Branche, in der sie einige Monate des Jahres sehr intensiv beruflich eingespannt sind, dann auch auslandsabwesend. Damit keiner auf seine Karriere verzichten musste, hatten sie die Kinder immer schon abwechselnd betreut und ihre Vollzeit-Projekte nacheinander geplant. Es lag daher nahe, diese Absprache auch nach der Trennung beizubehalten und abwechselnd mit den Kindern in der Familienwohnung zu leben, während der andere sowieso beruflich in Hotels lebte.
- Auch ohne solche besonderen Umstände habe ich mehrere Familien kennengelernt, die sich darauf verständigt haben, dass Mutter und Vater abwechselnd mit / bei ihnen wohnen. Manche Modelle haben sehr langfristig funktioniert, andere nur als Übergangsphase. Wenn sie nicht mehr funktionierten, dann immer, weil sich bei den Eltern etwas änderte (neuer Partner, beruflich, Bedürfnis nach mehr Privatsphäre), nie, weil die Kinder damit unzufrieden gewesen wären - ganz im Gegenteil.
Das Süddeutsche-Magazin hat 2012 über Erfahrungen zweier Familien mit dem Nestmodell berichtet. In den Folgejahren hatte ich schon mehrere Anrufe von Journalisten, die sich über das Nestmodell informieren wollten und Kontakte zu solchen Familien suchten. Ich stelle fest: Das Nestmodell gewinnt allmählich an Aufmerksamkeit! Allerdings handelt es sich häufig um ein fragiles Nachtrennungssystem, deren Protagonisten nicht interessiert an öffentlicher Aufmerksamkeit sind. Manchmal hält dieses Modell auch nur, bis neue Partner auftreten, mit denen man sich ein normales Familienleben wünscht.