10% statt 1/7

Erwerbsbonus beim Unterhalt


Große Änderung für unsere Region ab 2022 - Erwerbsanreiz nicht mehr Siebtel, sondern Zehntel:


Der beim Trennungs- und nachehelichen Unterhalt zu berücksichtigende Erwerbstätigenbonus ab 1.1.2022 wird bundeseinheitlich mit 1/10 des maßgeblichen Einkommens bemessen. Seit den 70er Jahren war u.a. im Bereich Köln-Düsseldorf eine 3/7 zu 4/7-Verteilung des Erwerbseinkommens usus, im Süddeutschen war der Erwerbsanreiz geringer. Dieser Änderung haben alle Oberlandesgerichte bis auf das Kammergericht Berlin zugestimmt. Näheres ergibt sich aus den Leitlinien der einzelnen Oberlandesgerichte.
Ausgelöst wurde diese Änderung durch den BGH-Beschluss vom 13.11.2019. Der Erwerbstätigenbonus wird
weiterhin erst nach Abzug des Kindesunterhalts sowie der prägenden Verbindlichkeiten ermittelt (anders der Vorschlag der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstags).


Bundesgerichtshof, Beschluss v. 13.11.2019 – XII ZB 3/19

1.    Soweit bei der Bemessung des unterhaltsrelevanten Einkommens bereits berufsbedingte Aufwendungen abgezogen wurden, spricht nichts dagegen, den Erwerbstätigenbonus – wie es die Süddeutschen Leitlinien vorsehen – allgemein mit einem Zehntel zu berücksichtigen.
2.    Der Erwerbstätigenbonus ist auch dann in die Unterhaltsberechnung einzustellen, wenn er allein beim Unterhaltsberechtigten anfällt, etwa weil der Unterhaltspflichtige bereits Rentner ist.

Aus den Gründen:

Allerdings wird die Berechtigung eines Erwerbstätigenbonus inzwischen vereinzelt in Frage gestellt.

(1) Der Erwerbstätigenbonus sei für die Bedarfsermittlung beim Ehegattenunterhalt nicht im Gesetz verankert. Er sei vom Bundesgerichtshof aus der vor 1977 geltenden Rechtsprechung übernommen worden, die auf dem Leitbild der Hausfrauenehe gefußt habe und die dadurch einen alleinverdienenden Pflichtigen bei Zahlung von Ehegattenunterhalt habe entlasten wollen. Leitbild der Ehe sei heute jedoch die Doppelverdienerehe mit zeitweiliger Übernahme der Familienarbeit bei Geburt der Kinder. Spätestens seit der "Surrogatslösung" des Bundesgerichtshofs, die die Gleichwertigkeit von Familienarbeit und Berufstätigkeit betont habe, sei der Ansatz eines Erwerbstätigenbonus zur Quotierung des Ehegattenunterhalts überholt. Rechnerisch bevorzuge er immer den Besserverdienenden, obwohl aus Gleichbehandlungsgrundsätzen der Arbeitsanreiz für den Pflichtigen und den Berechtigten nicht unterschiedlich hoch ausfallen dürfe. Schließlich verstoße er auch gegen den vom Gesetzgeber bei der Unterhaltsrechtsreform 2008 als eines der wesentlichen Ziele herausgestellten Vereinfachungsgrundsatz. Die durch die Ausübung der Berufstätigkeit entstandenen Kosten würden in ausreichendem Umfang (gegebenenfalls durch eine Pauschale) berücksichtigt. Ein darüberhinausgehender Abzug des Erwerbstätigenbonus zum Arbeitsanreiz sei wegen der wechselseitigen Obliegenheiten, sich leistungsfähig zu halten bzw. den Bedarf im Rahmen der Eigenverantwortung selbst zu decken, nicht erforderlich. Es gebe zudem keinen Grund, den Erwerbstätigenbonus in den einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken pauschal in unterschiedlicher Höhe anzusetzen. Eine einheitliche Lösung werde sich nur finden lassen, indem er generell abgeschafft werde (Wendl/Dose/Siebert Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 4 Rn. 781; s. auch Gerhardt FamRZ 2013, 834).

(2) Demgegenüber wenden die Oberlandesgerichte einen Erwerbstätigenbonus durchgehend an. Die Düsseldorfer Tabelle und die Leitlinien der Oberlandesgerichte sehen einen Erwerbstätigenbonus von einem Siebtel bzw. von einem Zehntel (Süddeutsche Leitlinien) vor. Auch in der Literatur wird ein Erwerbstätigenbonus ganz überwiegend für gerechtfertigt gehalten. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs solle es beim Abzug eines zusätzlichen Erwerbstätigenbonus bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen auch neben pauschalen berufsbedingten Auslagen bleiben. Allerdings sei eine Herabsetzung des Erwerbstätigenbonus auf ein Zehntel geboten, wenn er sich nur noch auf die Honorierung der Arbeitsleistung beschränke (Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 1 Rn. 131). Ebenso hat sich der 22. Deutsche Familiengerichtstag für die Beibehaltung des Erwerbstätigenbonus als "anerkanntes Instrumentarium der Unterhaltsberechnung" ausgesprochen (These 3 des Arbeitskreises 16 des 22. Deutschen Familiengerichtstages Brühler Schriften zum Familienrecht Bd. 20 S. 117).
cc) Diese Kritik ist nicht geeignet, die - in eigener Verantwortung des Tatrichters erfolgende (vgl. Senatsbeschluss vom 8. September 2004 - XII ZB 92/03 - FamRZ 2004, 1867, 1868) - Berücksichtigung eines Erwerbstätigenbonus grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Allerdings ist zutreffend, dass der Erwerbstätigenbonus insoweit seine Berechtigung verliert, als die mit der Berufsausübung verbundenen höheren Aufwendungen entweder bei Selbstständigen von vornherein im Rahmen der Gewinnermittlung oder bei Nichtselbstständigen (pauschal mit 5 % oder konkret) berücksichtigt werden. Deshalb hat es der Senat schon in einer früheren Entscheidung, in der die tatsächlichen berufsbedingten Aufwendungen vorweg abgezogen waren, gebilligt, einen geringeren Bonus abzusetzen (Senatsurteil vom 16. April 1997 - XII ZR 233/95 - FamRZ 1997, 806, 807 mwN). Es spricht indes auch nichts dagegen, den Erwerbstätigenbonus - wie es die Süddeutschen Leitlinien vorsehen - allgemein auf ein Zehntel zu bemessen (so auch Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 1 Rn. 131; mit guten Gründen eine entsprechende bundeseinheitliche Handhabung fordernd: Thesen 6 und 8 des Arbeitskreises 16 des 22. Deutschen Familiengerichtstages Brühler Schriften zum Familienrecht Bd. 20 S. 118).

Zwar verweist die Gegenmeinung zu Recht darauf, dass sowohl der Unterhaltspflichtige als auch der Unterhaltsberechtigte ohnehin gehalten sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten erwerbstätig zu sein. Das ändert aber nichts daran, dass die Ausübung einer Berufstätigkeit regelmäßig zu einer persönlichen Mehrbelastung des Erwerbstätigen führt, die nicht allein mit der Abgeltung berufsbedingter Aufwendungen kompensiert wird und die auch unterhaltsrechtlich honoriert werden kann. Der Hinweis der Gegenauffassung auf die "Surrogatslösung" des Senats bei Ausübung der Familienarbeit in der Ehe stellt den Erwerbstätigenbonus ebenfalls nicht in Frage (vgl. schon Senatsbeschluss vom 8. September 2004 - XII ZB 92/03 - FamRZ 2004, 1867, 1868). Schließlich steht auch der Vereinfachungsgedanke der Unterhaltsrechtsreform von 2008 der Beibehaltung des Erwerbstätigenbonus nicht entgegen. Es entspricht langjähriger gerichtlicher und anwaltlicher Praxis, den Erwerbstätigenbonus in die Unterhaltsberechnung einzupflegen, ohne dass es hierbei zu nennenswerten Schwierigkeiten gekommen ist.

Soweit die Anschlussrechtsbeschwerde einwendet, der Senat habe im Rahmen einer Bedarfsermittlung nach den konkreten Verhältnissen entschieden, eigenes Erwerbseinkommen des Unterhaltsberechtigten sei zur Ermittlung der Bedürftigkeit nicht gekürzt um einen Erwerbstätigenbonus, sondern in vollem Umfang auf den Bedarf anzurechnen (Senatsurteil vom 10. November 2010 - XII ZR 197/08 - FamRZ 2011, 192 Rn. 26 ff.), findet diese Rechtsprechung auf die - hiermit nicht vergleichbare - Bedarfsermittlung nach Quoten keine Anwendung. Hierzu hat der Senat in der genannten Entscheidung bereits ausgeführt, dass außerhalb der Bedarfsermittlung nach Quoten der Abzug eines Erwerbstätigenbonus auf Seiten des Unterhaltsberechtigten aus Gründen der Gleichbehandlung der Ehegatten nicht gerechtfertigt ist (Senatsurteil vom 10. November 2010 - XII ZR 197/08 - FamRZ 2011, 192 Rn. 29 mwN).

Ende des Anreiz-Siebtels?

Mit dieser BGH-Entscheidung ist etwas, was in langjähriger Gewohnheit wie ein Gesetz automatisch angewendet und weder von den OLG-Leitlinien noch von den Richtern zur Disposition gestellt wurde, plötzlich wankend.


Der BGH hat die Kumulierung des Anreizsiebtels und der Pauschale von 5 % - welche das OLG Köln allerdings nie angewandt hat - als unzureichende Ermessensprüfung bezeichnet. Mit – so der BGH - „guten Gründen“ hat schon der 22. Deutschen Familiengerichtstag eine bundeseinheitliche Handhabung gefordert.


Der BGH zieht grundsätzlich die Anerkennung eines Erwerbstätigenbonus nicht in Zweifel. Aber ist das das Ende des Anreiz-Siebtels? Werden damit Pauschalen zur Berücksichtigung der „berufsbedingten Belastung“ entfallen?


Borth (FamRZ 2020, 144) versteht die Ausführungen des BGH in der Rz. 23 so, dass im Rahmen der gebotenen Angemessenheitsprüfung eine Kumulierung des Anreizsiebtels und der Pauschale von 5 % für berufsbedingte Aufwendungen eine unzureichende Ermessensprüfung sein könnte und prognostiziert, dass der BGH eine solche auch künftig nicht anerkennen wird, weil ihm die Summierung beider Pauschalen im Ergebnis zu hoch erscheint; hierfür spreche auch, dass er eine herabgesetzte Quote von einem Zehntel wie in den Süddeutsche Leitlinien als angemessen betrachtet.


OLG Köln, Beschluss vom 16.3.2021, 14 UF 196/19

>>Die Entscheidung des BGH mag zwar so interpretiert werden können, dass der BGH einen Erwerbstätigkeitsbonus von 10% präferiert. Daraus folgt daraus nicht, dass die Anrechnung eines Erwerbstätigkeitsbonus in Höhe von 1/7 bei Selbständigen unzulässig wäre.<< Das OLG verweist auf Punkt 15.2 der 2021er Kölner Leitlinien. 2022 sehen die Leitlinien allerdings den 10%-Abzug vor, nachdem sich alle OLGs darauf geeinigt haben.


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