Zweiwochenfrist - Scheidungsverbund - Beschwerde - Anhörung
- Beteiligte - Zustellung - Ordnungsgeld - Abtrennung aus dem Scheidungsverbund - Beschleunigungsgebot - Nichtzulassungsbeschwerde - Befangenheit eines Gutachters
Das Verfahren wurde 2010 eingeleitet. Das AG Straubing hatte 2016 auf Antrag des Mannes, der neu heiraten wollte, Unterhalt und Zugewinn abgetrennt und geschieden. Das OLG Nürnberg hat auf meinen Antrag - ich vertrat die Ehefrau - zurückverwiesen. Inzwischen hat der Mann zwei Kinder aus zwei nachfolgenden Beziehungen. Das Interesse der von ihm wirtschaftlich abhängigen Ehefrau an einer Sicherung ihrer Zukunft zeitgleich mit der Scheidung hat aber bei der Abwägung höheres Gewicht. Dieses Verfahren ist ein Musterbeispiel für die Verhandlungspositionen um die Höhe des Trennungsunterhaltes. Wer um diesen zu lang streitet, bezahlt dies ggf. mit der Verfahrensdauer.
Die Eheleute wurden im Dezember 2021 geschieden, aber nur, weil es endlich eine notarielle Einigung und damit eine Zustimmung der Ehefrau zur Scheidung gegeben hatte. Das Scheidungsverfahren hatte länger gedauert als das Zusammenleben dieser Eheleute.
Der Fall begann im Februar 2014. Es ging um das Umgangsrecht einer Mutter betreffend zweier kleiner Kinder, die erst in einer Pflegefamilie, dann beim Vater lebten. Es dauerte hier von 2015 bis 2018, bis ein Sachverständigengutachten vorlag. Das Gericht hatte es abgelehnt, einen Sachverständigen zu suchen, der schneller mit dem Gutachten beginnen konnte. Erst ab 2019 wurde der Umgang geregelt, dazwischen hatte die Mutter die Kinder nur acht Mal gesehen.
Im Laufe der Jahre hatte die Mutter mehrere Beschleunigungsrügen und –beschwerden eingereicht.
Das OLG Koblenz hatte ihr recht gegeben, dass das Amtsgericht zu langsam arbeite. Daraufhin arbeitete das Amtsgericht und wies die zwischenzeitlich eingereichten Anträge auf vorläufige einstweilige Regelung des Umgangs ab – eine Beschwerdemöglichkeit zum OLG ist hierbei gesetzlich nicht vorgesehen.
Nach Abschluss des Umgangsverfahren verklagte die Mutter das Land auf eine Entschädigung von 15.000 €.
Eine Entschädigung bei schuldhafter überlanger Verfahrensdauer ist gesetzlich vorgesehen (§ 198 Abs. 2 GVG).
Der BGH erkannte, dass in Verfahren, die Fragen des Sorge- und Umgangsrechts insbesondere gegenüber Kleinkindern zum Gegenstand haben, Eile geboten ist. Eine dem Gericht zuzurechnende erhebliche Verfahrensverzögerung (hier: zusammengerechnet 37 Monate) sei eine schwerwiegende Beeinträchtigung des betroffenen Elternteils in seinem Recht auf Umgang mit seinem Kind (Art. 6 Abs. 2 GG, § 1684 Abs. 1 BGB) und seinem Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK).
Insbesondere bei kleinen Kindern sei die Gefahr irreparabler Folgen durch fortschreitenden Zeitablauf besonders groß. In diesen Fällen schreite die Gefahr der Entfremdung, die für das Verfahren Fakten schaffen kann, mit jeder Verfahrensverzögerung fort, so dass die Möglichkeiten einer Zusammenführung schwinden und letztendlich zunichte gemacht werden können, wenn Eltern und Kind sich nicht sehen dürfen.
Die Tragweite dessen, was für die Mutter in den Verfahren auf dem Spiel stand, verpflichtete das Familiengericht zur größtmöglichen Verfahrensbeschleunigung.
Die verlorene gemeinsame Zeit, die für die Entwicklung, Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der frühkindlichen Bindungen der beiden sehr kleinen Kinder zur Mutter wesentlich war und eine erhebliche Entfremdung zwischen der Mutter und ihren Kindern zur Folge hatte, kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht wiedergutgemacht werden.
Zur Höhe der Entschädigung verwies der BGH an das OLG Koblenz zurück und wies auf Folgendes hin:
Der EGMR hat in der Vergangenheit Verfahren, die das Verhältnis einer Person zu ihrem sehr jungen Kind betrafen und in denen Verfahrensverzögerungen einen (zusätzlichen) Verstoß gegen Art. 8 EMRK begründeten, besonderes Gewicht beigemessen und höhere Entschädigungssummen zugesprochen (z.B. EGMR, NJW-RR 2007, 1225 Rn. 123 - Bianchi/Schweiz [15.000 €]; Urteil vom 12. Juli 2007 - 39741/02, juris Rn. 88 - S.N./Deutschland [8.000 €]; BeckRS 2011, 80398 Rn. 100 - K.-R./Deutschland [10.000 € bei zwei betroffenen Kindern]; FamRZ
2011, 1283 Rn. 61 - Kuppinger I/Deutschland [5.200 € - allein wegen der Dauer des Umgangsverfahrens von knapp fünf Jahren bei einem sehr kleinen Kind]; Urteil vom 10. Februar 2011 - 1521/06, juris Rn. 88 - T./Deutschland [7.000 €]; FamRZ 2012, 1123 - Bergmann/Tschechien [10.000 €]; NJW 2015, 1433 - Kup-
pinger II/Deutschland [15.000 €] und BeckRS 2016, 127405 Rn. 108 Moog/Deutschland [10.000 €]).
BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - III ZR 72/20
Hier finden Sie den „Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren“ des Nationalen Rats gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen als kostenlosen Download (Stand 2022). Er kann helfen, Verfahrensfehlern des Familiengerichts vorzubeugen bzw. in der Beschwerdeinstanz darzulegen.
Im Dezember 2019 hat sich der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen konstituiert. Dem Nationalen Rat gehören Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Fachpraxis an sowie Mitglieder des Betroffenenrats bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM). Der Nationale Rat hat sich zum Ziel gesetzt, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung zu stärken, Hilfen für Betroffene zu verbessern und für eine kindgerechte Justiz einzutreten. Hierbei orientiert sich der Nationale Rat an empirischer Evidenz und zeigt Lücken auf, wo forschungsbasierte Erkenntnisse fehlen.
Im Zentrum dieses Praxisleitfadens steht die Frage, wie es gut gelingen kann, familiengerichtliche Verfahren in Kindschaftssachen kindgerecht und betroffenensensibel durchzuführen.
In Kindschaftssachen werden Entscheidungen getroffen, die den Lebensweg von Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern wesentlich prägen. Kinder und Jugendliche erleben familiengerichtliche Verfahren oftmals als belastend.
Umso wichtiger ist es, dass Kinder und Jugendliche im Verfahren als eigenständige Personen wahrgenommen und ihre Wünsche oder Bedenken gehört werden. Kinder und Jugendliche wünschen sich häufig eine aktive Beteiligung und empfinden dies als positiv.
Auch der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren Neuregelungen für das familiengerichtliche Verfahren getroffen, die diesen Erkenntnissen Rechnung tragen sollen. Der Nationale Rat hat sich zum Ziel gesetzt, die Umsetzung dieser Reformen in der Praxis zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für eine kindgerechte Justiz weiter zu verbessern. Er möchte dazu beitragen, die in der Praxis bestehenden Hürden weiter abzubauen.
Der Leitfaden gibt Empfehlungen für die kindgerechte Ausgestaltung von Kindschaftssachen (§ 151 FamFG) und zeigt Gestaltungs- und Handlungsspielräume innerhalb eines Verfahrens auf. Er richtet sich in erster Linie an Familienrichterinnen und Familienrichter. Ergänzend spricht der Praxisleitfaden aber auch weitere Akteurinnen und Akteure des familiengerichtlichen Verfahrens an, und zwar Jugendamtsmitarbeiterinnen und Jugendamtsmitarbeiter, Verfahrensbeistände sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Ein kindgerechtes Verfahren kann nur gelingen, wenn alle Involvierten das Kind und seine Bedürfnisse im Blick haben. Bereits in dem Pilotprojekt „Kinderrechtsbasierte Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren“ wurden die Europaratsleitlinien in Form kinderrechtsbasierter Kriterien von Familienrichterinnen und Familienrichtern erfolgreich erprobt.
Der „Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren“ basiert auf den Vorgaben der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (VN-KRK), die in Deutschland im Rang eines Bundesgesetzes gilt3 sowie auf den sie konkretisierenden Leitlinien für eine kindgerechte Justiz des Europarates. Die Leitlinien des Europarates gehen dabei deutlich über die Vorgaben der VN-KRK hinaus.
Dass man gewisse Risiken eingeht, wenn man jemandem seine Nacktbilder schickt, liegt auf der Hand - aber immerhin hat man rechtliche Möglichkeiten, sich gegen die Veröffentlichung im Internet zu wehren. Soweit das nach einer Selbstverständlichkeit klingt, sah das Amtsgericht Bielefeld das zunächst anders. Eine Frau wollte Verfahrenskostenhilfe (Prozesskostenhilfe) für einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Exfreund. Das Gericht sollte ihm untersagen, die Bilder wie angedroht zu veröffentlichen und dem mit Zwangsgeld / Zwangshaft bei Zuwiderhandlung Nachdruck verleihen. Das Amtsgericht meinte, dass die angedrohte Handlung keine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung darstelle.
Das OLG Hamm hob diese Entscheidung auf und machte deutlich: An Bildern, die zwar „befugt“ entstanden und überlassen worden sind, weil die abgebildete Person sich selbst fotografiert und das Foto mit dem Anderen geteilt hat, bleiben doch die Rechte bei der abgebildeten Person. Eine Strafbarkeit, Bilder mit sexuellen Darstellungen gegen den ausdrücklichen Widerspruch im Internet zu veröffentlichen, sei gar nicht abwegig. Der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch gehe aber sogar über die Straftatbestände hinaus.
Dementsprechend werde das Eingreifen von § 1 GewSchG bei der Veröffentlichung ursprünglich freiwillig entstandener Nacktaufnahmen auch in der Literatur befürwortet und der mittellosen Frau dürfe nicht der Zugang zum Rechtssystem verwehrt werden.
OLG Hamm, Beschluss vom 13.07.2023 - Aktenzeichen 1 WF 93/23