Maskenpflicht, Test und Impfung

Medizinkritik
 
Sorgerecht und Corona


Wer entscheidet, wenn die getrenntlebenden - aber gemeinsam sorgeberechtigten - Eltern auf der Skala von „Das Virus ist nicht schlimmer als eine Grippe und die Maßnahmen sind unsinnig“ bis „Ich gehe freiwillig in Quarantäne“ sehr weit auseinander liegen?

Impfung von Kindern gegen Corona -

wenn die Eltern sich nicht einig sind

Nach h. M. ist bereits eine Routineimpfung als Angelegenheit von besonderer Bedeutung anzusehen und ein Co-Konsens der gemeinsam sorgeberchtigten Eltern erforderlich.


Auf Basis der weiter unten zitierten BGH-Entscheidung aus 2017 (betraf nicht COVID-19, sondern Rotaviren, Masern, Mumps, Röteln, Windpocken, Pneumokokken, Meningokokken, Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Polio, Hib und Hepatitis B) haben bisher die meisten Familiengerichte im Zusammenhang mit der Corona-Schutzimpfung ebenfalls auf die Empfehlungen der STIKO geblickt. Der BGH hat schon seinerzeit darauf hingewiesen, dass Impfungen dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl dienen. Jedes Kind profitiere auch von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder, und der damit gesenkten Infektionsgefahr.


Der BGH sagte, es könne davon ausgegangen werden, „dass eine an den Empfehlungen der STIKO orientierte Entscheidung über vorzunehmende Impfungen das für das Kindeswohl bessere Konzept im Sinne der Rechtsprechung darstellt“. Den STIKO-Empfehlungen komme die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu.

Wenn die STIKO eine Impfung empfehle, bedeute dies die sachverständige Einschätzung auf Basis der aktuell verfügbaren Erkenntnisse, dass der generelle Nutzen das generelle Impfrisiko überwiegt.

Die Impffähigkeit in der konkreten Situation müsse der impfende Arzt ohnehin prüfen.

Dabei sei es nicht die Aufgabe der Gerichte, sämtliche für und gegen eine Impfung sprechenden Gesichtspunkte zusammenzutragen und zu bewerten und quasi anstelle der Eltern die Entscheidung über die Impfung zu treffen. Denn es sei nach § 1628 BGB nur zulässig, einem Elternteil die Entscheidungskompetenz zu übertragen, nicht hingegen dürfe das Gericht die Entscheidung anstelle der Eltern selbst treffen. Es ist aber auch bei der gerichtlichen Entscheidung nach §§ 1628, 1697a BGB zu berücksichtigen, welcher Elternteil etwaige besonderen Umstände beachten und ggf. gegenüber dem Arzt vorbringen wird, z.B. Vorerkrankungen benennen.


Wenn der impfwillige Elternteil zugleich die Hauptbezugsperson des Kindes ist, dann zieht als weiteres Argument, dass dieses sich um seinen Alltag und seine medizinische Versorgung, auch im Krankheitsfall, kümmert.


Wer als Elternteil gegen die Impfung ist, hat bei Gericht also nur dann gute Karten, wenn als Richter ebenfalls ein Impfkritiker sitzt - so geschehen beim AG Weilheim in Bayern in einer nicht veröffentlichten Entscheidung, über die der Deutschlandfunk am 3.2.2022 berichtet hat.


In der Beschwerdeinstanz beim OLG München wird dies aber voraussichtlich korrigiert.


Stand 08.02.2022: Die STIKO empfiehlt allen Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-17 Jahren eine COVID-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty (BioNTech/Pfizer).

Zusätzlich empfiehlt die STIKO Kindern im Alter von 5-11 Jahren, die aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung haben die COVID-19-Impfung mit Comirnaty. Gleiches gilt für Kinder und Jugendliche ab 5 Jahren, in deren Umfeld sich Angehörige oder andere Kontaktpersonen mit hoher Gefährdung für einen schweren COVID-19-Verlauf befinden, die selbst nicht geimpft werden können oder bei denen der begründete Verdacht auf einen nicht ausreichenden Schutz nach Impfung besteht (z. B. Menschen unter relevanter immunsuppressiver Therapie).

Außerdem besteht eine berufliche Impfindikation für Jugendliche, die arbeitsbedingt entweder ein erhöhtes Expositionsrisiko aufweisen oder engen Kontakt zu vulnerablen Personengruppen haben.

Quelle:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/faq-covid-19-impfung.html#c23761


Wille des Kindes


Die Einwilligungsfähigkeit des Kindes (keine feste Altersgrenze, idR 14 Jahre) spielt deshalb eine Rolle, weil kein körperlicher Zwang gegen das unwillige Kind angewendet werden kann. Der Kindeswille ist nach § 1697 a BGB zu beachten, wenn Alter und Entwicklungsstand des Kindes es ihm erlauben, sich eine eigenständige Meinung zum Streitthema zu bilden. Der Wille des Kindes, geimpft zu werden, allein genügt aber nicht, denn bis zur Volljährigkeit entscheiden die Eltern so wichtige Dinge, vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 17.08.2021 – 6 UF 120/21 bei einem 16jährigen. Sog. Co-Konsens der Eltern ist erforderlich.


Die STIKO weist in ihren Hinweisen zur praktischen Umsetzung ihrer Impfempfehlung auch ungter Bezug auf diese Entscheidung darauf hin, dass die COVID-19-Impfung eine sorgfältige Aufklärung der zu impfenden Person bzw. ihres Sorgeberechtigten voraussetzt und dass bei Minderjährigen, die aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung die erforderliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit besitzen, auch ihr Wille zu berücksichtigen ist, sodass ein Konsens zwischen den Minderjährigen sowie den zur Einwilligung Berechtigten vorliegen sollte.


§ 630d BGB betrifft nur die Einwilligungsfähigkeit im Verhältnis zum Arzt und hebelt nicht das Sorgerecht aus.


AG Mönchengladbach, Beschl. v. 18.02.2022 - 25 F 14/22 eA

Das Kind ist 8 jährig,eine STIKO-Empfehlung greift nicht. Der Vater fürchtet negative Folgen der Impfung wegen fehlender Langzeitstudien. Die Mutter möchte impfen.

Das Gericht sieht medizinisch Vor- und Nachteile - bei dieserAbwägung habe keines der Argumente mehr Gewicht als andere. Ausschlaggebend war der Kindeswille, weil der 8jährige zwar die medizinischen Fragen nicht beurteilen könne, aber über die Auswirkungen der fehlenden Impfung auf Quarantätevorschriften bescheid wusste - und ihn das störte.

Das AG bejahte den Eilbedarf, damit das Kind nicht infiziert werde, bevor in der Hauptsache entschieden sei.


OLG Dresden Beschl. v. 28.01.2022 - 20 UF 875/21

Das OLG Dres­den wies einen Eilantrag eines impfwilligen Vaters gegen die impfunwillige Mutter ab, weil die 14jährige Tochter eingewendet hatte, sie könne die Folgen der Spritze nicht abschätzen und wolle zunächst ein Beratungsgespräch mit ihrer Kinderärztin führen. Das OLG fand richtig, zuerst die legitimen Informationsinteressen der Jugendlichen zu berücksichtigen. Insbesondere der Vater dürfe ihre Bedenken nicht unter Berufung auf "eigene Fachkompetenz" beiseiteschieben. 


OLG Rostock Beschl. v. 10.12.2021 – 10 UF 121/21 eA:

Hier lebten die 14 und 16 Jahre alten Kinder beim Vater, der die Impfung will, die Kinder auch.

Die Mutter ist nicht nur gegen die Impfung, sondern auch gegen die in der Schule verwendeten Tests.

Das AG hat dem Vater die erforderlichen Rechte per AO übertragen.

Zum Zeitpunkt der OLG-Entscheidung ist die 1. Impfung bereits erfolgt.

Die 2. Impfung hat der Vater mit Rücksicht auf die Mutter und die OLG-Entscheidung abwartend zurückgestellt.


Das OLG Rostock kennt die Rechtsauffassung des OLG München im Beschluss vom 18.10.2021, dass die Entscheidungsbefugnis für die erste Impfung auch die für Folge- und Auffrischungsimpfungen umfasst und differenziert beim Eilbedarf: Nur die Entscheidung über die Grundimmunisierung sei dringlich. Alles andere sei dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.


"Der Übertragung der Entscheidungsbefugnis im Wege der einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass mit der Durchführung der Impfungen die Hauptsache vorweggenommen wird, soweit ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden notwendig ist. Dies ist grundsätzlich im Hinblick auf die sog. vierte Infektionswelle zu bejahen. Allerdings ist unabhängig von der Frage des Bestehens einer Impfempfehlung für eine eventuelle spätere Auffrischungsimpfung (sog. Booster-Impfung) das Eilbedürfnis zu verneinen (in Abgrenzung zu OLG München, FamRZ 2021, 1980)."



OLG München, Beschluss v. 18.10.2021 – 26 UF 928/21:

Das AG hatte der Mutter die Impfentscheidung überlassen, das Kind war zum Beschwerdezeitpunkt bereits 2x geimpft. Weil Auffrischungs- und Folgeimpfungen zu erwarten sind, aber Impfentscheidungen nur einheitlich sinnvoll sind, war die Hauptsache nicht erledigt. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte das OLG nach der 1. Impfung abgelehnt.

Das OLG hat hier nochmal deutlich gemacht, dass das Gericht nicht die Impfungen anordnet, sondern nur ermöglicht. Es ging um ein Kind mit einer seltenen genetischen Vorerkrankung, so dass der impfende Arzt konkrete besondere Risiken sowieso abzuwägen habe. Es sei eine gewagte Einschätzung des Vaters, anzunehmen, dass die impfenden Ärzte leichtfertig vorgingen.


"Da eine Entscheidung über die Verabreichung von Impfungen sinnvollerweise nur einheitlich zu treffen ist, umfasst die Übertragung der Entscheidungsbefugnis für Covid-19-Impfungen nicht nur Erst- und Zweit-Impfungen, sondern auch etwaige gegebenenfalls in der Zukunft von der STIKO empfohlenen Auffrischungs- bzw. Folgeimpfungen gegen Covid-19, denn es sei ohne weiteres davon auszugehen, dass die Expertenkommission der STIKO auch und gerade bei der Impfung gegen Covid-19 eine sehr sorgfältige Prüfung angestellt und unter Abwägung aller sachverständigen Erkenntnisse die entsprechende Impfempfehlung für 12-17-Jährige ausgesprochen hat.


Die Entscheidungsbefugnis über eine Covid-19-Impfung ist regelmäßig demjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO befürwortet (unter Bezug auf OLG Frankfurt/Main 08.03.2021, 6 UF 3/21, siehe unten) und die eigene Entscheidung vom 8.9.2021."


Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 17.08.2021, Az. 6 UF 120/21 eA:

Auch bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit in eine Corona-Schutzimpfung bei einem fast 16-jährigen Kind i. S. des § 630d BGB bedarf es eines Co-Konsenses mit den sorgeberechtigten Eltern. Können diese sich in dieser Frage nicht einigen, ist eine Entscheidung nach § 1628 BGB herbeizuführen.

Hier lebte das Kind bei der Mutter, die die Impfung nicht wollte und sie als „Gentherapie“ bezeichnete.

Kind und Vater wollten die Impfung.

Neben den medizinischen Gründen war ausschlaggebend, dass der Sohn erklärte; sollte es zu einem erneuten Lockdown kommen, wolle er ohne Test einkaufen und zum Friseur gehen. Auch angesichts der in den Sommerferien geplanten Auslands-Urlaube wolle er geimpft werden, damit die Test- und Quarantänepflicht entfiele.


Unter Verweis auf die vierte Infektionswelle und das damit einhergehende Ansteckungsrisiko sowie die Gefahr der Einschränkung von Freiheitsrechten Ungeimpfter bei steigenden Inzidenzen wurde der Eilbedarf (EA) bestätigt.


"Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen für ein gemeinsames Kind kann bei Uneinigkeit der Eltern auf den Elternteil übertragen werden, der seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert. Über die allgemeine Impffähigkeit des Kindes muss unabhängig von einer konkreten Impfung kein Sachverständigengutachten eingeholt werden, da nach den Empfehlungen der STIKO die Impffähigkeit in der konkreten Impfsituation ärztlich zu prüfen ist und bei einer Kontraindikation zu unterbleiben hat."



Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.03.2021, Az. 6 UF 3/21:


Der Fall: Das Kind ist drei Jahre alt, die Eltern haben gemeinsames Sorgerecht. Die Mutter möchte das „Übliche“ impfen lassen, folgend den Empfehlungen der „Ständigen Impfkommission“ STIKO. Der Vater ist damit nicht einverstanden und verlangt eine gerichtliche Prüfung der Impffähigkeit des Kindes.

Die Mutter hat deshalb vor dem Amtsgericht beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis über Standardimpfungen zu übertragen.


AG und OLG gaben der Mutter recht. Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen sei eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung (§ 1628 S. 1 BGB). Dabei sei die Entscheidungskompetenz dem Elternteil zu übertragen, „dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird“. Gehe es um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, sei die Entscheidung zu Gunsten des Elternteils zu treffen, der insoweit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolge. Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen auf einen Elternteil könne nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich maßgeblich darauf abgestellt werden, „dass ein Elternteil Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert, ohne dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf, wenn im Einzelfall kein Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht“. Es könne davon ausgegangen werden, „dass eine an den Empfehlungen der STIKO orientierte Entscheidung der Kindesmutter über vorzunehmende Impfungen im Ausgangspunkt das für das Kindeswohl bessere Konzept im Sinne der Rechtsprechung darstellt“, begründet das OLG. Bei der Abwägung zwischen Risiken im Fall einer Impfung und Risiken bei unterbleibender Impfung könne die Entscheidung auf den Elternteil übertragen werden, der den fachlichen Empfehlungen der STIKO folge. Diesen Empfehlungen komme die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu.

Da nach den Empfehlungen der STIKO die Impffähigkeit in der konkreten Situation unter Berücksichtigung etwaiger Kontraindikationen ärztlich zu prüfen sei, bedürfe es auch keiner allgemeinen, unabhängig von einer konkreten Impfung vorzunehmenden gerichtlichen Aufklärung der Impffähigkeit des Kindes. Der Sorge des Vaters um die körperliche Unversehrtheit des Kindes im Hinblick auf den Impfvorgang selbst trügen die Empfehlungen der STIKO ebenfalls Rechnung. Für den Impfvorgang werde von der STIKO eine am Kindeswohl orientierte Vorgehensweise mit im Einzelnen dargestellten Handlungsvorschlägen empfohlen. Dass diese Empfehlungen vorliegend unzureichend seien, sei weder vorgetragen noch ersichtlich.


Amtsgericht Hamburg-Mitte, Beschluss v. 17.12.2021 - 281 F 316/21

• Für das zwischen 5 und 11 Jahre alte Kind lag eine Stiko-Empfehlung noch nicht vor. Laut Pressemitteilung der STIKO vom 09.12.2021 können bei individuellem Wunsch auch Kinder ohne Vorerkrankung geimpft werden.

• Das Kind leidet weder unter Vorerkrankungen, noch lebt sie mit Personen zusammen, denen eine Schutzimpfung gegen Covid-19 nicht möglich ist.

• Das bei der Mutter wohnende Kind wünschte sich wie die Mutter die Impfung (Gründe: schulische Einschränkungen, Quarantäne, Großeltern).

• Der Vater stand mRNA-Impfstoffen kritisch gegenüber.

• Die Mutter bekam die Alleinentscheidungsbefugnis im Wege der EAO


AG Hamburg Beschluss v. 1.11.2021 - 280 F 147/21eA

• 12jähriger gesunder Junge lebt bei Mutter, Vater ist Arzt, Vater möchte EA pro Impfung

• Mutter verneint Eilbedarf, will auf anderen Impfstoff warten

• Entgegen OLG Frankfurt kein Eilbedarf:

 a) weil Vater von Stiko-Empfehlung bis Antrag 3 Monate gewartet hat

 b) weil ein HS-Verfahren nur wenig länger dauern wird, voraussichtlich 2 Monate

 c) weil die EA die HS vorwegnähme


Die Entscheidung wird in der FamRZ von Ri.a.OLG Düsseldorf Rake, 1. und 3. FamSenat, kritisiert.



Ein weiteres Argument brachte das AG Dieburg betreffend einen 2jährigen, der in die KiTa sollte, wofür er eine Masern-Impfung brauchte: „Für eine soziale Entwicklung von Kindern ist der Kindergartenbesuch in der Regel förderlich, so dass die Masernimpfung dem Wohl des Kindes in der Regel auch dienlich ist.“ Beschluss vom 07.12.2020 - 51 F 308/20 SO


Ebenfalls ging die Impfentscheidung an den befürwortenden Elternteil:

Amtsgericht Bad Iburg, Beschluss vom 14.01.2022, 5 F 458/21 EASO

Amtsgericht Siegburg, Beschluss vom 16.12.2021 - 318 F 98/21


Diese h.M. war zu erwarten anhand dieser älteren BGH-Entscheidung zu STIKO-Empfehlungen für Kinder:


BGH, Beschluss vom 03.05.2017 (XII ZB 157/16):

Streiten sich gemeinsam sorgeberechtigte (hier: nichteheliche) Eltern, die getrennt leben, über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen für das Kind, liegt eine nicht alltägliche Angelegenheit vor, für die die Entscheidungsbefugnis auf den Elternteil übertragen werden kann, der die Durchführung der von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut empfohlenen altersentsprechenden Schutzimpfungen befürwortet.



Masern-Impfpflicht bei Kindern und gemeinsames Sorgerecht

Eine Impfpflicht gegen COVID-19 wird politisch diskutiert - gegen Masern gibt es sie schon für Schüler und Lehrer, in KiTas, Ferienlagern etc. (§ 20 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 33 IfSG). Auch da gilt die 2G-Regel: Alternativ kann die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt.

Die Eltern eines 8jährigen Kindes waren offensichtlich Impfgegner. Sie bestritten die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Regelungen des IfSG. Sie waren der Behörde schon mit einer unrichtigen Impfbescheinigung und einer nicht akzeptierten Impfunfähigkeitsbescheinigung aufgefallen. Dann hatten sie eine Blutprobe eingereicht, die die Immunität des Kindes nachweisen sollte, wobei Zweifel bestanden, dass es sich um das Blut des Kindes handelte.

Vor Gericht ging es um etliche rechtliche Aspekte, aber auch um einen familienrechtlichen: Die Behörde hatte ihre Bescheide nämlich nur an den Vater adressiert, nicht auch an die Mutter. Da Impfentscheidungen aber eine Angelegenheit der elterlichen Sorge sind, über die nur beide gemeinsam entscheiden können, war das nicht korrekt gelaufen.

OVG Sachsen-Anhalt - Beschluss vom 21.10.2021 (3 M 134/21)


Impfung muss STIKO-empfohlen sein

Ist die Impfung eines Kindes nicht mehr von der Empfehlung der STIKO als Regelimpfung umfasst, so findet keine Übertragung der Impfentscheidung auf ein Elternteil gemäß § 1628 Abs. 1 BGB statt. Dies gilt etwa bei einer Nachholimpfung gegen Rotavirus, Haemophilus influenza Typ b (Hib) und Pneumokokken. Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen auf einen Elternteil wird grundsätzlich maßgeblich darauf abgestellt, dass ein Elternteil Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert.

 

OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 11.7.2023 6 UF 53/23


Alltagsangelegenheit oder erhebliche Bedeutung?

§ 1687 Abs.1 BGB regelt in Satz 2 und 4, dass jeder Elternteil in seiner Zeit mit dem Kind alle Entscheidungen treffen kann, die den anderen nicht betreffen (Alltagsangelegenheiten / Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung). § 1687a BGB erstreckt dies auch auf Umgangs-Eltern ohne Sorgerecht. Die Elternautonomie nach Art. 6 GG gilt also für beide. Der Umgangs-Elternteil erzieht nicht nur „im Auftrag“.

Inhaltliche Grenze setzt nur § 1666 BGB (Kindeswohlgefährdung), formale Grenze setzt § 1684 Abs. 3 BGB (Umgangsregelung einschließlich evtl. Auflagen).


Immer lesenswert ist auch in diesem Zusammenhang übrigens § 1627 Satz 2 BGB:
Bei Meinungsverschiedenheiten müssen die Eltern versuchen, sich zu einigen.

Damit meint der Gesetzgeber, dass er sich bei Meinungsverschiedenheiten in Bagatellsachen nicht einmischen will. Das wäre sonst ein Einbruch einer staatlichen Instanz in die Familie. Stichwort „Subsidiarität des staatlichen Wächteramtes“. Deshalb ist ein gerichtlicher Antrag nach § 1628 BGB auch unbegründet, bevor außergerichtlich die Herbeiführung einer Einigung versucht wurde. Mit einem für das Kind unerheblichen Dissens sind die Eltern allein zu lassen - bis an die Grenze der Aufhebung der gemeinsamen Sorge wegen grundsätzlicher Kooperationsunfähigkeit. Die partielle Aufhebung der gemeinsamen Sorge wegen Kooperationsunfähigkeit nach § 1687 Abs. 2 BGB muss angesichts der Elternautonomie eine Ausnahme sein.


Das AG Marl (Familiengericht) hat sich im Beschluss vom 29.12.2020 – 36 F 347/20 - dafür entschieden, die Entscheidung über COVID19-Selbsttests als Alltagsangelegenheit anzusehen: "Getrenntlebende Eltern dürfen bei der Abwägung zwischen Infektionsschutz und Kindeswohl unterschiedliche Auffassungen haben und in ihrer Betreuungszeit umsetzen."

Weil sein Vater (krebskrank, Hochrisikopatient) mit im Haus lebte, ließ er die Kinder vor jedem Umgangskontakt mit Rachen-Nasen-Abstrich testen, außerdem war im Haus Masken- und Abstandspflicht.

Das AG Marl glaubt, dass Kinder gut damit klarkommen, wenn getrenntlebende Eltern bei der Abwägung zwischen Infektionsschutz und Kindeswohl unterschiedliche Auffassungen haben.

§ 1628 BGB erlaubt ihnen, ihre Regeln in ihrer Betreuungszeit umzusetzen. Für den Antrag auf Umgangsausschluss bekam die Mutter keine VKH.

Entscheidungsbesprechung von Mainz-Kwasniok in NZFam 6/2021 Seite 272.


Ähnlich argumentierte auch OLG Brandenburg (3.4.2020, 13 UFH 2/20): dort fand der Vater, dass die Mutter gezwungen werden müsse, bei den Kindern mehr auf den Corona-Infektionsschutz zu achten. Das OLG befand die Bußgeldverordnungen als ausreichend und mischte sich daher nicht familiengerichtlich ein.


Anders aber AG Dresden (13.4.2021, 310 F 879/21): Dort wurde der Mutter die Alleinentscheidungsbefugnis über das Tragen der Mund-Nasen-Maske und die Durchführung der Tests (PCR, Schnell- und Selbsttest) nach § 1828 BGB übertragen. Der Vater, der zurzeit keinen Umgang mit dem Kind hat, lehnt Masken und Tests ausdrücklich ab. Das Gericht stuft die Entscheidung deshalb als "von erheblicher Bedeutung" ein, weil das Kind ohne Test und Maske weder am Unterricht teilnehmen dürfte noch an der Ergotherapie.


Allerdings stehen AG Marl und AG Dresden deshalb nicht in Widerspruch zueinander, weil die Sachverhalte und die Auswirkungen der Uneinigkeit völlig verschieden waren. In Marl Ende 2020 erlaubte das Gericht dem Vater, die Tests ohne Einwilligung der Mutter durchzuführen. Dort war es "nur" darum gegangen, dass der Vater die Kinder testen wollte, bevor diese die Großeltern besuchen, und was er ohne Erlaubnis der Mutter durfte. Bei dieser Konstellation gab es keine "unabänderlichen" oder schwerwiegenden Auswirkungen auf die Kinder, wenn die Mutter ihrerseits das ganze in ihrer Betreuungszeit lockerer sah. Die Testung selbst sah das Gericht als nicht erheblich an.


In Dresden aber ging es um mehr. Es ging auch über die Handhabung im eigenen Haushalt und während der eigenen Betreuungszeit hinaus.

Hätte der Vater sich mit seiner Anweisung gegenüber Dritten (Schule) durchsetzen können, das Kind nicht zu testen, hätte das Kind nicht am Präsenzunterricht teilnehmen dürfen. Dasselbe galt für die Teilnahme an der Ergotherapie ohne Maske.

Nicht der Test / die Maske sind also das "Erhebliche", sondern die Folgen eines Veto eines Elternteiles.


So formuliert es das AG Mainz - 04.05.2021, 34 F 126/21:

Ob die Teilnahme eines Kindes an Testverfahren zur Diagnose von Covid-19 eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 1628 Satz 1 BGB ist, bestimmt sich nach dem Zweck des Testverfahrens.


Die Teilnahme eines schulpflichtigen Kindes am Präsenzunterricht bei bestehender Test- und Präsenzpflicht ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung, weil sie geeignet ist, nachhaltig Einfluss auf die schulische und seelische Entwicklung sowie auf die sozialen Kompetenzen eines Kindes zu nehmen. Dies gilt umso mehr, wenn das Kind aufgrund einer Pandemie bereits längere Zeit nur am Heimunterricht teilnehmen durfte und es dann trotz Ermöglichung von Präsenzunterricht an der Schule aufgrund gesunkener Fallzahlen im Heimunterricht verbleiben muss, während ihre Mitschüler wieder regulär die Schule, wenn auch nur im Wechselunterricht, besuchen dürfen.


Familienrichter verbietet Masken und Tests für alle Schüler einer Schule

Nach einem Beschluss eines Familienrichters aus Weimar sollen alle Schüler keine Masken tragen, keine Abstände einhalten und nicht an Schnelltests teilnehmen (Beschl. v. 08.04.2021, Az. 9 F 148/21). Dazu hat der Richter "den Leitungen und Lehrern an zwei Schulen in Weimar sowie den Vorgesetzten der Schulleitungen für diese und alle weiteren an diesen Schulen unterrichteten Kinder und Schüler" untersagt, die entsprechenden Maßnahmen anzuordnen oder vorzuschreiben. Zudem müsse weiterhin Präsenzunterricht stattfinden.


Eine Familienrichterin in Weilheim ist dem gefolgt (Beschl. v. 3.04.2021, Az. 2 F 192/21). Dieselbe Familienrichterin machte im Februar 2022 wieder Presse, weil sie einem Kind die Corona-Schutzimpfung verweigerte: Die Risiken der Impfung seien höher als die der Erkrankung, die natürliche Immunität reiche.


Die Masken-Entscheidung wurde von vielen Juristen – aus meiner Meinung nach zutreffenden Gründen - für falsch gehalten. Das Verfahren soll „abgekartet“ gewesen sein, indem gezielt Eltern von Kindern als Antragsteller gesucht wurden, die – durch Wohnort und Anfangsbuchstabe des Nachnamens – in die Zuständigkeit dieses Familienrichters gehören, der sich damit eine Bühne verschafft hat und "allgemeingültiges" in die Welt gesetzt hat. Der Beschluss ist für eine einstweilige Anordnung ungewöhnlich lang (192 Seiten) und befasst sich ausführlich mit Wissenschaftskritik. Über den Familienrichter wird berichtet, dass er in seinen Verhandlungen bei den Teilnehmern keine Maske dulde ("Vermummungsverbot").


Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) bezeichnete den Weimarer Beschluss einschließlich dessen Ergebnisses als "ausbrechenden Rechtsakt", man messe ihm "daher keine entscheidungserhebliche Bedeutung" bei (BayVGH, Beschl. v. 16.04.2021, Az. 10 CS 21.1113). Gegen den Familienrichter wird wegen Rechtsbeugung ermittelt. Das Bildungsministerium in Thüringen hat Rechtsmittel eingelegt. Das Verwaltungsgericht in Weimar, welches anschließend von den Eltern derselben Kinder angerufen worden war, um die Maskenpflicht für Schüler aufzuheben, hat im Eilbeschluss 8 E 416/21 vom 20.4.2021 ausgeführt, dass der Beschluss des Familiengerichts "offensichtlich rechtswidrig" war.


Viele Familiengerichte wurden mit gleichlautenden Anträgen überschwemmt.

Das AG Hannover hat eine Pressemitteilung veröffentlicht:


Keine Überprüfung von infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen durch das Familiengericht

Nachdem das Familiengericht des Amtsgerichts in Weimar eine Entscheidung zum sog. Maskenzwang in Schulen bzw. sonstiger infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen an Schulen getroffen und dieses eine breite mediale Aufmerksamkeit nach sich gezogen hat, sind inzwischen mehr als 100 nahezu gleichlautende Anträge bzw. Anregungen beim Familiengericht des Amtsgerichts Hannover unter Berufung auf die dortige Entscheidung eingegangen.

Verfahren wegen Kindeswohlgefährdungen wurden aufgrund dieser Anregungen durch das

Familiengericht jedoch nicht eingeleitet.

Nach Auffassung der Richterinnen und Richter des Familiengerichts des Amtsgerichts Hannover ist eine konkrete Kindeswohlgefährdung i. S. v. § 1666 BGB nicht ersichtlich, so dass das Gericht eine Notwendigkeit für familiengerichtliche Maßnahmen nicht zu erkennen vermochte. Unabhängig von der Frage, ob eine Zuständigkeit des Familiengerichts überhaupt gegeben ist, sind jedenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete Kindeswohlgefährdung ersichtlich, welche familiengerichtliche Maßnahmen erforderlich machen könnten. Für die Überprüfung von infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen ist das Familiengericht nicht zuständig.

 

Wenn man nicht auf einen Richter trifft, der sich unbedingt zum Thema „Corona“ positionieren will, hat man ohnehin schlechte Karten, wie die Ablehnungen gleichlautender Anträge zeigen: Beschluss des AmtsG Wittenberg v. 8.4.2021 - 5 F 140/21 EASO, Beschluss des AmtsG München v. 18.3.2021 - 542 F 2559/21).


Vielmehr kann das sogar nach hinten losgehen und das AG prüft von Amts wegen die Erziehungseignung der Antragsteller: „Allerdings gab die Begründung der Anregung, deren sich die Mutter bedient hatte, zunächst Anlass zu der Prüfung, ob bei der Kindesmutter eine das Kindeswohl gefährdende Verkennung der tatsächlichen Gefahrenlage im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen vor dem SARS-CoV-2-Virus vorliegen könnte."  In der von der Mutter verwendeten Musterbegründung wurden die Infektionsschutzmaßnahmen nämlich mit Folter verglichen. Weil die Mutter sich in der persönlichen Anhörung davon distanzierte, behielt sie das Sorgerecht.


Auch beim AG Leipzig, 335 F 1187/21, Hinweisbeschluss vom 15.4.2021 und Streitwertbeschluss vom 16.4.2021  wird nun die Erziehungsfähigkeit der antragstellenden Mutter geprüft, außerdem wurde sie mit der Festsetzung des Gegenstandswertes der Hauptsache auf 500.000 € (Höchstbetrag des § 42 FamGKG) und der eA (Hälfte) auf 250.000 € ordentlich zur Kasse gebeten. Die Gerichtskosten betragen damit knapp 20.000 €, wenn die Mutter das Hauptsacheverfahren wirklich "durchziehen" will.

Grund für die Vervielfachung des Gegenstandswertes (üblicherweise 4.000 €) ist, dass die Mutter ihren Antrag nicht nur für ihr Kind, sondern für alle von der Test- und Maskenpflicht betroffenen Mitschüler mitgestellt hatte. Sie sollte also nun bei allen, in deren mutmaßlichem Interesse sie den Antrag gestellt hatte, eine Kostenbeteiligung einsammeln.


Für die Entscheidung über eine an ein Amtsgericht gerichtete Anregung, die auf gerichtliche Anordnungen gegen eine Schule gemäß § 1666 Abs. 1 und 4 BGB wegen Corona-Schutzmaßnahmen zielt, sind die Amtsgerichte/Familiengerichte zuständig. Die Verweisung eines solchen Verfahrens an ein Verwaltungsgericht ist ausnahmsweise wegen eines groben Verfahrensverstoßes nicht bindend. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit Beschluss vom 16. Juni 2021 entschieden.

Die Verweisung führe zu Brüchen mit den Prozessgrundsätzen der Verwaltungsgerichtsordnung. Diese kennt keine von Amts wegen einzuleitenden Verfahren, sondern überlässt es dem Kläger bzw. Antragsteller, ob und mit welcher Zielrichtung er ein Verfahren einleiten will. Erwiese sich die Verweisung für das Verwaltungsgericht als bindend, fänden sich die Kinder, für die lediglich bestimmte Maßnahmen angeregt wurden, nunmehr in der Rolle von Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens wieder. Das entspräche weder ihrem Willen noch ihrer vormaligen Stellung vor dem Amtsgericht. Deshalb erweist sich die Verweisung mit den Prinzipien der Verwaltungsgerichtsordnung als schlechterdings unvereinbar und löst für das Verwaltungsgericht keine Bindungswirkung aus.

BVerwG 6 AV 1.21 - Beschluss vom 16. Juni 2021



Für Fragen rund um Kindeswohl-Verfahren stehe ich telefonisch oder per Videocall gern zur Verfügung.

Ich rechne nach Zeitaufwand ab.


Corona-Impfung in der Betreuung Erwachsener ohne gerichtliche Genehmigung

Ein Betreuer wollte nicht allein entscheiden, ob seine Betreute gegen Corona geimpft wird, sondern sich mit der Genehmigung des Betreuungsgerichts nach § 1904 BGB absichern.

Nach § 1904 Abs. 1 S. 1 BGB sind solche ärztlichen Eingriffe genehmigungspflichtig, wenn die Maßnahme mit der begründeten Gefahr verbunden ist, dass die betreute Person stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Es muss sich dabei um eine ernstliche, konkrete Erwartung solcher Folgen aufgrund des besonders gelagerten Einzelfalls handeln. Seltene Nebenwirkungen lösen die Genehmigungspflicht nicht aus.

AG und LG stützten sich auf den Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts, nach dem es nur in Einzelfällen zu Nebenwirkungen und Komplikationen komme. Die Ärztin der Betreuten hatte keine persönlichen höheren Risiken gesehen.

Einwilligung des Betreuers in die Corona-Schutzimpfung wird daher in Fachkreisen entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen als nicht als genehmigungspflichtig angesehen, so auch beim LG Stuttgart.

Landgericht Stuttgart, Beschluss v. 30.8.2021 – 10 T 173/21


Mutter durfte allein über Notbetreuung entscheiden, obwohl der Vater betreuungsbereit war

Angesichts der veränderten schulischen Rahmenbedingungen während der Corona-Pandemie und angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner sich gegenüber den Schulen dezidiert gegen eine Notbetreuung wendet, hat die Ermöglichung der in Rede stehenden Beschulungsform eine gesteigerte Relevanz erlangt und kann jedenfalls temporär als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i. S. v. § BGB § 1628 BGB behandelt werden.

AG Aachen, Beschluss im Eilverfahren vom 15.5.2020 – 220 F 136/20


Das FamG Aachen hat  der Kindesmutter mit einem Eilbeschluss die alleinige Entscheidungskompetenz wie folgt gegeben: „Auswahl und Organisation nebst sämtlichen zugehörigen Willenserklärungen in Zusammenhang mit der schulischen Betreuung der beiden Kinder, soweit diese vom regulären Schulbetrieb abweicht; insbesondere in Gestalt der Notbetreuung während der aktuell andauernden Corona-Pandemie“.

Zwar sei üblicherweise eine außerschulische Betreuung in der Alltagsentscheidungsbefugnis des alleinerziehenden Elternteiles (§ 1687 BGB) enthalten, angesichts der besonderen schulischen Rahmenbedingungen während der Pandemie und angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner sich gegenüber den Schulen dezidiert gegen eine Notbetreuung wendet, habe die Ermöglichung der Notbetreuung eine gesteigerte Relevanz erlangt und könne jedenfalls temporär als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung iSv § BGB § 1628 BGB behandelt werden.

Die Besorgnis des Antragsgegners, wonach die Teilnahme der Kinder an der Notbetreuung ein höheres Infektionsrisiko berge, teilt das Gericht nicht. Angesichts der getroffenen Schutzvorkehrungen sei dieses Risiko gemildert und ist abzuwägen gegen die Nachteile einer andauernden Isolation im häuslichen Umfeld. Die Kinder deren Eltern die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Notbetreuung erfüllen, seien in der augenblicklichen Lage privilegiert. Es erschließe sich nicht, wie der Antragsgegner „die Erkenntnis gewonnen (hat), dass die Kinder in der Notbetreuung lediglich verwahrt, nicht aber gefördert werden“. Auch in der Notbetreuung bestehe ein qualifizierter pädagogischer Ansatz und die Außenkontakte dürften der kindlichen Entwicklung förderlich sein. Es stehe nicht in Zweifel, dass der Antragsgegner mit seinen Kindern sachgerecht umgehen könne, jedoch stellt dies keine gleichwertige Alternative zur jetzt eröffneten schulischen Betreuung dar. Angesichts der angespannten Lage vermöge der Antragsgegner die Antragstellerin aber sehr wohl anlässlich seiner Umgangsbesuche in den sonstigen Lebensbereichen der Kinder zu entlasten.


Auslandsreisen mit Kind in Corona-Zeiten

1. Eine Flugreise während der Corona-Pandemie (hier: nach Nicaragua ) ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind i.S. des § 1687 I S. 1 BGB.

2. In Anbetracht der Gefahren, die sich bei einer gemeinsamen Flugreise mit anderen infizierten Personen ergeben könnten, ergeben sich – auch im Hinblick auf die medizinische Versorgung - bei einer Reise nach Nicaragua für das Kind größere Gefahren, als wenn das Kind in Deutschland bleiben würde.


Oberlandesgericht Frankfurt/M., Beschluss v. 13.3.2020 – 7 UF 17/20


Reise nach Mallorca – 2020 wegen Corona keine alltägliche Entscheidung mehr

OBERLANDESGERICHT BRAUNSCHWEIG – 3. August 2020

Der 2. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Braunschweig hat am 30. Juli 2020 entschieden, dass die Flugreise eines getrenntlebenden Elternteils mit den gemeinsamen Kindern in der Zeit der Corona-Pandemie keine Angelegenheit des täglichen Lebens mehr ist und daher der Zustimmung des anderen mitsorgeberechtigten Elternteils bedarf (Az. 2 UF 88/20).


Die Mutter hatte in den Sommerferien eine Flugreise nach Mallorca mit den beiden gemeinsamen Kindern gebucht. Der Vater war damit nicht einverstanden.

Über Auslandsreisen, auch mit dem Flugzeug, kann grundsätzlich der jeweils betreuende Elternteil allein entscheiden, wenn die Reise nicht mit Nachteilen bzw. Gefahren für das Kind verbunden ist. Daher boten bislang Flugreisen in das europäische Ausland wenig Anlass für Streitigkeiten.

Anders ist dies, so nun der 2. Familiensenat, in den Zeiten der Corona-Pandemie: Auch wenn keine Reisewarnung für das Urlaubsziel bestehe, führe die Ausbreitung von COVID-19 weiterhin zu Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens. Hinzu komme, dass nach wie vor die Lockerungen der Beschränkungen nur auf Probe erfolgt seien und keine Planungsverlässlichkeit bezüglich eines gebuchten Rückfluges gewährleistet sei. Wenn es erneut zu staatlich notwendigen Reaktionen auf Ausbrüche des Virus komme, bestehe die Gefahr längerer Quarantänen oder eines Festsitzens im Ausland. Das könne zu einer erheblichen Belastung für das seelische Wohlbefinden eines Kindes führen. Überdies gebe es weiterhin Unsicherheiten über die Infektionswege des Coronavirus, weshalb auch nicht geklärt sei, welche konkrete, gegebenenfalls erhöhte Ansteckungsgefahr im Zusammenhang mit Flugreisen beständen.

Eine Flugreise ins Ausland müsse daher durch beide sorgeberechtigten Elternteile gemeinsam entschieden werden.

Können sich die Eltern nicht einigen, kann das Familiengericht auf Antrag einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis darüber übertragen. Dabei muss sich das Familiengericht an dem Kindeswohl im konkreten Einzelfall orientieren und die Entscheidungsbefugnis auf den Elternteil übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

Da in dem vom Familiensenat entschiedenen Fall der Reise bereits andere Gründe entgegenstanden, hat der Senat keine Aussage dazu getroffen, ob die Entscheidungsbefugnis über die geplante Reise im Hinblick auf die Corona-Pandemie dem reisewilligen oder -unwilligen Elternteil zu übertragen war.


2021: Auslandsreise muss nicht gemeinsam entschieden werden, wenn es nicht in ein Corona-Hochrisikogebiet geht

Der Vater ist berechtigt, mit seinem Sohn T...... in die USA zu reisen, ohne dass er dazu der Zustimmung der Mutter bedarf (§ 1687 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ), weil es sich dabei nicht um eine Angelegenheit handelt, die von erheblicher Bedeutung für das Kind i.S.v. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB ist. Im Ausgangspunkt sind Reisen mit dem Kind nicht als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung zu werten. Dies gilt grundsätzlich auch für Fernreisen ins außereuropäische Ausland (vgl. JHA/Rake, Familienrecht, 7. Aufl., § 1687 BGB Rdnr. 10; Staudinger/Dürbeck [2019], § 1684 Rdnr. 85).

Dagegen handelt es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn die geplante Fernreise in ein politisches Krisengebiet führen soll oder für den konkreten Urlaubsort Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorliegen. Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben. Vielmehr überwiegen trotz der weltweit fortbestehenden Corona-Pandemie die Vorteile der Durchführung der Reise für die kindliche Entwicklung etwaige damit verbundene Nachteile (vgl. zur erforderlichen Abwägung auch OLG Braunschweig, FamRZ 2020, 1658 , 1659; Sachenbacher, FamRZ 2021, 917 , 921).

Dabei fällt ins Gewicht, dass die USA seit dem 13.06.2021 vom Robert-Koch-Institut nicht mehr als Risikogebiet eingestuft werden. Die Bundesregierung hat mit Wirkung vom 20.06.2021 sämtliche Einreisebeschränkungen für in den Vereinigten Staaten ansässige Personen aufgehoben. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die USA liegt nicht mehr vor. Eine Quarantäne-Pflicht droht dem Antragsteller und seinem Sohn gegenwärtig weder in den USA noch in Deutschland. Die aus der Corona-Pandemie folgenden allgemeinen Infektions- und - daraus resultierende - Erkrankungsrisiken führen zu einer lediglich abstrakten Gesundheitsgefahr, der auf den Flugreisen selbst durch die gegenüber den Fluggesellschaften weiterhin bestehende Testpflicht und im Übrigen durch Einhaltung von Hygienemaßnahmen, wie sie etwa vom Robert-Koch-Institut empfohlen werden, ausreichend begegnet werden kann. Hinzu kommt, dass nach Angaben des Antragstellers die Großeltern sowie der gesamte Freundes- und Bekanntenkreis vor Ort in den USA bereits vollständig geimpft sind.

Die Wahrscheinlichkeit, dass T...... zum Ablauf des Ferienumgangs am 19.07.2021 nicht nach Deutschland zurückkehren kann und hierdurch sein seelisches Wohl beeinträchtigt werden könnte, ist unter diesen Umständen für den fraglichen Zeitraum - auch angesichts neuerer Virusmutationen - nur als gering zu beurteilen. Die Risikobewertungen des Robert-Koch-Instituts und des Auswärtigen Amtes scheinen auch im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung gemäß §§ 1687 Abs. 1 , 1628 BGB tragfähig (vgl. hierzu auch Rake, FamRZ 2020, 1650 , 1652). Danach ist eine Auslandsreise in die USA derzeit nicht mehr als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind einzustufen.


OLG Dresden, Beschluss vom 25.06.2021  - Aktenzeichen 21 UF 350/21


Zeitschriften-Aufsätze und Online-Veröffentlichungen von
Martina Mainz-Kwasniok zum Thema FamR und Corona

Deubner-Rechtsportal Familienrecht 2021 "Umgang und die 3G-Regel"


NZFam Heft 6/ 2021; 2021, 272 Entscheidungsbesprechung von AG Marl, 29.12.2020 - 36 F 347/20 - Coronatests sind Alltagsangelegenheit


LTO (Legal Tribune Online) Umgangsverweigerung wegen Corona? Auch Patch­work ist Kern­fa­milie


„Eltern nutzen Corona als Vorwand, um das Kind bei sich zu behalten“: 17.04.2020 Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger


Deubner-Rechtsportal Familienrecht, Newsletter März 2020:  Umgangsrecht und Umgangs-Verweigerung "wegen Corona"


NZFam Heft 8/2020 vom 15. April 2020 (Verlag C.H. Beck):

Martina Mainz-Kwasniok: Umgang in den Zeiten des Corona-Virus


FamRB Ausgabe April 2020 (Verlag Otto Schmidt/ Gieseking)

Martina Mainz-Kwasniok: Umgangsverweigerung wegen Corona – ordnungsmittelfähig oder mögliches Indiz für fehlende Bindungsfürsorge?



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