Wechselmodell

Mutters Haus - Vaters Haus
Wechselmodell, Doppelresidenz, Paritätische Betreuung, alternierende Beherbergung, Zwei Zuhause, eine Woche Mama - eine Woche Papa, Pendelmodell, erweiterter Umgang

Wenn Eltern sich nach der Trennung die Alltags-Erziehung der Kinder teilen und die Kinder dazu in beiden Haushalten ein auch zeitlich gleichberechtigtes Zuhause haben, spricht man von Wechselmodell oder Doppelresidenz.

Die Erscheinungsformen sind so vielfältig wie das Leben vor der Trennung. Es gibt zu dieser Form der getrennten gemeinsamen Erziehung Untersuchungen und Experten - mit Pro- und Contra-Argumenten. Rechtlich befinden sich diese "moderneren" Familien, deren Zahl steigt, außerdem noch in einem weitgehend ungeregelten System.

Die Ampel-Koalition 2021 wollte das ändern, man wartet gespannt darauf, wie.


Beim Wechselmodell leben Kinder auch nach der Trennung mit beiden Elternteilen im Alltag zusammen - nur abwechselnd. In ihrem Tagesablauf profitieren sie also von beiden Elterteilen und deren Unterschiedlichkeit weiter, so wie es ihnen auch vergönnt gewesen wäre, wenn das Paar sich nicht getrennt hätte.


Für Eltern bedeutet das Wechselmodell gelebte Gleichberechtigung: Beide haben den Freiraum, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.


Dennoch sind es häufig die Mütter, die das Wechselmodell nicht möchten. Typischerweise deshalb, weil sie den Vater vor der Trennung als zu wenig engagiert erlebt haben und an der Kindeswohldienlichkeit seiner Motive zweifeln ("will nur Unterhalt sparen") oder ihm nicht zutrauen, die Kinder in ihrem Sinne zu erziehen ("nur Playstation und Tiefkühlpizza").


Ihr Joker im Spiel um die Wechselmodell-Verweigerung heißt "Hochkonflikthaftigkeit", weshalb Väter, die das Wechselmodell begehren, häufig erleben, wie eine bis dahin leidlich funktionierende Zusammenarbeit der Eltern seitens der Mutter völlig aufgekündigt wird und Konflikte inszeniert werden. Damit werden die "Vorurteile gegen das Wechselmodell" strategisch bedient und die Kinder geraten in einen Loyalitätskonflikt, der über die längere Dauer eines solchen Verfahrens  bis zur völligen Ablehnung des Vaters führen kann. Es sind nicht wenige Fälle, in denen der Wunsch des Vaters nach mehr Alltagskontakt nach hinten losgeht und in eine Kontaktverweigerung mündet.


So lange das System "Familiengericht" dies nicht erkennt und die Mütter dafür so rechtzeitig sanktioniert, dass die Kinder noch keinen Schaden nehmen (zB durch Anordnung eines Wechselmodells auf Probe in einer frühen Phase des Verfahrens) , bleiben Wechselmodelle gegen den Willen von Müttern die Ausnahme.


Bezeichnend für die aktuelle Gesetzeslage ist, dass an den Status des hauptbetreuenden Elternteils finanzielle Leistungen geknüpft sind, die Fehlanreize bei der Wahl des Betreuungsmodells setzen können.
Es gilt im Unterhaltsrecht noch das „Alles-oder-nichts-Prinzip“. So macht es für die Liquidität beider Eltern einen erheblichen Unterschied, ob ein Elternteil zu 45 % oder zu 50 % betreut.


Dies könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb viele Betreuungsmodelle ausdrücklich unter der 50%-Schwelle bleiben (sollen).


Strategie-Tipp:

Vielfach erlebe ich, dass die Väter sich schon "wie die Axt im Walde" verhalten haben - und ich kann ihnen dann auch nicht mehr helfen. Der Fall ist dann schon als "hochkonflikthaft" abgestemeltp, die gegenseitigen Entwertungen der Eltern schon unumkehrbar.

Es gibt nur eine gute Strategie zum Wechselmodell: Hohe Bindungsfürsorge und Bestreben nach Kooperation - auch gegen Widerstände.

Dazu gehört auch der Blick darauf, in welchen wirtschaftlichen Verhältnissen das Kind bei der Mutter lebt.



Wenn Sie Ihr Kind gleichberechtigt betreuen wollen, aber auf Widerstand der Mutter stoßen, dann prüfen Sie bitte kritisch, ob die Mutter sich das Wechselmodell objektiv überhaupt leisten könnte. Falls der Unterschied zwischen dem Lebensmittelpunkt-Unterhalt und dem Wechselmodell-Unterhalt dazu führen würde, dass sie ihre Fixkosten nicht mehr decken kann und sich eine günstigere Wohnung suchen müsste, dann ist das Motiv für die Gegenwehr vielleicht überwiegend wirtschaftlich und vorwurfsfrei und realistisch zu betrachten. Berechtigte Existenzängste muss man ernst nehmen. Wenn der Vater der Mehrverdiener ist, kann er sich ein Entgegenkommen evtl. leisten. Es hat sich in der Praxis schon oft als hilfreich erwiesen, der Mutter zuzusichern, dass sie "trotz" Wechselmodell ausreichend Unterhalt erhält. Mancher Vater ist durchaus bereit, sich das Wechselmodell zu erkaufen, weil seine Vaterrolle in Gold nicht aufzuwiegen ist.

Jedenfalls hat es sich noch nie als hilfreich für die Installierung des Wechselmodells gegen den Willen der Mutter erwiesen, wenn man zugleich beim Unterhalt um jeden Euro kämpft.


Natürlich gilt all dies auch für die selteneren umgedrehten Fälle, in denen der Vater der Residenz-Elternteil ist und kein Wechselmodell will.


Mehr über Unterhalt im Wechselmodell hier lesen

Wie ermittelt man die Betreuungsquote?

Als Praktiker am Familiengericht hat man jetzt schon mit excel-Tabellen und statistischen Auswertungen der Kalender zu tun, mit denen der Nachweis geführt oder entkräftet werden soll, dass es sich um "erweiterten Umgang" oder um ein "Wechselmodell" handelt.

Im Woche-Woche-Wechselmodell ist die Verteilung von Verantwortung, persönlicher Betreuung, Entlastung durch Fremdbetreuung und Freizeitvergnügen paritätisch. Unpraktischerweise hat die Woche eine ungerade Anzahl von Werktagen, was eine Gleichwertigkeit jeder anderen Aufteilung erschwert, wenn es auch noch ein – auch für das Kind – durchschaubarer Rhythmus sein soll. In allen anderen Modellen muss sich ein Werktag mit dem Wochenende, Schlafenszeit mit Hausaufgabenunterstützung und Frienzeit mit Schulzeit rechnerisch vergleichen lassen.



Je nach Wertung kommt man zu völlig unterschiedlichen Quoten mit entsprechender unterhaltsrechtlicher Relevanz.


Die 2023 angekündigte Unterhaltsreform will an die Zahl der Übernachtungen anknüpfen.

Das BVerwG hat 2022  in der Entscheidung zum Unterhaltsvorschuss an den "Tagesbeginn" angeknüpft - kommt wohl auf dasselbe raus.


FAMOD-Studie 2021 zum Wechselmodell

Anja Steinbach, Professorin für Soziologie, hat in ihrer FAMOD-Studie Auswirkungen des Betreuungsmodells (Residenzmodell / erweiterter Umgang / paritätisches Wechselmodell) auf das Wohl des Kindes untersucht. Jörn Müller, Philipp Reuß und Veronika Bodensteiner sprechen mit ihr in Folge 1 des FamRZ-Podcasts darüber, welche Befunde man für die Praxis – oder welche Schlüsse man gerade nicht – aus der Studie ziehen kann.

„Unser Befund ist klar: Das Wechselmodell funktioniert mindestens genauso gut wie das bisher vorherrschende Residenzmodell“, stellt Prof. Anja Steinbach fest. „Es ist aber kein Patentrezept, das sich in jeder Trennungssituation als erste Wahl aufdrängt. Viel hängt vom Verhältnis der Eltern ab, insbesondere inwieweit es ihnen gelingt, ihre Konflikte von den Kindern fernzuhalten und sich einvernehmlich über die Betreuung zu verständigen.“


Mehr über diese Studie am Ende dieser Seite.

Externer Link: FAMOD-Studie der Uni Düsseldorf Externer Link: FamRZ-Podcast aus 08/2021 zum Wechselmodell - Studie FAMOD

OLG Dresden 2022: Wechselmodell trotz Hochkonflikthaftigkeit nach einem Jahr praktischer Erfahrung - bei konstantem Willen eines 12jährigen

Ein typischer Konflikt zwischen getrennten Eltern dreht sich darum, dass die Mutter die Hauptbetreuungsperson bleiben will, während der Vater eine paritätische Betreuung mit gleichen Zeitanteilen – sog. Wechselmodell – anstrebt. Nachdem der BGH am 1.7.2017 klargestellt hat, dass Gericht auch gegen das Veto einer Mutter das Wechselmodell aufzwingen können, sind die Störung der elterlichen Kommunikation, die fehlende Kooperationsfähigkeit und die sog. Hochkonflikthaftigkeit weiterhin die häufigsten KO-Kriterien für das Wechselmodell. Zunehmend gehen Gerichte auch damit allerdings sehr differenziert um und prüfen, ob diese gestörte Elternebene nicht in allen Betreuungsmodellen gleichermaßen schädlich ist und es die Situation sogar entschärfen könnte, wenn zwischen den Eltern kein Machtgefälle mehr empfunden wird.


Im Fall des OLG Dresden war 2021 für das Amtsgericht ausschlaggebend gewesen, dass das damals 11jährige Kind sich nach einer Zeit, in der es den Vater in jeder zweiten Woche von Donnerstag-Nachmittag bis Dienstagmorgen getroffen hatte, einen Woche-Woche-Wechsel gewünscht hatte. Da die Entscheidung des AG sofort wirksam war, wurde dies ab Mai 2021 auch vorläufig umgesetzt, obwohl die Mutter zum OLG in Beschwerde ging.

Bis das OLG 2022 nach einer gescheiterten Mediation der Eltern entscheiden musste, konnte man also auf ein Jahr Wechselmodell-Erfahrung zurückblicken. Das Kind wollte das immer noch und beschrieb diese Regelung als besser als zuvor und „fair“. Praktische Probleme hatte es nicht gegeben.


Eine vernünftige, am Kindeswohl orientierte Kooperation und Kommunikation zwischen den Eltern war immer noch kaum möglich. Es fehlte weiterhin an gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Die Mutter meinte, sie sei in der Mediation vom Vater beleidigt worden und der Vater habe sich an die dort getroffenen Absprachen nicht gehalten. Die direkte Kommunikation war eingestellt. Der massive Elternkonflikt war auch noch Gegenstand eines Sorgerechtsverfahrens zum Thema einer ärztlichen Behandlung. Das Kind zeigte seit Jahren Verhaltensauffälligkeiten wegen des andauernden Elternkonfliktes.

Die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern ist nach OLG Dresden aber nur ein Abwägungsgesichtspunkt, der im Einzelfall zurücktreten kann. Gegenüber anderen Betreuungsgestaltungen, wie etwa dem zuvor praktizierten erweiterten Umgang des Vaters mit seinem Sohn, stellte das Wechselmodell nach dem "Prinzip der Schadensminimierung" das für das Kind am wenigsten schädliche und damit im Vergleich beste Betreuungsmodell dar. Alle für die Durchführung des Wechselmodells bedeutsamen Fragen seien zwischen den Eltern geklärt. Daher funktioniere das Wechselmodell in der Praxis im Wesentlichen reibungslos.


Den klaren, gut begründeten und im Verfahren mehrfach geäußerten Willen des inzwischen fast 12jährigen konnte das OLG nicht übergehen. Das hohe Gerechtigkeitsempfinden des Kindes sei zu respektieren. Das gelte auch vor der Überlegung, dass das Kind Opfer eines Loyalitätskonfliktes sei und nur „Ruhe“ wolle. Der konstant geäußerte Wunsch nach hälftiger Betreuung stelle seine psychische Lebenswirklichkeit dar. Eine Nichtbeachtung des Willens berge die Gefahr einer Schwächung der kindlichen Selbstwirksamkeitserwartung mit voraussichtlich negativen Folgen für seine psychische Entwicklung.


Grundsätzlich kommt dem Willen des Kindes mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit vermehrt Bedeutung zu. Nur dadurch, dass der wachsenden Fähigkeit eines Kindes zu eigener Willensbildung und selbstständigem Handeln Rechnung getragen wird, kann erreicht werden, dass das Kind sich durch Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln kann. Zur schutzwürdigen Persönlichkeitsentwicklung des Kindes gehört auch dessen auf einem tief empfundenen Gerechtigkeitsgefühl beruhender Wunsch nach Gleichbehandlung beider Eltern.

Das OLG entschied ohne Sachverständigengutachten.


OLG Dresden, Beschluss vom 14.04.2022 - Aktenzeichen 21 UF 304/21

 


Martina Mainz-Kwasniok im Interview

mit der "Entscheidungsanwältin" Sylvia Schodruch

Wenn Sie vor unserem persönlichen Kennenlernen mehr über mich wissen möchten, klicken Sie hier in ein 35minütiges Interview, das die Kollegin "Entscheidungsanwältin" Sylvia Schodruch mit mir geführt hat. Von Minute 17-28 geht es um meine Haltung zum Wechselmodell.

YouTube-Link zu einem Interview mit mir u.a. zum Wechselmodell

Buchtipp zum Wechselmodell

Mitautorin Martina Mainz-Kwasniok

Zwei Zuhause: Kinder können nach einer Trennung der Eltern bei beiden Elternteilen gleichberechtigt leben. Und zwar gut. Die Autorinnen stellen das Wechselmodell durch kurze Berichte aus der Realität dar. Anschließend werden diese von einem Kinderpsychologen, Familientherapeut und Anwalt kommentiert. Eine echte Hilfe für Eltern, die den tiefen inneren Wunsch ihrer Kinder, weder auf Mama noch auf Papa verzichten zu müssen, ernst nehmen und praxisnahe Orientierung suchen.


Diesen Buchtipp gebe ich hier sehr gern, weil die Autorinnen Ina Kiesewetter und Petra Wagner meine Expertenmeinung zum Thema Finanzielles und Rechtliches im Buch zitiert haben.

"Eine Woche Mama, eine Woche Papa" ist 2012 im Kreuz-Verlag erschienen und kostet 9,99 €.


BGH 1.2.2017 zum Wechselmodell

Der BGH hatte in seiner Entscheidung vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15 - Neuland betreten, indem er den Weg  eröffnet hat, dass ein Gericht ein Wechselmodell auch gegen den Willen eines kommunikationsverweigernden Elternteiles anordnet. Das war zuvor von den Oberlandesgerichten für unmöglich gehalten worden. Allerdings sind die meisten Richter weiterhin sehr sperrig und verwehren das Wechselmodell mit der Begründung "Hochkonflikthaftigkeit". Auch 2022 äußern Richter sich mündlich noch dahingehend, die BGH-Entscheidung für falsch zu halten, weil es für das Wechselmodell "denkgesetzliche Voraussetzung" sei, dass beide Eltern das so wollen.

Download: BGH 2017 zum Wechselmodell Download: Witt - Im Zweifel für die Doppelresidenz

  • Umzug mit Kind - wann ist das erlaubt?

    Bei der Trennung ist es manchmal gar nicht streitig, bei wem das Kind bleibt. Wenn die Rollenaufteilung vorher schon so war, dass das Kind eine Hauptbezugsperson hat, wird es in der Regel auch nach der Trennung bei diesem Elternteil wohnen.


    Wenn dann der Umgang noch zufriedenstellend geregelt ist, das Sorgerecht gemeinsam verbleibt - super.

    Probleme treten aber auf, wenn der Elternteil mit Kind umziehen will.


    Im Wesentlichen werden zu diesem Problem drei Ansichten vertreten:

    • Das Interesse des umzugswilligen Elternteils an örtlich freizügiger Lebensgestaltung für sich und das Kind hat Vorrang vor der ungehinderten Ausübung des Umgangsrechts

    • Wird durch den Umzug das Besuchsrecht beeinträchtigt, so wäre dies für das Kindeswohl schädlich. Der Umzug muss im Zweifel unterbleiben.

    • Vermittelnd fragt eine dritte Auffassung (m.E. zutreffend) danach, ob nachvollziehbare oder beachtenswerte Gründe für den Umzug vorliegen. Ist dies der Fall, das Kindeswohl im Übrigen nicht gefährdet und der Umzugswillige deutlich besser als die Hauptbezugsperson geeignet, so muss das Umgangsrecht als schwächeres Recht zurückstehen.


    So entschied auch das OLG Koblenz, das allerdings bei der Mutter, die mit ihrem Kind zurück in ihr Heimatland Italien wollte, beachtenswerte Gründe nicht als überzeugend dargelegt ansah. Die Mutter hatte in der Anhörung auf die Frage nach dem Warum erklärt: Der Antragsgegner mache „immer nur Stress", dies seit Dezember 2007. Sie wolle nach Italien, um „Ruhe" zu haben. Auch das Kind müsse ihre „Ruhe" haben. Das Kind wolle den Vater nicht sehen und sie zwinge das Kind auch nicht zu Umgangskontakten.

    OLG Koblenz v. 04.05.2010 - 11 UF 149/10

    vgl. auch BGH v. 28.04.2010 - XII ZB 81/09


     

    Einfach ummelden - darf man das?


    "Im Übrigen bedarf es bei einer Anmeldung einer minderjährigen Person bei einem gemeinsamen Sorgerecht der Eltern auch dann nicht der Unterschriften beider Elternteile auf dem Meldeschein, wenn die Eltern getrennt leben. Die Meldebehörde ist nicht verpflichtet zu prüfen, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht obliegt. Bei der Erfüllung der Meldepflicht nach Absatz 3 sind personensorgerechtliche Erwägungen unbeachtlich. Gesondert hiervon zu beachten ist § 22 BMG." (BMGVwV 17.3)


    Besonderheiten im Dreiländereck


    Die Familiengerichte sind besonders streng, wenn es um einen Umzug ins Ausland geht. Das hat den Hintergrund, dass dadurch in den Lebensalltag eines Kindes mehr eingegriffen wird (Sprache, Schulsystem, Rechtsordnung etc.) und der Umgang komplizierter wird (Grenzübertritt, weite Entfernung etc.). Das Verbringen eines Kindes über eine Landesgrenze gegen den Willen des Mitsorgeberechtigten ist daher eine Kindesentführung, die in einigen Ländern (z.B. Belgien) strafrechtlich hart verfolgt wird. Zum Schutz gibt es das "Haager Abkommen", aufgrund dessen die Gerichte des Ursprungsstaates eine sofortige Rüchführung anordnen, damit das Kindeswohl dort geprüft wird und nicht im neuen Wohnsitzland. Demgegenüber gibt es bei einem Umzug zwischen Hamburg und München kein solches Gesetz, das sofortige Rückführung ohne vorherige Kindeswohlprüfung anordnet.


    Aachen - Vaals - Kelmis: Gilt das Haager Abkommen in der Euregio?


    Aber ja, selbstverständlich. Nach den Buchstaben des Gesetzes ist ein Umzug von Aachen nach Vaals oder Kelmis (und umgekehrt) eine internationale Kindesentführung! Was das praktisch heisst, möchte ich nicht im Internet veröffentlichen ...


    Mutter zieht mit Kindern nach Deutschland - Kinder müssen erstmal zurück in die Slowakei


    Die 9 und 12 Jahren alten Töchter einer deutschen Mutter und eines slowakischen Vaters müssen in die Slowakei zurückkehren, nachdem sie von ihrer Mutter widerrechtlich nach Deutschland verbracht wurden. Das hat der 11. Familiensenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27.11.2012 entschieden und damit die Beschwerde der Kindesmutter gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hamm zurückgewiesen. 

     

    Der Sachverhalt

    Die beteiligten Eheleute und ihre in den Jahren 2000 und 2003 geborenen Töchter hatten in Bratislava gelebt. Dort waren die Kinder geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nachdem sich die Eheleute getrennt und die Scheidung beantragt hatten, übten sie die elterliche Sorge über die beiden Kinder, die bei der Mutter lebten, weiterhin gemeinsam aus. Anfang September 2012 zog die Mutter mit den beiden Kindern nach Augustdorf, um in Deutschland als Lehrerin zu arbeiten.

    Der Vater, der mit dem Wegzug der Kinder nach Deutschland nicht einverstanden war, beantragte ihre Rückführung in die Slowakei nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ).


    Die Entscheidung

    Ebenso wie das Amtsgericht Hamm hat der 11. Familiensenat des Oberlandesgerichts Hamm dem Antrag des Kindesvaters entsprochen. Die Voraussetzungen für eine Rückführung seien erfüllt, weil die Mutter die Kinder widerrechtlich, nämlich ohne Zustimmung des ebenfalls sorgeberechtigten Vaters, von der Slowakei nach Deutschland verbracht habe. In der Slowakei hätten die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Nach Art. 13 HKÜ erhebliche, einer Rückführung entgegenstehende Gründe, könne der Senat nicht feststellen.


    Als solche kämen nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls in Betracht, weil das HKÜ die Beteiligten von einer widerrechtlichen Entfernung abhalten und eine Sorgerechtsentscheidung am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltsortes der Kinder sicherstellen solle. Derart schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls seien bei einer Rückführung der beiden Kinder nicht zu erwarten.

    Die Kinder seien in der Slowakei aufgewachsen und könnten dort vom Vater betreut werden. Dass sie im Rahmen ihrer Anhörung erklärt hätten, sie wollten in Deutschland bei ihrer Mutter bleiben und nicht mit ihrem Vater in der Slowakei zusammenleben, rechtfertige keine andere Entscheidung. Diese Vorstellung beruhe auf einer von der Mutter hervorgerufenen Drucksituation, nachdem diese ihren Töchtern klar gemacht habe, dass sie sich gegen sie und ein Zusammenleben mit ihr entscheiden würden, wenn sie sich vorstellen könnten, zum Vater in ihr altes Lebensumfeld zurückzukehren. Das habe die Anhörung der Kinder durch den Senat gezeigt.


    Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 27.11.2012 - II-11 UF 250/12


    Zustimmung zum Umzug konkludent möglich


    Nach einer Trennung in Italien nahm die Mutter das knapp zweijährige Kind mit in ihre deutsche Heimat zurück. Zuvor hatte sie sich darüber mit dem Vater per SMS ausgetauscht. Ein ausdrückliches „Veto“ des Vaters gegen den Umzug nach Deutschland ließ sich daraus nicht herauslesen. Das legte das OLG Hamm als „konkludente Zustimmung“ aus. Der Rückführungsantrag des Vaters nach dem HKÜ wurde abgelehnt. Es fehle im vorliegenden Fall an Umständen, denen die Kindesmutter entnehmen musste, dass der Vater einer Ausreise der Tochter widersprechen wolle.

    OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2013 - 11 UF 95/13


    Anerkennung einer ausländischen Entscheidung


    Für die Entscheidung, ob Kinder ein Land verlassen dürfen, ist das Gericht des ursprünglichen Wohnsitzstaates zuständig.


    Kommen die Kinder dann in Deutschland an, kann geprüft werden, ob Deutschland diese ausländische Entscheidung anerkennt. Dabei kommt es z.B. darauf an, ob unsere Verfahrensvorschriften beachtet wurden, insbesondere das "Recht auf Gehör" beider Eltern und die persönliche Anhörung der Kinder. Falls nicht, kann das dazu führen, dass die ausländische Entscheidung gegen den "ordre public" verstösst.


    OLG Oldenburg, Beschluss vom 30.04.2012 - Aktenzeichen 4 UF 14/12:


    "Die Entscheidung des High Court of South Africa verstößt nicht gegen den ordre public (§ 109 Abs. 1 Nr.4 FamFG ), weil die Kinder nicht angehört worden wären.


    Der Antragstellerin ist darin zuzustimmen, dass die Anhörung der Kinder, um ihren Willen zu erforschen und eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu ermöglichen, ein fundamentales Prinzip des deutschen Sorgerechtsverfahrens darstellt. Dem entspricht, dass in den wesentlichen supra- und internationalen Regelungen sinngemäß vorgesehen ist, dass bei unterbliebener Anhörung des Kindes der ausländischen Sorgerechtsentscheidung die Anerkennung zu versagen ist, wenn die Anhörung ein wesentliches Verfahrensprinzip des Anerkennungsstaates darstellt (vgl. Art 23 lit b der VO Brüssel IIa, EG Nr. 2201/2003 vom 27.11. 2003, vgl. Art 23 Abs.2 lit b KSÜ) . Dementsprechend versagen deutsche Gerichte zutreffend unter Hinweis auf den ordre public die Anerkennung, wenn eine Anhörung unterblieben ist (vgl. z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.03.2011, OVG 3 B 8/08 1.b.cc) der Urteilsgründe - Juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.01.2006 - 1UF 40/04 NJOZ 2006, 2652, 2654 a.E. f.; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19.05.2008, 12 UF 203/07 - Juris Rn.37 ff; vgl. im Übrigen in diesem Sinne MünchKomm-Rauscher, FamFG , 3. Aufl., § 109 Rn.39).


    Hier hat indessen eine Anhörung der Kinder stattgefunden und zwar durch die Gutachterin, und zwar eine Woche vor der Entscheidung des High Court. Wie dem vorliegenden Gutachten der Sachverständigen S... zu entnehmen ist, hat sie den Kindeswillen erforscht und diesen dem Gericht in dem Gutachten ausführlich mitgeteilt (vgl. Ziff 4 des Gutachtens vom 06.April 2011, S.4 - 11). Im Gutachten ist explizit das Gespräch mit den Kindern wiedergegeben, die sich dafür ausgesprochen haben, mit dem Vater nach Deutschland zu gehen. Der High Court hat seine Entscheidung damit entgegen der Annahme der Antragstellerin unter Berücksichtigung des Kindeswillens getroffen.


    Sofern die Antragstellerin meinen sollte, der Entscheidung sei deshalb die Anerkennung zu versagen, weil die Anhörung nicht durch den Richter persönlich durchgeführt worden ist, wie dies das deutsche Recht vorsieht bzw. durch die höchstrichterliche Rechtsprechung für den gesamten Spruchkörper postuliert wird, ist diese Sichtweise nicht zutreffend. Vorrangiger Sinn des § 159 FamFG ist es, verfahrensrechtlich sicherzustellen, dass der Kindeswille zuverlässig festgestellt und im Verfahren berücksichtigt wird. Dieses Ziel wird auch erreicht, wenn der Kindeswille in der Weise festgestellt wird, dass das Kind durch andere sachkundige Stellen angehört wird und diese dem Gericht das Ergebnis der Anhörung hinreichend detailliert mitteilen, so dass das Gericht in den Stand gesetzt wird, die Anhörung in ihrem Verlauf nachzuvollziehen. Nach Ansicht des Senates handelt es sich auch insoweit um den Mindeststandard, der gewahrt sein muss, damit eine ausländische Entscheidung die inländische Anerkennung erfahren kann. Dem entspricht Art 12 Abs. 2 der UN-Kinderrechtskonvention, der festlegt, dass der Kindeswille nicht nur durch unmittelbare Anhörung sondern auch durch Anhörung eines Vertreters oder durch Anhörung vor geeigneten staatliche Stellen, ermittelt werden kann.


    Soweit das deutsche Verfahrensrecht darüber hinaus, die persönliche Anhörung durch das Gericht verlangt und demgemäß die Äußerung gegenüber einem Sachverständigen regelmäßig nicht ausreichen lässt (§ 159 FamFG bzw. § 50 b FGG a.F.), wird der Zweck gemeinhin darin gesehen, dass das Gericht in den Stand gesetzt wird, das Gutachten aus eigener Anschauung kritisch würdigen zu können, und darin sicherzustellen, dass das Kind als Betroffener im Verfahren zu Wort kommt (BayObLG Beschluss vom 11.06.1997 1Z BR 74/97 -Juris Rn.11). Diese Erwägungen des deutschen Gesetzgebers erscheinen dem Senat indessen nicht als so bedeutsam in ihren Auswirkungen für die Rechte der Verfahrensbeteiligten, als dass es geboten wäre, die persönliche Anhörung durch das erkennende Gericht zum absoluten Mindeststandard der internationalen Urteilsanerkennung in Sorgerechtssachen zu machen, solange die Kindesanhörung zeitnah durch kompetente Stellen für das Gericht durchgeführt und diesem das Ergebnis der Anhörung hinreichend detailliert mitgeteilt wird, so dass das Gericht in den Stand gesetzt wird, die Anhörung in ihrem Verlauf nachzuvollziehen.


    Damit ist die Beschwerde schon deshalb zurückzuweisen, weil die Entscheidung des High Court, mit welcher dem Antragsgegner das Sorgerecht zugewiesen worden ist, für die inländischen Gerichte bindend ist und - wie das Familiengericht zutreffend ausgeführt hat- Gründe nach dem nunmehr anwendbaren deutschen Recht für eine Abänderung zu Gunsten der Antragstellerin nicht bestehen (§ 1696 BGB )."


    Mutter zieht um - Kind bleibt beim Vater


    ++ OLG Brandenburg 16.7.2009: Aufenthaltsbestimmungsrecht und Kindeswille bei Umzug in eine andere Stadt ++

    Ein nicht verheiratetes Paar hatte eine Sorgeerklärung nach § 1626 a BGB abgegeben. Nach der Trennung lebte der jetzt 14jährige Sohn zunächst bei der Mutter. Als diese jedoch zu ihrem neuen Partner in eine andere Stadt umziehen und ihren Sohn mitnehmen wollte, beantragte der Vater das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht. Auch der Sohn bekräftigte, in der Heimatstadt bleiben zu wollen, vor allem wegen der Schule und der Freunde. Dem Willen des Jugendlichen hat das Gericht die ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Es hat dem Kindesvater das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen. 9 UF 21/09


    Eigenmächtiger Umzug - die Macht des Faktischen: Eile ist geboten

    ++ OLG Saarbrücken vom 25.5.2011, 6 UF 76/11 ++


    In Fällen eigenmächtigen Vorbringens eines Kindes durch einen Elternteil aus seinem bisherigen Lebenskreis in eine neue Umgebung ist ein sorgerechtliches Eilverfahren besonders zu beschleunigen, um zu verhindern, dass der eigenmächtig handelnde Elternteil aus einer sonst dadurch entstehenden, von ihm ertrotzten Kontinuität ungerechtfertigte Vorteile ziehen und dem anderen Ehegatten allein dadurch effektiver Rechtsschutz versagt bleiben kann.


    Tritt in solchen Fällen im Laufe des Eilverfahrens ein Zielkonflikt zwischen dem Erfordernis besonderer Beschleunigung des Verfahrens einerseits und einer eigenständigen Interessenvertretung des Kindes andererseits auf, so kann im Eilverfahren von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes abgesehen werden, wenn ansonsten eine Verfahrensverzögerung zu befürchten ist.

  • Wird das Kind im Umgangsverfahren immer angehört?

    Wenn Sie sich nicht einigen - immer.

  • Entscheidet der Scheidungsrichter automatisch über die Kinder?

    Nein. Der Scheidungsrichter entscheidet über die Scheidung. Sonst nichts - außer, es werden Anträge gestellt. Können Eltern sich einigen (egal ob mündlich oder schriftlich, ob mit oder ohne Jugendamt), brauchen sie den Richter gar nicht. Der Staat mischt sich also nur bei Trennungs-Familien ein, die mit einem förmlichen Antrag darum bitten.

  • Wechselmodell - Pro und Contra

    Dass Kinder einen festen Lebensmittelpunkt brauchen oder einen Hauptbezugselternteil, ist heute nicht mehr ein so kategorischer Grundsatz wie noch vor zehn Jahren.



    Strittig ist aber, ob ein Wechselmodell auch funktionieren könnte, wenn folgende - wünschenswerte - Bedingungen nicht vorliegen:


    •     beide Eltern sind von der Richtigkeit des Wechselmodells  überzeugt sind und vermitteln dies dem Kind
    •     Bereitschaft und Fähigkeit zur Kooperation und zu häufigem Austausch besteht
    •     die Wertschätzung des Anderen als Elternteil  ("Erziehungskollege") ist noch vorhanden ist
    •     gewisse organisatorische Voraussetzungen sind ideal

    Viele Juristen waren lange davon ausgegangen, dass ein Wechselmodell vom Gericht nicht gegen den Willen eines Elternteiles verordnet werden könne, zum einen aus gesetzlichen Gründen, zum anderen, weil es dann nicht funktionieren könne.


    Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15 - Neuland betreten, indem er theoretisch für möglich hält, dass ein Gericht ein Wechselmodell gegen den Willen einer Elternpartei anordnet. Das war bisher von den Oberlandesgerichten für unmöglich gehalten worden. Mehr zu dieser Entscheidung finden Sie weiter unten auf dieser Seite.


    Wenn Sie sich mit Bedenkenträgern unterhalten ("Wechselmodelle funktionieren nie" - "Kinder brauchen ein festes einziges Zuhause" - "Wenn Eltern streiten, verstärkt das Wechselmodell den Loyalitätskonflikt" - "Der Vater will nur Unterhalt sparen" - "Der wöchentliche Wechsel bringt zu viel Unruhe"), berücksichtigen Sie bitte deren professionellen Blickwinkel. Wer beim Jugendamt oder beim Familiengericht arbeitet, hört vielleicht deshalb überwiegend von den negativen Seiten dieses Lebenskonzeptes, weil die Familien, bei denen alles gut läuft, keinen Beratungsbedarf haben und sozusagen eine "Dunkelziffer" darstellen.


    Wenn man aber immer nur von gescheiterten Wechselmodellen hört, fehlt einem die Vorstellung, dass es getrennte Familien geben kann, für die das die zweitbeste Lebensform ist (die erstbeste ist das Zusammenleben in der harmonischen Familie).


    In meiner Mediationspraxis habe ich vielfach von guten Erfahrungen mit solchen Modellen gehört. Ich bin daher auch als parteilich beauftragte Anwältin immer gern bereit, den Rahmen für ein solches Modell konkret mitzugestalten. Weil ich mich schon seit 20 Jahren beruflich mit dem Wechselmodell beschäftige, als es in Deutschland noch keine Lobby dafür gab,  und auch durch Veröffentlichungen in Erscheinung trete, habe ich bereits einer Vielzahl von Vätern helfen können, entsprechende Überzeugungsarbeit bei den Müttern, Verfahrensbeiständen, Jugendamt und Richtern zu leisten (Den umgekehrten Fall der vertauschten Mutter-Vater-Rollen hatte ich ein einziges Mal).


    In einigen europäischen Nachbarländern wird das Doppelresidenzmodell inzwischen erfolgreich als "Regel" angewandt - s.u. die europäische Resolution aus 2015.


    Deutschland hat dies bis 2018 noch nicht in Gesetze umgesetzt.


    Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung lässt auf gesetzgeberisches Tun hoffen.


  • Vorurteile gegen das Wechselmodell auf dem Prüfstand

    Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf beleuchtet die Argumente, die typischerweise gegen das Wechselmodell vorgebracht werden, wissenschaftlich. Es zeigt sich, dass die Begründungen der Oberlandesgerichte, die das Wechselmodell nicht gegen den Willen eines Elternteils anordnen, im Einzelfall widerlegt werden können. Der BGH hat 2017 in diesem Sinne die Rechtsprechung der OLGs gekippt. Prof. Sünderhauf legt dar, welche häufig genannten Voraussetzungen eines Wechselmodells gar nicht so zwingend erforderlich sind und blickt in die Länder, in denen das "Zwei-Zuhause"-Modell längst erfogreich als Normalfall nach Trennung von Eltern praktiziert wird.


    Wer sich mit dem Wechselmodell intensiv befassen möchte, für den ist das Buch von Frau Prof. Sünderhauf "Wechselmodell: Psychologie - Recht - Praxis" aus 2013 Pflichtlektüre.


    Bei YouTube gibt es einige Vorträge von Prof. Sünderhauf anzusehen.


  • Buchtipp "Eine Woche Mama, eine Woche Papa"

    Einen Buchtipp gebe ich hier sehr gern, weil die Autorinnen Ina Kiesewetter und Petra Wagner meine Expertenmeinung zum Thema Finanzielles und Rechtliches im Buch zitiert haben.

    Die beiden Journalistinnen haben eigene praktische Erfahrungen mit dem Wechselmodell und etliche Familien interviewt - das macht Mut.


    "Eine Woche Mama, eine Woche Papa" ist 2012 im Kreuz-Verlag erschienen und kostet 14,99 €.

  • Überlegungen zum Wechselmodell - von Anne Ruland, Dipl. Sozialpädagogin, Mitarbeiterin der Katholischen Erziehungsberatungsstelle der Caritas in Alsdorf

    veröffentlicht im Jahresbericht 2017, S. 13ff



    Mit den folgenden Ausführungen möchte ich Mut machen, sich mit dem Für und Wider des sogenannten Wechselmodells auseinanderzusetzen und zu prüfen, ob es eine denkbare Alternative zum klassischen Residenzmodell darstellt. Im Wesentlichen beziehe ich mich hierbei auf Frau Prof. Dr. Sünderhauf, die als ehemalige Scheidungsanwältin und Autorin eines 900seitigen wissenschaftlichen Fachbuches zu dem Thema zu einer positiven Einstellung zum Wechselmodell kommt.


    Bisher bleiben die meisten Kinder nach Trennung und Scheidung bei einem Elternteil (Residenzmodell), häufig bei den Müttern. Die Väter mutieren unfreiwillig zum „Wochenendpapa" und stehen in der Unterhaltspflicht. Andererseits klagen Mütter in der Beratung, dass Väter mit den Kindern lediglich Freizeit verbringen und keine Alltagsverantwortung tragen. Väter leiden unter der Verfügungsmacht der Mütter und der Entfremdung vom Kind. Oft fühlen sich Väter als Bittsteller, wenn sie den Wunsch nach mehr Umgang äußern.


    Was beinhaltet das Wechselmodell?


    Wechselmodell bedeutet: Kinderbetreuung durch beide getrennt lebende Eltern gleichermaßen, bei der die Kinder bei beiden Eltern zuhause sind, bei beiden Eltern übernachten und bei beiden Alltag und Freizeit erleben, beide Eltern gleichberechtigt Erziehungsverantwortung ausüben und die Kinder abwechselnd mindestens 30% bei jedem Elternteil leben.


    Die Grenze zwischen einer Betreuung im Wechselmodell mit ungleichen Zeitanteilen und einer Betreuung im Residenzmodell mit viel Besuchskontakt ist fließend. Der Unterschied zwischen den Modellen liegt weniger in der quantitativen Zeitquote als im Zuhausesein bei beiden Eltern und in der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung von Mutter und Vater. Elterliche Verantwortung zeigt sich nicht nur im Alltag, sondern der gemeinsam erlebte Alltag befähigt erst zur Wahrnehmung elterlicher Verantwortung. Beispielsweise ermöglicht das Erleben des Schulalltags und der Hausaufgabensituation erst ein verantwortliches Mitentscheiden über die weiterführende Schule.


    Der Beratungsalltag zeigt, dass es Müttern häufig schwer fällt, sich auf das Wechselmodell einzulassen; das eigene Mutterbild, Druck von außen (Irritationen, Skepsis und Kritik im Verwandten- und Freundeskreis) sowie weiterhin bestehende Aggressionen gegen und Kränkungen durch den ehemaligen Partner können hier eine große Rolle spielen.


    Derzeit wird das Wechselmodell heftig diskutiert und zunehmend werden Familiengerichte mit entsprechenden Anträgen konfrontiert. Es gibt vehemente Befürworter (meist Väter) und andere, die dem Wechselmodell mit Zurückhaltung oder deutlicher Skepsis gegenüber stehen.


    So lese ich vor der Bundestagswahl 2017 folgendes Statement der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP, Katja Suding: „Außerdem wollen wir das sogenannte Wechselmodell als Modell zur Regelung der Betreuung minderjähriger Kinder zum Regelfall machen, wenn sich die Eltern nach der Trennung nicht über den gewöhnlichen Aufenthalt ihrer Kinder einigen können. Alle Eltern, die sich gütlich untereinander auf ein Betreuungsmodell verständigen, sollen das auch weiter tun. Im Streitfall aber sollen Familiengerichte das Wechselmodell als Standard anwenden. Wir sind der Ansicht, dass eine gemeinsame elterliche Betreuung dem Kindeswohl am besten entspricht." (Stimme der Familie, 64. Jahrgang, Heft 4/2017, s.1 1)



    Vorbehalte gegen das Wechselmodell


    Die kulturell deutsche Tradition ist geprägt von der Annahme der Primärzuständigkeit von Müttern, wenn es um die Verantwortlichkeit für Kinder und deren Betreuung geht. Diese traditionelle Rollenzuschreibung ist im Zusammenleben der Eltern in den meisten modernen Familien überwunden — nach Trennung und Scheidung lebt sie dann häufig wieder auf. Des Weiteren ist die Überzeugung verbreitet, dass Kinder ein Zuhause als Lebensmittelpunkt brauchen. Auch die organisatorische Umsetzung wie das Packen und Organisieren von Kleidung, Spielsachen und Schulutensilien wird als eine unzumutbare Belastung gesehen. Viele Fachleute halten das Wechselmodell bei schlechter Elternkommunikation und Hochstrittigkeit für ungeeignet und sehen in der Zustimmung beider Eltern eine Voraussetzung.


    Dabei werden laut Sünderhauf international gute Erfahrungen auch mit dem gegen den Willen eines Elternteils angeordneten Wechselmodell gemacht, so in Schweden, Australien, Belgien und Frankreich.


    Dazu hat der Bundesgerichtshof im Februar 2017 klargestellt: Ein Familiengericht kann das Wechselmodell als Umgangsregelung auch gegen den Willen des anderen Elternteils anordnen, wenn das dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Das Kind soll dazu aber grundsätzlich angehört werden.


    Starke Konflikte gehören zum normalen Verlauf einer Scheidung. Der gerichtliche Sorgerechtsstreit wird oft zu einem Zeitpunkt geführt und entschieden, wo die Konflikte am stärksten sind und die Kooperation und Kommunikation besonders schlecht. Nicht selten steigern sich die Konflikte noch durch die rechtlichen Verfahren und dem damit einhergehenden Gefühl, jetzt um jeden Preis kämpfen und gewinnen zu müssen.


    Wie Sünderhauf bin ich der Meinung, dass es vom Wohle des Kindes und nicht vom Wohlwollen eines Elternteils abhängen sollte, ob und wie der andere Elternteil seine Beziehung zum Kind fortsetzen kann. Anderenfalls würde die Kommunikations- und Kooperationsverweigerung eines Elternteils belohnt.


    Der Beratungsalltag zeigt, dass durch eine (anwaltliche) Zuspitzung von Vorwürfen und Beschuldigungen ein Streitklima provoziert wird, das u.U. dann als Begründung gegen ein Wechselmodel' angeführt wird. Am Ende kollidiert dann die Durchsetzung parteilicher Interessen um jeden Preis (Gewinn des Rechtsstreites) mit dem Kindeswohl. Das geltende Unterhaltsrecht legt nahe, dass Anwälte betreuenden Elternteilen zur Wahrung ihrer Unterhaltsansprüche eher vom Wechselmodell abraten, unterhaltspflichtigen Elternteilen hingegen dazu raten. Dies mag im finanziellen Interesse der jeweiligen Mandanten sein, wird aber in vielen Fällen dem Kindeswohl nicht gerecht.


    Skeptiker halten das Wechselmodell nur für möglich, wenn die Eltern unstrittig sind und gut kooperieren. Gute Kommunikation und Kooperation zwischen Vater und Mutter sind unbestritten von Vorteil für Kinder. Dies gilt aber für jedes Betreuungsmodell. Unter Fachleuten herrscht weitgehend Konsens darüber, dass auch parallele Elternschaft dem Kindeswohl zuträglich sein kann: Hier kommunizieren die Eltern möglichst wenig. Vater und Mutter haben klare Regelungen in allen relevanten Bereichen. Der jeweilige Elternteil, bei dem das Kind ist, ist zuständig für alle Belange. Wichtig ist, dass die Eltern sich nicht gegenseitig vor dem Kind abwerten oder die Kinder als Boten oder Spion instrumentalisieren. Flankierende Beratung kann die Eltern unterstützen.


    Generell sind an die Kommunikation und Kooperation bei einem Wechselmodell keine anderen Anforderungen zu stellen, als bei einem Residenzmodell mit Umgangskonkakten.


    Für ein gegen den Willen eines Elternteils angeordnetes Wechselmodell sollte eine begleitende Beratung zum Standard gehören.



    Stimmen von Betroffenen


    Kürzlich erzählte mir eine Mutter unter Tränen, ihr 12jähriger Sohn habe sich für das Wechselmodell entschieden und wolle nun eine Woche bei ihr und eine Woche bei seinem Vater leben. Dies könne sie sich nicht vorstellen, wie solle das funktionieren.


    Sie wolle dies nicht, habe sich aber nach hartnäckigem Drängen des Sohnes auf ein halbjähriges Ausprobieren eingelassen. Nach einigen Wochen berichtet die Mutter, dass es ihr eigentlich gut gehe. In der kinderfreien Woche mache sie Überstunden und unternehme viel mit Freundinnen. Dann freue sie sich sehr auf ihren Sohn und genieße die gemeinsame Zeit. Auch empfinde sie leichte Genugtuung dabei, von ihrem Sohn zu hören, dass der Vater in der Hausaufgabensituation auch nicht immer nur der „coole Dad" sei


    Die meisten Kinder wünschen sich ausreichenden Kontakt zu beiden Eltern. Bei Kiesewetter & Wagner (2015) lese ich von Simon, Lorenz, Felix, Max und Jörn:


    Der 20jährige Simon, der bis zu Beginn seiner Ausbildung immer zusammen mit seinem Bruder hin- und hergewechselt ist, antwortet auf die Frage, ob er sich nicht zerrissen gefühlt habe, dass das Quatsch sei und dass man seiner Meinung nach eher zerrissen würde, wenn man nur noch bei einem Elternteil wohne. Er habe das super gefunden, beide sehen zu können.


    Der 12jährige Lorenz erinnert sich: Als er vor drei Jahren, seine Eltern hatten sich gerade getrennt, in einer Gruppe mit anderen Trennungskindern erzählte, dass er zwei Zuhause habe, dass er sowohl seinen Papa als auch seine Mama immer sähe, da waren die anderen Kinder ganz überrascht. Die sahen ihre Väter nur alle zwei Wochen an den Wochenenden, manche hatten ganz den Kontakt verloren. Lorenz' Vater berichtet, dass sein Sohn damals sehr selbstbewusst und gestärkt aus der Gruppe kam. Gefragt nach Kontakten zu Freunden sagt Lorenz: „Meine guten Freunde wissen, dass ich mal bei Mama und mal bei Papa wohne. Und mit denen verabrede ich mich auch.'


    Der 17jährige Felix ist überzeugt, dass, wenn er nur bei seiner Mutter gelebt hätte, er auch eine andere Erziehung genossen hätte und er quasi jetzt auch ein anderer Mensch sein würde.


    Der gleichaltrige Max sagt: „Meine Freunde finden mich immer, die rufen entweder bei meiner Mama oder bei meinem Papa an. Und ich habe ja auch selbst ein Handy."


    Im Wechselmodell wird kein Elternteil zum Besuchselternteil degradiert. Jörn, ein das Wechselmodell praktizierender Vater, sagt: „Ich werde als gleichwertiger Elternteil angesehen, auch vom Gefühl her ist das ganz wichtig für mich."



    Chancen durch das Wechselmodell


    Wechselmodellentscheidungen können eine befriedende Wirkung haben: Nach abgeschlossenem Sorgerechtsstreit treten Eltern laut Sünderhauf im Wechselmodell nur halb so häufig erneut in einen Rechtsstreit, wie Eltern im Residenzmodell.


    Abwechselnde Betreuung und geteilte Verantwortung ermöglichen es Müttern und Vätern, sich trotz Trennung intensiv um ihre Kinder zu kümmern und diese an den jeweiligen Ressourcen der Eltern (z.B. Freunde und Verwandte, Talente, Persönlichkeit, Hobbies) teilhaben zu lassen.


    Beide Elternteile bewahren ihre jeweilige emotionale Bindung zum Kind und auch die Bindungen des Kindes an seine Eltern bleiben erhalten. Bindung ist ein wesentlicher Resilienzfaktor.


    Seit der Unterhaltsreform 2008 gibt es weniger Betreuungsunterhalt für Geschiedene, so dass viele Mütter -auch mit kleinen Kindern- erwerbstätig sein müssen. Im Wechselmodell können sie das leichter als im Residenzmodell.


    Durch die Ermöglichung von Erwerbsarbeit der EItern kann Kinderarmut verhindert werden; hierdurch verbessern sich die Entwicklungschancen des Kindes. Der Zusammenhang zwischen ökonomischen Ressourcen und Teilhabe an Bildung und Kultur ist nachgewiesen (Langzeitstudie der Arbeiterwohlfahrt 2012 sowie Vierter Armutsbericht 2012).


    Im Wechselmodell haben beide Eltern auch „Auszeiten" vom Kind; diese können vor Überforderung schützen. Halbwegs entspannte Eltern verhalten sich eher feinfühlig und dann in höchstem Maße dem Kindeswohl förderlich.


     


    Nach Linda Nielsen (201 1, in Sünderhauf) reicht es aus, dass Eltern „fit and loving" sind: Sie sollten fürsorglich und dem Kind zugewandt sein sowie in der Lage, die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen.



    Ausschlusskriterien für ein Wechselmodell


    Ausschlussgründe können Sucht und Gewalt, psychische Erkrankungen eines Elternteils, Kindesmissbrauch, die fehlende Bindung/Beziehung des Kindes zu einem Elternteil, die Ablehnung des Kindes durch einen Elternteil, die autonome Ablehnung des Wechselmodells durch das Kind sowie logistische Probleme (große Wohnraumdistanz, unregelmäßige Arbeitszeiten, Stillen) sein.


    Abschließend möchte ich Susan Steinmann (in Sünderhauf) zitieren:


    „Das Wechselmodel' [ist] im besten Fall flexibel, begreift die Individualität von Kindern und Familien, begreift, dass die andauernde und beharrliche Natur der Eltern-Kind-Bindung durch eine Scheidung nicht verschwindet, [es] fordert Stärke und Reife auf Seiten der Eltern, durch die Anforderung, in Zeiten persönlicher Entkräftung ihre Kinder an erste Stelle zu stellen, [es] anerkennt die Ursprungsfamilie als eine wertvolle Struktur für das Aufziehen von Kindern, auch wenn sie durch Scheidung gelöst wurde und ...greift die Realität der Veränderungen in Gesellschaft und Familie auf. Das Wechselmodell im schlimmsten Fall ist eine einfache rechtliche Formel, die technisch das Leben der Kinder zwischen zwei Eltern aufteilt, ohne Beachtung der spezifischen Bedürfnisse und Kapazitäten der Kinder und die versucht einen Krieg zwischen Eltern zu beenden, den diese nicht alleine beenden können oder wollen."


    Letztlich muss sich das Betreuungsmodell am Wohl des Kindes orientieren, seine individuellen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Bindungen berücksichtigen. Dafür kann das Wechselmodell durchaus häufiger als bisher eine Option sein.


    Literatur:


    Kiesewetter, Ina & Wagner, Petra: Eine Woche Mama, eine Woche Papa. Herder, Freiburg im Breisgau 2015


    Sünderhauf, Hildegund: Wechselmodell: Psychologie — Recht — Praxis. Springer, Wiesbaden 2013

  • Wechselmodell und Einwohnermeldeamt / Wohnsitz

    Zwar kann ein Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen (§ 7 BGB), aber melderechtlich ist eine der Wohnungen laut § 12 MRRG die Hauptwohnung. Das neue Bundesmeldegesetz vom 01.11.2015 hat in § 22 Abs. 3 eine Abgrenzungshilfe: „In Zweifelsfällen ist die vorwiegend benutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt“. Insoweit ist aber auch nicht vorgesehen, dass die Lebensbeziehungen eines Menschen an zwei Orten gleichwertig sein können.


    Das BVerwG hatte im Urteil vom 30.09.2015 - 6 C 38.14 – Gelegenheit, sich mit der Doppelwohnsitzfrage zu befassen. Es ging um Kinder im Wechselmodell und um das Anliegen der Eltern, dass sie zwei gleichberechtigte Wohnsitze haben sollten. Das BVerwG sucht auch in solchen Fällen „angestrengt“ nach irgendeinem „Schwerpunkt der Lebensbeziehungen“:


    Auch wenn die getrennt lebenden Eltern eines minderjährigen Kindes das Sorgerecht im paritätischen Wechselmodell ausüben, ist im melderechtlichen Sinne die Wohnung nur eines der Elternteile die Hauptwohnung des Kindes. In Zweifelsfällen sei die überwiegend genutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen liegt. Die Unterscheidung von Haupt- und Nebenwohnung nach diesen objektiven Kriterien diene dazu, einen eindeutigen Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit zahlreicher Behörden sowie für Rechte und Pflichten festzulegen, welche an die Wohnung einer Person gebunden sind. Die gebotene Unterscheidung zwischen Hauptwohnung und Nebenwohnung sei für den Vollzug des Meldegesetzes auch dann möglich, wenn die getrennt lebenden Eltern eines minderjährigen Kindes das Sorgerecht im paritätischen Wechselmodell ausüben. Zwar lasse sich dann regelmäßig nicht feststellen, welche Wohnung das minderjährige Kind überwiegend nutzt und wo der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen liegt. In diesem Fall obliege es den sorgeberechtigten Eltern, gemeinsam eine ihrer Wohnungen als Hauptwohnung des Kindes zu bestimmen. Könnten sie sich nicht einigen, sei Hauptwohnung die Wohnung desjenigen Elternteils, dessen Wohnung bislang Hauptwohnung oder alleinige Wohnung des Minderjährigen war. Die Wohnung des anderen Elternteils sei als weitere Wohnung Nebenwohnung.


    BVerwG, Urteil vom 30.09.2015 - 6 C 38.14 -


    Anmerkung: Hier konnte das BVerwG den Fall willkürlich mit der Anknüpfung an den früheren Familienwohnsitz lösen – wäre aber hilflos gescheitert, wenn dieser aufgegeben worden wäre, beide Eltern sich neue Wohnungen gesucht hätten und die Kinder im wöchentlichen Wechsel nirgends fester verwurzelt wären als anderswo. Ich weiß nicht, ob die Richter dann gelost hätten – aber jedenfalls hätten sie sich der Aufgabe hingeben müssen, irgendwie die eine der Wohnungen für die Haupt- und die andere für die Nebenwohnung zu halten.


    Von einem Aachener Fall kann ich berichten, dass der Wohnsitz der Kinder vor der Trennung im Haus war, in dem der Vater blieb - das Einwohnermeldeamt aber dennoch die Ummeldung der Mutter trotz Widerspruchs des Vaters und gerichtlicher Entscheidung zum Wechselmodell vornahm. Leider wollte der Vater nicht klagen.


  • Wechselmodell und Kindes-Unterhalt

    Bitte bis ganz unten lesen, denn hier stelle ich die Historie der BGH-Rechtsprechung 2007 - 2017 zum Unterhalt im Wechselmodell dar.


    Das Unterhaltsrecht geht davon aus, dass das Kind einen Bedarf an Betreuung und Erziehung und zusätzlich einen Bedarf an Finanzmitteln hat. In der „intakten“ Familie steuern das beide Elternteile nach ihren Kräften bei. In der Trennungssituation fällt dieses normalerweise auseinander, und so hat der Gesetzgeber in § 1612a BGB festgelegt, dass die Betreuung und Naturalunterhalt durch den einen und die Unterhaltszahlung durch den anderen als gleichwertig gilt. Beim Wechselmodell fällt nun aber gerade diese klare Trennung der Betreuung und der Zahlungspflicht weg. § 1612a BGB gilt also nicht.


    Der 2007er-Fall:


    Von drei Kindern lebte ein Volljähriges überwiegend beim Vater, minderjährige Zwillinge mehr bei der Mutter. Man konnte ausrechnen, dass die Zwillinge zu 36 % vom Vater betreut wurden – also mehr, als bei den Umgangskontakten im „üblichen Umfang“. Er wollte eine Kürzung seiner Unterhaltspflicht für die Zwillinge nach der „Düsseldorfer Tabelle“ erreichen.


    Die Entscheidung:


    Nur wenn sich die Betreuungsanteile in etwa die Waage halten, komme eine Abweichung von der Pauschalierung der DT in Betracht. Dies sei hier bei einer errechneten Quote von 2/3 zu 1/3 noch nicht der Fall. Von daher verbleibt es nach dem BGH auch hier bei dem Grundsatz, dass der Elternteil, der in der Erziehung und Betreuung die Hauptverantwortung trägt, seiner Unterhaltspflicht durch die Gewährung von Naturalunterhalt nachkommt. Der andere Elternteil ist dann alleine barunterhaltspflichtig. Der Bedarf hierfür errechnet sich aus den Einkommens- und Vemögensverhältnissen dieses Elternteiles.


    Wörtlich: „Diese Aufteilung von Bar- und Betreuungsunterhalt ist so lange nicht in Frage zu stellen, wie das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil liegt, dieser mithin die Hauptverantwortung für ein Kind trägt. Das ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn sich ein Kind im Rahmen eines über das übliche Maß hinaus wahrgenommenen Umgangsrechts bei einem Elternteil aufhält und sich die Ausgestaltung des Umgangs bereits einer Mitbetreuung annähert.“


    BGH - Urteil vom 28. Februar 2007 – XII ZR 161/04


     

    Der 2014er-Fall:


    Die Eltern hatten in einem Ehevertrag bei Trennung vereinbart, dass die Tochter im Wechselmodell betreut werden solle. „Bezüglich der gemeinsamen Tochter vereinbaren die Parteien für die Zeit des Getrenntlebens und für die Zeit nach einer etwaigen Scheidung die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Diese soll nach dem sogenannten „Wechselmodell“ ausgeübt werden, bei dem die gemeinsame Tochter weiterhin wie bisher durch beide Elterneile in ungefähr gleichwertigem Umgang betreut wird.“

    Eine Vereinbarung zum Kindesunterhalt enthält die Vereinbarung nicht.


    Sie konkretisierten dies in der Praxis so, dass die Tochter sich jedes 2. Wochenende von Freitag bis Sonntag sowie unter der Woche an zwei Werktagen beim Vater aufhalte, jedoch ist der Rhythmus abhängig vom Schichtplan des Vaters, der Polizeibeamter ist. Die Mutter – Lehrerin – fängt alle Zeiten auf, an denen der Vater nicht kann. Beide verdienen etwa gleich viel. Jeder zahlt die Kosten, die in seinem Haushalt anfallen, die Mutter zahlt darüberhinaus Kleidung, sportliche Aktivitäten, Musikunterricht, Schulmaterialen, Krankenversicherung etc.


    Die Mutter machte vollen Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle geltend.


     

    Die Entscheidung:


    OLG und BGH stellten fest, dass entgegen der Vereinbarung im Ehevertrag hier kein echtes Wechselmodell vorliege, sondern nur erweiterter Umgang, obwohl es rechnerisch 7 von 14 Tagen sind. Es sei keine gleichwertige Betreuung, da der Schwerpunkt der Alltagsgestaltung bei der Mutter liege und der Vater in der Praxis (wegen Schichtdienstes als Polizeibeamter) regelmäßig die Aufenthalte absage oder verkürze, so dass die Mutter einspringe. Außerdem habe die zeitliche Komponente nur Indizwirkung. Es komme auf die Hauptverantwortung an, die die Mutter trage, weil sie für das Organisatorische im Alltag des Kindes zuständig sei.


    Also muss er im Prinzip - siehe die Entscheidung aus 2007 - vollen Unterhalt zahlen.



    Jedoch sei im Einzelfall zu prüfen, ob er durch die Mehraufwendungen des erweiterten Umngangs (Ausstattung seiner Wohnung, Fahrtkosten) so belastet sei, dass eine Herabstufung in der Düsseldorfer Tabelle erfolgen müsse.Außerdem könne es sein, dass er während des Aufenthaltes bei sich Aufwendungen für das Kind tätige, die die Mutter echt entlasten und daher als "Bedarfsdeckung" anzurechnen wäre. Dabei darf es aber nicht um die Kosten gehen, die jeder Umgangsberechtigte sowieso durch die Umgangsausübung hat.


    Der BGH verwies zur Ermittlung dieser konkreten Umstände an das OLG Frankfurt zurück.


    BGH - Beschluss vom 12. März 2014 – XII ZR 234/13

    vorher: OLG Frankfurt v. 06.03.2013 – 2 UF 394/12


    Auf derselben Linie blieb der BGH im Urteil vom 5. November 2014 - XII ZB 599/13, weil auch dort die Kinder an „nur“ sechs von 14 Tagen beim Vater waren.


    Aus dem Urteil:


    Nach der Rechtsprechung des Senats ist die auf dem Residenzmodell beruhende und § 1606 Abs. 3 BGB tragende gesetzliche Beurteilung solange nicht in Frage zu stellen, wie das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil liegt. Denn dann ist die Annahme gerechtfertigt, dass dieser Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind trägt und dadurch den Betreuungsunterhalt leistet, während der andere Elternteil - auf der Grundlage nur seiner eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse - zum Barunterhalt verpflichtet ist. Deshalb ändert sich an der aus dem Schwergewicht der Betreuung durch einen Elternteil folgenden Aufteilung zwischen Bar- und Betreuungsunterhalt nichts, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil seinerseits Betreuungs- und Versorgungsleistungen erbringt, selbst wenn dies im Rahmen eines über das übliche Maß hinaus wahrgenommenen Umgangsrechts erfolgt, dessen Ausgestaltung sich bereits einer Mitbetreuung annähert. Wenn und soweit der andere Elternteil gleichwohl die Hauptverantwortung für ein Kind trägt, muss es dabei bleiben, dass dieser Elternteil seine Unterhaltspflicht im Sinne des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB durch die Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt (Senatsbeschluss vom 12. März 2014 - XII ZB 234/13 - FamRZ 2014, 917 Rn. 28; Senatsurteile vom 21. Dezember 2005 - XII ZR 126/03 - FamRZ 2006, 1015, 1017 und vom 28. Februar 2007 - XII ZR 161/04 - FamRZ 2007, 707 Rn. 16; aA Schürmann FamRZ 2014, 921; Sünderhauf NZFam 2014, 585).


    Anders ist es nur zu beurteilen, wenn die Eltern sich in der Betreuung eines Kindes abwechseln, so dass jeder von ihnen etwa die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgaben wahrnimmt (Senatsbeschluss vom 12. März 2014 - XII ZB 234/13 - FamRZ 2014, 917 Rn. 29). Ob ein Elternteil die Hauptverantwortung für ein Kind trägt und damit seine Unterhaltspflicht im Sinne des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB bereits durch Erziehung und Pflege erfüllt, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung. Dabei kommt der zeitlichen Komponente der von ihm übernommenen Betreuung zwar eine Indizwirkung zu, ohne dass sich allerdings die Beurteilung allein hierauf zu beschränken braucht (Senatsbeschluss vom 12. März 2014 - XII ZB 234/13 - FamRZ 2014, 917 Rn. 30 mwN).


    Ergibt sich hingegen auch bei annähernd hälftiger Mitbetreuung ein deutliches Schwergewicht der Betreuungsverantwortung bei einem Elternteil, so ist von der regelmäßigen gesetzlichen Verteilung der Unterhaltsanteile nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB auszugehen. Der den anderen Elternteil infolge des erweiterten Umgangsrechts treffenden finanziellen Mehrbelastung kann dadurch Rechnung getragen werden, dass im Hinblick auf die von ihm getätigten Aufwendungen eine Herabstufung um eine oder mehrere Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle erfolgt. Der Unterhalt kann zudem weitergehend gemindert sein, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil dem Kind im Zuge seines erweiterten Umgangsrechts Leistungen erbringt, mit denen er den Unterhaltsbedarf des Kindes auf andere Weise als durch Zahlung einer Geldrente teilweise deckt (Senatsbeschluss vom 12. März 2014 - XII ZB 234/13 - FamRZ 2014, 917 Rn. 37 f.).


    (2) Dass das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall ein Wechselmodell verneint hat, steht mit den aufgeführten Grundsätzen im Einklang.


    Aufgrund der Betreuung der unterhaltsberechtigten Kinder durch den Antragsgegner an sechs von 14 Tagen hat das Oberlandesgericht übereinstimmend mit dem Amtsgericht den Schwerpunkt noch auf Seiten der Mutter gesehen. Es hat dabei maßgeblich auf die entsprechende Vereinbarung der Eltern abgestellt. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.


    Die von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, der Antragsgegner habe durch detaillierte Berechnung dargelegt, dass sein Betreuungsanteil nicht bei 43%, sondern bei 46,67% liege, vermag einen Verfahrensfehler nicht aufzuzeigen. Denn das Oberlandesgericht ist insoweit übereinstimmend mit dem Amtsgericht davon ausgegangen, dass die vom Antragsgegner vorgetragenen Zeiten auf vorübergehenden Abweichungen beruhten, die sich etwa aus beruflich stärkerer Belastung eines Elternteils ergaben, und eine Orientierung an der von den Eltern getroffenen Vereinbarung, die bewusst nicht auf genau hälftige Anteile ausgerichtet gewesen sei, nicht in Frage stellen. Das hält sich im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.


    (…)


    c) Eine teilweise Erfüllung des Barunterhaltsanspruchs hat das Oberlandesgericht zu Recht mangels konkreten Vorbringens des Antragsgegners verneint.


    BGH-Urteil vom 5. November 2014 - XII ZB 599/13

    Vorher: OLG Bremen, Entscheidung vom 17.05.2013 - 4 UF 9/13 -


    Der BGH erklärt dann im Beschluss vom 20. 4. 2016 – XII ZB 45/15 - erneut, wie man im echten Wechselmodell korrekt rechnet:


    Der BGH hat bereits mehrfach ausgeführt, dass bei einem strengen Wechselmodell beide Elternteile für den Barunterhaltsdarf des Kindes einzustehen haben. Der Unterhaltsbedarf bemisst sich in diesem Fall nach den beiderseitigen zusammengerechneten Einkünften der Eltern und umfasst neben dem sich daraus ergebenden Regelbedarf insbesondere die nach den Umständen angemessenen Mehrkosten, die durch die Aufteilung der Betreuung im Rahmen eines Wechselmodells entstehen. Hierzu können neben den Fahrtkosten insbesondere erhöhte Unterkunftskosten gehören, weil der im Tabellenbetrag enthaltene – und in einigen unterhaltsrechtlichen Leitlinien (z. B. Ziff. 21. 5. 2. der Süddeutschen Leitlinien) mit 20 % des Barunterhaltsanspruchs angesetzte – Anteil für die Deckung des Wohnbedarfs des Kindes möglicherweise nicht auskömmlich ist, um die Kosten für die Vorhaltung von zwei eingerichteten Kinderzimmern in den Wohnungen der beiden Elternteile vollständig abzubilden. Für den so ermittelten Bedarf (Regelbedarf und etwaiger Mehrbedarf) haben die Eltern anteilig aufzukommen, wobei auf den Verteilungsmaßstab der Einkommens- und Vermögensverhältnisse (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) zurückzugreifen ist. Weil zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass die Eltern beim Wechselmodell einen Teil des Unterhalts in Natur decken, findet ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich zwischen den Eltern typischerweise nur in Form einer den Tabellenunterhalt nicht erreichenden Ausgleichszahlung statt.


    Der BGH hat auch noch mal 2017 zusammengefasst, wie der Unterhalt im "echten Wechselmodell" funktioniert und berücksichtigt auch seine Kindergeld-Rechtsprechung. 


    Das ist also derzeit die maßgebliche Vorgehensweise.


    1. Im Fall des Wechselmodells haben grundsätzlich beide Elternteile für den Barunterhalt des Kindes einzustehen. Der Unterhaltsbedarf bemisst sich nach dem beiderseitigen Einkommen der Eltern und umfasst außerdem die infolge des Wechselmodells entstehenden Mehrkosten (im Anschluss an Senatsbeschluss v.5.11.2014 – XII ZB 599/13)


    2. Der dem Kind von einem Elternteil während dessen Betreuungszeiten im Wechselmodell geleistete Naturalunterhalt führt nicht dazu, dass ein Barunterhaltsanspruch nicht geltend gemacht werden kann. Der geleistete Naturalunterhalt ist vielmehr nur als (teilweise) Erfüllung des Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen.


    3. Der Unterhaltsanspruch kann in zulässiger Weise vom Kind gegen den besser verdienenden Elternteil geltend gemacht werden. Dass er sich auf den Ausgleich der nach Abzug von den Eltern erbrachter Leistungen verbleibenden Unterhaltsspitze richtet, macht ihn nicht zu einem - nur zwischen den Eltern bestehenden - familienrechtlichen Ausgleichsanspruch.


    4. Das Kindergeld ist auch im Fall des Wechselmodells zur Hälfte auf den Barbedarf des Kindes anzurechnen. Der auf die Betreuung entfallende Anteil ist zwischen den Eltern hälftig auszugleichen. Der Ausgleich kann in Form der Verrechnung mit dem Kindesunterhalt erfolgen (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 20.4.2016 – XII ZB 45/15)


    Bundesgerichtshof, Beschluss v. 11.1.2017 – XII ZB 565/15


    +++

    Zur Vertretungsbefugnis: BGH 10.04.2024 - XII ZB 459/23


  • Wechselmodell aus therapeutischer Sicht

    Immer mehr Eltern möchten auch nach einer Trennung zu gleichen Teilen den Alltag und die Wochenenden mit ihren Kindern verleben und für sie gleichberechtigt verantwortlich sein. Als die scheinbar einfachste Lösung, um diesem Anspruch gerecht zu werden, wird häufig an den wochenweise Wechsel der Kinder zwischen den Eltern gedacht, das so genannte Wechselmodell.

    Erfahrungen aus der Beratungspraxis zeigen, dass eine Umgangsregelung, welche die Möglichkeiten und Grenzen der beteiligten Eltern und Kinder präzise berücksichtigt und bereits vorhandene Alltagsrhythmen integriert, deutlich tragfähiger sein kann.


    © FamThera Institut für Familientherapie und Systemische Beratung

    Integriertes_Wechselmodell.pdf

  • Politik 2019: Wechselmodell im Koalitionsvertrag

    Aus der Antwort der Bundesregierung vom 20. Juli 2018 auf die Kleine Anfrage der FDP und weiterer Abgeordneter – Drucksache 19/3317 – zu finanziellen Belastungen in Trennungsfamilien


    Drucksache 19/ 3597


    Vorbemerkung der Fragesteller


    In der deutschen Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren ein spürbarer Wandel im Rollenverständnis von Frauen und Männern bei der Betreuung von gemeinsamen Kindern Einzug gehalten: Immer häufiger möchten sich beide Elternteile aktiv an der Betreuung und Erziehung der Kinder beteiligen, wie beispielsweise die Nachfrage nach dem Elterngeld zeigt.


    Durch eine Trennung der Eltern ändert sich nicht nur das Sozialgefüge für Eltern und Kinder, sondern die Trennung geht meist einher mit einer Verschiebung der finanziellen Lasten. Die von Gerichten angeordneten Entscheidungen orientieren sich dabei noch immer am Residenzmodell. Das führt nicht nur in Bezug auf die Betreuung und Erziehung, sondern vor allem bei der finanziellen Aufteilung der Elternverantwortung zu großen Auseinandersetzungen und Ungleichheiten. Durch solche Entscheidungen im Sinne des Klischees „Einer betreut, einer zahlt“, wobei der Mutter oft die Rolle der Erzieherin und dem Vater die des Ernährers zufällt, finden sich Paare in einem tradierten Rollenbild wieder. Alleinerziehende gelten dabei heute als besonders armutsgefährdet. Bei dieser Betrachtung wird jedoch teilweise außer Acht gelassen, dass es dem anderen Elternteil, der in der Pflicht ist, die Erziehung der Kinder zu finanzieren, oftmals nicht viel besser geht. Auch hier rutschen immer mehr Eltern in die Armut oder leben an der Armutsgrenze. Diese monetäre Schieflage ist für alle Beteiligten – insbesondere für Kinder – zusätzlich zur Trennung belastend. Im Mittelpunkt muss auch nach einer Trennung das Wohl der Kinder stehen.



    Antworten der Bundesregierung – Auszüge -


    Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich die Rollenbilder für Männer und Frauen, gerade auch bei der Betreuung gemeinschaftlicher Kinder, mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen im Umfeld der Familie wandeln. Dies führt im Kindesunterhaltsrecht dazu, dass dieser Bereich seit Längerem auf dem Prüfstand steht.


    Die Gesetzeslage, nach der grundsätzlich ein Elternteil nach Trennung und Scheidung die Kinder betreut und der andere Unterhalt in bar zu entrichten hat (§ 1606 Absatz 3 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), stammt aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie ist damals als ein Signal der Gleichberechtigung der Geschlechter in das Gesetz aufgenommen worden. Die Betreuungsleistungen, damals noch regelmäßig allein den Müttern zugewiesen, sind seither dem vom Vater allein zu leistenden Unterhalt als gleichwertig anzusehen. In der Rechtspraxis bildet dieses Modell, das sogenannte Residenzmodell, immer noch den Regelfall („einer betreut, einer bezahlt“). Auch wenn das Gesetz bereits seit Langem geschlechtsneutral gefasst ist, wird die Betreuung in den meisten Fällen nach wie vor von den Müttern der Kinder übernommen.


     


    Das Gesetz gibt aber kein Betreuungsmodell vor. Da es immer mehr Fälle gibt, in denen beide Eltern auch nach Trennung und Scheidung die Betreuung der Kinder übernehmen wollen, ist dem im Unterhaltsrecht Rechnung zu tragen. Wollen beide Eltern ihre Kinder getrennt, aber gemeinsam betreuen, so hat das Unterhaltsrecht hierfür Lösungsmodelle bereit zu halten. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat hierzu im Mai 2015 ein Symposium durchgeführt und untersucht seither mögliche Lösungsansätze.


    Auch in der kindschaftsrechtlichen Fachwelt gibt es schon seit geraumer Zeit eine kontroverse Debatte um die Frage, ob ein Wechselmodell (im Sinne einer genau oder nahezu hälftigen Betreuung des zwischen den Haushalten der Eltern wechselnden Kindes durch die Eltern) dem Kindeswohl dienlich ist und unter welchen Voraussetzungen es gegebenenfalls gerichtlich angeordnet werden kann. Trotz der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1. Februar 2017 (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15 BGHZ 214, 31 ff.) sind noch viele Fragen offen, die auch die Systematik von Sorge- und Umgangsrecht als solche betreffen.


    Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz prüft deshalb intensiv auch die Frage nach einem etwaigen kindschaftsrechtlichen Reformbedarf.


    (…)


    Das Unterhaltsrecht ist am Residenzmodell orientiert. Damit ist es auf Fälle zugeschnitten, in denen der eine Elternteil die gemeinsamen Kinder im Wesentlichen alleine erzieht und der andere Elternteil lediglich Umgang ausübt. Eltern praktizieren mittlerweile allerdings auch vom Residenzmodell abweichende Modelle, indem sie beispielsweise beide wesentliche Teile der Betreuung des Kindes übernehmen. Zwar können sie die finanziellen Folgen ihrer Entscheidungen bereits heute einvernehmlich selbst regeln. Gleichwohl sind die gesetzlichen Folgen, die sich unterhaltsrechtlich aus ihrer Entscheidung ergeben, teilweise wenig befriedigend. Aus diesem Grund werden die gesetzlichen Bestimmungen gegenwärtig auf ihre Zeitgemäßheit geprüft und Ansätze für eine angemessene legislative Widerspiegelung der gesellschaftlichen Realität gesucht.


    Im Kindschaftsrecht besteht ebenfalls Anlass zu einer grundlegenden Prüfung etwaigen Reformbedarfs. Zu diesem Zweck hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die interne Arbeitsgruppe „Sorge- und Umgangsrecht, insbesondere bei gemeinsamer Betreuung nach Trennung und Scheidung“ ins Leben gerufen.


    Diese Zielsetzungen sind zudem im Koalitionsvertrag verankert. Dort ist festgestellt, dass Eltern nach einer Trennung zumeist beide intensiv in die Erziehungsverantwortung für ihre Kinder eingebunden bleiben wollen. Zudem ist festgehalten, dass dies beim Umgang und im Unterhalt stärker berücksichtigt werden soll, wenn die Eltern sich über die Betreuungsform einig sind oder Gründe des Kindeswohls vorliegen (vgl. Koalitionsvertrag, Rn. 6243 ff.).


     

    Mehr hier: https://kleineanfragen.de/bundestag/19/3597-finanzielle-belastungen-in-trennungsfamilien


  • BGH 2019: wer Loyalitätskonflikt verursacht, bekommt kein WM

    BGH XII ZB 512/18 vom 27.11.2019

    Leitsätze:

    a. Die gerichtliche Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil hat keine Bindungswirkung hinsichtlich einer späteren Entscheidung zum Umgang und der sich dabei stellenden Frage, ob ein paritätisches Wechselmodell anzuordnen ist (Fortführung von Senatsbeschluss BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532).

    b. Die Entscheidung zum Umgang richtet sich in diesem Fall als Erstentscheidung nach §§ 1684, 1697 a BGB und unterliegt nicht den einschränkenden Voraussetzungen einer Abänderungsentscheidung gemäß § 1696 Abs. 1 BGB.

    c. Der Anordnung eines Wechselmodells kann entgegenstehen, dass der dieses begehrende Elternteil es an der notwendigen Loyalität gegenüber dem anderen Elternteil fehlen lässt. Ein gegenläufiger Wille des Kindes ist nicht ausschlaggebend, wenn dieser maßgeblich vom das Wechselmodell anstrebenden Elternteil beeinflusst ist.

    Nach der Trennung der Eltern 2013 wurde der Mutter 2014 das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen, worauf hin diese aus dem bisherigen Familienheim auszog und in einen nahegelegenen Ort umzog.

    Der Vater beantragte gerichtlich die Doppelresidenz im Wege eines Sorgerechtsverfahrens. Das Amtsgericht eröffnete von Amts wegen auch noch ein Umgangsverfahren. Hier wurde vom Amtsgericht und später auch vom Oberlandesgericht eine umfangreiche Umgangsregelung getroffen, welche jedoch nicht den Umfang eines Wechselmodells erreichte.

    Vor dem BGH verfolgte der Vater weiter sein Ziel einer genau hälftigen Aufteilung der Betreuung.

    Zunächst ging es um Formalien, nämlich darum, ob die Wechselmodellfrage ins Sorgerechts- oder Umgangsrechtsverfahren gehört und ob die höhere Schwelle eines Abänderungsverfahren anzulegen sei.


    BGH: „Bei Sorge- und Umgangsrecht handelt es sich nach der gesetzlichen Systematik um eigenständige Verfahrensgegenstände.“ (…) „Sorge- und Umgangsrecht unterliegen dementsprechend verfahrensrechtlich der eigenständigen Behandlung, wie es von den Vorinstanzen auch praktiziert worden ist. Entsprechend entfaltet die im jeweiligen Verfahren erlassene Entscheidung keine übergreifende Bindungswirkung auch für den anderen Verfahrensgegenstand.“ (…) „Zudem ist schon die Prämisse des Oberlandesgerichts nicht haltbar, dass mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil zugleich notwendigerweise die gerichtliche Entscheidung für ein Residenzmodell verbunden sei“.


    Die Entscheidung sei daher nicht am Maßstab des §1696 BGB, sondern am (niedrigeren) Maßstab des §1684 BGB zu messen.


    Zur für Wechselmodellfragen unpassenden Aufspaltung von Sorge- und Umgangsrecht:

    „Die Frage, ob es sinnvoll erscheint, durch eine gesetzliche Zusammenfassung der Verfahrensgegenstände von Sorgerecht und Umgangsrecht zu einem einheitlichen Verfahren die Gefahr widersprüchlicher Regelungen zu vermindern, ist rechtspolitischer Natur und kann sich schon deswegen im vorliegenden Verfahren nicht stellen.“

    Der BGH hat klargestellt, dass eine vorherige, sorgerechtliche Entscheidung keine Vorfestlegung für ein später zu führendes Umgangsverfahren und damit für den heranzuziehenden Entscheidungsmaßstab (§1696 BGB) darstellt. Hier lag das OLG Frankfurt in seiner Annahme also falsch.

    Trotzdem sei das OLG Frankfurt letztendlich zum richtigen Ergebnis gekommen. Die konkrete Sachlage habe auch am Maßstab des §1684 BGB keine Anordnung der Doppelresidenz zugelassen.

    Das Thema Bindungstoleranz war hier das KO-Kriterium:

    Der Anordnung der Doppelresidenz stehe entgegen, dass nach den angestellten Ermittlungen der Vater es weniger als die Mutter vermöge, die Bindung der Kinder an beide Eltern zu respektieren. Insofern sei die Erziehungseignung des Vaters eingeschränkt. Er ziehe die Kinder in den Elternkonflikt hinein und setze sie damit einem verstärkten Loyalitätsdruck aus. Der Vater lasse es auch an der notwendigen Loyalität zur Kindesmutter als dem anderen Elternteil fehlen.

    Das Oberlandesgericht sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass dem geäußerten Kindeswillen keine ausschlaggebende Bedeutung zuzumessen sei.

    Die Entscheidung sei in Übereinstimmung mit der Einschätzung von Jugendamt, Gutachten und Verfahrensbeistand erfolgt.

    Leider hat der BGH die Entscheidung nicht genutzt, um die üblichen Totschlagargumente einem Faktencheck zu unterziehen, sondern führt aus:

     „Beim Wechselmodell kommt hinzu, dass dieses gegenüber herkömmlichen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind stellt, das bei doppelter Residenz zwischen zwei Haushalten pendelt und sich auf zwei hauptsächliche Lebensumgebungen ein- bzw. umzustellen hat“.

    Der BGH tut so, als ob das Kind, das „nur“ 40% statt 50% seiner Zeit beim Vater verbringt, sich nicht auf dessen Lebensumgebung einstellen müsse.

    Auch wurden die These vom erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarf und von höherer Konfliktbelastung bemüht.

    Dass Kinder unter Loyalitätskonflikten unabhängig vom Betreuungsmodell leiden, war Ergebnis der Metastudie von Nielsen, wird aber vom BGH nicht berücksichtigt. Ebenso ist immer noch nicht bis zu den Richtern vorgedrungen, dass das Wechselmodell Chancen zu Deeskalation bietet, weil sie die Machtmißbrauchsmöglichkeiten einer Seite beendet. Hier arbeitet der BGH mit „Glaubensgrundsätzen“, die wissenschaftlich längst so in Frage gestellt worden sind, dass sie differenzierter betrachtet werden müssten.

    Dass der BGH letztlich die Entscheidung des OLG Frankfurt, das Wechselmodell in diesem Einzelfall nicht anzuordnen, bestätigt, ist jedoch nachvollziehbar – und deshalb konnte der BGH so oberflächlich bleiben.

    Gutachter als auch Verfahrensbeistand und Jugendamt teilten nämlich übereinstimmend die Einschätzung, dass der Vater versuche, den Willen der Kinder für seine Interessen zu beeinflussen und er es damit sein, der auch im Zusammenwirken mit weiteren Umständen, z.B. im Rahmen der Übergaben oder eigenmächtiger Verlängerungen der Umgänge, für zusätzliche Belastungen der Kinder sorge. Bei der Mutter wurden solche Verhaltensweisen nicht festgestellt.

    Die vom BGH betonte Loyalitätspflicht vereitelte hier das Ziel des Vaters, ein Wechselmodell anzuordnen, weil er selbst als Verursacher identifiziert wurde. Das müsste spiegelbildlich aber auch für Mütter gelten, die verfahrenstaktisch eskalieren, um das Residenzmodell zu behalten.


    Für dieselbe Familie erging am selben Tag unter XII ZB 511/18 die Entscheidung „Keine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, wenn der Kindeswille nicht autonom gebildet ist und sonstige Belange des Kindeswohls entgegen stehen.“


    Mehr Gerichtsentscheidungen auf der Extra-Website "Wechselmodell-Beschlüsse".

  • OLG Frankfurt/ Main 2018: auch 4:3 ist Wechselmodell

    OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 05.12.2018 - 4 UF 167/18:

    Von einer geteilten Betreuung ist dabei nicht nur bei einer exakt gleichen zeitlichen Aufteilung der Betreuungsanteile zwischen beiden Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells auszugehen, sondern immer dann, wenn das Kind bei beiden Eltern ein Domizil hat und beide Eltern sich die Versorgungs- und Erziehungsaufgaben etwa hälftig teilen. Diese Voraussetzungen sind jedenfalls bei einer Aufteilung der Betreuungsanteile im Verhältnis von 4:3 bei abwechselnder Betreuung an den Wochenenden, bei Vorhandensein eines Kinderzimmers in den Wohnungen beider Eltern und bei gleichzeitiger Bereitschaft beider Eltern zur Verantwortungsübernahme und zur Sicherstellung des Kindertagesstättenbesuchs erfüllt.



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  • Metastudie 2018: Nielsen über Nachtrennungsfamilien

    Auswertung von 60 internationalen Studien


    Familieneinkommen oder Konfliktniveau egal - das Wechselmodell tut allen Trennungskindern gut


    Prof. Linda Nielsen hat mittlerweile 60 Studien rund um die Doppelresidenz ausgewertet. Ihr 2018 veröffentlichter Aufsatz darüber stützt die Annahme, dass die Doppelresidenz für Kinder ein geeigneteres Nachtrennungsmodell ist als das in Deutschland noch häufig gelebte „Alleinerziehenden-“ oder „Residenzmodell“.


    Kurz zusammengefasst zeigten sich in Prof. Nielsens Auswertungen der 60 Studien folgende Ergebnisse:


    In den veröffentlichten 60 englischsprachigen Studien fanden 34 Studien heraus, dass Kinder in der Doppelresidenz in allen untersuchten Punkten in Bezug auf Verhalten, emotionales, physisches und schulisches Wohlbefinden und die Beziehung zu Eltern und Großeltern besser abschnitten als Kinder im Residenzmodell. In weiteren 14 Studien hatten Kinder in der Doppelresidenz in einigen Punkten die gleichen Ergebnisse und in anderen bessere Ergebnisse verglichen mit Kindern im Residenzmodell. In 6 Studien konnten keine Unterschiede zwischen beiden Betreuungsmodellen festgestellt werden und in weiteren 6 Studien ergaben sich für Kinder in der Doppelresidenz in einem Merkmal schlechtere Ergebnisse als im Residenzmodell, aber gleiche oder bessere in den anderen Merkmalsausprägungen.


    Besonders interessant war, wenn der Konflikt zwischen den Eltern betrachtet wurde: wird doch Streit zwischen den Eltern häufig als Grund benannt, der die Anordnung der Doppelresidenz kategorisch ausschließe. In den 19 Studien, welche sich auch mit dem Konflikt der Eltern beschäftigten, hatten Kinder, die in der Doppelresidenz lebten, in 9 Studien in allen untersuchten Merkmalen bessere Ergebnisse erzielt als Kinder in Einzelresidenz, gleiches oder bessere Ergebnisse in weiteren 5 Studien, gleiche Ergebnisse in 2 Studien und schlechtere Ergebnisse in einem Merkmal, aber gleiche oder bessere Ergebnisse in 3 Studien.


    In der Zusammenfassung von Prof. Nielsen kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck (Übersetzung durch Markus Witt, Sprecher doppelresidenz.org):


    "Wie die in diesem Artikel zusammengefassten Studien zeigen, weist die Doppelresidenz (JPC - joint physical custody) bessere Ergebnisse als Einzelresidenz (SPC – sole physical custody) für Kinder auf, unabhängig von Familieneinkommen oder dem Konfliktniveau zwischen den Eltern. Das soll nicht heißen, dass Kinder nicht von einem Leben in Familien mit höherem Einkommen, niedrigerem Konflikt oder gut kooperierenden Eltern profitieren.


    Was diese Studien aber aussagen ist, dass die besseren Ergebnisse für in Doppelresidenz lebende Kinder nicht auf ein höheres Familieneinkommen oder einen geringeren Konflikt zwischen deren Eltern zurückgeführt werden können.


    Darüber hinaus zeigen alle 30 Studien, die die Beziehungen von Kindern zu ihren Eltern und anderen Verwandten untersuchten, bessere Ergebnisse für die Doppelresidenz-Kinder. Angesichts dessen gibt es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Familieneinkommen und elterlicher Konflikt weniger eng mit dem Wohlergehen der Kinder verknüpft ist als die Qualität ihrer Beziehungen zu ihren Eltern, Stiefeltern und Großeltern.


    Während Wissenschaftler die Faktoren weiter erforschen und die bessere Entwicklung von Kindern in Doppelresidenz-Familien erklären können ist bereits klar, dass die gemeinsame Elternschaft in Form der Doppelresidenz auf dem Vormarsch ist und Kinder von dieser neuen Familienform profitieren."


    Der Aufsatz von Prof. Nielsen wurde 2018 im Journal of Child Custody unter dem Titel: „Joint versus sole physical custody: Outcomes for children independent of family income or parental conflict, Journal of Child Custody“ veröffentlicht.

  • BGH 2017: Wechselmodell ist doch erzwingbar - Änderung der OLG-Rechtsprechung durch den BGH

    Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15 - Neuland betreten, indem er theoretisch für möglich hält, dass ein Gericht ein Wechselmodell anordnet. Das war vorher von den Oberlandesgerichten für unmöglich gehalten worden.


    Der BGH hat entschieden, dass das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils gegen den Willen des anderen Elternteils ein paritätisches Wechselmodell, also die etwa hälftige Betreuung des Kindes durch beide Eltern, als Umgangsregelung anordnen darf. Auch die Voraussetzungen hat das Gericht näher bestimmt.


    Darum geht es


    Die Eltern sind geschieden, der Sohn 04/2003 geboren.


    Sie sind gemeinsam sorgeberechtigt. Der Sohn hält sich bislang überwiegend bei der Mutter auf. Im Mai 2012 trafen die Eltern eine Umgangsregelung, nach welcher der Sohn den Vater alle 14 Tage am Wochenende besucht.


    Im vorliegenden Verfahren erstrebt der Vater die Anordnung einer Umgangsregelung in Form eines paritätischen Wechselmodells. Er will den Sohn im wöchentlichen Turnus abwechselnd von Montag nach Schulschluss bis zum folgenden Montag zum Schulbeginn zu sich nehmen. Das Amtsgericht hat den Antrag des Vaters zurückgewiesen. Dessen Beschwerde ist vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben.


    Wesentliche Entscheidungsgründe


    Auf die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Vaters hat der BGH den Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.


    Vom Gesetzeswortlaut sei - entgegen der Auffassung aller bisher veröffentlichten Entscheidungen - auch eine Betreuung des Kindes durch hälftige Aufteilung der Umgangszeiten auf die Eltern erfasst.


    Zwar orientiert sich die gesetzliche Regelung am Residenzmodell, also an Fällen mit überwiegender Betreuung durch einen Elternteil bei Ausübung eines begrenzten Umgangsrechts durch den anderen Elternteil.


    Dies besagt aber nur, dass der Gesetzgeber die praktisch häufigste Gestaltung als tatsächlichen Ausgangspunkt der Regelung gewählt hat, nicht hingegen, dass er damit das Residenzmodell als gesetzliches Leitbild festlegen wollte, welches andere Betreuungsmodelle ausschließt.


    Dass ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes auch die elterliche Sorge und als deren Teilbereich das Aufenthaltsbestimmungsrecht betrifft, spricht jedenfalls bei Bestehen des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern nicht gegen die Anordnung des Wechselmodells im Wege einer Umgangsregelung.


    Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung steht vielmehr mit dem gemeinsamen Sorgerecht im Einklang, zumal beide Eltern gleichberechtigte Inhaber der elterlichen Sorge sind und die im Wechselmodell praktizierte Betreuung sich als entsprechende Sorgerechtsausübung im gesetzlich vorgegebenen Rahmen hält.


    Entscheidender Maßstab der Anordnung eines Umgangsrechts ist neben den beiderseitigen Elternrechten allerdings das Kindeswohl, das vom Gericht nach Lage des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen ist. Das Wechselmodell ist anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.


    Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Wechselmodell gegenüber herkömmlichen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind stellt, das bei doppelter Residenz zwischen zwei Haushalten pendelt und sich auf zwei hauptsächliche Lebensumgebungen ein- bzw. umzustellen hat.


    Das paritätische Wechselmodell setzt zudem eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus. Dem Kindeswohl entspricht es dagegen regelmäßig nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, diese Voraussetzungen erst herbeizuführen. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes. Wesentlicher Aspekt ist zudem der vom Kind geäußerte Wille, dem mit steigendem Alter zunehmendes Gewicht beizumessen ist.


    Das Familiengericht ist im Umgangsrechtsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes. Im vorliegenden Fall hatte das Oberlandesgericht eine persönliche Anhörung des Kindes nicht durchgeführt, weil es zu Unrecht davon ausgegangen war, dass eine auf ein Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung nach der gesetzlichen Regelung nicht möglich sei. Das Verfahren ist daher zur Nachholung der Kindesanhörung und zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen worden.


    BGH, Beschl. v. 01.02.2017 - XII ZB 601/15


    Mehr Gerichtsentscheidungen auf der Extra-Website "Wechselmodell-Beschlüsse".

  • OLG Stuttgart 2017: Erhöhung des Umgangs von 40% auf 50% geht ohne Sachverständigengutachten

    1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, kann im Einzelfall

    auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 1. Februar 2017, XII ZB 601/15, FamRZ 2017, 532).


    2. Bestehen unstreitig gute Bindungen der Kinder zu beiden Elternteilen und hat der umgangsberechtigte Elternteil bereits bisher einen wesentlichen Teil der Betreuungsleistung übernommen (vorliegend: rund 40%), so kann die Kindeswohldienlichkeit des Wechselmodells auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens beurteilt werden.

    OLG Stuttgart - 18 UF 104/17 - vom 23.8.2017



    Mehr Gerichtsentscheidungen auf der Extra-Website "Wechselmodell-Beschlüsse".


  • OLG-Entscheidungen 2017 - 2018 zum Wechselmodell

    OLG Bremen - Beschluss vom 16.08.2018 - 4 UF 57/18


    OLG Hamm - Beschluss vom 29.08.2017 - 11 UF 89/17



    Mehr Gerichtsentscheidungen auf der Extra-Website "Wechselmodell-Beschlüsse".


  • Norwegische Studie 2017: Kindern mit zwei Zuhause geht es statistisch besser als Kindern in Ein-Eltern-Familien

    Eine norwegische Studie, veröffentlicht Ende 2017, beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Jugendliche, die in ihrer Kindheit die Trennung ihrer Eltern erlebt haben, entwickeln. Dazu wurden 7.707 Jugendliche im Alter von 16 – 19 Jahren (Geburtsjahrgänge 1993 - 1995) im Jahr 2012 befragt und die Ergebnisse nach verschiedenen Faktoren ausgewertet. Die Daten stammen aus der Jugend @ hordaland Studie. Die Jugendlichen wurden in 6 Familienstrukturen klassifiziert.


    Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass sich die Jugendlichen, welche in der Doppelresidenz aufgewachsen sind, nahezu gleich entwickelt haben wie Jugendliche, deren Eltern noch zusammen lebten. In einigen Bereichen entwickelten sich die Jugendlichen in der Doppelresidenz sogar besser als ihre Altersgenossen in zusammenlebenden Familien. Die Ergebnisse waren unabhängig vom Geschlecht und der Einkommenssituation feststellbar.


    Im Gegensatz dazu wiesen Jugendliche, die mit nur einem Elternteil oder in Stieffamilien aufwuchsen, deutlich höhere Belastungs- und Stressindikatoren auf.


    Zusammenfassend konnte festgestellt werden, das Jugendliche, die in Doppelresidenz bei beiden Eltern aufwachsen keine größeren Anpassungsprobleme haben als ihre Altersgenossen, deren Eltern nicht getrennt sind. Bemerkenswert an dieser Studie ist, dass die Jugendlichen hier neben den wissenschaftlichen Tests auch auf ihre eigenen Erfahrungen mit den verschiedenen Lebensmodellen zurückblicken konnten.


    Dieses Projekt wurde von der norwegischen ExtraFoundation für Gesundheit und Rehabilitation ermöglicht.

  • BGH 2016: Wechselmodell und Kindergeld

    Kindergeld und Wechselmodell:

    Die Viertellösung des BGH


    Der Fall:


    Die drei Kinder leben im Wechselmodell. Die Familienkasse zahlt das Kindergeld an die Mutter. Die Mutter hat davon einige Fixkosten getragen (Bekleidung, Schulutensilien, Mobilität und Versicherungen). Eine Unterhaltsregelung haben diese Eltern nicht getroffen. Beide haben Einkommen.


    Grundlagen: Kindergeld als Steuervergütung


    Das auf der Grundlage des Einkommensteuergesetzes gewährte staatliche Kindergeld wird als vorweggenommene Steuervergütung an die Eltern gezahlt. Anspruchsberechtigt ist immer nur ein Elternteil und zwar der, bei dem das Kind den Lebensmittelpunkt hat. Können die Eltern sich nicht einigen, z.B. beim Wechselmodell, trifft das Familiengericht eine für die Familienkasse bindende Entscheidung.  



    Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch


    Der BGH hat einen sog. „familienrechtlichen Ausgleichsanspruch“ kreiert, der nicht im Gesetz steht. Der Anspruch eines Elternteils auf Ausgleich des dem anderen Elternteil gezahlten Kindergelds ist ein Unterfall des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs. In Normalfällen wird dieser aber durch § 1612 b Abs. 1 BGB verdrängt.


    Exkurs: Barunterhalt im Wechselmodell nach BGH


    Der BGH hat bereits mehrfach ausgeführt, dass bei einem strengen Wechselmodell beide Elternteile für den Barunterhaltsdarf des Kindes einzustehen haben. Der Unterhaltsbedarf bemisst sich in diesem Fall nach den beiderseitigen zusammengerechneten Einkünften der Eltern und umfasst neben dem sich daraus ergebenden Regelbedarf insbesondere die nach den Umständen angemessenen Mehrkosten, die durch die Aufteilung der Betreuung im Rahmen eines Wechselmodells entstehen. Hierzu können neben den Fahrtkosten insbesondere erhöhte Unterkunftskosten gehören, weil der im Tabellenbetrag enthaltene – und in einigen unterhaltsrechtlichen Leitlinien (z. B. Ziff. 21. 5. 2. der Süddeutschen Leitlinien) mit 20 % des Barunterhaltsanspruchs angesetzte – Anteil für die Deckung des Wohnbedarfs des Kindes möglicherweise nicht auskömmlich ist, um die Kosten für die Vorhaltung von zwei eingerichteten Kinderzimmern in den Wohnungen der beiden Elternteile vollständig abzubilden. Für den so ermittelten Bedarf (Regelbedarf und etwaiger Mehrbedarf) haben die Eltern anteilig aufzukommen, wobei auf den Verteilungsmaßstab der Einkommens- und Vermögensverhältnisse (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) zurückzugreifen ist. Weil zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass die Eltern beim Wechselmodell einen Teil des Unterhalts in Natur decken, findet ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich zwischen den Eltern typischerweise nur in Form einer den Tabellenunterhalt nicht erreichenden Ausgleichszahlung statt.


     

    Das Kindergeld im Wechselmodell


    Umstritten ist beim Vorliegen eines Wechselmodells die Aufteilung des gesetzlichen Kindergelds zwischen den Elternteilen. Der BGH hat zwischen den verschiedenen Auffassungen wie folgt entschieden:


    Nach § 1612 b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte zur Deckung seines Barbedarfs zu verwenden, wenn ein Elternteil im Sinne von § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt. In allen anderen Fällen erfolgt die Anrechnung des Kindergelds gemäß § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB in voller Höhe auf den Barbedarf. Die Anrechnungsregel des § 1612 b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auf Fälle getrennt lebender Eltern zugeschnitten, in denen (nur) einer der beiden Elternteile das minderjährige Kind betreut, während der andere zur Zahlung des Barunterhalts verpflichtet ist. Mit der Auffangvorschrift des § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB wollte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs hingegen solche Fälle in den Blick nehmen, in denen das Kind entweder wegen Volljährigkeit einer Betreuung nicht mehr bedarf oder die Betreuung eines minderjährigen Kindes (etwa bei Fremdunterbringung) nicht wenigstens durch einen der beiden Elternteile erfolgt und deshalb von ihnen nur Barunterhalt zu leisten ist.


    Keine dieser beiden Konstellationen, die der Gesetzgeber den beiden Anrechnungsregeln des § 1612 b Abs. 1 BGB zugrunde gelegt hat, liegt bei einem Wechselmodell vor. Indessen beruht die gemäß § 1612 b Abs. 1 Nr. 1 BGB vorgesehene Halbanrechnung des Kindergelds auf der grundlegenden gesetzgeberischen Erwägung, dass betreuende Elternteile mit der anderen Hälfte des Kindergelds bei der Erbringung ihrer Betreuungsleistungen unterstützt werden sollen. Dieser Zweck wird, was letztlich auch das Beschwerdegericht nicht anders sieht, bei der gleichwertigen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile im Rahmen eines Wechselmodells nicht verfehlt. Eine Vollanrechnung des gesetzlichen Kindergelds auf den Barunterhaltsbedarf würde zudem dazu führen, dass der Kindergeldausgleich im Hinblick auf die im Wechselmodell gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen zu Gunsten des besserverdienenden Elternteils verzerrt würde.


    Die Anrechnung des staatlichen Kindergelds auf den Barbedarf des Kindes nach Maßgabe des § 1612b Abs. 1 BGB ist auch bei beiderseitiger Barunterhaltspflicht im Wechselmodell zwingend. Wie sich bereits aus seinem Wortlaut ergibt ("in allen anderen Fällen"), liegt dem Gesetz die Konzeption zugrunde, dass das gezahlte Kindergeld stets – je nach Sachverhaltsgestaltung entweder zur Hälfte oder vollständig – zweckgebunden als Einkommen des Kindes zu behandeln ist und deshalb ein bedarfsmindernder Vorwegabzug des Kindergelds vom Barunterhalt stattzufinden hat. Eine Kindergeldverteilung, die sich – wie die vom Beschwerdegericht für richtig befundene einkommensunabhängige Halbteilung zwischen den Elternteilen – von jeder Anrechnung des Kindergelds auf den Barunterhaltsbedarf des Kindes löst, lässt sich mit dem Gesetz insoweit nicht in Einklang bringen.


    Etwas anderes kann auch nicht aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB hergeleitet werden. (…)



    Die hälftige Anrechnung des Kindergelds auf den Barbedarf des Kindes nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB hat beim Wechselmodell zur notwendigen Folge, dass der besser verdienende Elternteil durch das Kindergeld in einem größerem Umfang entlastet wird. Ist der schlechter verdienende Elternteil unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig, kommt der auf den Barunterhalt entfallende Anteil des Kindergelds infolge der Anrechnung allein dem leistungsfähigen Elternteil zu Gute. Dem kann auch nicht ohne weiteres entgegengehalten werden, dass beim Wechselmodell auch der leistungsunfähige Elternteil – worauf das Beschwerdegericht hingewiesen hat – in der Zeit, in der sich das Kind in seinem Haushalt aufhält, jedenfalls durch Wohnungsgewährung und Verpflegung Naturalunterhaltsleistungen erbringt. Denn Wohnungsgewährung und Verpflegung, die dem Kind beim Wechselmodell durch einen Elternteil erbracht werden, erfassen nur einen (relativ) geringen Teil des – im Übrigen allein vom leistungsfähigen Elternteil aufzubringenden – sächlichen Gesamtbedarfs des Kindes. Es erscheint deshalb ebenfalls nicht angemessen, den in einem deutlich größeren Umfang zum Barunterhalt herangezogenen Elternteil wirtschaftlich lediglich durch die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Anteils am Kindergeld zu entlasten. Die sich daraus ergebenden Wertungskonflikte hat das Gesetz durch die Anrechnungsregel des § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB zugunsten des Elternteils aufgelöst, der sich aufgrund seines höheren Einkommens in größerem Umfang am Barunterhalt für das Kind beteiligen muss.


    Verlangt der nicht kindergeldbezugsberechtigte Elternteil insoweit die Hälfte des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils, ist es grundsätzlich seine Sache, die Haftungsanteile der Eltern am Barunterhalt darzulegen und zu beweisen. Eine solche Darlegung wird zudem in der Regel einen gesonderten Kindergeldausgleich entbehrlich machen, weil dann eine Gesamtabrechnung über den unterhaltsrechtlichen Ausgleich zwischen den Eltern unter An- und Verrechnung des an einen Elternteil gezahlten Kindergelds möglich ist. Ein Anspruch auf hälftige Auskehrung des auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteils wird beim Wechselmodell auch dann in Betracht kommen, wenn beide Elternteile nicht leistungsfähig sind.


    Anders verhält es sich mit dem auf den Betreuungsunterhalt entfallenden Anteil am Kindergeld. Dieser steht den Elternteilen beim Wechselmodell aufgrund der von ihren gleichwertig erbrachten Betreuungsleistungen hälftig zu.


    Ergebnis:


    Der Vater konnte die Auskehrung eines Viertels des Kindergelds – nämlich die Hälfte des auf den Betreuungsunterhalt entfallenden Anteils am Kindergeld – verlangen.


    Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch unterliegt jedoch für die Vergangenheit der Schranke des § 1613 Abs. 1 BGB, so dass dies rückwirkend erst ab Inverzugsetzung gilt.


    Ihre Fixkosten konnte die Mutter nicht gegenrechnen, weil völlig unklar war, in welcher Höhe sie dies sowieso als Unterhalt hätte tragen müssen.


    BGH, Beschluss vom 20. 4. 2016 – XII ZB 45/15

  • BVerfG 2015 lässt alle Rechtsfragen offen – es bleibt eine Einzelfallprüfung des Kindeswohls

    Der Fall:


    Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Kindesvater, Prof. Dr. G., vor allem dagegen, dass die Gerichte ihm kein paritätisches Umgangsrecht ("Wechselmodell") eingeräumt haben und beanstandet die zugrunde liegende Gesetzeslage.


    Das Kind wurde im September 2011 nichtehelich geboren. Es  lebt im Haushalt der Mutter, die die elterliche Sorge allein ausübt. Anträge des Vaters auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitssorge und der gemeinsamen elterlichen Sorge blieben erfolglos.


    Mit Beschluss vom 3. Mai 2013 regelte das Amtsgericht Potsdam den Umgang des Vaters mit dem Kind dergestalt, dass dieser in den geraden Kalenderwochen von Freitag 15 Uhr bis Montag 8:30 Uhr Umgang mit seinem Sohn haben soll. Außerdem regelte es die Urlaubsumgänge. Da das Verhältnis zwischen den Eltern hoch strittig sei, seien die Umgangswechsel so zu gestalten, dass Begegnungen zwischen den Eltern möglichst vermieden und Übergabesituationen auf ein Minimum reduziert würden.


    Auf die Beschwerde des Vaters änderte das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 13. November 2013 den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend ab, dass der Vater zusätzlich zu den 14tägigen Wochenend-Umgängen auch in den ungeraden Kalenderwochen jeweils von Donnerstag 15 Uhr bis Freitag 8:30 Uhr haben soll, und traf eine präzisere Ferien- und Feiertagsregelung.


     Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG allein und in Verbindung mit Art. 2, 3 und 18 des völkerrechtlichen Übereinkommens über die Rechte des Kindes (Convention on the Rights of the Child) vom 20. November 1989 (Zustimmungsgesetz, BGBl 1992 II S. 121 - im Folgenden: UN-Kinderrechtskonvention). Die aktuelle Gesetzeslage, die nach überwiegender Auffassung der Rechtsprechung die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells weder als Regelung des Umgangs noch des Aufenthaltsbestimmungsrechts zulasse, sei verfassungswidrig. Da das Elternrecht beiden Elternteilen gleichermaßen zustehe, bedürfe es einer gesetzlichen Regelung, die es den Gerichten ermögliche, ein Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils anzuordnen und damit rechtlich abzusichern, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspreche, hilfsweise ihm entspreche. Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, wonach die paritätische Betreuung dem Kindeswohl nicht entspreche, verstoße außerdem gegen Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GG, da sie auf pauschalen, nicht tragfähigen Behauptungen beruhe und die Gerichte sich nicht mit seinem Vortrag auseinandergesetzt hätten, wonach selbst in hochstrittigen Elternkonflikten das Wechselmodell dem Kindeswohl besser entspreche als das Residenzmodell.



    Das BVerfG:


    Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.


    (…) Ob der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überschritten und die Gesetzeslage damit verfassungswidrig wäre, wenn sie die gegen den Willen eines Elternteils getroffene Anordnung paritätischer Betreuung ausschlösse, bedarf hier ebenso wenig der Entscheidung wie die primär von den Fachgerichten zu klärende Frage, ob derzeit nach dem Fachrecht eine solche Anordnung - sei es im Wege sorgerechtlicher Regelung, sei es als umgangsrechtliche Regelung - ausgeschlossen ist (vgl. etwa OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. September 2014 - 6 UF 62/14 -, juris, Rn. 14; OLG Brandenburg, Beschluss vom 7. Juni 2012 - 15 UF 314/11 -, juris, Rn. 10, 17 ff.; KG, Beschluss vom 14. März 2013 - 13 UF 234/12 -, juris, Rn. 26; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2011 - 8 UF 189/10 -, juris, Rn. 17 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. März 2007 - 16 UF 13/07 -, juris, Rn. 17 ff.; Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags e. V., FamRZ 2014, S. 1157 [1163]; Coester, in: Staudinger, BGB (2009), § 1671, Rn. 23 und 261; Hennemann, in: Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl. 2012, § 1671, Rn. 91) oder nicht (vgl. etwa KG, Beschluss vom 28. Februar 2012 - 18 UF 184/09 -, juris, Rn. 11 [jedoch nur im Ausnahmefall]; OLG Braunschweig, Beschluss vom 3. April 2014 - 3 UF 6/14 -, juris, Rn. 17 ff.; AG Erfurt, Beschluss vom 1. Oktober 2014 - 36 F 1663/13 -, juris, Rn. 37 ff.; AG Heidelberg, Beschluss vom 19. August 2014 - 31 F 15/14 -, juris, Rn. 49 ff.; Sünderhauf, Wechselmodell: Psychologie - Recht - Praxis, 2013, S. 376 ff.). Denn das Oberlandesgericht hat die Anordnung eines paritätischen Umgangsrechts auch aus verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Gründen des Kindeswohls abgelehnt, welche die Entscheidung eigenständig tragen.


    Mangels Entscheidungserheblichkeit kann umgekehrt auch dahinstehen, ob die in den Ausführungen des Oberlandesgerichts anklingende Annahme zutrifft, die Anordnung paritätischer Betreuung gegen den Willen eines Elternteils komme mit Blick auf das Elterngrundrecht des sorgeberechtigten Elternteils verfassungsrechtlich von vornherein nicht in Betracht.


    (…)  Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei fehlender Einigkeit der Eltern eine paritätische Betreuung als Regelfall der Zuordnung von Rechten und Pflichten getrennter Eltern vorzusehen, besteht auch nicht aufgrund völkerrechtskonformer Auslegung des Grundgesetzes im Lichte der UN-Kinderrechtskonvention, weil sich daraus eine solche Verpflichtung nicht ergibt. (…) Bei Sorgerechtsentscheidungen nach § 1671 BGB beziehungsweise Umgangsregelungen nach § 1684 BGB können Gründe des Kindeswohls einer paritätischen Betreuung entgegenstehen.


    (…) Unabhängig davon, ob die in der angegriffenen Entscheidung anklingende Einschätzung des Oberlandesgerichts zutrifft, die Anordnung paritätischer Betreuung gegen den Willen eines Elternteils sei bereits von Verfassungs wegen ausgeschlossen, und ungeachtet der Frage, ob die Regelung der paritätischen Betreuung als Frage der elterlichen Sorge (so etwa OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. September 2014 - 6 UF 62/14 -, juris, Rn. 15; OLG Brandenburg, Beschluss vom 7. Juni 2012 - 15 UF 314/11 -, juris, Rn. 10, 17; KG, Beschluss vom 14. März 2013 - 13 UF 234/12 -, juris, Rn. 26; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2011 - 8 UF 189/10 -, juris, Rn. 14 ff.) oder als Umgangsregelung (so etwa OLG Naumburg, Beschluss vom 26. September 2013 - 8 UF 146/13 -, juris, Rn. 14 f.; KG, Beschluss vom 28. Februar 2012 - 18 UF 184/09 -, juris, Rn. 11; OLG Braunschweig, Beschluss vom 3. April 2014 - 3 UF 6/14 - juris, Rn. 17 ff.; AG Erfurt, Beschluss vom 1. Oktober 2014 - 36 F 1663/13 -, juris, Rn. 30, 35; AG Heidelberg, Beschluss vom 19. August 2014 - 31 F 15/14 -, juris, Rn. 50 ff.) einzuordnen ist, könnte über eine paritätische Betreuung des Kindes - die Möglichkeit dieser gesetzlichen Ausgestaltung unterstellt - nur nach der jeweiligen Lage des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Kindeswohls und unter Beachtung der berechtigten Interessen der Eltern und des Kindes sachgerecht entschieden werden. (…) Dass die angegriffenen Entscheidungen diesen Maßstäben nicht genügen, ist nicht zu erkennen. Eine paritätische Betreuung entsprach - deren rechtliche Möglichkeit unterstellt - nach den insoweit überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts im vorliegenden Fall nicht dem Kindeswohl. Das Oberlandesgericht hat dies plausibel damit begründet, dass aufgrund anhaltender Spannungen ganz erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Eltern bestünden und es ihnen trotz zahlreicher Versuche der Fachkräfte und Gerichte auch zwei Jahre nach ihrer Trennung nicht gelungen sei, sich auf professionell begleitete Elterngespräche zu verständigen. Es hat sich hierbei auf seine eigenen Wahrnehmungen im Anhörungstermin, auf die Berichte des Jugendamts und des Verfahrensbeistands sowie den Inhalt der beigezogenen Sorgerechtsakten gestützt. Die erheblichen Differenzen zwischen den Eltern werden darüber hinaus durch die im Verfahren eingereichten Schriftsätze beider Elternteile belegt. Soweit der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht vorhält, es habe weder festgestellt, worin das vermeintliche Konfliktpotenzial der Eltern bestehe, noch habe es das zeitweilige "nahezu reibungslose" Funktionieren einer im März 2012 getroffenen Umgangsregelung bis zum Umgangsantrag der Mutter im November 2012 berücksichtigt, widerspricht dies den Feststellungen der beigezogenen Beschlüsse des Sorgerechtsverfahrens. Diese benennen diverse, die Ausübung des Umgangs betreffende Streitigkeiten während des vom Beschwerdeführer genannten Zeitraums, die in einem Fall sogar zu einem Polizeieinsatz und in einem anderen Fall dazu führten, dass das Kind aufgrund des gegenseitigen Misstrauens der Eltern wegen derselben Erkrankung unnötig ein zweites Mal in einer Klinik vorgestellt wurde. Dies zeigt eindrücklich, dass die Eltern nicht in der Lage sind, ihr Kind aus ihrem Konflikt herauszuhalten, sondern dass sie dieses aktiv in ihre Streitigkeiten einbeziehen. Vor diesem Hintergrund ist die vom Oberlandesgericht getroffene Prognose, wonach sich das bereits hohe Konfliktpotenzial der Eltern bei Praktizierung des Wechselmodells weiter steigern würde, nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht hat dies im Übrigen mit dem noch jungen Alter des Kindes und dem eigentlichen Bestreben des Vaters, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind zu erlangen, begründet. Dass letzteres zu weiterem Konfliktstoff zwischen den Eltern führen würde, liegt auf der Hand. Gleiches gilt im Hinblick auf das Begehren des Vaters, das Kind während seiner Betreuungszeit in der Kindertagesstätte jederzeit zu sich nehmen zu dürfen. Denn damit zeigt er, dass er die von der Mutter getroffene Entscheidung, die Erziehungsangebote der Kindertagesstätte in dem von ihr gewünschten zeitlichen Umfang anzunehmen, nicht akzeptiert, was weiteres Konfliktpotenzial in sich birgt.


    Da es der prognostischen Einschätzung des Fachgerichts als Tatsachengericht obliegt, ob eine paritätische Betreuung mit Blick auf das Kindeswohl in Betracht kommt oder nicht, und die vorliegend getroffene Prognose des Oberlandesgerichts keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, kam es auf die abstrakte Behauptung des Vaters, das Wechselmodell sei nach dem Stand der psychologischen Forschung selbst in hochstrittigen Elternkonflikten gegenüber dem Residenzmodell die dem Kindeswohl förderlichere Betreuungsalternative, nicht an.


    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


     

    BVerfG, 24.06.2015 - 1 BvR 486/14

  • Europa 2015: Das Wechselmodell soll der gesetzliche Normalfall werden

    Europarat unterzeichnet Resolution zur Doppelresidenz als Standardmodell


    Am 02.10.2015 fand eine Sitzung der parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg statt. Alle Mitgliedsstaaten wurden aufgefordert, die Doppelresidenz/Wechselmodell, also die Betreuung von Trennungskindern durch beide Elternteile, als bevorzugtes anzunehmendes Modell im Gesetz zu verankern. Die Resolution wurde mit 46 Stimmen dafür: 0 Gegenstimmen und 2 Abwesenden einstimmig verabschiedet und soll von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.


    Wortlaut:


    Gleichheit und gemeinsame elterliche Verantwortung: die Rolle der Väter


    Parlamentarische Versammlung


    1. Die Parlamentarische Versammlung fördert konsequent die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz und im Privatbereich. Wesentliche Verbesserungen in diesem Bereich, auch wenn sie immer noch nicht ausreichend sind, können in den meisten Mitgliedsstaaten des Europarates beobachtet werden. Innerhalb der Familie muss die Gleichstellung von Eltern gewährleistet und gefördert werden, von dem Moment an, wo das Kind auf die Welt kommt. Die Beteiligung beider Eltern in ihrer Erziehung des Kindes ist von Vorteil für dessen Entwicklung. Die Rolle der Väter gegenüber ihren Kindern, ebenso kleinen Kindern, muss besser anerkannt und angemessener bewertet werden.


    2. Gemeinsame elterliche Verantwortung bedeutet, dass die Eltern bestimmte Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeiten gegenüber ihren Kindern haben. Tatsache ist jedoch, dass Väter manchmal mit Gesetzen, Praktiken und Vorurteilen konfrontiert werden, die dazu führen können, ihnen die dauerhafte Beziehung zu ihren Kindern vorenthalten. In seiner Resolution 1921 (2013) “Die Gleichstellung der Geschlechter, der Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben und gemeinsame Verantwortung”, fordert die Versammlung die Behörden der Mitgliedstaaten auf, das Recht der Väter zu respektieren, um die gemeinsame Verantwortung sicherzustellen, dass das Familienrecht im Falle einer Trennung oder Scheidung die Möglichkeit der gemeinsamen Obsorge im besten Interesse für die Kinder, auf der Grundlage gegenseitiger Vereinbarung zwischen den Eltern, sicherstellt.


    3. Die Versammlung möchte hierbei hervorheben, dass die Achtung des Familienlebens sowohl durch das Grundrecht der in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (ETS No. 5), sowie durch zahlreiche internationale Rechtsinstrumente, zu bewahren ist. Für jeden Elternteil und sein Kind ist die Möglichkeit, zusammen zu sein, ein wesentlicher Bestandteil des Familienlebens. Eltern-Kind-Trennung hat unheilbare Auswirkungen auf ihre Beziehung. Eine solche Trennung sollte nur von einem Gericht und nur unter außergewöhnlichen Umständen mit ernsten Risiken für das Wohl des Kindes angeordnet werden.


    4. Darüber hinaus ist die Versammlung überzeugt, dass die Entwicklung gemeinsamer Obsorge hilft, Geschlechterstereotypen in Bezug auf die Rolle von Frauen und Männern in der Familie zu überwinden, welche lediglich ein Spiegelbild der soziologischen Veränderungen darstellt, wie sie sich in den letzten fünfzig Jahren in Hinblick auf die Privat- und Familien-Sphäre entwickelt hat.


    5. Angesichts dieser Überlegungen fordert die Versammlung die Mitgliedstaaten auf:


    5.1. das Europäische Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten (ETS Nr 160) und das Übereinkommen über den Umgang mit Kindern (ETS Nr 192) zu unterzeichnen und / oder zu ratifizieren, wenn sie es nicht bereits getan haben,


    5.2. das Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, sofern sie es noch nicht gemacht haben, zu unterzeichnen und/ oder zu ratifizieren und diese in einer Form umzusetzen und zu implementieren, dass sichergestellt ist, dass jene Behörden, welche für die Durchsetzung zuständig sind, diesen umgehend nachkommen und sie befolgen.


    5.3. sicherzustellen, dass die Eltern die gleichen Rechte gegenüber ihren Kindern nach dessen Rechtsvorschriften und Verwaltungspraxis haben, und jedem Elternteil das Recht garantieren, informiert zu werden, und ein Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen, die das Leben und die Entwicklung ihres Kindes beeinflussen, im besten Interesse des Kindes zu erhalten.


    5.4. von ihren Gesetzen jede Benachteiligung zu entfernen, die auf dem Familienstand der Eltern basiert, die ihr Kind anerkannt haben;


    5.5. in ihre Gesetze den Grundsatz der Doppelresidenz (Wechselmodell) nach einer Trennung einzuführen, und Ausnahmen ausschließlich auf Fälle von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung, oder häuslicher Gewalt einzuschränken, mit jener Zeitaufteilung, in der das Kind mit jedem Elternteil lebt, die entsprechend den Bedürfnissen und Interessen des Kindes angepasst sind;


    5.6. respektieren das Recht der Kinder in allen Angelegenheiten angehört zu werden, die sie betreffen, wenn sie ein ausreichendes Verständnis für die betreffenden Fragen besitzen;


    5.7. berücksichtigen die geteilte Betreuung bei der Vergabe von Sozialleistungen;


    5.8. setzen alle erforderlichen Schritte um, damit Entscheidungen in Bezug auf den Wohnsitz der Kinder und deren Zugang zu diesen Rechten voll durchgesetzt werden, inklusive dem Nachgehen von Beschwerden bezüglich Behinderung der Kindesübergaben;


    5.9. Mediation im Rahmen der juristischen Familienverfahren, die Kinder involvieren, zu fördern, insbesondere durch die Einführung einer gerichtlich angeordneten Pflicht der Informationsberatung, um die Eltern aufzuklären, dass die Doppelresidenz (Wechselmodell) eine sinnvolle Option im besten Interesse des Kindes darstellt, und eine solche Lösung zu erarbeiten, indem sichergestellt wird, dass die Mediatoren eine angemessene Schulung erhalten und durch die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit auf der Grundlage des “Cochemer Modells ” trainiert sind


    5.10. stellen sicher, dass alle Fachkräfte, die während des Familien-Gerichtsverfahrens in Kontakt mit Kindern kommen, die notwendige interdisziplinäre Ausbildung auf die spezifischen Rechte und Bedürfnisse von Kindern der verschiedenen Altersgruppen besitzen, wie auch sonst bei allen Verfahren, in die Kinder involviert sind, den Leitlinien des Rates für eine kinderfreundliche Justiz entsprechen;


    5.11. Elternschaftspläne zu fördern, die Eltern ermöglichen, die wichtigsten Aspekte, die das Leben der Kinder betreffen, selbst zu bestimmen und die Einführung der Möglichkeit für Kinder, eine Überprüfung der Vereinbarungen, die sie selbst betreffen, zu überprüfen bzw. zu bewerten, insbesondere ihrem Wohnort;


    5.12. bezahlten Elternurlaub für Väter einzuführen, wobei ein Modell der nicht übertragbaren Karenzzeiten zu bevorzugen ist.

  • BGH 2014: Außergewöhnlich viel Umgang ist doch unterhaltsrelevant

    Wenn es kein "echtes Wechselmodell" ist, sondern nur 51:49 (wie immer man das zählt) oder der barunterhaltspflichtige Elternteil ein Umgangsrecht wahrnimmt, das weit über das übliche Maß hinausgeht, können die außergewöhnlich hohen Aufwendungen, die als reiner Mehraufwand für die Ausübung des erweiterten Umgangsrechts entstehen, dem Unterhaltsanspruch des Kindes nicht als bedarfsdeckend entgegengehalten werden (vor allem Fahrt- und Unterbringungskosten). Der Tatrichter kann die hohen Aufwendungen aber als Anlass dafür nehmen, den Barunterhaltsbedarf des Kindes um eine oder mehrere Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle herabzustufen.  


    Der auf diesem Weg nach den Tabellensätzen der Düsseldorfer Tabelle ermittelte Unterhaltsbedarf kann (weitergehend) gemindert sein, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil dem Kind im Zuge seines erweiterten Umgangsrechts außerdem Leistungen erbringt, mit denen er den Unterhaltsbedarf des Kindes auf andere Weise als durch Zahlung einer Geldrente teilweise deckt.


    BGH-Beschluss vom 12.3.2014 - XII ZB 234/13


  • BVerwG 2014: 2x Beamten-Familienzuschlag im Wechselmodell

    Bei geschiedenen Beamten, deren Kind bei beiden Elternteilen zu gleichen Anteilen im wöchentlichen Wechsel wohnt, kann der jeweils entstehende Mehrbedarf die Gewährung des vollen kinderbezogenen Familienzuschlags rechtfertigen.


    BVerwG 27.3.2014 - 2 C 2.13


    Bitte beachten Sie: das Besoldungsrecht ist Ländersache. Die Länder können sich eigene Landesbesoldungsgesetze geben.


  • AG Hannover 2014: Kürzung von Wechselmodell auf Umgang ist ungeeignet, um Elternstreit beizulegen

    Die Beendigung eines Wechselmodell ist nicht geeignet, um das  Konflikt- und Manipulationsverhalten von Eltern positiv zu beeinflussen - und kann daher trotz solcher Konflikte bestehen bleiben, ohne dass das Kindeswohl gefährdet ist.


    Der Fall:


    2013 war dem Kindesvater das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder übertragen worden. In der Folgezeit haben die Eltern das Wechselmodell praktiziert, bis der Kindesvater dieses im Januar 2014 kurzfristig aufgekündigt und der Kindesmutter ein Umgangsrecht von donnerstags nach der Schule/dem Kindergarten bis Montagmorgen eingeräumt hat. Er sieht das Wechselmodell als gescheitert an, da die Konflikte zwischen den Eltern zu hoch seien.


    Die Kindesmutter manipuliere die Kinder gegen ihn und zerstöre ihr Verhältnis zum Vater. Das Verhalten der Kindesmutter sei kindeswohlgefährdend, deshalb müsse ihr Einhalt geboten werden.


    Es müsse ein Umgang vereinbart werden, der die Kinder dem negativen Einfluss der Mutter zumindest in der langen Dauer entzieht.


    Aus den Gründen:


    Das Gericht verkennt nicht das – weiterhin – hohe Konfliktverhalten der Eltern untereinander; im Gegenteil, dieses wurde in der mündlichen Verhandlung nochmals mehr als deutlich. (...) Nach Überzeugung des Gerichts – die vom Verfahrensbeistand und dem Jugendamt geteilt wird – ist der Konflikt der Eltern nicht über die (Neu-)Verteilung von Betreuungszeiten auflösbar. Die vom Vater behauptete negative Beeinflussung der Kinder durch die Mutter bleibt unberührt von der Aufenthaltsdauer der Kinder bei ihr.(...) Abschließende Regelungen bleiben dem von der Kindesmutter eingeleiteten Hauptsacheverfahren vorbehalten.


    Hinweis:


    Es handelte sich um ein Eilverfahren, in dem das Gericht eine höhere rechtliche Hürde hätte überwinden müssen ("dringendes Regelungsbedürfnis"), um die langjährige Praxis des Wechselmodells zu beenden.


    AG Hannover - 618 F 491/14 - vom 10.02.2014

  • OLG Karlsruhe 2013: Räumliche Distanz als Herausforderung: Ungewöhnliches Umgangs-Modell

    Lesenswert: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.11.2013 - Aktenzeichen 5 UF 27/13:


    Ein Umgang von einer Woche jeden Monat kann auch gegen den Willen eines Elternteils dem Kindeswohl entsprechen.


  • BVerwG 2012: kein Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt im Wechselmodell

    Im vom BVerwG entschiedenen Fall lebten die beiden Kinder nur kurz – drei Monate – im Wechselmodell. In dieser Zeit bekam der Vater UVG-Leistungen (Unterhaltsvorschuss). Er hatte angegeben, die Kinder würden bei ihm leben und die Mutter besuchen. Das Jugendamt forderte die UVG-Leistungen voll zurück, als es vom Wechselmodell erfuhr – mit Recht, so das BVerwG:


    „Durch das UVG wollte der Gesetzgeber den Schwierigkeiten begegnen, die alleinstehende Elternteile und ihre Kinder haben, wenn sich ein Elternteil den Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind entzieht, hierzu ganz oder teilweise nicht in der Lage ist oder ein Elternteil verstorben ist (BT-Drs. 8/1952, S 1). (…)


    Ein Kind lebt i.S.d. §1 Abs.1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des UVG entsprechend ist das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhalts-gewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind – wie hier die Kinder des Klägers – regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des UVG, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt“ als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem UVG zu gewähren.


    Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen.“


    BVerwG Urteil vom 11.10.2012 – BVerwG 5 C 20.11

  • BSozG 2009: Wechselmodell und Hartz IV - Alleinerziehenden-Mehrbedarf?

    Der Fall: Die Mutter war Hartz-IV-Bezieherin, lebte mit ihrem Kind getrennt von dessen Vater und bekam als Alleinerziehende den Mehrbedarf nach § 23 Absatz 3 SGB II. Sodann traf sie mit dem Vater des Kindes eine Elternvereinbarung, aufgrund der das Kind im wöchentlichen Wechsel zwischen den beiden Haushalten pendelte. Ihr wurde der Alleinerziehenden-Freibetrag gestrichen. Sie klagte dagegen mit dem Antrag, dass ihr der Mehrbedarf zumindest zur Hälfte zustehe. Das Bundessozialgericht gab ihr Recht.


    Die Entscheidung:

    Das Bundessozialgericht führte zum Zweck des Mehrbedarfs aus:

    Alleinerziehende haben wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit, preisbewusst einzukaufen und müssen zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen. Alleinerziehende mit noch nicht schulpflichtigen Kindern sind zudem weniger mobil, müssen die nächstgelegen Einkaufsmöglichkeit nutzen und haben ein höheres Informations- und Kontaktbedürfnis.

    Zweck des Mehrbedarfs ist es deshalb, den höheren Aufwand des allein erziehenden Elternteils für die Versorgung und Pflege beziehungsweise Erziehung der Kinder etwa wegen geringer Beweglichkeit und zusätzlichen Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter in pauschalierter Form auszugleichen.

    Im vorliegenden Fall des wöchentlichen Betreuungswechsels tritt nach Ansicht des Bundessozialgerichts in derjenigen Woche, in der sich das Kind der klagenden Mutter bei dem Vater aufhält, keine finanzielle oder sonst wie geartete Entlastung in einem Umfang ein, dass die Zuerkennung eines Mehrbedarfs nicht gerechtfertigt wäre. Während des jeweils eine Woche umfassenden Zeitraums der Betreuung des Kindes durch die Mutter sorgt diese allein für seine Pflege und Erziehung. Ihr entstehen während dieses Zeitraums infolge der Sorge für das Kind die dem pauschalierten Mehrbedarf zugrunde liegenden erhöhten Aufwendungen Eine finanzielle Entlastung tritt insoweit nicht ein, weil sich die Eltern die Kosten nach der getroffenen Vereinbarung in etwa hälftig teilen. In der Betreuungswoche wirkt sich die fehlende Arbeitsteilung mit einem Partner nach wie vor erheblich aus. Die erhöhten Aufwendungen, zum Beispiel für kostenaufwändigere Einkäufe und die Kosten der Kinderbetreuung zur Aufrechterhaltung der Außenkontakte, lassen sich in Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich das Kind mindestens eine Woche bei dem einen, die andere Woche bei dem anderen Elternteil aufhält, nicht außerhalb der Betreuungszeit im erforderlichen Umfang kompensieren.

    Daher hält es das Bundessozialgericht für geboten, in Fällen der vorliegenden Art den Mehrbedarf zur Hälfte anzuerkennen. Denn es könne nicht außer Acht gelassen werden, dass die klagende Mutter durch das Wechselmodell während des anderen Zeitraums, in dem der andere Elternteil für die Pflege und Erziehung des Kindes sorgt, keinen erhöhten Aufwendungen ausgesetzt sei.

    Das Bundessozialgericht weist daraufhin, dass die vorstehenden Überlegungen nach seiner Ansicht nicht auf Fälle zu übertragen sind, bei denen tatsächlich ein abweichender Anteil an Betreuungsleistungen praktiziert wird. Ist ein Elternteil in geringerem als hälftigem zeitlichen Umfang für die Pflege und Betreuung des Kindes zuständig, so steht der Mehrbedarf allein dem anderen Elternteil zu. Die Zuerkennung des hälftigen Mehrbedarfs erscheint dem Bundessozialgericht aufgrund seiner Überlegungen auch nicht gerechtfertigt, wenn sich die Betreuung in kürzeren als wöchentlichen Intervallen vollzieht.


    Die Bedeutung für andere Fälle:


    Die Entscheidung hat nicht zwingend für alle Formen von Wechselmodellen Bedeutung. Entschieden wurde nur der Fall, in dem das Kind immer mindestens eine Woche am Stück bei einem lebt. Sind die Intervalle des Wechselns kürzer, lebt das Kind beispielsweise von Montag bis Donnerstagmittag bei der Mutter und von Donnerstagmittag bis Sonntag beim Vater, bekommen die Eltern den Mehrbedarf vielleicht nicht. Voraussetzung ist immer, dass sich die Eltern die Betreuung des Kindes und die Kosten in etwa gleichmäßig teilen. Wenn ein Elternteil weniger als die Hälfte der Zeit für die Pflege und Betreuung des Kindes zuständig ist, steht der Mehrbedarf nach Ansicht des Bundessozialgerichts allein dem anderen Elternteil zu.


    Bundessozialgericht - Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 50/07


  • Link-Empfehlung: Projektgruppe Doppelresidenz

    Die Projektgruppe "Doppelresidenz" ist ein interdisziplinäres, vereins- und länderübergreifendes Netzwerk aus ProjektpartnerInnen von Professionen und Vereinen der Nachtrennungsthematik, sowie engagierten Einzelpersonen.


    Auf der Seite www.doppelresidenz.org finden sich wissenschaftliche Veröffentlichungen, Gerichtsentscheidungen und viel Argumentationsstoff.


  • Wechselmodell zum Weiterlesen in der FamRZ:

    „Kindesunterhalt und Wechselmodell – Eine vergleichende Perspektive“ von Dethloff und Kaesling in FamRZ 2018, 73


    „Alternativentwurf eines Finanzierungsmodells bei Wechselbetreuung eines Kindes“ von Spangenberg in FamRZ 2017, 1383


    „Das Wechselmodell“ von Wohlgemuth in FamRZ 2017, 676


    „Die Unterhaltsrente im Wechselmodell – ein systemwidriges Danaergeschenk?“ von Maaß in FamRZ 2017, 673


    „Wechselmodell ohne Barunterhaltspflicht?“ von Spangenberg in FamRZ 2016, 1426


    „Wechselmodell ohne Barunterhaltspflicht!“ von Maaß in FamRZ 2016, 1428


    „Wechselmodell in der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe“ von Christl in FamRZ 2016, 959

  • Deutscher Juristinnenbund zum Wechselmodell

    In seiner Pressemitteilung vom 15.6.2018 hat der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) zum Wechselmodell Stellung genommen, insbesondere zu den aktuellen Forderungen, das Wechselmodell als Leitbild oder als gesetzlichen Regelfall festzuschreiben. Laut djb-Präsidentin Prof. Dr. Maria Wersig sei das Wechselmodell als Regelvorgabe „keine Lösung“. Zwar könne auch in Konfliktfällen eine gemeinsame Betreuung gerichtlich angeordnet werden; entscheidend sei im Streitfall aber allein das Kindeswohl.


    Es gebe aber keine zuverlässigen Studien, ob und unter welchen Bedingungen Wechselmodelle dem Kindeswohl entsprechen, etwa inwieweit Kinder die gemeinsame Betreuung durch beide Elternteile in zwei verschiedenen Wohnungen und die damit verbundenen häufigen Wechsel vom einen Haushalt in den anderen dauerhaft mittragen. Gleiches gelte für die Frage, ob sich ein etwaiger Wunsch ab einem bestimmbaren Alter erschöpft. Häufig zeigten sich erst in der praktischen Umsetzung dieses Betreuungsmodells dessen tatsächliche Defizite.


     

    Unterhalt und Existenzsicherung stehen zur Diskussion


    Weiter heißt es in der Pressemitteilung, dass die Frage des Unterhalts und dessen Durchsetzung derzeit nicht zufriedenstellend gelöst ist. Das Wechselmodell dürfe nicht als Geschenk an den barunterhaltspflichtigen Elternteil, in der Regel noch immer der Vater, missverstanden werden. Das Unterhaltsrecht biete zahlungsunwilligen Unterhaltsverpflichteten derzeit Anreize, sich über das Wechselmodell ihren Unterhaltspflichten zu entziehen, ohne echte Erziehungsverantwortung übernehmen zu wollen. Entscheidend sei, den Bedarf des Kindes sicherzustellen und abzudecken. Allein die Betreuung genüge nicht.


    Besonders deutlich werde diese Problematik in den Fällen, in denen ein oder beide Elternteile Arbeitslosengeld II beziehen. Unterhalts- und Existenzsicherungsrecht müssen gemeinsame Betreuungsmodelle (bis hin zum Wechselmodell) ermöglichen, so der djb. Dabei müsse der Bedarf von Kindern, die zwischen zwei Haushalten pendeln, verlässlich abgesichert werden. Nicht das Wechselmodell stehe also zur Diskussion, sondern Unterhalt und Existenzsicherung. "Der Gesetzgeber ist gefordert, Mütter und Väter, die trotz Trennung gemeinsame Sorgeverantwortung übernehmen wollen, zu unterstützen und entsprechende für die Kinder passende Rahmenbedingungen zu gewährleisten," so die Präsidentin des djb.


     

    Anhörung von Sachverständigen zum Wechselmodell


    Am 15.3. stand das Thema „Familienrechtliches Wechselmodell als Regelfall“ auf der Tagesordnung der 20. Bundestagssitzung. Das Plenum beriet über einen Antrag der FDP-Fraktion „Getrennt leben – Gemeinsam erziehen: Familienrechtliches Wechselmodell als Regelfall einführen“ (19/1175) sowie einen Antrag der Fraktion DIE LINKE „Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellen – Keine Festschreibung des Wechselmodells als Regelmodell“ (19/1172). Bei der Debatte zeigte sich, dass alle Parteifraktionen eine gesetzliche Regelung des Wechselmodells begrüßen. Bis auf die FDP lehnten aber alle die Festschreibung des Wechselmodells als Regelfall ab.


    Laut djb hat der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz in seiner 13. Sitzung am 6.6.2018 nun auch beschlossen, eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Wechselmodell durchzuführen.



    Quelle: djb-Pressemitteilung vom 15.6.2018


  • OLG Brandenburg 2010: beiden wird das Sorgerecht entzogen

    Das OLG Brandenburg entwickelt sich zum Vorreiter eines strengen Umgangs mit Eltern, die ihr Kind in Loyalitätskonflikte stürzen. In der Familiensache 13 WF 78/10 stritten sich beide so sehr, dass für beide der Schuss nach hinten losging:


    Beiden wurde das Sorgerecht (Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht der Gesundheitssorge, Recht, Anträge auf Hilfe zur Erziehung zu stellen und das Recht zur Schulwahl) entzogen.


    Auch ein Aachener Fall ist mir bekannt, wo das Familiengericht nach etlichen Verfahren zwischen den Eltern die Reißleine zog und das Jugendamt zum Vormund  bestellte.

  • OLG Hamm 2017: Zulässigkeit der Beschwerde der Eltern gegen die Anordnung der Ergänzungspflegschaft zur Geltendmachung von Kindesunterhalt im Rahmen eines Wechselmodells

    Die Anordnung der Ergänzungspflegschaft zur Geltendmachung von Kindesunterhalt beim Wechselmodell ist mangels Beschwerdebefugnis nicht durch die Eltern angreifbar. Grundsätzlich steht den sorgeberechtigten Eltern gegen die Anordnung der Ergänzungspflegschaft ein eigenes Beschwerderecht zu, weil dadurch in ihr Sorgerecht eingegriffen wird (vgl. u.a.: OLG München FamRZ 2016,  1288 ; Meyer-Holz in: Keidel, 19. Auflage § 59 Rn. 70 m.w.N.). Allerdings steht dem Antragsgegner als Vater hier ohnehin nicht das Recht zu, die Kinder nach §  1629  Abs.  2  S. 2  BGB  zu vertreten. Die Eltern üben das paritätische Wechselmodell aus. In diesem Fall fehlt es aber verfahrensrechtlich an einer "Obhut" im Sinne von §  1629  Abs.  2  S. 2  BGB . Dies hat zur Folge, dass keiner der Eltern Kindesunterhaltsansprüche gegen den anderen geltend machen kann (vgl. u.a.: BGH FamRZ 2006,  1015 ; OLG Köln FamRZ 2015,  859 ; OLG Celle FamRZ 2015,  1210 ; Viefhues in: jurisPK, 8. Auflage Rn. 33f m.w.N.). Die Anordnung der Ergänzungspflegschaft zur Durchsetzung von Kindesunterhalt greift daher nicht in eine Rechtsposition des Antragsgegners ein.


    OLG Hamm, Beschluss vom 07.06.2017 - Aktenzeichen 10 UF 68/17


    Hinweis: Anders wäre es, wenn im Beschwerdeverfahren nachgewiesen werden könnte, dass es sich „nur“ um erweiterten Umgang handelt, nicht um ein echtes Wechselmodell, vgl. OLG Köln 10 UF 5/16 (nicht veröffentlicht)

  • Wechselmodell und Schülerfahrtkosten

    Das „Wechselmodell“ stößt in der rechtlichen Praxis immer wieder an Grenzen. Zum Beispiel bei den Schüler-Fahrtkosten. Selbst wenn ein Schüler wochenweise seinen Lebensmittelpunkt bei Mutter und Vater wechselt, bekommt er die Schülerfahrkarte nur für den Hauptwohnsitz (melderechtlich) erstattet.


    Der Fall: Die Mutter wohnt nah am Gymnasium, der Vater weiter weg. Mit Hauptwohnsitz gemeldet war der Gymnasiast bei der Mutter, obgleich er wöchentlich pendelte. Das Einwohnermelderecht sieht keine zwei gleichberechtigten Hauptwohnsitze vor. Das Verwaltungsgericht traf die Entscheidung, die Stadt müsse die Hälfte der Fahrtkosten übernehmen.


    Das Urteil: Das OVG Rheinland-Pfalz in Koblenz hat das Urteil jedoch abgeändert und die Klage abgewiesen. Für die Länge des Schulwegs sei allein die Hauptwohnung im melderechtlichen Sinne maßgebend, so dass eine anteilige Fahrkostenerstattung auch dann ausscheide, wenn ein Schüler tatsächlich gleichermaßen bei beiden Elternteilen wohne. Schon aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen des Landesschulgesetzes ergebe sich, dass für die Übernahme der Schülerfahrkosten nur eine Wohnung zu berücksichtigen sei. Hierbei könne es sich nach Sinn und Zweck der Vorschriften nur um die Hauptwohnung im melderechtlichen Sinne handeln. Unnötiger Verwaltungsaufwand werde durch die Anlehnung an das Melderecht vermieden.


    Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Juni 2011, Aktenzeichen: 2 A 10395/11



    Anmerkung: Die Stadt Aachen pflegt offenbar - ein Fall ist mir bekannt - die freundliche Praxis, beim Wechselmodell auch dann ihren vollen Beitrag zum School-and-Fun-Ticket der Aseag zu leisten, wenn ein Elternteil "zu nah" an der Schule wohnt und das Kind ausgerechnet dort gemeldet ist. Das ist sinnvoll, da es kein Ticket gibt, das nur die Teile eines Monats gilt, die das Kind sich beim weiter entfernt Wohnenden aufhält.


  • Grenzüberschreitendes Wechselmodell - VG Aachen verpflichtet das Land NRW dazu, eine Ausnahmegenehmigung zum Besuch einer Schule in den Niederlanden zu erteilen

    Der Fall: Bis zur Scheidung ihrer Eltern hat die 12jährige ununterbrochen in den Niederlanden gelebt und dort die achtjährige Basisschool nahezu durchlaufen. Seit der Trennung der Eltern lebt sie wöchentlich von mittwochs bis freitags und alle zwei Wochen zusätzlich von freitags bis montags bei ihrem Vater in den Niederlanden.


    Gemeldet ist sie bei der Mutter in Deutschland. International gibt es nicht die Möglichkeit eines zweiten Wohnsitzes in den Niederlanden.


    Das Problem: Nach dem nordrhein-westfälischen Schulgesetz ist die Schulpflicht durch den Besuch einer deutschen Schule zu erfüllen.


    Die Entscheidung: Hier liege aber ein wichtiger Grund für eine Ausnahme vor. Die Schülerin besitze neben der deutschen auch die niederländische Staatsangehörigkeit. Ihr Vater sei Niederländer.


    Von Bedeutung sei auch die „Gemeinsame Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung von schulischen Bildungsabschlüssen und Berechtigungen zwischen dem Königreich der Niederlande und dem Land NRW“. Darin werde das außerordentliche Interesse beider Seiten betont, in einem zusammenwachsenden Europa die Mobilität von Schülern und deren Familien durch eine Vereinfachung der Anerkennung schulischer Bildungsabschlüsse und eine Erleichterung des Wechsels zwischen den unterschiedlichen Schulsystemen zu fördern. Das niederländische Havo-Diplom, das die Schülerin anstrebe, entspreche der deutschen Fachhochschulreife.


    Quelle: (VG Aachen 19.5.15, 9 K 2036/14) - Pressemitteilung des VG Aachen vom 3.6.15

  • Leitlinien des OLG Köln zum 50:50-Wechselmodell



    12.3 Beiderseitige Barunterhaltspflicht/Haftungsanteil

    Sind bei (...)  Praktizierung eines echten Wechselmodells (Betreuung 50:50) beide Eltern zum Barunterhalt verpflichtet, haften sie anteilig nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB für den Gesamtbedarf (vgl. Nr.13.3). 


    (...)


    13.3 Beiderseitige Barunterhaltspflicht

    Bei anteiliger Barunterhaltspflicht ist vor Berechnung des Haftungsanteils nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB das bereinigte Nettoeinkommen jedes Elternteils gem. Nr. 10 zu ermitteln. Hiervon ist bei Unterhaltsansprüchen nicht privilegierter volljähriger Kinder ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts (1.300 € Stand 01/2017) abzuziehen.



    Der Haftungsanteil nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB errechnet sich nach der Formel:

    Bereinigtes Nettoeinkommen eines Elternteils (N1 oder N2) abzüglich 1.300 € mal (Rest-)Bedarf gemäß 13.1./13.2. (R), geteilt durch die Summe der bereinigten Nettoeinkommen beider Eltern (N1 + N2) abzüglich 2.600 (=1.300+ 1.300) €.

    Haftungsanteil Elternteil 1 = (N1 – 1.300) x R : (N1 + N2 – 2.600).



    Der so ermittelte Haftungsanteil ist auf seine Angemessenheit zu überprüfen und kann bei Vorliegen besonderer Umstände (z.B. behindertes Kind) wertend verändert werden.

    Bei volljährigen Schülern, die in § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB minderjährigen Kindern gleichgestellt sind, wird der Sockelbetrag bis zum notwendigen Selbstbehalt (880€/1.080 €) herabgesetzt, wenn der Bedarf der Kinder andernfalls nicht gedeckt werden kann. 



Projektgruppe Doppelresidenz



In der Diskussion um die Doppelresidenz / das Wechselmodell gibt es häufig Missverständnisse, Unsicherheiten, Befürchtungen oder auch unberechtigte Fehlannahmen, die als Totschlagargumente benutzt werden.


Die Projektgruppe Doppelresidenz hat daher folgend am häufigsten diskutierte Punkte im


Vorurteile-Faktencheck

zusammengetragen:


Vorurteil: Die Eltern müssen nahe beieinander wohnen
Dies ist in der Regel richtig, denn die Kinder sollen von beiden Wohnorten der Eltern ihr soziales Umfeld wie Kita, Schule oder Freunde erreichen können. Wie weit nah ist, hängt vom Einzelfall ab. Auf dem Land, wo man häufig sowieso weiter fährt kann dies weiter sei als in einer Großstadt.

Vorurteil: Die vielen Wechsel belasten die Kinder
Kinder wechseln in JEDEM Betreuungsmodell, jeder Wechsel stellt eine Anpassungsleistung der Kinder dar. Es ist also keine Besonderheit der Doppelresidenz.
Je länger die Kinder bei jedem Elternteil sind, desto besser können die Kinder „ankommen“, ein Zustand, den Kinder im Residenzmodell häufig kaum erreichen, wenn sie nur für zwei oder drei Tage am Wochenende beim Elternteil sind.
Dazu kommt: häufig finden im Residenzmodell mit erweitertem Umgang MEHR Wechsel statt als im Wechselmodell mit wöchentlichen Wechseln. siehe Warum Doppelresidenz?
Was in dieser Diskussion im Übrigen überhaupt nicht beachtet wird: Kinder wechseln permanent von einem Elternteil in die Schule, in die Kita oder die kleinsten schon zur Tagesmutter, also in Systeme, die ihnen deutlich ferner sind als der eigene Elternteil.

Vorurteil: Die Eltern müssen gut kommunizieren können
Kommunizieren müssen die Eltern in JEDEM Betreuungsmodell. In der Doppelresidenz ist es nicht mehr als im Residenzmodell. Unter Umständen sogar weniger, da beide Eltern im Alltag des Kindes erfahren und involviert sind.
Gibt es Probleme in der Kommunikation zwischen den Eltern, dann ist es lediglich eine Frage der Ausgestaltung, was die Eltern leisten können: ein Umgangsbuch, ein Austausch per Email und Übergaben über Schule und Kita können Eltern und Kinder entlasten. siehe
Kein Grund ist es, nicht kommunizieren zu WOLLEN, denn dies ist jeder Elternteil SEINEM KIND schuldig. In solch einem Fall müsste ansonsten die Erziehungsfähigkeit des verweigernden Elternteils hinterfragt werden.

Vorurteil: Streit schadet den Kindern
Das ist grundsätzlich richtig, gilt aber auch für JEDES Betreuungsmodell und auch bei zusammenlebenden Eltern. In der Doppelresidenz sind Kinder allerdings weniger belastet als im Residenzmodell, Kinder sind besser vor dem Verlust eines Elternteils (Eltern-Kind-Entfremdung) geschützt. siehe hierzu unseren Blog-Eintrag.
Damit es den Kindern bessergeht, müssten die Eltern ihren Streit beilegen. Das Alleinerziehenden-Residenzmodell ist allerdings das streitförderndste Betreuungsmodell. In der Doppelresidenz gibt es häufig weniger und vor allem weniger langanhaltende Streitigkeiten.
Die Doppelresidenz ist also im Falle von Streit der Eltern die am wenigsten schädliche Betreuungsform. Den Streit zu beenden ist dann Aufgabe und Verantwortung der Eltern. siehe auch - Praxistipp: Doppelresidenz und Streit der Eltern

Vorurteil: Das Wechselmodell / die Doppelresidenz ist ein Unterhalts-Sparmodell
Kinderzimmer, Kleidung, Essen, Urlaub, Freizeitaktivitäten – all dies kostet und schränkt auch in den beruflichen Möglichkeiten ein. Dies kennen nicht nur Alleinerziehende, sondern auch mitbetreuende Eltern, deren Aufwand bisher aber unterhaltsrechtlich in keiner Weise anerkannt wird. Diese mitbetreuenden Eltern entlasten gleichzeitig auch den anderen Elternteil, ohne hierfür einen finanziellen Ausgleich zu erhalten. Das Problem im Unterhaltsrecht: wer weniger als 50% der Zeit betreut, zahlt doppelt, nämlich für das Leben in BEIDEN Haushalten.
Bei der Doppelresidenz wird ein Elternteil zeitlich und finanziell entlastet, während der andere sich zeitlich und finanziell einschränkt. Sparen tut der sich einschränkende Elternteil also nichts.
Ein tatsächliches Unterhaltssparmodell im (noch geltenden) deutschen Unterhaltsrecht ist, sich überhaupt nicht um sein Kind zu kümmern und dem anderen Elternteil die Betreuungsverantwortung allein zu überlassen – mit allen negativen Auswirkungen für den betreuenden Elternteil und das Kind.

Vorurteil: Dann könnte man ja jede zweite Woche nicht arbeiten gehen? Welcher Arbeitgeber sollte so etwas mitmachen?
Mit dieser Fehlannahme argumentierte selbst unsere Bundesjustizministerin Katarina Barley in ihrem Interview in den Tagesthemen am 13.02.2019. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass Alleinerziehende heutzutage überhaupt nicht arbeiten würden, was natürlich nicht stimmt. Kita, Hort und ähnliche Betreuungseinrichtungen stehen in immer größerem Umfang zur Verfügung.
Sicherlich schränkt die Betreuung der Kinder in gewisser Weise auch ein: Dienstreisen, Nachtschichten oder lange Arbeitszeiten sind in der Kinderwoche z.B. nicht oder nur eingeschränkt möglich, lassen sich aber häufig planen. In der kinderfreien Zeit haben dann aber BEIDE Eltern die Möglichkeit, sich beruflich stärker zu engagieren – echte Chancengleichheit für Mütter und Väter im Beruf und für Arbeitgeber ein Signal, dass Mütter und Väter das gleiche Karriererisiko darstellen, also auch von Anfang an gleiche Chancen erhalten können.
Und weitere Vorteile für Eltern und Arbeitgeber: die Mitarbeiter können flexibler werden, wenn ein zweiter Elternteil grundsätzlich als „backup“ zur Verfügung steht, um bei dringenden Terminen mal mit einzuspringen. Je flexibler hier die Eltern sind, desto mehr profitieren sie selbst davon. Es kann ein gegenseitiges Geben-und-nehmen sein. Und für Arbeitgeber ist es dann letztendlich egal, ob sie Mutter oder Vater fördern - beide Eltern stellen das gleiche "Risiko" für den Arbeitgeber dar. Die Doppelresidenz kann ein echter Beitrag zur Chancengleichheit auch im Beruf sein.
 
Vorurteil: Die Doppelresidenz belastet finanziell vor allem Alleinerziehende Mütter
Alleinerziehend gilt neben Kinder kriegen heute als eines der höchsten Armutsrisiken. Minijob, Teilzeitfalle, geringere Karrierechancen für einen Elternteil, meist die Mütter. Dazu kommt: der Kindesunterhalt ist nur für das Kind gedacht, erwirtschaftet keine Rentenanwartschaften, gleich keine Karriereeinbußen aus. Alleinerziehende werden vor allem dadurch belastet, dass sie ALLEINE die Verantwortung tragen wollen oder müssen. Das Armutsrisiko liegt in der Versorgung und Betreuung der Kinder.
Genau dieses Risiko würde mit der Doppelresidenz auf beide Eltern verteilt werden. Gerade nach einer Trennung wäre es daher für die bisher vielleicht weniger arbeitende Mutter elementar wichtig, so schnell wie möglich wieder eigene Erwerbseinkünfte zu erlangen, um möglicherweise vorhandenen Einbußen in der Erwerbshistorie aufzuholen.
Der beste Schutz vor einseitiger Armut und Karriereeinbußen ist allerdings die gemeinsame Elternschaft von Anfang an und im gesamten Lebensverlauf – auch nach einer Trennung.

Download: Broschüre Doppelresidenz Stand März 2018

Europa hat schon 2015 das Wechselmodell als gesetzlichen Normalfall verabschiedet - Deutschland setzt das bisher nicht um

Die parlamentarische Versammlung des Europarates in Straßburg hat am 2.10.2015 die Resolution 2079 (2015) über die Rolle der Väter in der Erziehung der Kinder unterzeichnet.


Alle Mitgliedsstaaten wurden aufgefordert, die Doppelresidenz/Wechselmodell, also die Betreuung von Trennungskindern durch beide Elternteile, als bevorzugtes Modell im Gesetz zu verankern. Die Versammlung fordert die Behörden der Mitgliedstaaten auf, das Recht der Väter zu respektieren, um die gemeinsame Verantwortung sicherzustellen, dass das Familienrecht im Falle einer Trennung oder Scheidung die Möglichkeit der gemeinsamen Obsorge im besten Interesse für die Kinder, auf der Grundlage gegenseitiger Vereinbarung zwischen den Eltern, sicherstellt.

Die Versammlung ist überzeugt, dass die Entwicklung gemeinsamer Obsorge hilft, Geschlechterstereotypen in Bezug auf die Rolle von Frauen und Männern in der Familie zu überwinden, welche lediglich ein Spiegelbild der soziologischen Veränderungen darstellt, wie sie sich in den letzten fünfzig Jahren in Hinblick auf die Privat- und Familien-Sphäre entwickelt hat.



Die Versammlung fordert die Mitgliedstaaten auf, in ihre Gesetze den Grundsatz der Doppelresidenz (Wechselmodell) nach einer Trennung einzuführen, und Ausnahmen ausschließlich auf Fälle von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung, oder häuslicher Gewalt einzuschränken, mit jener Zeitaufteilung, in der das Kind mit jedem Elternteil lebt, die entsprechend den Bedürfnissen und Interessen des Kindes angepasst sind.

Die Resolution wurde mit 46 Stimmen dafür, 0 Gegenstimmen und 2 Abwesenden einstimmig verabschiedet und soll von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.


Deutschland hat dies bislang nicht in ein Gesetz umgesetzt (Stand 2021).

Download: Wiss. Dienst des Bundestages im März 2018: deutsche und EU-Rechtslage zum Wechselmodell

Koalitionsvertrag 2021

Was die Ampel-Koalition 2022 für Familien tun will: Die Familienpolitik soll moderner werden. Die neue Bundesregierung plant unter anderem eine Reform des Familienrechts. Man wolle der "gesellschaftlichen Wirklichkeit Rechnung tragen", heißt es im Koalitionsvertrag. Durchgesetzt hat sich die FDP beim Wechselmodell.

Aus dem Koalitionsvertrag 2021 ab S. 93: "Wir werden die partnerschaftliche Betreuung der Kinder nach der Trennung fördern, indem wir die umgangs- und betreuungsbedingten Mehrbelastungen im Sozial- und Steuerrecht besser berücksichtigen. Wir wollen allen Familien eine am Kindeswohl orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder auch nach Trennung und Scheidung der Eltern ermöglichen und die dafür erforderlichen Bedingungen schaffen. Wir wollen im Unterhaltsrecht die Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung besser berücksichtigen, ohne das Existenzminimum des Kindes zu gefährden. Wir wollen gemeinsam mit den Ländern die Erziehungs-, sowie Trennungs- und Konfliktberatung verbessern und dabei insbesondere das Wechselmodell in den Mittelpunkt stellen. Wir werden den Kindern ein eigenes Recht auf Umgang mit den Großeltern und Geschwistern geben. Das Namensrecht liberalisieren wir, z. B. durch Einführung echter Doppelnamen."Neuer Text


Studie 2023 zu Kindeswohl und Betreuungsarrangements

Die 2015 vom Bundesfamilienministerium beauftragte Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“, die sich mit dem Wohlergehen von Kindern in Trennungsfamilien befasst, wurde Ende 2023 veröffentlicht - Sie können Sie am Ende dieses Textes herunterladen:

(Autoren Stefan Rücker, Sabine Walper, Franz Petermann† & Peter Büttner).


Aus dem Bericht zitiert:

Kernziel der Studie war es, fundierte Kenntnisse darüber zu erhalten, wie der Umgang und das Umgangsrecht gestaltet sein müssen, um den Bedürfnissen der Kinder am besten gerecht zu werden, und einen Maßstab für die Gestaltung eines Umgangs, der dem Wohl des Kindes bestmöglich entspricht, zu entwickeln. Dahingehend hat sich gezeigt, dass sich kein Betreuungsarrangement als das beste herausstellt. Mit Bezug auf die Frage, welches Arrangement das Beste für Kinder ist, muss hinsichtlich der jeweils spezifischen familiären Konstellationen festgehalten werden, dass die Antwort auf Grundlage des jeweiligen Einzelfalls erfolgen sollte. In diesem Zusammenhang konnten einzelne Parameter identifiziert werden, die bei der Entscheidungsfindung hilfreich und leitend sein könnten. (S.164)

...

Die Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ hatte zur Aufgabe, das Wohlergehen von Kindern getrennter Eltern in unterschiedlichen Betreuungs- und Konfliktkonstellationen zu beleuchten. Die Befunde sollten Hinweise zur kindgerechten Wahl und Ausgestaltung von Betreuungsarrangements liefern, die Eltern, Familiengerichten und Beratungsdiensten als Orientierung dienen können. Für die Kontrastierung des Kindeswohls in verschiedenen Betreuungsarrangements war es erforderlich, eine möglichst große Gruppe an Familien zu rekrutieren, welche eine geteilte Betreuung ihrer Kinder realisieren. Der Anteil an geteilt betreuenden Elternteilen in dieser Stichprobe fällt daher mit 25,9 % höher aus als deren Verteilung in der Gesellschaft. Da der Fokus der Studie auf das Wohlergehen der Kinder in Trennungsfamilien gerichtet war, sind in diesen Analysen nur Eltern als Hauptbefragte eingebunden, die Aussagen zu den Kindern machen können und entsprechend Kontakt zu ihnen haben. (S. 157)

...

Auf Grundlage der erhobenen Daten konnten zu Umgang und Betreuung in Trennungsfamilien vier verschiedene Betreuungsarrangements herausgearbeitet werden (vgl. Kapitel 4). Demnach leben 26 % der Kinder dieser Stichprobe in geteilter Betreuung, wobei jeder Elternteil mindestens ein Drittel der Betreuungszeit übernimmt, 30 % der Kinder 160 leben bei ihren Müttern mit häufigem Kontakt zum Vater, 34 % leben bei ihrer Mutter mit wenig bis keinem Kontakt zum Vater und 10 % leben bei ihrem Vater. (S. 159f.)

...

Für das Wohlergehen der Kinder erweist sich – wie schon in Kapitel 8 berichtet – nicht das Kontakt- und Betreuungsmodell als relevant, wohl aber die eigenen Partizipationsmöglichkeiten auf dem Weg zu dessen Regelung: Wurde die Umgangsregelung gegen den erklärten Willen der Kinder getroffen, so weisen die Kinder stärkere Probleme ihrer psychischen Gesundheit auf und berichten stärkere Beeinträchtigungen ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Interessanterweise ist ein Gerichtsentscheid mit einer besseren psychischen Gesundheit der Kinder und Jugendlichen verbunden, wenn man in Rechnung stellt, dass es bei Gerichtsentscheiden häufiger zu Umgangsregelungen gegen den Willen der Kinder kommt. Dies lässt darauf schließen, dass Gerichtsentscheide trotz der höheren Konfliktbelastungen in diesen Fällen für die Kinder auch ein positives Potenzial bergen, wenn der erklärte Wille der Kinder auch Berücksichtigung findet. (S. 157)

...

Die Analysen haben im Kern gezeigt, dass die Kinder mit geteilter Betreuung durch ihre getrennten Eltern die höchste Zufriedenheit mit ihrem Betreuungsarrangement berichten (Kapitel 8), dass aber das Wohlergehen der Kinder fast ausnahmslos keinen statistisch bedeutsamen Zusammenhang zu den verschiedenen Betreuungsarrangements aufweist (Kapitel 6). Dies verweist darauf, dass der Einfluss der Betreuungsarrangements auf das Wohl von Kindern möglicherweise überschätzt wird und das Kindeswohl nicht von einem einzelnen Faktor allein abhängt. Vielmehr legen die Daten nahe, dass das jeweilige Betreuungsarrangement ein untergeordneter Faktor neben anderen ist, die das Wohl von Kindern stärker beeinflussen. Hierzu zählen nach den Befunden dieser Studie positive Familienbeziehungen sowohl zwischen den Eltern als auch zwischen Eltern und Kindern. Ein weniger konflikthaftes Verhältnis zwischen den Eltern, eine höhere Involviertheit der Väter in die Fürsorge für die Kinder und eine positivere Beziehung der Kinder zu ihrem Vater gingen mit einer höheren psychischen Gesundheit der Kinder und Jugendlichen einher. Auch die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kinder über Umgangskontakte und Betreuungsarrangement haben sich für deren Wohlergehen als relevant erwiesen.  Festgemacht am Wohlergehen der Kinder legen diese Befunde kein spezifisches Leitbild zur Verteilung der zeitlichen Anteile bei der Betreuung und Erziehung der Kinder durch ihre getrennten Eltern nahe. Auch weiterhin sollten die besonderen Lebensumstände, Ressourcen und Vulnerabilitäten von Eltern und Kindern zur Geltung kommen können, wenn Eltern, Familiengerichte oder Beratungsstellen eine passende Lösung im Einzelfall suchen. Allerdings ist es wichtig, Konflikte zwischen den Eltern und Umgangsprobleme zu begrenzen sowie Möglichkeiten für eine aktive Involviertheit der Väter zu stärken, sowohl in bestehenden Partnerschaften als auch nach einer Trennung. (S. 158f.)

...

Die Daten zu Umgang, Betreuung und Familienbeziehungen in der Trennungsfamilie legen nahe, dass die familiäre Harmonie vor der Trennung und eine hohe Involviertheit des Vaters in die Kinderbetreuung vor der Trennung maßgebliche Faktoren für die Wahl geteilter Betreuung sind (vgl. Kapitel 5). Eine geteilte Betreuung wird häufiger praktiziert, wenn das Familienleben vor der Trennung harmonischer und der Vater stärker in die Versorgung der Kinder involviert war. War vor der Trennung die Involviertheit der Väter hoch, aber die der Mütter gering und das Familienleben wenig harmonisch, leben die Kinder häufiger beim Vater. Bei geringer Involviertheit des Vaters vor der Trennung haben die Kinder auch nach der Trennung seltener Kontakt zu ihm. Demnach setzt sich die Arbeitsteilung der Eltern vor der Trennung auch in Form des Betreuungsarrangements und der Umgangskontakte nach der Trennung fort. (S. 160)

...

Aus Sicht der Kinder unterscheiden sich die Probleme der Eltern bei geteilter Betreuung nicht von denen bei einem Residenzmodell Mutter mit regelmäßigen Kontakten des Kindes zum Vater. Vor allem aus Sicht der Kinder wird aber deutlich, dass mehr Probleme zwischen den Eltern bestehen, wenn die Kinder bei der Mutter leben und nur seltenen oder keinen Kontakt zum Vater haben. Ob die Probleme zwischen den Eltern zur Kontaktvermeidung beigetragen haben oder umgekehrt die geringen Kontakte des Vaters zum Kind Anlass für Konflikte und Probleme gegeben haben, muss hierbei offenbleiben. (S. 160f.)

...

Da offen ist, ob der Abbau von (Umgangs-)Problemen zwischen den Eltern dazu beiträgt, die Bereitschaft zu einer geteilten Betreuung zu stärken, oder ob umgekehrt die Umsetzung einer geteilten Betreuung dazu beiträgt, (Umgangs-)Probleme abzubauen, sollte eine entsprechende Interventionsstudie beide Möglichkeiten vergleichend untersuchen. Diese Informationen sind für Familiengerichte und Beratungspraxis wichtig, um das geeignete Ziel ihrer Interventionen auszuwählen.  Der Befund, dass Vater-Kind-Beziehungen aus Sicht der Kinder bei geteilter Betreuung nicht besser ausfallen als bei der Hauptbetreuung durch die Mutter – solange regelmäßige Kontakte zum Vater bestehen – ist von besonderem Interesse. Er steht zunächst im Widerspruch zu anderen Studien, die für eine bessere VaterKind-Beziehung bei geteilter Betreuung sprechen; allerdings berücksichtigen diese Studien nicht die Kontakthäufigkeit zum Vater beim Residenzmodell Mutter. Vor diesem Hintergrund legt der Befund eine noch tiefergehende wissenschaftliche Befassung nahe. (S. 161)

...

Die Unterschiede zwischen den Betreuungsarrangements nivellieren sich jedoch für die Eltern, wenn Umgangsprobleme und die Berücksichtigung von Wünschen und Bedürfnissen der Kinder in Rechnung gestellt werden. Bei beiden Faktoren sind Familien mit geteilter Betreuung im Vorteil, und diese Vorteile sind ausschlaggebender für die Zufriedenheit der Eltern als das Betreuungsarrangement. Die Eltern sind deutlich zufriedener, wenn die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder stärker berücksichtigt wurden und wenig Umgangsprobleme bestehen. Auch für die Zufriedenheit der Kinder sind diese Faktoren relevant. Für das Wohlergehen der Kinder erweist sich nicht nur deren Zufriedenheit mit dem Kontaktund Betreuungsarrangement als relevant, sondern mehr noch deren Partizipationsmöglichkeiten bei der Entscheidung hierüber. Der stärkste Faktor für Beeinträchtigungen sowohl der psychischen Gesundheit als auch der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen sind Kontakt- und Betreuungsregelungen, die gegen den erklärten Willen der Kinder getroffen wurden. Auch eine mangelnde Berücksichtigung von Wünschen und Bedürfnissen der Kinder und vermehrte Umgangsprobleme gehen mit Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit der Kinder einher. (S. 162)

...

Ein besonderes Erfordernis besteht darin, den kindlichen Willen behutsam zu ermitteln, um Kinder nicht in einen Loyalitätskonflikt (Entscheidung zwischen Mutter und Vater) zu tragen. Dies gilt insbesondere dort, wo Eltern divergierende Vorstellungen vom künftigen Betreuungsarrangement aufweisen und die Einbindung von Jugendamt und Familiengericht notwendig wird.  Um die professionelle Exploration der Wünsche von Kindern in getrenntlebenden Familien durch Familiengerichte und psychologische Sachverständige zu unterstützen, sollten vermehrt altersspezifische und für die jeweiligen Konfliktlagen sensible Kommunikationstechniken entwickelt werden und zum Einsatz kommen. (S. 163)

...

Kinder, deren Eltern mit Unterstützung/Beratung über die Regelung von Kontakt und Betreuung entschieden haben, weisen tendenziell geringere Probleme ihrer psychischen Gesundheit auf als Kinder, deren Eltern ihre Regelung selbständig gefunden haben. (S. 163) Die Partizipationsmöglichkeiten der Kinder sind deutlich eingeschränkt, wenn die Regelung von Kontakt und Betreuung durch das Gericht getroffen wurde. Bei den Fällen eines Gerichtsentscheids wird auch deutlich, dass die Beratungs- und Unterstützungsangebote nicht die erwartete Hilfe bieten konnten. Sie wurden als deutlich weniger hilfreich erlebt, verglichen mit Fällen, in denen die Beratungs- und Unterstützungsangebote genutzt wurden, ohne dass ein Gerichtsentscheid erforderlich wurde. (S. 164)

...

Wurde die Umgangsregelung gegen den erklärten Willen der Kinder getroffen, so weisen die Kinder stärkere Probleme ihrer psychischen Gesundheit auf und berichten stärkere Beeinträchtigungen ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität. (S. 164).


Bericht der Forschungsgruppe zu Umgang und Kindeswohl, auch zum Wechselmodell - veröffentlicht 2023

Gerichtsbeschlüsse zu Wechselmodell / Doppelresidenz/ paritätischer Betreuung / zwei Zuhause

Mit Klick aufs Bild kommen sie zum meiner Sammlung von BVerfG bis AG, die ich seit Anfang 2020 regelmäßig aktualisiere.

Metastudien 2013 und 2017 zum Wechselmodell
(Sünderhauf und Nielsen)

In Deutschland basiert die Diskussion um die Doppelresidenz sei 2013 auf der Veröffentlichung des Fachbuches „Wechselmodel: Psychologie – Recht – Praxis“ von Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf. Die Juristin (Professorin für Familienrecht), Philosophin und Politikwissenschaftlerin stellte die seinerzeitigen Ergebnisse von 45 internationalen Studien rund um die Doppelresidenz vor, beleuchtete die rechtliche Einordnung der Doppelresidenz in Deutschland und anderen Staaten und gab praktische Anregungen, wie die Doppelresidenz von Eltern umgesetzt und an die Bedürfnisse der Kinder angepasst werden kann. Das 900-seitige Kompendium stellt bis heute die umfangreichste Sammlung von Informationen und wissenschaftlichen Erkenntnissen rund um die Doppelresidenz im deutschsprachigen Raum dar.

In kompakter Form hat Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf zum Thema „Vorurteile gegen das Wechselmodell: Was stimmt, was nicht?“ einen frei beziehbaren Aufsatz in der familienrechtlichen Fachzeitschrift FamRB veröffentlicht, Download siehe unten.

Ebenfalls 2013 veröffentlichte Linda Nielsen, Professorin für Jugend- und Erziehungspsychologie aus den USA, eine zusammenfassende Auswertung von 40 internationalen Studien. Hier und in ihren nachfolgenden Forschungsarbeiten wurde ein besonderes Augenmerk auf das Konfliktniveau der Eltern gelegt, welche die Doppelresidenz lebten, und der Frage nachgegangen, ob sie sich im Vorfeld einig über die Betreuung der Kinder in der Doppelresidenz waren.

Fazit: Das Ergebnis war eindeutig: Auch bei einem hohen Konfliktniveau und auch wenn ein Elternteil die Doppelresidenz anfangs ablehnte, ging es den Kindern und ihren Eltern in der Doppelresidenz besser als im Residenzmodell. Die Konflikte reduzierten sich im Laufe der Zeit nachhaltig.

2017 beschäftigte sich Nielsen dann mit der Frage, wie sich elterlicher Konflikt, Co-Parenting und Betreuungsregelungen auswirken und untersuchte hierzu die bereits vorliegenden 54 Studien aus rund 30 Jahren Forschung. Hieraus leitete sie „Zehn erstaunliche Erkenntnisse über gemeinsame Elternschaft nach Trennung und Scheidung“ ab:

  1.     In allen 54 Studien –Situationen, in denen Kinder vor Vernachlässigung oder Gewalt bereits vor der Trennung geschützt werden mussten außen vor –zeigten Kinder in Nachtrennungsarrangements gemeinsamer Elternschaft bessere Untersuchungsergebnisse als Kinder im Residenzmodell.
  2.     Kleinkinder und Babys zeigen in Betreuungsarrangements gemeinsamer Elternschaft keine schlechteren Anpassungsleistungen als im Residenzmodell.
  3.     Auch unter Berücksichtigung des Elternkonflikts erging es Kindern in Betreuungsarrangements gemeinsamer Elternschaft grundsätzlich und nach vielen Maßstäben des Kindeswohls besser als im Residenzmodell.
  4.     Auch unter Berücksichtigung des Familieneinkommens sind die Ergebnisse zugunsten gemeinsamer Elternschaft eindeutig.
  5.     Eltern, die ein Betreuungsarrangement gemeinsamer Elternschaft gewählt haben, zeichnen sich nicht durch weniger Elternkonflikte oder eine bessere Elternbeziehung aus als Eltern im Residenzmodell.
  6.     Viele der Eltern, die eine gemeinsame Elternschaft leben, haben sich ursprünglich nicht freiwillig dafür entschieden.
  7.     Kindern, die anhaltenden, intensiven Elternkonflikten, auch physischen Konflikten, ausgesetzt sind, geht es mit gemeinsamer Elternschaft nicht schlechter als im Residenzmodell.
  8.     Der Erhalt von starken, tragfähigen Bindungen zu beiden Eltern in Arrangements gemeinsamer Elternschaft scheint den Schaden durch eine hohe Konfliktbelastung und schlechte Elternbeziehungen zu kompensieren.
  9.     In Arrangements gemeinsamer Elternschaft behelfen sich Eltern viel häufiger mit einer sogenannten entkoppelten, distanzierten oder sogenannten parallelen Erziehung ihrer Kinder als sie tatsächlich gemeinsam (co-parenting), in enger Zusammenarbeit, erziehen.
  10.     Keine wissenschaftliche Studie wartete mit Ergebnissen auf, die die Vermutung nahelegen, dass es Kindern, deren Eltern in bedeutende juristische Auseinandersetzungen verstrickt sind bzw. sich gerichtlich auseinandersetzen, schlechter geht als denjenigen, deren Eltern keine oder weniger gerichtlichen Sorge- oder Umgangsrechtsstreitigkeiten haben.
2018 widmete Nielsen die Aufmerksamkeit in ihrem neuesten Aufsatz der Frage, wie sich das Familieneinkommen oder der elterliche Konflikt auf die Kinder auswirkt. Insgesamt 60 Studien, die größte bisher bekannte Anzahl an berücksichtigten Studien, wertete sie zu diesem Zweck aus. In Einzelresidenz ließen sich durchgehend schlechtere Ergebnisse feststellen. Die Doppelresidenz war in allen Studien teils deutlich überlegen. Bemerkenswert war auch: Das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern und Verwandten war in der Doppelresidenz durchgehend besser als in der Einzelresidenz.

Die Nielsen-Veröffentlichungen sind auf der Homepage der Projektgruppe Doppelresidenz z.T. übersetzt.
Download: Aufsatz Sünderhauf 2013 zum Wechselmodell im FamRB Download: Aufsatz Sünderhauf 2016 zum Wechselmodell im Frühe Kindheit

FAMOD-Studie 2021 zum Wechselmodell in Deutschland

Erste Ergebnisse der Studie „Familienmodelle in Deutschland“ (FAMOD): Zur Bedeutung des Wechselmodells für das kindliche Wohlbefinden nach elterlicher Trennung oder Scheidung


Abhandlung von Prof. Dr. Anja Steinbach, und Dr. Lara Augustijn, Institut für Soziologie, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr. Tobias Helms, und Dr. Stephanie Schneider, Institut für Familienrecht, Universität Marburg in der FamRZ 2021, 729ff.


Aus dem Text zitiert:


"Auch wenn die Daten der Studie „Familienmodelle in Deutschland“ nicht repräsentativ für Trennungsfamilien in Deutschland sind, vermitteln sie doch ein recht umfassendes Bild von der Lebenswirklichkeit von Wechselmodellfamilien. Basierend auf Untersuchungen von Wechselmodell- und Residenzmodellfamilien lassen sich – unter Kontrolle einer Vielzahl an sozio-demografischen und familienbezogenen Merkmalen – Schlussfolgerungen ziehen, inwieweit die Wahl des Betreuungsmodells Auswirkungen auf das Wohlbefinden der betroffenen Kinder hat.

Zunächst kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse der Studie keinen Anlass geben, einer Praktizierung des Wechselmodells in der gelebten familiären Wirklichkeit generell skeptisch gegenüberzustehen. Vielmehr schnitten Wechselmodellkinder – wie auch schon in vielen internationalen Studien 39  – im Hinblick auf eine Vielzahl an Wohlbefindensindikatoren (etwas) besser ab als Kinder, die im Residenzmodell betreut werden."


"Ein Steigerungseffekt 40 in dem Sinne: „je ausgeglichener die Aufteilung der Betreuungszeiten ist, desto besser für das Wohlergehen des Kindes“ ließ sich (...) nachweisen."


"Die Ergebnisse der Auswertungen zeigen einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Betreuungsmodell und der psychischen Gesundheit von Kindern zwischen 2 und 14 Jahren: So weisen Kinder, die im asymmetrischen oder im symmetrischen Wechselmodell leben, durchschnittlich weniger psychische Probleme auf als Kinder, die im Residenzmodell leben. (...)  Offen bleibt in diesem Zusammenhang jedoch die Frage nach der Kausalität: Trägt das Wechselmodell zu besseren Eltern-Kind-Beziehungen bei oder entscheiden sich Eltern, die bereits vor der Trennung eine enge Beziehung zu ihren Kindern hatten, eher für ein asymmetrisches bzw. symmetrisches Wechselmodell? Diese Frage kann mithilfe von Querschnittsdaten allerdings nicht beantwortet werden."


"Darüber hinaus konnte die Analyse belegen, dass elterliche Konflikte negativ mit der psychischen Gesundheit von Kindern in Trennungsfamilien zusammenhängen. Es zeigen sich jedoch signifikante Unterschiede zwischen den drei Betreuungsmodellen. (...) Somit deuten die Ergebnisse der Analyse darauf hin, dass Kinder, die nach der Trennung oder Scheidung der Eltern jeweils die Hälfte der Zeit bei ihrer Mutter und bei ihrem Vater leben, im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit am stärksten unter Konflikten zwischen ihren getrennten Eltern leiden."


"Dabei war etwas überraschend, dass in der vorliegenden Studie (bezogen auf die Altersgruppe der 11- bis 14-jährigen Kinder) für die Wechselhäufigkeit kein Effekt auf die Stresswahrnehmung der Kinder nachgewiesen werden konnte."


"Insgesamt sprechen die Ergebnisse der Studie „Familienmodelle in Deutschland“ also dafür, dem Wechselmodell gegenüber offen zu sein und dieses als eine für das konkrete Kind förderliche Betreuungsoption ernsthaft in Betracht zu ziehen. Weitreichende und regelhafte Schlussfolgerungen über die Kindeswohldienlichkeit eines Wechselmodells insbesondere auch in (hoch)strittigen Familienverfahren lassen sich der Studie allerdings nicht entnehmen."



Noch ein Buchtipp:

Noch ein Buchtipp: "Umgang im Wechselmodell: Eine Familie, zwei Zuhause: Gleichberechtigte Eltern bleiben nach Trennung und Scheidung" (Beck im dtv)   Taschenbuch –  Januar 2021


OLG Frankfurt/Main vom 26.10.2021 zum Wechselmodell

Wenn die Mutter nicht nur Umgang, sondern Wechselmodell haben will, liegen die Hürden niedriger - aber natürlich gilt das hier theoretisch auch spiegelbildlich:

Es geht um ein 7jähriges Mädchen, das als 2jährige nach der Trennung der Eltern beim Vater auf dessen Bauernhof wohnen blieb, während die Mutter weiter weg zog. Anfangs hatte die Mutter alle 14 Tage Umgang an einem kurzen Wochenende. Die Mutter zog wieder in die Nähe des Vaters, wollte ein paritätisches Wechselmodell und bekam zunächst 14tägig Freitags bis Dienstags, dann bis Mittwochs.

Das Amtsgericht stellte fest, dass der im Laufe des Verfahrens ausgedehnte Umgang nicht zu einer Überforderung des Kindes geführt habe. Sie sei mit beiden Familiensystemen (Stiefeltern, Stiefgeschwister, Großeltern) vertraut und komme damit zurecht. Sie habe begeistert von ihrem Leben in beiden Haushalten berichtet. Weder seien organisatorische Schwierigkeiten erkennbar noch hätten sich Kommunikations- und Kooperationsschwierigkeiten zwischen den Eltern feststellen lassen. Die abstrakte Forderung des Kindesvaters nach einem Lebensmittelpunkt reiche nicht aus, um ein Wechselmodell in Frage zu stellen. Das AG ordnete im Umgangsverfahren ein Wechselmodell an.

Der Vater ging dagegen zum OLG.

Der Verfahrensbeistand unterstützte die Mutter: Das Wechselmodell erhöhe die Erziehungskontinuität zu beiden Eltern. Es führe bei dem Kind zu mehr emotionaler Stabilität und Sicherheit, bei beiden Eltern leben zu dürfen und gewährleiste eine gedeihliche Identitätsentwicklung.

Auch das Jugendamt hatte sich für ein Wechselmodell ausgesprochen, weil die gute Bindung zu beiden Elternteilen hierdurch gleichermaßen gepflegt und gefördert werden könne.


Das OLG:

Das Wechselmodell ist auch nach Überzeugung des Senats die dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Umgangsregelung. Ein paritätisches Wechselmodell ist anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht (BGH FamRZ 2017, 532 ). Die für Sorgerechtsfragen anerkannten gewichtigen Gesichtspunkte des Kindeswohls - die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens - gelten auch für die Anordnung eines Wechselmodells. Im Rahmen der Beurteilung ist weiter zu berücksichtigen, dass diese Ausgestaltung der Betreuung gegenüber herkömmlichen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind stellt, das sich auf zwei hauptsächliche Lebensumgebungen ein- bzw. umzustellen hat. Das Kind muss deshalb eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen aufweisen. Wesentlich abzustellen ist zudem auf den vom Kind geäußerten Willen, dem mit steigendem Alter zunehmendes Gewicht beizumessen ist (BGH FamRZ 2020, 255 ). Weiter ist in die Beurteilung einzubeziehen, dass sich zwischen den Eltern in der praktischen Verwirklichung einer paritätischen Betreuung erhöhter Abstimmungs- und Kooperationsbedarf ergibt, was geeignete äußere Rahmenbedingungen, so etwa eine gewisse Nähe der elterlichen Haushalte und die Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen, aber auch eine entsprechende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraussetzt. Dementsprechend sollten beide Eltern hinreichende Erziehungskompetenzen aufweisen und erkannt haben, dass eine kontinuierliche und verlässliche Kindererziehung der elterlichen Kooperation und eines Grundkonsenses in wesentlichen Erziehungsfragen bedarf (KG Berlin, FamRZ 2018, 1324 ). Bei bestehender hoher elterlicher Konfliktbelastung entspricht ein paritätisches Wechselmodell aus diesen Gründen in der Regel nicht dem Kindeswohl, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass die Eltern im Einzelfall gleichwohl in der Lage sind, ihren persönlichen Konflikt von der gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Elternrolle zu trennen und dieses von ihrem Streit zu verschonen (ebd.). Keine Voraussetzung für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ist hingegen, dass sich die Kindeseltern über die Wahl dieses Betreuungsmodells einig sind (OLG Stuttgart FamRZ 2020, 107).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat - ebenso wie das Amtsgericht - unter Abwägung aller Kindeswohlkriterien davon überzeugt, dass eine paritätische Betreuung des Kindes durch beide Elternteile im Wechsel dessen Wohl am besten entspricht (§ 1697 a BGB ).

Das Amtsgericht hat im Wesentlichen zu Recht darauf abgestellt, dass A zu beiden Eltern eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung hat, mit beiden Familiensystemen vertraut ist und der Aufenthalt bei der Kindesmutter für das Kind nicht lediglich einen Besuch, sondern auch Alltagserleben darstellt. Es hat dies zu Recht aus den Angaben des Kindes in der Kindesanhörung geschlossen. Das Kind hat ausweislich des Vermerks über die Kindesanhörung begeistert von ihrem Leben in beiden Haushalten und den jeweiligen Urlauben mit beiden Elternfamilien berichtet. Hierbei kamen keinerlei Präferenzen für das Leben in dem einen oder dem anderen Haushalt zum Ausdruck. Auch der Verfahrensbeistand ist zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, dass das Kind sich bei beiden Elternteilen wohlfühlt und in beiden Haushalten eine gute soziale Anbindung hat. Gegenüber dem Verfahrensbeistand hat das Kind sogar geäußert, am liebsten mit der Mama zu spielen, weil sie dort ganz viele Spielsachen habe. Außerdem habe ihr die Mama zu Fasching ein Eisprinzessinnenkleid gekauft. Dies verdeutlich, dass die Kindesmutter Bedürfnisse ihrer Tochter wahrnimmt und stillt und diese von der alltäglichen Sorge durch beide Elternteile profitiert. Wenn für das Kind nach seinen Bekundungen beide Elternteile gleichermaßen von Bedeutung sind, dann ist es nur folgerichtig, wenn diese Bindung an beide Elternteile mit einer paritätischen Betreuung gestärkt und aufrechterhalten wird. Der Senat pflichtet dem Verfahrensbeistand darin bei, dass das Kind hierdurch mehr emotionale Stabilität und Sicherheit erhält, bei beiden Elternteilen leben zu dürfen und dass somit eine gedeihliche Identitätsentwicklung besser gewährleistet und gefördert werden kann, als wenn A ihren Lebensmittelpunkt nur im Haushalt des Kindesvaters hat und sie die Kindesmutter lediglich besucht. Auch das Jugendamt hat bestätigt, dass das Kind zu beiden Eltern eine gute Bindung hat, die durch ein Wechselmodell gleichermaßen gepflegt und gefördert werden kann. Im Übrigen sind weder die Bindungsqualität noch die grundsätzliche Erziehungsfähigkeit der Eltern und deren Kapazität, das Kind in ihrer Persönlichkeitsentwicklung nachhaltig zu fördern im vorliegenden Verfahren in Frage gestellt worden.

Schließlich ist die Anordnung eines Wechselmodells auch vom Willen des Kindes gedeckt. Es hat vor der Ausweitung des Umgangs um einen weiteren Tag in vorliegendem Verfahren gegenüber dem Verfahrensbeistand bekundet, dass es „eigentlich schon ein bisschen mehr bei der Mama sein möchte“ und jeweils den anderen Elternteil vermisse, wenn es sich bei dem Papa oder der Mama aufhalte. In der gerichtlichen Anhörung hat das Kind sich mit der Anordnung eines Wechselmodells grundsätzlich einverstanden erklärt und nur klargestellt, dass es auch bei der bisherigen Handhabung bleiben könne.

Der bei der Verwirklichung des Wechselmodells erhöhte Abstimmungs- und Kooperationsbedarf ist in organisatorischer Hinsicht unproblematisch, da die Kindeseltern seit dem Umzug der Kindesmutter in Nachbargemeinden wohnen und sich die Wegstrecken bei einem wöchentlichen Wechsel zwischen den Haushalten und die von beiden Kindeseltern aus zurückzulegenden Wege zur Schule in einem überschaubaren Rahmen halten. Hinzu kommt, dass das Kind wegen der Verkehrssituation auch vom Haushalt des Kindesvaters in die Schule gefahren werden muss.

Auch der Grad der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Kindeseltern im Verhältnis zueinander steht der Anordnung einer paritätischen Betreuung nicht entgegen. Die Eltern üben das Sorgerecht für das Kind seit ihrer Trennung gemeinsam aus und konnten sich offensichtlich bisher über wesentliche Fragen, wie etwa die Einschulung des Kindes in der Schule in Stadt4 und sogar über eine Ausweitung des Umgangs verständigen. Für eine hohe elterliche Konfliktbelastung und einen hieraus folgenden Loyalitätskonflikt des Kindes gibt es vor diesem Hintergrund keinerlei Anhaltspunkte. Das Amtsgericht hat zudem zutreffend ausgeführt, dass die Kindeseltern übereinstimmend angegeben haben, dass es seit der Praktizierung des erweiterten Umgangs ab März 2021 keine auf eine mangelnde Abstimmung zurückzuführenden Probleme gegeben habe. Zudem hat A in ihrer gerichtlichen Anhörung erklärt, dass ihre Eltern nicht streiten würden. Darüber hinaus hat sie bekundet, dass sie während der Ferien mit der Mama mit dem Papa telefoniert habe und die Eltern auch miteinander reden würden. Auch der Verfahrensbeistand hat eine grundlegende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Kindeseltern festgestellt. Ebenso geht das Jugendamt von einer solchen aus.

Da das Kind nach den Feststellungen des Verfahrensbeistands mit der verlängerten Umgangsregelung gut zurechtkommt, keinerlei Auffälligkeiten zeigt, altersgemäß entwickelt ist und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte für einen Loyalitätskonflikt bestehen, ist der Senat davon überzeugt, dass A auch den erhöhten Anforderungen eines Wechselmodells gewachsen ist, zumal vorliegend die paritätische Betreuung durch eine Erweiterung des Umgangs um lediglich zwei Tage erreicht wird.

Es trifft auch entgegen der Auffassung des Kindesvaters nicht zu, dass der Bundesgerichtshof die Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils für grundsätzlich nicht vertretbar hält. Ein Konsens der Eltern über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell ist gerade keine Voraussetzung für eine entsprechende Anordnung, weil der Wille des Elternteils und das Kindeswohl nicht notwendig übereinstimmen müssen (BGH, FamRZ 2017, 532 ). Wie oben bereits ausgeführt, entspricht es dem Wohl des Kindes am besten, von den Eltern paritätisch betreut zu werden. Da beide Eltern erziehungsgeeignet sind, beide das Kind fördern können und das Kind zu beiden eine gute Bindung aufweist, spricht allein das Kontinuitätsprinzip für die Beibehaltung der bisherigen schwerpunktmäßigen Betreuung beim Kindesvater. Wie das Amtsgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, muss das Kontinuitätsprinzip vorliegend aber zurückstehen, weil die Vorteile des Wechselmodells für des Kindes, die Beziehung zu beiden Elternteilen gleichermaßen zu leben und hierdurch ihre Identität zu finden sowie eine positive Persönlichkeitsentwicklung zu nehmen, überwiegen. Für die Auffassung des Kindesvaters, das Kind benötige einen Lebensmittelpunkt in seinem Haushalt, hat er keine konkrete nachvollziehbare Begründung. Es gibt auch keine human- oder sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnisse, nach denen für ein siebenjähriges Kind der Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil abstrakt dem Kindeswohl besser entspräche, als ein Wechselmodell. Es besteht vielmehr Einigkeit darüber, dass die Wahl eines bestimmten Betreuungsmodells nicht pauschal bestimmt werden kann und eine hälftige Aufteilung der Betreuung Chancen und Risiken mit sich bringt (nicht empfohlen wird das Wechselmodell lediglich für Säuglinge und Kleinkinder unter 3-4 Jahren vgl. Staudinger/Dürbeck (2019) § 1684 BGB , Stand 05.09.2021, Rn. 255 m. w. N.).

Schließlich ist auch die Aufteilung der Umgangswochen und der Wechseltag nicht zu beanstanden. Diese werden von der Beschwerde auch nicht in Frage gestellt.


OLG Frankfurt/Main - Beschluss vom 26.10.2021 (6 UF 147/21)


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