Elternunterhalt

Heimkosten: Wenn das Sozialamt bei den Kindern anklopft

Angehörigen-Entlastungsgesetz

Wenn alte Eltern im Heim leben und sich das nicht leisten können, dann prüft das Sozialamt, ob die Kinder zu Kosten herangezogen werden können. Das „Angehörigen-Entlastungsgesetz“ 2020 hat dazu geführt, dass das Thema nur noch diejenigen betrifft, die 100.000 EUR Bruttoeinkommen haben.


Unterhaltspflicht erst ab 100.000 Euro Jahreseinkommen
Sozialhilfeträger dürfen ab 2020 auf das Einkommen der Kinder pflegebedürftiger Eltern erst dann zurückgreifen, wenn deren Bruttoeinkommen 100.000 Euro übersteigt. Umgekehrt gilt dies auch für Eltern von volljährigen pflegebedürftigen Kindern. Der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe wird damit eingeschränkt. Das Gesetz enthält darüber hinaus eine
Vermutungsregel: Nur in Ausnahmefällen, in denen die Behörden ein Einkommen über der Schwelle vermutet, müssen Betroffene ihr Einkommen offenlegen - dies soll Bürger und Verwaltung entlasten.


Es hinterließ aber langjährige Rechtsunsicherheit, was das Gesetz für den Selbstbehalt der Kinder bedeutet. Eine Bezifferung des angemessenen Selbstbehaltes beim Elternunterhalt war seitdem in den Leitlinien der Düsseldorfer Tabelle bis einschließlich 2024 ausdrücklich unterblieben. Es heißt nur: „Dem Unterhaltspflichtigen ist der angemessene Eigenbedarf zu belassen. Bei dessen Bemessung sind Zweck und Rechtsgedanken des Angehörigen- Entlastungsgesetzes vom 10. Dezember 2019 zu beachten.“


Daraus musste man schließen, dass der Selbstbehalt höher ist, als die 2.000 €, die zuletzt für Singles in den Leitlinien beziffert wurden. In der Literatur wurden die 100.000 Euro brutto auf ein fiktives Netto heruntergerechnet, um einen Anhaltspunkt für den Selbstbehalt zu knüpfen. Da kommen beim angestellten kinderlosen Single 4.700 EUR raus, beim Beamten 5.400 EUR, beim Selbständigen deutlich weniger, weil er seine soziale Absicherung alleine tragen muss.


Es blieb aber dann noch die Frage offen, ob es sich um einen „Sockel-Selbstbehalt“ handelt, der individuell – wie vor 2020 – noch um die Hälfte des freien Einkommens erhöht wird.


Zwei Oberlandesgerichte hatten solche Konstellationen zu entscheiden, beide Entscheidungen liegen auf der Linie der Literaturmeinung, dass sich der Selbstbehalt von den 100.000 brutto ableiten muss - beide sind noch nicht (Stand 09/2024) rechtskräftig, sondern liegen dem BGH zur Entscheidung vor.


OLG Düsseldorf - Beschluss vom 04.12.2023 - 3 UF 78/23


Der Fall:

Frau A. befindet sich seit 2016 im Heim, nach Einsatz von Rente und Pflegegeld fehlen ihr mtl. rd. 1500 EUR. 2017 wurde der Sohn in Kenntnis gesetzt, dass das Sozialamt Unterhaltsansprüche auf sich übergeleitet hat: seine finanziellen Verhältnisse wurden geprüft mit dem Ergebnis, dass er nichts zahlen müsse. Mit weiterem Schreiben vom 09.12.2019 wurde der Sohn darüber informiert, dass die Zuständigkeit für die Bearbeitung von Unterhaltsfällen ab dem 01.01.2020 auf den Kreis G. übergehen und sodann eine neue Überprüfung erfolgen werde. Mit Schreiben vom 29.06.2020 wurde der Antragsgegner über den Übergang eines ggf. bestehenden Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger gem. § 94 Abs. 1, Abs. 1a SGB XII informiert, wenn sein jährliches Gesamteinkommen mehr als 100.000 € beträgt.

Nach Eingang des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2020 beim Kreis - wobei in der Entscheidung offen bleibt, ob der Sohn diesen freiwillig vorgelegt hatte - wurde festgestellt, dass das Einkommen des Antragsgegners 100.000 € überschritten hatte. Sein Jahresbruttoeinkommen belief sich im Jahr 2020 auf 133.618,36 €. Für die Zeit vom 01.07.2020 bis 31.12.2020 forderte das Sozialamt 7.126,03 € und klagte das letztlich beim Familiengericht ein.

Der Sohn wendete sich gegen seine Zahlungspflicht mit dem Argument, dass der Familienselbstbehalt von jedenfalls 9.000 € nicht berücksichtigt worden sei.


Das Familiengericht rechnete:

Ausgehend von einem Jahresbruttoeinkommen von 133.618,36 € betrage das Jahresnettoeinkommen 104.356,23 €, also monatlich 8.696,35 €. Hinzuzurechnen sei eine monatliche Steuererstattung von 154,13 € sowie ein unstreitiger Wohnvorteil von 179,10 €. Nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen von 150,00 € verblieben 8.879,58 €.

Hiervon seien Altersvorsorgebeträge für eine Direktversicherung von 230,00 €, vermögenswirksame Leistungen von 39,88 € sowie eine sekundäre Altersvorsorge von 1.074,55 € abzuziehen, ebenso Kosten für eine Unfallversicherung von 43,29 €. Von den verbleibenden 7.473,86 € sei weiter der Kindesunterhalt für die Tochter in Abzug zu bringen, die der Antragsgegner anteilig in Höhe von 753,93 € zu tragen habe.

Von den verbleibenden 6.719,93 € sei dem Antragsgegner ein angemessener Selbstbehalt zu belassen. Dieser sei nicht der Düsseldorfer Tabelle für das Jahr 2020 zu entnehmen, weil in dieser noch nicht das Angehörigenentlastungsgesetz vom 10.12.2019 berücksichtigt wurde. In der Düsseldorfer Tabelle für das Jahr 2021 sei der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen nicht mehr konkret beziffert worden. Das Gericht erachte es für angemessen, dem Antragsgegner den Betrag als Selbstbehalt zu belassen, der ihm bei einem fiktiven Bruttoeinkommen von 100.000 €, bei dem eine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Mutter nicht bestünde, nach Abzug aller Verbindlichkeiten verbleiben würde. Es errechne sich zunächst ein Nettoeinkommen von monatlich 5.826,99 €, von dem insbesondere berufsbedingte Aufwendungen sowie Altersvorgebeträge und die Unfallversicherung in Abzug zu bringen seien. Darüber hinaus würde die Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Tochter 580,82 € betragen. Der angemessene Selbstbehalt des Antragsgegners für ihn selbst betrage daher konkrete 4.331,55 €.

Da er verheiratet sei, sei ihm darüber hinaus der Familienselbstbehalt zu belassen. Der Unterhaltsanspruch seiner Ehefrau betrage 3.279,45 € - hier wurde nicht mit dem Tabellenselbstbehalt gerechnet -, so dass von einem Familienselbstbehalt von 7.611,00 € auszugehen sei und mithin keine Leistungsfähigkeit bestehe.


Dagegen argumentierte das Sozialamt:

Eine Übertragung der Jahreseinkommensgrenze von 100.000 € auf den Selbstbehalt sei systemwidrig. Bei der Einführung des Angehörigenentlastungsgesetzes habe sich der Gesetzgeber dafür entschieden, das Unterhaltsrecht selbst nicht zu ändern, sondern nur die Rückgriffsmöglichkeiten der Sozialleistungsträger ganz erheblich einzuschränken.

Im Übrigen gingen die Ausführungen des Amtsgerichts bei der Feststellung des Selbstbehalts noch weit über das Angehörigenentlastungsgesetz hinaus. Das Amtsgericht habe verkannt, dass die Begrenzung des Anspruchsübergangs nach § 94 Abs. 1a SGB XII nach dem unbereinigten Einkommen erfolge.


Das OLG gab dem Sohn Recht – zitiert aus der Entscheidung:


Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Amtsgericht eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners (§ 1603 Abs. 1 BGB) zur Zahlung von Elternunterhalt für seine Mutter aus übergegangenem Recht gemäß §§ 1601 BGB, 94 Abs. 1 SGB XII im Zeitraum 7/20-12/20 verneint.


1.

Dem Ansatz des Antragstellers, dass die Aufwendungen für die sekundäre Altersvorsorge des Antragsgegners nicht zu berücksichtigen seien, weil es sich lediglich um Einzahlungen auf Sparbücher handelt, kann vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 2015, 1172, Rn. 26; ebenso Klinkhammer in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Auflage, § 2 Rn. 941) nicht gefolgt werden. Danach kann auch die Anlage eines bloßen Sparvermögens als anzuerkennende Art der Altersvorsorge gewertet werden. Der Antragsgegner hat auch dargelegt und belegt, dass er die Einzahlungen auf den Konten belassen und keine Auszahlungen vorgenommen hat, so dass keine Zweifel daran bestehen, dass die eingezahlten Beträge der Altersvorsorge dienen. Darüber hinaus hat der Antragsgegner in seiner Berechnung der zu berücksichtigenden zusätzlichen Altersvorsorge im Schriftsatz vom 08.08.2023 (Seite 6) die Höchstgrenze von 5 % beachtet.


Es besteht auch kein Anlass, dem Antragsgegner nunmehr im Beschwerdeverfahren einen deutlich höheren Wohnwert gegenüber der erstinstanzlichen Berechnung zuzurechnen. Es verbleibt dabei, dass dem Unterhaltspflichtigen beim Elternunterhalt nur ein angemessener Wohnwert auf Grundlage des unter den gegebenen Verhältnissen ersparten Mietzinses zuzurechnen ist (BGH FamRZ 2003, 1179, Rn. 11 mit zust. Anm. Klinkhammer). Der Umstand, dass auch volljährige Kinder mit im Haus leben, ändert hieran nichts.


2.

Ausgehend von einem unterhaltsrelevanten Einkommen von 5.451,54 € entsprechend dem Vortrag in der Beschwerdeerwiderung (bis zum 20.09.2020) kann eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners nicht festgestellt werden. Hieran ändert sich auch nichts durch den Wegfall der Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Tochter C. in Höhe von 753,93 € ab dem 21.09.2020. Dem Antragsgegner ist ein Selbstbehalt zuzubilligen, der deutlich über sein Einkommen hinausgeht.

Zutreffend ist das Amtsgericht dem Grunde nach davon ausgegangen, dass im Jahr 2020 nicht mehr mit dem Selbstbehalt entsprechend Anmerkung D I. zur Düsseldorfer Tabelle Stand: 01.01.2020 zu rechnen ist, da in dieser noch nicht das Angehörigenentlastungsgesetz vom 10.12.2019 berücksichtigt wurde. In den Folgetabellen ab dem 01.01.2021 ist zum angemessenen Selbstbehalt gegenüber Eltern ohne Benennung eines Festbetrages nur noch geregelt, dass bei dessen Bemessung Zweck und Rechtsgedanken des Angehörigenentlastungsgesetzes zu beachten sind. Wie dies im Einzelnen zu geschehen hat, ist, soweit ersichtlich, ober- und höchstgerichtlich noch nicht entschieden worden.

Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen einer sozialrechtlichen und unterhaltsrechtlichen Bewertung, die sich daraus ergeben können, dass ein Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger gemäß § 94 Abs. 1a SGB XII erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 € als angemessen erachtet wird, wird in der Literatur einhellig die Auffassung vertreten, dass eine Anpassung des Selbstbehalts geboten ist (vgl. Doering-Striening/Hauß/Schürmann, FamRZ 2020, 137, 139; Viefhues, ZAP 2020, 345, 348; BeckOK BGB/Reinken, 67. Edition 01.08.2023, BGB § 1601 Rn. 27; Wendtland in: beck-online, Großkommentar, Stand: 01.08.2023, BGB § 1610 Rn. 169.3; Pfuhlmann-Riggert in: Praxishandbuch Familienrecht, 43. EL März 2023, Teil L Sozialleistungen und Unterhalt, Rn. 158f).


Zur Vermeidung dieser Widersprüche hat das Amtsgericht dem Grunde nach zutreffend darauf abgestellt, dass einem Unterhaltsschuldner, der über ein Jahresbruttoeinkommen von mehr als 100.000 € verfügt, jedenfalls ein solches Nettoeinkommen verbleiben muss, das ein nicht in Anspruch genommener Angehöriger mit einem Bruttoeinkommen bis 100.000 € erhält. Ob der Selbstbehalt im jeweiligen Einzelfall konkret zu berechnen ist, wie es das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss gemacht hat, oder ob eine pauschale Berechnung angezeigt ist (vgl. etwa den Vorschlag von Doering-Striening/Hauß/Schürmann, a.a.O., und Wendtland in: beck-online, Großkommentar, a.a.O., einen Selbstbehalt von 5.000 € bzw. 9.000 € bei Zusammenleben mit einem Ehegatten als Familienselbstbehalt anzusetzen), muss im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden. Entscheidend ist vorliegend, dass der Antragsgegner seiner Ehefrau gegenüber (vorrangig) unterhaltspflichtig ist und daher entsprechend der früheren Rechtslage ein Familienselbstbehalt anzusetzen ist. Auch hier kann offenbleiben, ob der Anspruch der Ehefrau entsprechend der Berechnung im angefochtenen Beschluss konkret zu berechnen oder mit einem Pauschalbetrag unter Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes unter Berücksichtigung der Vorteile des Zusammenlebens berücksichtigt wird. In diesem Fall wäre der Familienselbstbehalt mit jedenfalls 9.000 € in Ansatz zu bringen.


Da bei dem zutreffend berechneten unterhaltsrelevanten Einkommen des Antragsgegners von 5.451,54 € (bis zum 20.09.2020) bzw. 6.205,47 € (ab dem 21.09.2020) nach allen vorgeschlagenen Lösungen eine Leistungsfähigkeit nicht festzustellen ist, kann die Berechnungsweise des Selbstbehalts dahinstehen. Der Senat neigt allerdings aus Vereinfachungsgründen zu einer pauschalierten Betrachtungsweise.


Die Rechtsbeschwerde zum BGH war zugelassen, eine Entscheidung des BGH ist bislang nicht getroffen.

OLG Düsseldorf - Beschluss vom 04.12.2023 -  3 UF 78/23

 


Aus dem 1. Quartal 2024 gibt es eine weitere veröffentlichte obergerichtliche Entscheidung:

OLG München, Beschluss vom 06.03.2024 - 2 UF 1201/23 e


Durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 10.12.2019 wurde der Übergang des Anspruchs auf Elternunterhalt nach §§ 1601 ff BGB auf den Träger der Sozialhilfe grundlegend neu geregelt und findet nunmehr nur noch dann statt, wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen die Jahresobergrenze von 100.000 € brutto übersteigt, § 91 Absatz 1a SGB XII i.V.m. § 16 SGB IV . Die Entscheidung des Gesetzgebers, nur noch leistungsstarke Kinder zur Finanzierung des Elternunterhalts in Anspruch zu nehmen, kann nicht ohne Einfluss auf die Frage der Bemessung des Selbstbehalts und damit der Leistungsfähigkeit in derartigen Fällen sein (vgl. Niepmann, NZFam 2022, 141). Entsprechend geben die Süddeutschen Leitlinien unter Ziffer 21.3.3 nunmehr nur noch folgendes vor: Bei der Bemessung des Selbstbehalts gegenüber Eltern sind Zweck und Rechtsgedanken des Gesetzes zur Entlastung unterhaltspflichtiger Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) vom 10.12.2019 zu beachten.


1. Allerdings ist entgegen dem Vorbringen der Beschwerde eine Differenzierung des Selbstbehalts nach den Süddeutschen Leitlinien für das Jahr 2020 und den Süddeutschen Leitlinien für das Jahr 2021 nicht angezeigt. Die noch vor Verabschiedung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes erfolgte Neufestsetzung der Selbstbehaltssätze durch die Leitlinienkonferenz der Oberlandesgerichte für das Jahr 2020 auf 2.000 € hat nach Inkrafttreten des Gesetzes keine die Rechtsprechung bindende Wirkung (Hauß, Elternunterhalt, 6. Aufl. Rz 88). Nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes gelten die Kriterien für die Angemessenheit des Selbstbehalts für das Jahr 2020 und das Jahr 2021 gleichermaßen.

Auch soweit der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 20.02.2024 vorbringt, einige Oberlandesgerichte hätten in ihren Leitlinien einen Selbstbehalt gegenüber Eltern in Höhe von 2.500 € festgelegt, ist klarzustellen, dass es sich bei den Leitlinien der Oberlandesgerichte lediglich um Richtlinien zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung in den jeweiligen Bezirken handelt und die Leitlinien andere Oberlandesgerichte nicht binden.


2. Unter Berücksichtigung des Zwecks und Rechtsgedankens des Angehörigen-Entlastungsgesetzes erscheint es angemessen, den im Rahmen der nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts vorzunehmenden Unterhaltsberechnung zu berücksichtigenden Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen auf einen Betrag zu erhöhen, der dem mit einem Gesamtbruttoeinkommen von 100.000 € erzielbaren durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen entspricht, was je nach Familienstand und Beschäftigungsart zwischen 5.000 € und 5.500 € liegen dürfte.

Dem entspricht auch der Grundsatz des Gleichlaufs von Unterhaltsrecht und Sozialhilferecht mit dem Grundgedanken, dass der Unterhaltspflichtige unterhaltsrechtlich nicht schlechter gestellt werden soll als sozialhilferechtlich.


Angesichts dessen ist der Selbstbehalt mit 5.500 € netto monatlich anzusetzen.


Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Ehegattenunterhalt, wonach im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen ist, dass ein Einkommen bis zum Doppelten des Höchstsatzes der Düsseldorfer Tabelle von den Ehegatten konsumiert werde, was zur Folge hat, dass bis zu einem Unterhaltsbedarf von 5.500 € von dessen vollständigem Verzehr auszugehen ist (BGH FamRZ 2018, 260 ; FamRZ 2020, 21 ). Nimmt man das Bekenntnis zur Lebensstandardgarantie im Elternunterhalt ernst, wäre bei vollständigem Einkommensverzehr zur Finanzierung des Lebensstandards eine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben. Wenn andererseits im Sinne einer tatsächlichen Vermutung nach der Rechtsprechung davon auszugehen ist, dass ein Nettoeinkommen von bis zu 5.500 € vollständig für den Lebensunterhalt verbraucht wird und daraus Vermögensrücklagen nicht gebildet werden, ist es konsequent, den Selbstbehalt im Elternunterhalt auf dieses Niveau anzuheben (Hauß a.a.O. Rz 18).


Für eine entsprechende Anpassung des Selbstbehalts auf der Ebene des Unterhaltsrechts spricht auch, dass ansonsten eine nicht zu legitimierende Ungleichbehandlung von Geschwisterkindern und ihren Familien mit Einkünften von bis zu 100.000 € und über 100.000 € erfolgen würde, die mit Art. 3 GG nicht vereinbar scheint. Es wäre unverständlich, wenn von Geschwistern mit um einen Euro (!) unterschiedlichem Bruttoeinkommen und ohne sonstige Verpflichtungen, der eine mit 100.001 € Bruttoeinkünften für ca. 940 € Unterhalt leistungsfähig wäre und in Anspruch genommen werden könnte, der andere jedoch nicht (Doering-Striening/Hauß/Schürmann, FamRZ 2020, 137 (140)).


3. Angesichts der Höhe des pauschalen Selbstbehalts von 5.500 € monatlich ist eine Erhöhung um die Hälfte des den Sockel-Selbstbehalt übersteigenden anrechenbaren Einkommens entsprechend dem vom BGH (BGH FamRZ 2002, 1698 ) entwickelten Modell nicht mehr angebracht. Auch ist fraglich, ob über die gesetzlichen Abzüge und Verpflichtungen für Steuern, Sozialabgaben und gesetzliche Unterhaltsansprüche hinaus weitere Abzugsposten zu akzeptieren sind, oder ob dem Unterhaltspflichtigen angesichts des großzügigen Selbstbehalts zugemutet werden kann, seinen Lebenszuschnitt auf das Niveau dieses Selbstbehalts einzustellen (so Hauß a.a.O. Rz 561).

Es erscheint angemessen, die Verwendung des Eigenbedarfs keiner weiteren Kontrolle zu unterwerfen und auch keine Kreditraten, Wohnvorteile oder Mietbelastungen sowie Aufwendungen für Besuchsfahrten etc. anzuerkennen (Döring-Striening/Hauß/Schürmann a.a.O.).


Allerdings ist eine zusätzliche Altersvorsorge in Form von Lebensversicherungen wohl zu berücksichtigen. Hierfür spricht, dass die Unterhaltsverpflichtung des unterhaltspflichtigen Kindes nur so weit reicht, als dieses ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren in der Lage ist. Nach BVerfG FamRZ 2005, 1051 gilt dies auch für den angemessenen zukünftigen Unterhalt, also den Unterhalt im Alter. Die private Altersvorsorge sei zwar nicht gesetzlich zwingend vorgeschrieben, angesichts der Schwäche des gesetzlichen Rentenversicherungssystems aber unter Aspekten der Eigenverantwortlichkeit obligatorisch (so auch BGH FamRZ 2003, 860 ).

Dies kann vorliegend jedoch dahinstehen, da der Antragsgegner auch ohne Erhöhung des Selbstbehalts wegen erhöhter Wohnkosten und ohne Abzug der zusätzlichen Altersvorsorge mit einem monatlichen Nettoeinkommen nach Abzug der gesetzlichen Abgaben mit 5.349 € (im Jahr 2020) bzw. 5.304 € (im Jahr 2021) unterhalb des Selbstbehalts in Höhe von 5.500 € liegt.



Die Rechtsbeschwerde zum BGH war zugelassen, eine Entscheidung des BGH ist bislang nicht getroffen.


OLG München - Beschluss vom 06.03.2024 - 2 UF 1201/23 e


 



  • Angehörigen-Entlastungsgesetz ab 2020

    Nur noch „Großverdiener“ müssen dem Sozialamt die Heimkosten der Eltern erstatten?


    Viele mit der Gesetzesreform zusammenhängende unterhaltsrechtliche Fragen sind offen.


    Es geht um das sogenannte „Angehörigen-Entlastungsgesetz“.


    Zielgruppe dieser von der Bundesregierung schon im Koalitionsvertrag versprochenen „Entlastung“ sind erwachsene Kinder, deren Eltern im Heim gepflegt werden. Deren Rente reicht meist nicht für die Heimkosten, denn im Durchschnitt liegt der Eigenanteil für einen Platz in einem Pflegeheim bei rund 1.700 Euro im Monat. Wenn also etwaiges Vermögen verzehrt ist, werden die Eltern zum Sozialfall.


    Das Sozialamt geht dann in Vorleistung, leitet den Unterhaltsanspruch gegen die Kinder auf sich über – und dann ist zu prüfen, wie sehr der Staat die Kinder entlasten will.


    Hier greift das Gesetz ab 1.1.2020.


    Bislang lag das bereinigte Nettoeinkommen eines Kindes, das ihn vor Inanspruchnahme schützte, bei 1.800 € netto. Wer nach Abzug unterhaltsrechtlich relevanter Belastungen weniger hatte, musste nichts zahlen, wer mehr hatte, musste davon die Hälfte abgeben. Für Eheleute galt ein gemeinsamer Sockelselbstbehalt von netto 3.240 €.


    Das entspricht bei einem kinderlosen Single, der keine Abzugsposten wie Kredite, Fahrtkosten etc. hat, einem Jahresbrutto von knapp 33.000 €, bei Eheleuten von gemeinsamen rd. 70.000 €.


    Neu soll nun sein, dass unterhalb von 100.000 € eigenem Bruttoeinkommen kein Kind für seine Eltern zahlen soll – jedenfalls nicht aus seinem Einkommen.


    Dazu wird eine „gesetzliche Vermutung“ eingeführt: Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen die genannte Jahreseinkommensgrenze von 100.000 € brutto nicht überschreitet. Und auf das Einkommen des Schwiegerkindes soll es bei dieser Betrachtung erstmal nicht ankommen.


    Allerdings darf das Sozialamt vom Antragsteller (also dem Elternteil im Heim) Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen zulassen.


    Im Bereich der „Grundsicherung im Alter“ (Viertes Kapitel SGB XII) war dies schon länger so Gesetz und Praxis und führt z.B. dazu, dass die Grundsicherungsempfänger routinemäßig nach den Berufen der Kinder gefragt werden. Daraus schichtet der Sachbearbeiter ab, wer wohl evident keine 100.000 € verdient, aber auch, bei wem sich eine nähere Nachfrage lohnen könnte.


    Diese schon länger für die Grundsicherung bestehende Regelung wird vom Vierten Kapitel in das für alle Leistungen des SGB XII geltende Elfte Kapitel SGB XII verschoben und entsprechend angepasst. Umfasst sind daher unter anderem auch die Leistungen der Hilfe zur Pflege, der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie durch parallele Regelungen außerhalb des SGB XII die reformierte Eingliederungshilfe ab 2020 im Teil 2 SGB IX.


    Wie bisher gilt aber: Liegen durch diese Angaben Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so darf das Sozialamt dann doch wiederum bei den Kindern detaillierte Auskünfte verlangen.


    Was solche „hinreichenden Anhaltspunkte“ sind, liegt im Ermessen der Ämter.


    Außerdem können die Ämter im Blick haben, dass eine Unterhaltsleistungsfähigkeit nicht nur aus Einkommen, sondern auch aus Vermögen gezogen werden kann – und dann müssten sie sowieso Auskunft verlangen.


    Das bedeutet, dass auch für Mandanten, die weniger als 100.000 € verdienen, ggf. weiter Beratungsbedarf besteht. Nämlich dann, wenn sie z.B. mietfrei wohnen (und dadurch die genannte Grenze überschreiten) oder hohes Vermögen haben.


    Ob hier weiterhin die Vermögens-Schongrenzen Gültigkeit haben, die der BGH kreiert hat oder ob die Rechtsprechung diese Grenzen zwecks Entlastung weiter anhebt, ist abzuwarten. Denn laut Gesetzesbegründung soll der Familienverband entlastet und die Solidargemeinschaft stärker in die Verantwortung genommen werden. Die bisher bestehenden Strukturen der Einstandspflicht der Kinder beziehungsweise Eltern sollen weitestgehend aufgebrochen werden. Dem gesellschaftlichen Wandel werde durch eine stärkere Inanspruchnahme des Staates Rechnung getragen. Die Vorgaben des Koalitionsvertrages würden damit vollumfänglich umgesetzt und aus Gleichbehandlungsgründen grundsätzlich auf alle Leistungen der Sozialhilfe und Eingliederungshilfe erstreckt. Dasselbe wird nämlich auch für Eltern gelten, deren volljährige Kinder „Eingliederungshilfe“ beziehen.


    Nach Angaben von Bundessozialminister Heil sollen rund 275.000 Betroffene durch das Gesetz entlastet werden.


    Entlastung der Angehörigen bedeutet spiegelbildlich Mehrkosten für die Kommunen, die für die Sozialhilfe zuständig sind.  Diese werden auf bis zu 300 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. 

  • Gesetzliche Vermutung: kein Großverdiener

    Das Gesetz enthält – genau wie bisher für die Grundsicherung - eine Vermutungsregel: Nur in Ausnahmefällen, in denen die Behörde ein Einkommen über der Schwelle vermutet, müssen Betroffene ihr Einkommen offenlegen - dies soll Bürger und Verwaltung entlasten. Schon auf der Auskunftsstufe ist daher spannend, welche hinreichenden Anhaltspunkte die Behörde denn gewonnen haben will, um Rückschlüsse auf das Einkommen zu ziehen.


    Ich habe allerdings schon erlebt, dass der Sozialhilfeträger unter Verletzung von Datenschutzrecht Drittauskünfte beim Finanzamt einholt, wenn keine Auskunft erteilt wird, weil die gesetzliche Vermutung nicht entkräftet wurde.


    Tipp: Es dürfte nicht schlau sein, wenn das ü-100.000-Euro-Kind als Bevollmächtigter der Mutter den Sozialhilfeantrag stellt, weil dann die Frage nach dem Einkommen der Kinder wahrheitsgemäß ausgefüllt werden muss.


  • BGH zur gesetzlichen Vermutung

    Zur 100.000-brutto-Grenze, der gesetzlichen Vermutung und den Auskunftspflichten führte der BGH aus:

    Die typisierende Annahme, dass der Bedarf des Leistungsberechtigten bei einem gewissen (steuerrechtlichen) Bruttoeinkommen eines unterhaltspflichtigen Kindes oder Elternteils in vollem Umfang durch dessen Unterhaltszahlungen gedeckt werden könne, kann sich bei unterhaltsrechtlicher Betrachtungsweise - insbesondere beim Bestehen hoher Verbindlichkeiten oder im Falle vorrangiger Unterhaltspflichten aufseiten des Unterhaltspflichtigen - im Einzelfall als nicht tragfähig erweisen. Zudem werden in vielen Fällen die nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB XII privilegierten Kinder oder Elternteile - wie im vorliegenden Fall der Antragsgegner - aus der Sicht des Unterhaltsrechts in der Lage sein, mit ihrem unterhalb des Grenzbetrages von 100.000 € liegenden Bruttoeinkommen zum Unterhalt des Leistungsberechtigten beizutragen, so dass sich die zivilrechtliche Unterhaltspflicht des nicht privilegierten Kindes oder Elternteils bei einer Mehrzahl von leistungsfähigen Unterhaltspflichtigen der Höhe nach von vornherein auf einen nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB bemessenen Haftungsanteil am gesamten Bedarf des Leistungsberechtigten beschränkt.

    Diese Widersprüche lassen sich allerdings aus der Binnenlogik der für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Verfahrensvorschriften heraus erklären. In diesem Verwaltungsverfahren soll bei der Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen nur sehr behutsam in die informationellen Selbstbestimmungsrechte des Leistungsberechtigten und seiner unterhaltspflichtigen Eltern und Kinder eingegriffen werden, damit der Leistungsberechtigte nicht aus Furcht vor umfassender behördlicher Ausforschung der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner unterhaltspflichtigen Eltern und Kinder von der Beantragung der Grundsicherung Abstand nimmt (vgl. Schoch in LPK- SGB XII 9. Aufl. § 43 Rn. 10). Der Leistungsberechtigte ist deshalb - über allgemein gehaltene Angaben hinaus - nicht verpflichtet, dem Grundsicherungsträger umfassende Einzelheiten zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der unterhaltspflichtigen Eltern und Kinder zu offenbaren. Der in § 43 Abs. 3 Satz 4 SGB XII normierte Auskunftsanspruch des Grundsicherungsträgers gegen die unterhaltspflichtigen Kinder und Eltern richtet sich in persönlicher Hinsicht nur gegen diejenigen Unterhaltspflichtigen, für deren Person der Grundsicherungsträger bereits hinreichende Anhaltspunkte für ein den Grenzbetrag von 100.000 € erreichendes Einkommen darlegen kann.


    BGH - Beschluss vom 08.07.2015 (XII ZB 56/14) – zur Grundsicherung


  • 100.000 Euro - brutto oder netto oder wie?

    Weder brutto noch netto: Gemeint sind damit lt. Verweis auf § 16 SGB IV die gesamten Einkünfte eines Jahres im Sinne des Einkommensteuerrechts. Die Summe der Einkünfte wird also unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten ermittelt, so dass etwa Kinderbetreuungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EstG und Werbungskosten nach § 9 EstG abziehbar sind.


    Gravierender Unterschied zur bisherigen unterhaltsrechtlichen Einkommensermittlung ist aber, dass nicht steuerbare Einkommensarten hierbei irrelevant sind, so etwa der Wohnvorteil, vor allem aber der Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten. Hierüber gibt es keine verdeckte Schwiegerkindhaftung mehr.

    Auch bei der Ermittlung von Einkünften aus Vermietung/ Verpachtung gelten für die Ermittlung dieser 100.000-Euro-Schwelle steuerrechtliche Maßstäbe, anders als im Liquiditätsprinzip der Familienrechtler. 


    In Kauf genommen wird bei dieser Bruttogrenze auch die Ungleichbehandlung von Beamten und Angestellten, die bei identischem Brutto über völlig verschiedenes Netto verfügen – erst recht dann aber bei Freiberuflern, die aus ihren steuerrechtlichen Einkünften allein die komplette Kranken-, Erwerbsunfähigkeits- und Altersvorsorge tragen müssen. 


    Es lassen sich damit nun leicht Fälle bilden, die unter Geschwistern zu unverständlichen Ergebnissen führen, weil der eine sich als Familienvater und Alleinverdiener von 100.001 € einer Unterhaltsberechnung unter Wahrung seines Sockelselbstbehaltes von 2.000 € stellen muss, während der andere – alleinstehender Beamter mit Vermögen und mietfrei wohnend – mit 99.999 € Bruttogehalt nicht einmal weitergehende Auskünfte schuldet, erst recht keine Zahlung befürchten muss. Nach Übersendung seines Steuerbescheides an das Sozialamt kehrt bei ihm Rechtsfrieden ein, während der Bruder Aufwand, Rechtsberatungskosten und emotionale Unsicherheit hat und am Ende sogar noch ein paar hundert Euro monatlich zahlen muss. Allenfalls wird er sich auf die BGH-Entscheidung zur Grundsicherung vom 8.7.2015 – XII ZB 56/14 – berufen und damit nur die Hälfte seines ursprünglichen Rechenergebnisses zahlen. 


    Insgesamt drängt sich jedenfalls Art. 3 GG auf, so dass Anpassungen des Unterhaltsrechts zwingend sind, aber vermutlich zunächst durch die Familiengerichte geleistet werden müssen. Bei der Neufestsetzung des Sockelselbstbehaltes nach der Düsseldorfer Tabelle auf 2.000 € hatte die Leitlinienkonferenz der Oberlandesgerichte das erst später endgültig verabschiedete Angehörigen-Entlastungsgesetz nicht berücksichtigen können. 2.000 € netto erscheinen aber deutlich zu knapp, wenn man das gesetzgeberische Anliegen richtig interpretiert.


    OLG München und OLG Düsseldorf haben deutlich höhere Selbstebehalte ermittelt - ist aber noch nicht rechtskräftig.


  • Wer muss seit 2020 überhaupt Elternunterhalt zahlen?

    Ganz praktisch gedacht muss niemand für ein laufendes Jahr Elternunterhalt zahlen – denn man kann sich auf den Standpunkt stellen, frühestens im Dezember zu wissen, ob man die 100.000 € - Grenze geknackt hatte. Krankheit, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit können dazu führen, dass die Erwartungen, die man aus den Erkenntnissen der Vorjahre prognostiziert, nicht erfüllt werden.  Die Coronakrise hat vielen gezeigt, dass Einkommensprognosen nicht verlässlich sind


    Es kommt nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nur auf das Jahreseinkommen an und nicht auf das Einkommen der letzten 12 Monate. Und auch nach Vollendung des Kalenderjahres muss erst noch die steuerrechtliche Aufarbeitung erfolgen, um den Begriff der Gesamteinkünfte mit Zahlen zu füllen.


    Bisher gibt es auch noch keine veröffentlichten Gerichtsentscheidungen dazu, ob der BGH-Rechenweg aus 2010 nicht neu gedacht werden muss und wie man einen angemessenen Selbstbehalt unter Beachtung der Wertungen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes ermittelt.


    Es spricht also viel dafür, nicht zu zahlen.


  • Zivilrechtliche Unterhaltspflicht statt Sozialhilfe?

    Nun gab es auch den Gedanken, der Elternunterhalt sei mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz 2020 mitnichten „tot“, sondern allenfalls sei das Rückgriffsrecht der Sozialhilfeempfänger gestorben. 


    Unbenommen sei es dem bedürftigen Elternteil nämlich weiterhin, Unterhalt nach § 1601 BGB gegen sein zivilrechtlich unterhaltspflichtiges Kind  geltend zu machen. Dazu bildet der lebenserfahrene Familienrechtler Szenarien zerstrittener Geschwister, in denen ein Generalbevollmächtigter die anderen mit Unterhaltsforderungen für den gemeinsamen Vater malträtiert. 


    Man wird ihm, wenn man unter 100.000 € verdient, aber den BGH-Beschluss vom 8.7.2015 – XII ZB 56/14 – entgegenhalten, nach dem die Geltendmachung von Sozialleistungen die vorrangig mögliche Selbsthilfe ist, so wie auch studierende Kinder vorrangig Bafög-Leistungen beantragen müssen. 

  • BGH zur Auskunftspflicht

    § 43 Abs. 3 Satz 4 SGB XII verdrängt in seinem Anwendungsbereich den allgemeinen sozialhilferechtlichen Auskunftsanspruch aus § 117 SGB XII (LSG NiedersachsenBremen Urteil vom 29. Juli 2014 - L 8 SO 126/11 - [...] Rn. 15; Günther FPR 2005, 461 , 463; Hußmann FPR 2004, 534 , 540). 


    Gegenüber anderen Kindern und Elternteilen besteht daher sozialhilferechtlich kein Auskunftsanspruch, wenn es für diese Unterhaltspflichtigen keine Anhaltspunkte für ein Einkommen von 100.000 € oder mehr gibt. Inhaltlich ist der Auskunftsanspruch nach § 43 Abs. 3 Satz 4 SGB XII auf Angaben zum steuerlichen Bruttoeinkommen des Unterhaltspflichtigen beschränkt (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII [Bearbeitungsstand: 2013] § 43 Rn. 52; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 169, 59 = FamRZ 2006, 1511 , 1515). 


    Demgegenüber kann (und soll) der Träger der Grundsicherung im Bewilligungsverfahren keine weitergehenden Informationen zu den sonstigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen erlangen, auch wenn diese - wie beispielsweise Angaben zu Wohnvorteilen oder zum Einkommen des Ehegatten des Unterhaltspflichtigen - für die Beurteilung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit unmittelbar von Bedeutung sind.


    BGH - Beschluss vom 08.07.2015 (XII ZB 56/14) - zur Grundsicherung


  • Hohes Vermögen: kein Elternunterhalt?

    Für wen die gesetzliche Vermutung greift, dass er weniger als 100.000 € Einkünfte hat, der muss gar keine Auskünfte erteilen – also bleibt sowieso unentdeckt, dass er vielleicht Millionenerbe ist. 

    Dasselbe gilt für denjenigen, der hohes Vermögen hat, aber nicht die Einkommensgrenze überschreitet: auch er schuldet ja gar nicht erst Auskunft über sein Vermögen.


    So bekommt man zu lesen: "Keine Haftung aus Vermögen ". Das ist jedoch in dieser Allgemeingültigkeit falsch.


    Wer mit seinen über 100.000 € „enttarnt“ wurde, schuldet Auskunft wie bisher, auch über das Vermögen, und dann wird - wie bis 2019 - ganz normal seine konkrete Leistungsfähilgkeit ermittelt.


    Überschreitet sein Vermögen die vom BGH entwickelten Rechengrößen (Schonvermögen / 5%-Methode), haftet er also nicht nur aus dem Einkommen, sondern auch aus dem Vermögen,


    Das wäre nur dann anders, wenn man das gesetzgeberische Ziel der Angehörigen-Entlastung als Impuls nimmt, die gesamte bisherige Rechtsprechung zur Leistungsfähigkeit für unanwendbar zu halten.


    Auch hier kann also noch keine verbindliche Antwort gegeben werden!

  • Tipps zum Elternunterhalt

    Sind über 100.000 Euro Jahreseinkünfte im Spiel, gelten 2020 dieselben Tipps wie zuvor.


    Der wichtigste Tipp vorab: 


    Kommen Sie rechtzeitig!

    In der vorsorgenden Beratung können Sie Ihre Zahlungspflicht noch beeinflussen.


    Kommen Sie zu spät in die Beratung, geht es nur noch um Rechenfehler des Sozialamtes oder um bessere Argumente - also um Schadenbegrenzung. Oft sehe ich sehr enttäuschte Gesichter, wenn ich dann anklingen lassen, welche rechtzeitigen - völlig legalen - Handlungen die Unterhaltspflicht bis auf Null reduziert hätten.


    Am besten kommen Sie schon bevor die Heimaufnahme überhaupt droht.


    Jedenfalls bevor Sie vom Sozialamt Post bekommen haben (Zustellung in gelbem Umschlag = Rechtswahrungsanzeige). Der Zugang der Rechtswahrungsanzeige beschneidet nämlich die Freiheit Ihrer Entscheidungen.


    Tipp 1: Kreditraten sind abziehbar


    Wenn Sie vor dem Eintritt der Unterhaltspflicht einen Lebensstil hatten, in dem Sie teure Konsumgüter (Pkw, Haushaltsgegenstände, Reisen) über Kredite finanziert haben, sind die Kreditraten bei der Unterhaltsberechnung abziehbar.


    Tipp 2: Eigene Altersvorsorge ist wichtig


    Machen Sie sich ausgiebig Gedanken über die eigene Altersvorsorge (Vorsorgerückstellungen in Höhe von 5% des sozialversicherungspflichtigen und 25% des nicht sozialversicherungspflichtigen Einkommens sind akzeptabel).


    Tipp 3: Altersvorsorge des Ehegatten nicht vergessen


    Sorgen Sie auch für die Altersvorsorge Ihres Ehegatten, z.B. indem Sie ihm Vermögen dafür übertragen. Bitte denken Sie aber auch an den Fall, dass Ihre Ehe scheitert – den Fall kann man ehevertraglich absichern durch Anrechnung der Übertragung auf einen möglichen Zugewinnausgleich.


    Der Ehegatte muss sich nicht unbedingt die 5%-Kappung entgegenhalten lassen.


    Tipp 4: Die eigenen Kinder gut versorgen


    Denken Sie rechtzeitig an die Einkommens- und Vermögenssituation Ihrer eigenen Kinder, vor allem, wenn diese noch in der Ausbildung sind.


    Tipp 5: Geld in Ihre Immobilie stecken


    Beachten Sie, dass das best geschützte Vermögen in einer selbst genutzten Immobilie angelegt ist. Vielleicht stehen da Investitionen an (Renovierung, Kachelofen, Solaranlage …)? Tätigen Sie Instandhaltungsrücklagen? Dann regelmäßig und nachweislich!


    Tipp 6: Die Eltern tatkräftig unterstützen


    Überlegen Sie, ob eigene Beiträge zur Versorgung Ihrer Eltern (Haushaltsführung) Sie vielleicht finanziell entlasten können.


    Tipp 7: Hatten Sie eine gute Kindheit?


    In Einzelfällen, in denen Sie Ihrem Elternteil vorhalten können, Sie finanziell und emotional vernachlässigt zu haben, sammeln Sie Beweise zu Ihrer Geschichte, um sich ggf. auf Verwirkung berufen zu können.


    Tipp 8: Denken Sie an Abänderung


    Wenn Sie schon vor der Beratung Elternunterhalt gezahlt haben, ist durch die Erhöhung der Selbstbehalte oft  eine Reduzierung möglich. Prüfen Sie die Abänderung bald, denn es gibt keine Rückwirkung.

  • Elternunterhaltsrechner - wie der BGH ab 2010 rechnete

    Der BGH hat in einer Entscheidung aus Juli 2010 eine nachvollziehbare Berechnung durchgeführt und am 5.2.2014 bestätigt. Damit ergibt sich ein "Elternunterhaltsrechner", wenn man diese Kriterien auf den eigenen Fall anwendet.


    Welche Bedeutung dieser Rechenweg nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes für die Kinder, die über 100.000 € Einkünfte haben, noch haben wird, steht noch nicht fest!


    1. Die Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Elternunterhalt in der Regel wie folgt zu ermitteln: Von dem Familieneinkommen wird der Familienselbstbehalt in Abzug gebracht. Das verbleibende Einkommen wird um die Haushaltsersparnis vermindert. Die Hälfte des sich ergebenden Betrages kommt zuzüglich des Familienselbstbehalts dem Familienunterhalt zugute. Zu dem so bemessenen individuellen Familienbedarf hat der Unterhaltspflichtige entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte der Ehegatten beizutragen. Für den Elternunterhalt kann der Unterhaltspflichtige die Differenz zwischen seinem Einkommen und seinem Anteil am Familienunterhalt einsetzen.


    2. Die Haushaltsersparnis, die bezogen auf das den Familienselbstbehalt übersteigende Familieneinkommen eintritt, ist regelmäßig mit 10 % dieses Mehreinkommens zu bemessen.


    3. Aufwendungen für eine Hausrats- und Haftpflichtversicherung sind auch bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt nicht als vorweg abziehbare Verbindlichkeiten zu behandeln.


    4. Ist der Unterhaltspflichtige vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand getreten, können Aufwendungen für eine zusätzliche Altersversorgung weiterhin abzugsfähig sein.


    5. In Höhe des dem Unterhaltsberechtigten sozialrechtlich gewährten angemessenen Barbetrags (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) sowie des Zusatzbarbetrags (§ 133 a SGB XII) ist auch unterhaltsrechtlich ein Bedarf anzuerkennen.


    BGH, Urteil vom 28. Juli 2010 - XII ZR 140/07 - OLG Düsseldorf - AG Düsseldorf



  • Ist es bei Ihnen schon fünf vor zwölf?

    In der vorsorgenden Beratung können Sie Ihre Zahlungspflicht noch beeinflussen.


    Kommen Sie zu spät in die Beratung, geht es nur noch um Rechenfehler des Sozialamtes oder um bessere Argumente - also um Schadenbegrenzung. Oft sehe ich sehr enttäuschte Gesichter, wenn ich dann anklingen lassen, welche rechtzeitigen - völlig legalen - Handlungen die Unterhaltspflicht bis auf Null reduziert hätten.


    Am besten kommen Sie schon bevor die Heimaufnahme überhaupt droht.


    Jedenfalls bevor Sie vom Sozialamt Post bekommen haben (Zustellung in gelbem Umschlag = Rechtswahrungsanzeige). Der Zugang der Rechtswahrungsanzeige beschneidet nämlich die Freiheit Ihrer Entscheidungen.

  • Kosten der gerichtlichen Betreuung im Elternunterhalt

    Zu den Kosten der Heimunterbringung können noch Kosten einer gesetzlichen Betreuung hinzukommen. Auch diese sind Teil des Bedarfes, der vom unterhaltspflichtigen Kind zu decken ist. Allerdings tritt hier nicht der Sozialhilfeträger in Vorleistung, so dass dieser nicht die Betreuungskosten mit geltend macht.

    Bei den Betreuungskosten steht der Unterhaltspflichtige dem Betreuer (beruflich oder ehrenamtlich) gegenüber oder der Gerichtskasse.


    Welche Art Betreuung ist gemeint?


    Die Rede ist hier nicht von Betreuung im Sinne von Versorgung, Pflege, Zuwendung - sondern im Sinne rechtlicher Vertretung auf Basis eines Gerichtsbeschlusses.


    Das Betreuungsrecht ist Teil des Familienrechtes, das sich mit Hilfen für psychisch Kranke, Suchtkranke, Alterskranke und Behinderte befasst, die ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht (vollständig) selbst wahrnehmen können und keine andere Vorsorge (Vollmachterteilung) getroffen haben.


    Was hat das mit Elternunterhalt zu tun?


    Relevanz für den Elternunterhalt hat i.V.m. § 1908i BGB § 1836c Nr. 1 S. 3 BGB: "Als Einkommen gelten auch Unterhaltsansprüche." Einschränkend gilt § 1836d Nr. 2: "(...) gilt als mittellos, wenn er (...) nur im Wege gerichtlicher Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen aufbringen kann." § 1836e BGB enthält den gesetzlichen Forderungsübergang an die Staatskasse.


    Die Gesetzesbegründung wollte übrigens in der Heranziehung unterhaltspflichtiger Kinder für die Kosten das Interesse der Kinder, die Betreuung lieber selbst ehrenamtlich zu übernehmen, stärken. Ob dies in Betracht kommt, entscheidet der Betreuungsrichter nach §1897 Abs. 4-6 BGB: Die Wünsche des Betreuten sind zu beachten, Familienangehörige haben Vorrang vor Berufsbetreuern, wenn nichts gegen die Geeignetheit spricht (z.B. Interessenkollision).


    Was kostet Betreuung?


    Durch das Betreuungsverfahren selbst entstehen Kosten (Gerichtsgebühren, Gutachtervergütung, Verfahrenspflegervergütung), gleich, ob das Verfahren mit der Bestellung eines Berufsbetreuers, ehrenamtlichen Betreuers oder ohne Betreuerbestellung ausgeht. Nach Einrichtung der Betreuung fallen dauerhaft Kosten für den Betreuer, jährlich für das Gericht und anlaßbezogen für Überprüfungs- und Genehmigungsvorgänge an.


    Berufsbetreuer erhalten für ihre Tätigkeit eine Vergütung, die pauschal fallbezogen gewährt wird. Ehrenamtliche Betreuer erhalten eine jährliche Aufwandspauschale. Das Betreuungsgericht setzt beides auf Antrag fest.


    Ist der Betreute mittellos, zahlt die Justizkasse. Ist der Betreute vermögend, zahlt er selbst.

    Die Frage der Mittellosigkeit ist in den §§ 1836c und 1836d BGB geregelt. Bezug genommen wird auf Bestimmungen des Sozialhilferechtes.


    Der ehrenamtliche Betreuer kann tatsächliche Aufwendungen (Fahrtkosten, Telefon, Porto etc.) mit der Staatskasse abrechnen oder eine pauschale Aufwandsentschädigung.


    Wie läuft Elternunterhalt bei Betreuungskosten ab?


    Unterhaltspflichtige können im Betreuungsrecht (anders als im Sozialhilferecht) nicht direkt von der Staatskasse herangezogen werden.


    Der mögliche Ablauf:


    1. Ein Berufsbetreuer wird bestellt und hat seinen Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Betreuten, § 1836 BGB.

    2. Der Betreuer prüft die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betreuten und stellt fest, dass der Betreute bedürftig im Sinne von § 1602 Abs. 1 BGB ist, und Kinder hat, die als Unterhaltspflichtige in Betracht kommen. Unterhaltsansprüche des Betreuten sind nach § 1836c Nr. 1 S. 2 BGB als Einkommen einzusetzen.

    3. Der Betreuer fordert die Kinder zur Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf, ggf. zur Freistellung seines Betreuten von der Zahlung seiner Vergütung.

    4a. Die Kinder zahlen wie verlangt - der Fall ist beendet.

    4b. Anderenfalls: Der Berufsbetreuer führt - wegen seines Eigeninteresses an der Feststellung der Unterhaltspflicht, s.o. - den Unterhaltsprozeß als rechtlicher Vertreter seines Betreuten.

    4c. Alternativ: Der Berufsbetreuer teilt dem Gericht mit, dass die Ansprüche nicht ohne Klage feststellbar / beitreibbar seien. Dies ist ein Fall des § 1836d Nr. 2 BGB: Der Betreute gilt als mittellos. Die Staatskasse zahlt vorschussweise an den Betreuer, allerdings nur die niedrigere Vergütungspauschale.

    5. Dadurch geht der Vergütungsanspruch des Betreuers gegen den Betreuten auf die Staatskasse über, § 1836e BGB.

    6. Die Staatskasse könnte nun gegen den Betreuten einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (§§ 829, 835 ZPO) über die potentielle Unterhaltsforderung erwirken; die Pfändungsschutzvorschrift des § 850b ZPO (keine Pfändung von Unterhaltsansprüchen) gilt nämlich für Unterhaltsforderungen des Betreuten ausdrücklich nicht, § 1836e Abs. 2 BGB.

    7. Die Staatskasse schreibt die Kinder an und fordert sie zur Abgabe einer Drittschuldnererklärung auf, § 840 ZPO.

    8. Die Kinder müssen innerhalb von zwei Wochen erklären, ob sie den Unterhaltsanspruch als begründet anerkennen und bereit sind, Zahlung zu leisten.

    9. Im Rahmen der möglichen Drittschuldnerklage (wahrscheinlich als Stufenklage: zuerst Auskunft, dann Zahlung) wird die Höhe des Unterhaltsanspruches geklärt.

  • Schwiegereltern-Unterhalt - gibt es nicht mehr?

    Nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes 2020 hat die "verdeckte Schwiegerkindhaftung" nur noch für eine Konstellation Bedeutung:


    Das leibliche Kind hat selbst Einkünfte über 100.000 €. Kann das Schwiegerkind seinen eigenen Bedarf nicht decken (ist z.B. Hausfrau), ist das für die Unterhaltsberechnung günstig.

    Verdient das Schwiegerkind aber mehr als den eigenen Selbstbehalt, so lassen sich wieder Rechenergebnisse erzeugen, die auf das Paar durchaus den Eindruck machen, als ginge man für die Schwiegermutter arbeiten.


    Verdeckte Haftung nennt man dies deswegen, weil es keine rechtliche Unterhaltsbeziehung zwischen den beiden gibt, aber faktisch die gute finanzielle Situation des Schwiegerkindes zu einer Unterhaltspflicht des Kindes führen kann. Unterhaltspflichtig sind grundsätzlich nur die verwandten Kinder. Das Schwiegerkind ist nicht verwandt und haftet deshalb nicht nach §§ 1601 ff. BGB. 


    Inwieweit die Entscheidungen des BGH aus 2010 und 2014 zur Rechenmethode nach Inkraftttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes noch anwendbar sind, mag ich derzeit nicht vorhersagen. Es gibt jedenfalls gute Argumente dagegen.

  • Auskunftspflicht des Schwiegerkindes

    Der Fall:

    Das Sozialamt begehrt vom Schwiegersohn Auskunft über dessen Einkommen und Vermögen auf Basis des § 117 SGB XII. Der weigert sich bei der Auskunft über das Vermögen, weil es zivilrechtlich keinen Grund geben kann, dass sein Vermögen Grundlage für die Unterhaltsberechnung der Schwiegermutter wird. Er sieht sich in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht verletzt.


    Das Problem:

    Zwar wäre für die Beurteilung des Unterhaltsanspruches das Zivilgericht (Amtsgericht / Familiengericht) zuständig, aber für die Auskunft nach dem SGB XII ist das Sozialgericht zuständig. Der Rechtszug läuft über Bescheid - Widerspruch - Widerspruchsbescheid - Klage. Das Sozialamt argumentierte, dass es egal sei, ob zivilrechtlich ein Auskunftsanspruch bestehe - die Klärung der Unterhaltshöhe sei ja einem späteren zivilrechtlichen Verfahren vorbehalten. Eine Auskunftserteilung sei ja nicht gleichbedeutend mit der Anerkennung einer Unterhaltspflicht. Die mit dem Fall befassten Sozialgerichte stellten sich dann auf den Standpunkt, dass, gerade weil sie sich mit dem Unterhaltsrecht nicht auskennen, sie nicht von vorneherein ausschließen können, dass die Auskunft doch für die Berechnung wichtig sei - und gaben dem Sozialamt in beiden Instanzen recht. Die Revision zum Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen. Das Bundesverfassungsgericht hätte vielleicht noch die Verhältnismäßigkeit geprüft, aber da kam dieser Fall leider nie an.


     


    Aus den Entscheidungsgründen des LSG NRW:


    Aus § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ergibt sich die Verpflichtung des Klägers, nicht lediglich über seine Einkommens-, sondern auch über seine Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben.


    Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zulässig im (höherrangigen) Allgemeininteresse - konkret: der Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe - eingeschränkt. Dabei müssen, was der Senat bereits früher ausgeführt hat, die begehrten Auskünfte geeignet und erforderlich sind, den Leistungsanpruch zu klären. Auch die Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit ist jedoch insoweit lediglich eingeschränkt zu prüfen, als es ausreicht, festzustellen, dass die Relevanz der begehrten Auskünfte für die Prüfung des Leistungsbegehrens einerseits und möglicher Unterhaltsansprüche des Hilfebedürftigen andernfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich daraus, dass auch das Auskunftsersuchen nur dann rechtswidrig ist, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch besteht (Negativevidenz).


    Der Auffassung des Klägers, sein Vermögen könne unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Bedeutung für Unterhaltsansprüche der Hilfebedürftigen gegenüber seiner Ehefrau erlangen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Argumentation des Klägers beachtet nicht hinreichend, dass die Prüfung der unterhaltsrechtlichen Fragen den Zivilgerichten obliegt. Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen nachzugehen. Negativevidenz kann nur dann vorliegen, wenn ein Anspruch von vornherein, ohne nähere Prüfung - offensichtlich - ausgeschlossen ist. Dies wird schon angesichts der Bedeutung etwa der Rechtsprechung für die Rechtspraxis und fortschreitender Rechtsentwicklung ohnehin nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Zur Klärung der hier maßgeblichen unterhaltsrechtlichen Fragen reicht nicht einmal ein Auffinden der maßgeblichen zivilrechtlichen Vorschriften (wohl §§ 1360, 1360 a und 1578 BGB) aus, da sich die Frage, ob das Vermögen des Klägers für einen Unterhaltsanspruch seiner Ehefrau ihm gegenüber und damit ggf. auch für Unterhaltsansprüche der Hilfebedürftigen bedeutsam ist, aus dem Gesetz heraus nicht beantwortet. Und selbst unter Würdigung der einschlägigen Judikatur und Kommentarliteratur erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch das Vermögen Bestandteil der ehelichen Lebensverhältnisse ist, weil es den ehelichen Lebensstandard prägen kann. Auch wenn schließlich eine weitere, nur summarische Prüfung eher dafür spricht, dass das Vermögen, anders als Vermögenserträge, nicht zur Bedarfsdeckung eingesetzt wird.


    Landessozialgericht NRW - 14.9.09 - L 20 SO 96/08

  • BGH 2014: Einkommenslose verheiratete Hausfrau

    Wenn der unterhaltspflichtige Ehegatte über kein eigenes Einkommen verfügt, hat er nach der Rechtsprechung des BGH sein Taschengeld für den Elternunterhalt einzusetzen, wobei ihm allerdings ein Betrag in Höhe von 5 bis 7 % des Familienselbstbehalts sowie in Höhe der Hälfte des darüber hinausgehenden Taschengeldes verbleiben muss. Bei einem unterhalb von 5 bis 7 % des Familieneinkommens liegenden Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist auch das Taschengeld einzusetzen und demgemäß der insoweit bestehende Selbstbehalt zu beachten.

    BGH vom 5.2.2014 - XII ZB 25/13


  • Elternunterhalt aus Taschengeldanspruch

    Ab 2020 kann die Entscheidung des BGH aus  2014 zur Konstellation der „einkommenslosen verheirateten Hausfrau“ keine Auswirkungen mehr haben, wenn es um die Eltern der Frau im Heim geht. In diesen Fällen ging es bei der Berechnung deren Leistungsfähigkeit nämlich um deren fiktiven Taschengeldanspruch gegen den Ehemann. Es handelt sich um die Entscheidung vom 1.10.2014 (XII ZR 133/13). Derselbe Fall war zuvor schonmal beim BGH und hatte zu der Entscheidung vom 12.12.2012 geführt.

    Das Taschengeld eines Ehegatten war zur Hälfte dessen einzusetzen, soweit der Sockelbetrag (5-7% des Sockelselbstbehaltes) überschritten wird. Aus mietfreiem Wohnen kann man keinen Unterhalt zahlen.


    BGH 12.12.2012 - XII ZR 43/11

    BGH 1.10.2014 - XII ZR 133/13

  • Wohnvorteil bleibt nicht außer acht

    Der Auffassung der Rechtsbeschwerde, wonach der Wohnvorteil des Unterhaltspflichtigen beim Elternunterhalt grundsätzlich nicht dem Einkommen hinzugerechnet werden dürfe, sondern ausschließlich im Rahmen des Selbstbehalts zu berücksichtigen sei, nicht gefolgt werden. Es besteht kein Grund dafür, den Wohnvorteil im Rahmen der verschiedenen Unterhaltsansprüche - beim Ehegatten- und Kindesunterhalt einerseits und beim Elternunterhalt andererseits dem Grunde nach in unterschiedlicher Weise zu berücksichtigen. Denn der Wohnvorteil ist beim Ehegattenunterhalt ebenfalls mit dem Wert der Nutzungen im Rahmen der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Für eine abweichende Berücksichtigung des Wohnvorteils im Elternunterhalt besteht kein Bedürfnis. Dem Schutz des Pflichtigen ist dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass die mit dem Wohnvorteil einhergehenden finanziellen Verpflichtungen, die im Falle der Vermietung nicht auf den Mieter umgelegt werden können, bereits bei der Bemessung des Wohnvorteils zu berücksichtigen sind. Sollte der danach verbleibende Wohnvorteil zusammen mit den umlagefähigen Wohnnebenkosten den in den Leitlinien bestimmten Wohnkostenanteil des Selbstbehalts übersteigen, ist eine entsprechende Erhöhung des Selbstbehalts im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Entsprechendes gilt, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, wenn dem Wohnvorteil keine adäquaten finanziellen Mittel gegenüber stünden, mit denen der Unterhaltspflichtige den Elternunterhalt begleichen könnte.


    Bei der Ermittlung der ersparten Miete bleiben alle Kosten, die (auch) ein Mieter neben der Grundmiete gesondert zu tragen hat, außer Betracht. Vom Wohnwert abzuziehen sind lediglich die nicht umlagefähigen Wohnnebenkosten, die allein vom Eigentümer getragen werden. Ob die Kosten auf einen Mieter umgelegt werden können, kann im Regelfall nach §§ 1, 2 BetrKV beurteilt werden. Nicht umlagefähig sind danach etwa Kosten der Verwaltung und Instandhaltungskosten (Senatsurteil vom 27. Mai 2009 XII ZR 78/08 FamRZ 2009, 1300 Rn. 30, 33 ff.).

    BGH vom 5.2.2014 - XII ZB 25/13

  • BGH 18.1.2017 zum Wohnvorteil

    Eigenheim: Abzug der Tilgung nicht nur als Altersvorsorge


    Der BGH hatte Gelegenheit zu entscheiden, in welchem Umfang Darlehensraten auf einen Eigenheimkredit abziehbar sind. Zinsen sind immer abziehbar, aber bei der Tilgung wurde bisher oft eine Kappung auf die bekannte 5%-Grenze vorgenommen (Tilgung = Vermögensbildung). Nicht unbedingt, sagt der BGH.


    Der Fall: Wohnvorteil 700 €, Rate an die Bank (Zins und Tilgung) 1000 €.


    Das ergäbe zwar tatsächlich einen „negativen Wohnwert“ von 300 €, den wollte das Sozialamt aber nicht anerkennen, ebenso nicht das OLG Hamm (Beschluss v. 9.7.2015 – II-134 UF 70/15).


    5% des Bruttoeinkommens waren nämlich nur 242 €. Einen Teil der Tilgung und sämtliche sonstige private Altersvorsorge hätte der unterhaltspflichtige Sohn also nach Meinung des OLG nicht abziehen dürfen.


    Anders der BGH, der ja bereits früher klargestellt hatte, die selbst bewohnte Immobilie sei kein Altersvorsorgevermögen (BGH v. 7.8.2013 – XII ZB 269/12, FamRZ 2013, 1554), weil die im Elternunterhalt geltende Lebensstandardgarantie (BGH v. 23.10.2002 – XII ZR 266/99, FamRZ 2002, 1698, siehe auch FamRZ 2003, 1179, 1181 f.) ausschließt, dass das abbezahlte Haus nach Abschluss der Erwerbsphase verkauft werden muss, um für Elternunterhalt leistungsfähig zu sein. Die Logik fordert dann aber, auch die Tilgungsleistungen zum Erwerb eines Eigenheims nicht der Altersvorsorge zuzurechnen. Dieser Logik ist der BGH nun treu geblieben


    Würde die Abzugsfähigkeit von Tilgungsleistungen verneint, könnte sich der Unterhaltsverpflichtete gezwungen sehen, das Familienheim zu verwerten, weil er nicht gleichzeitig Elternunterhalt und Tilgungsleistungen aufbringen kann.


    Eine Vermögensbildung „zu Lasten“ des Unterhaltsberechtigten liegt nicht vor, wenn den Tilgungsanteilen noch ein einkommenserhöhender Wohnvorteil beim Unterhaltspflichtigen gegenübersteht. Denn ohne die Zins- und Tilgungsleistung gäbe es den Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht.


    Daraus folgt, dass Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnwerts anzurechnen sind, ohne dass dies die Befugnis des Pflichtigen zur Bildung eines zusätzlichen Altersvorsorgevermögens schmälert. Nur der den Wohnvorteil übersteigende Tilgungsanteil ist Vermögensbildung im Rahmen der sekundären Altersvorsorge – und läuft ggf. in die Kappung.


    Der BGH hat noch einmal bekräftigt, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Verwandtenunterhalt nach § 1603 Abs. 1 BGB dort ihre Grenze findet, wo der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt des Berechtigten zu gewähren. Dem Unterhaltspflichtigen sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt. Die Höhe der als abzugsfähig anzuerkennenden Kosten zu bestimmen, ist dabei in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten.


    BGH, Beschluss v. 18.01.2017 - XII ZB 118/16

  • Kreditraten abziehbar?

    Ob eine Verbindlichkeit im Einzelfall zu berücksichtigen ist, kann danach nur im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung nach billigem Ermessen entschieden werden. Insoweit sind insbesondere der Zweck der Verbindlichkeiten, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeiten von Bedeutung, die Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen (Senatsurteil BGHZ 154, 247 = FamRZ 2003, 1179, 1181).

    BGH vom 5.2.2014 - XII ZB 25/13


    Achtung: angesichts des höheren Selbstbehaltes 2020 ist noch nicht entschieden, ob Privatkredite zusätzlich berücksichtigt werden.

  • BGH 2015 zur Geschwisterhaftung

    Die Entscheidung, die der BGH zur Geschwisterhaftung bei der Grundsicherung getroffen hat, ist auch auf den Elternunterhalts-Fall übertragbar, bei dem ein Kind unter 100.000 Einkommen hat, das andere über 100.000 EUR.


    Beim BGH ging es um das Problem, dass die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 3 Satz 6 SGB XII schon dann insgesamt ausgeschlossen, wenn bei einer Mehrzahl von unterhaltspflichtigen Kindern des Leistungsberechtigten nur eines der Kinder über steuerliche Gesamteinkünfte in Höhe von 100.000 € oder mehr verfügt.

    Das Gesetz schließt einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen aus und verweist den Anspruchsteller auf die Hilfe zum Lebensunterhalt, wenn er wenigstens ein unterhaltspflichtiges Kind oder einen unterhaltspflichtigen Elternteil mit einem Einkommen in Höhe von 100.000 € hat:

    Gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bleiben Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten bei Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gegenüber ihren Kindern und Eltern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne von § 16 SGB IV unter einem Betrag von 100.000 € liegt. Es wird nach § 43 Abs. 3 Satz 2 SGB XII vermutet, dass das Einkommen der Unterhaltspflichtigen diese Grenze nicht überschreitet. Zur Widerlegung dieser Vermutung kann der Träger der Grundsicherung von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen zulassen, § 43 Abs. 3 Satz 3 SGB XII . Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Erreichen der Einkommensgrenze von 100.000 € vor, sind die Unterhaltspflichtigen gegenüber dem Träger der Grundsicherung verpflichtet, in einem für die Durchführung der Vorschriften über die Grundsicherung erforderlichen Umfang über ihre Einkommensverhältnisse Auskunft zu geben, was auch die Verpflichtung umschließt, Beweisurkunden vorzulegen oder deren Vorlage zuzustimmen (§ 43 Abs. 3 Satz 4 und 5 SGB XII ). Gemäß § 43 Abs. 3 Satz 6 SGB XII haben Leistungsberechtigte keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, wenn die nach § 43 Abs. 3 Satz 2 SGB XII geltende Vermutung durch den Träger der Grundsicherung nach § 43 Abs. 3 Satz 4 und 5 SGB XII widerlegt ist.

    Hier gab es drei Kinder, eines mit 21.000 EUR Einkommen (unstreitig gar nicht leistungsfähig), eines mit 76.500 EUR Einkommen (sozialhilferechtlich leistungsfähig) und eines mit 150.000 EUR Einkommen (auch nach dem Angehörigen-Entlastungsgesetz leistungsfähig).

    Wegen des gutverdienenden Kindes bekam die Mutter keine Grundsicherung, „nur“ Sozialhilfe.

    Das mittlere Kind sollte rd. 100 € mtl. zum Bedarf der Mutter beitragen, aber er wurde nur deshalb unterhaltspflichtig, weil er einen Bruder hatte, dessen Einkünfte oberhalb der100K- Einkommensgrenze liegen. 

    Gegen diese Forderung des Sozialamtes gewann er beim BGH.


    Zur 100.000-brutto-Grenze, der gesetzlichen Vermutung und den Auskunftspflichten führte der BGH aus:

    Die typisierende Annahme, dass der Bedarf des Leistungsberechtigten bei einem gewissen (steuerrechtlichen) Bruttoeinkommen eines unterhaltspflichtigen Kindes oder Elternteils in vollem Umfang durch dessen Unterhaltszahlungen gedeckt werden könne, kann sich bei unterhaltsrechtlicher Betrachtungsweise - insbesondere beim Bestehen hoher Verbindlichkeiten oder im Falle vorrangiger Unterhaltspflichten aufseiten des Unterhaltspflichtigen - im Einzelfall als nicht tragfähig erweisen. Zudem werden in vielen Fällen die nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB XII privilegierten Kinder oder Elternteile - wie im vorliegenden Fall der Antragsgegner - aus der Sicht des Unterhaltsrechts in der Lage sein, mit ihrem unterhalb des Grenzbetrages von 100.000 € liegenden Bruttoeinkommen zum Unterhalt des Leistungsberechtigten beizutragen, so dass sich die zivilrechtliche Unterhaltspflicht des nicht privilegierten Kindes oder Elternteils bei einer Mehrzahl von leistungsfähigen Unterhaltspflichtigen der Höhe nach von vornherein auf einen nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB bemessenen Haftungsanteil am gesamten Bedarf des Leistungsberechtigten beschränkt.

    Diese Widersprüche lassen sich allerdings aus der Binnenlogik der für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Verfahrensvorschriften heraus erklären. In diesem Verwaltungsverfahren soll bei der Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen nur sehr behutsam in die informationellen Selbstbestimmungsrechte des Leistungsberechtigten und seiner unterhaltspflichtigen Eltern und Kinder eingegriffen werden, damit der Leistungsberechtigte nicht aus Furcht vor umfassender behördlicher Ausforschung der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner unterhaltspflichtigen Eltern und Kinder von der Beantragung der Grundsicherung Abstand nimmt . Der Leistungsberechtigte ist deshalb - über allgemein gehaltene Angaben hinaus - nicht verpflichtet, dem Grundsicherungsträger umfassende Einzelheiten zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der unterhaltspflichtigen Eltern und Kinder zu offenbaren. Der in § 43 Abs. 3 Satz 4 SGB XII normierte Auskunftsanspruch des Grundsicherungsträgers gegen die unterhaltspflichtigen Kinder und Eltern richtet sich in persönlicher Hinsicht nur gegen diejenigen Unterhaltspflichtigen, für deren Person der Grundsicherungsträger bereits hinreichende Anhaltspunkte für ein den Grenzbetrag von 100.000 € erreichendes Einkommen darlegen kann.


    Zur Auskunftspflicht:

    § 43 Abs. 3 Satz 4 SGB XII verdrängt in seinem Anwendungsbereich den allgemeinen sozialhilferechtlichen Auskunftsanspruch aus § 117 SGB XII (LSG NiedersachsenBremen Urteil vom 29. Juli 2014 - L 8 SO 126/11 - [...] Rn. 15; Günther FPR 2005, 461 , 463; Hußmann FPR 2004, 534 , 540). 

    Gegenüber anderen Kindern und Elternteilen besteht daher sozialhilferechtlich kein Auskunftsanspruch, wenn es für diese Unterhaltspflichtigen keine Anhaltspunkte für ein Einkommen von 100.000 € oder mehr gibt. Inhaltlich ist der Auskunftsanspruch nach § 43 Abs. 3 Satz 4 SGB XII auf Angaben zum steuerlichen Bruttoeinkommen des Unterhaltspflichtigen beschränkt (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII [Bearbeitungsstand: 2013] § 43 Rn. 52; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 169, 59 = FamRZ 2006, 1511 , 1515). Demgegenüber kann (und soll) der Träger der Grundsicherung im Bewilligungsverfahren keine weitergehenden Informationen zu den sonstigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen erlangen, auch wenn diese - wie beispielsweise Angaben zu Wohnvorteilen oder zum Einkommen des Ehegatten des Unterhaltspflichtigen - für die Beurteilung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit unmittelbar von Bedeutung sind.

    Bei der Beurteilung dieser Rechtsfrage sieht sich der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Dessen Entscheidung vom 25. April 2013 ( BSG FamRZ 2014, 385 ) stützt die vom Beschwerdegericht vertretene Auslegung des § 43 Abs. 3 Satz 6 SGB XII nicht.

    Der BGH bemühte dann mangels gesetzlicher Regelung die Generalklausel „ Treu und Glauben“ (§ 242 BGB).


    Der Übergang der Unterhaltsansprüche von der Mutter auf das Sozialamt sei nach § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII wegen unbilliger Härte ausgeschlossen. Erhält der Unterhaltsberechtigte nachrangige Hilfe zum Lebensunterhalt, stellt der gesetzliche Anspruchsübergang für ein unterhaltspflichtiges Kind mit einem unter dem Grenzbetrag des § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB XII liegenden Gesamteinkommen eine unbillige Härte dar, wenn und soweit das Kind den unterhaltsberechtigten Elternteil nur wegen des Vorhandenseins einkommensstärkerer Geschwister nicht auf die Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen verweisen kann.

    Als Einzelkind könnte der unter der Einkommensgrenze von 100.000 € liegende Antragsgegner vom Träger der Sozialhilfe nicht auf Unterhalt in Anspruch genommen werden. Mit den Regelungen, welche die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen von den Einkommensverhältnissen unterhaltspflichtiger Kinder und Eltern abhängig machen, wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass "hohe Einkommen nicht vom Unterhaltsrückgriff befreit werden" (vgl. Plenarprotokoll 14/168 S. 16430). Hier würde der Antragsgegner einem Unterhaltsrückgriff aber nicht wegen der Höhe seines Einkommens, sondern allein deswegen ausgesetzt werden, weil er einen einkommensstärkeren Bruder hat. Dafür ist eine sachliche Rechtfertigung nicht ersichtlich.

    Zudem wird das Phänomen der verschämten Altersarmut, dem durch die Einführung der Grundsicherung im Alter begegnet werden sollte, nach der Vorstellung des Gesetzgebers maßgeblich dadurch verursacht, dass ältere Menschen aus Furcht vor einem Unterhaltsrückgriff auf ihre Kinder keine Sozialhilfe beantragen (vgl. BT-Drucks. 14/4595 S. 43). Gerade aus Sicht des Sozialhilferechts wäre es deshalb verfehlt, wenn die Antragstellerin befürchten müsste, dass selbst ihre einkommensschwächeren Kinder bei einer Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe mit einem Unterhaltsrückgriff durch den Hilfeträger zu rechnen hätten.

    Der Sohn kann dem Unterhaltsbegehren damit den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB ) entgegenhalten. Auch das Unterhaltsrecht kann sich insoweit der Beurteilung nicht verschließen, dass die Heranziehung des Antragsgegners zum Unterhalt unter den gegebenen Umständen eine besondere Belastung darstellt, weil der Bruder des Antragsgegners aufgrund seines Einkommens die Antragstellerin von einer anderweitigen Bedarfsdeckung durch Grundsicherungsleistungen ausschließt. Es ist der Antragstellerin daher im vorliegenden Fall nach Treu und Glauben - auch unter Berücksichtigung des Gebots der familiären Rücksichtnahme (§ 1618 a BGB ) - zuzumuten, von einer Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche gegen den Antragsgegner abzusehen.


    Zur Geschwisterquote:

    Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht deshalb, weil der Verzicht auf die Inanspruchnahme des Antragsgegners zu einer höheren Belastung des Bruders des Antragsgegners führen würde. Die Unterhaltspflicht gegen den Bruder des Antragsgegners ist - was auch aus dem Rechtsgedanken des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs hergeleitet werden kann - in jedem Fall auf die sich aus dem Verhältnis der unterhaltsrelevanten Einkünfte beider Kinder ergebende anteilige Haftung (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB).


    BGH - Beschluss vom 08.07.2015 (XII ZB 56/14) - DRsp Nr. 2015/13825



  • Unterhalt für die Lebensgefährtin (mit Kind) geht vor

    Sie leben unverheiratet in einer Patchworkfamilie und Ihr Vater/ Ihre Mutter kommen ins Heim oder brauchen Sozialhilfe?

    Dann ist es für Ihre Zahlungen an das Sozialamt von großer Wichtigkeit, ob Ihr Patchworksystem als „Familie“ angesehen wird, denn nur dann steht Ihnen ein höherer Selbstbehalt zu.

    Im vom BGH entschiedenen Fall gab es drei Kinder – ein gemeinsames und zwei, die die Freundin des Elternunterhaltspflichtigen mit in die Beziehung gebracht hatte. Das gemeinsame Kind war schon älter als drei Jahre, dennoch arbeitete die Kindesmutter nicht. Das Sozialamt wollte streng sein und meinte, da der Lebensgefährtin wegen des Alters des Kindes nach § 1615l BGB kein Betreuungsunterhalt mehr zustehe, sei ihre Existenz bei der Berechnung des Elternunterhaltes egal.

    Anders der BGH: Im Einzelfall kommen nämlich elternbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über das 3. Lebensjahr hinaus in Betracht. Ein elternbezogener Grund für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts kann auch die einvernehmliche Handhabung in der intakten Beziehung sein. Da das Paar offenbar eine Vereinbarung getroffen hat, dass der Vater erwerbstätig ist und die Mutter das gemeinsame Kind betreut, dann müsse diese Abrede von einem Dritten (Sozialamt) auch berücksichtigt werden (Ausnahme: es ist eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung zulasten des Sozialamtes).


    Es war also der §1615-l-Unterhalt für die Freundin auszurechnen und der geht den bedürftigen Eltern im Rang vor. Allerdings gab es keinen „Familienselbstbehalt“ wie in der Ehe.

    Und: § 1615l BGB hilft nur, wenn ein gemeinsames Kind betreut wird. Mitgebrachte Kinder der Freundin aus einer anderen Beziehung haben rechnerisch keine Bedeutung.


    BGH, Beschluss v. 09.03.2016 – XII ZB 693/14

  • Schonvermögen beim Elternunterhalt

    Grundsätzlich sind die erwachsenen Kinder auch gehalten, in wirtschaftlich vertretbarer Weise ihr Vermögen zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ihrer Eltern einzusetzen.


    Der Bundesgerichtshof hat 2006 zur Höhe des Schonvermögens beim Elternunterhalt eine Faustformel veröffentlicht.

    Bisher war der BGH bereits davon ausgegangen, dass vom monatlichen Einkommen 5% (bezogen aufs Brutto) für die eigene Altersvorsorge beiseitegelegt werden darf - zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversicherung. Dieselben 5% nimmt der BGH nun als Basis der Berechnung des Schonvermögens.

    Einem seinen pflegebedürftigen Eltern unterhaltspflichtigen Kind steht zusätzlich zu seiner Altersversorgung ein Altersvorsorgevermögen in Höhe von 5% seines lebenszeitigen Bruttoeinkommens anrechnungs- und verwertungsfrei zu.


    Beispiel:


    Ein 55 jähriger Unterhaltspflichtiger hat in den letzten 30 Jahren durchschnittlich 50.000 € verdient - summa summarum 1.500.000 €. Hätte er davon jedes Jahr 5% beiseite gelegt, hätte er 75.000 € auf der hohen Kante - plus Zinsen (4% durchschnittlicher Zinssatz). In dieser Größenordnung also dient sein Vermögen - egal, wie es angelegt ist, der eigenen Altersvorsorge.


    Dann ist aber noch ein Gegen-Check vorzunehmen: Wird der Unterhaltspflichtige im eigenen Alter angemessen leben können? Maßstab wären z.B. mindestens 1.400 € oder 75% des letzten Nettoeinkommens. Sonst ist die o.g. Summe passend zu erhöhen. Insbesondere für Selbständige darf diese Überprüfung nicht fehlen.


    BGH - 30.08.2006 - XII ZR 98/04

    bekräftigt mit Beschl. v. 07.08.2013 – XII ZB 269/12


    Wieviel Vermögen benötigt man bis an sein Lebensende selbst?


    Verwertbares Vermögen eines unterhaltspflichtigen Kindes, das selbst bereits die Regelaltersgrenze erreicht hat, kann in der Weise für den Elternunterhalt eingesetzt werden, dass dieses in eine an der statistischen Lebenserwartung des Unterhaltspflichtigen orientierte Monatsrente umgerechnet und dessen Leistungsfähigkeit aufgrund des so ermittelten (Gesamt-)Einkommens nach den für den Einkommenseinsatz geltenden Grundsätzen bemessen wird. Vom Unterhaltspflichtigen kann verlangt werden, sein Vermögen insoweit einzusetzen, als ihm auch nach Abzug des Elternunterhalts ein ausreichendes Vermögen verbleibt, um seinen angemessenen Lebensbedarf zu bestreiten. Das vom Unterhaltspflichtigen für die Altersvorsorge angesparte verwertbare Kapital kann in Anlehnung an § 14 BewG unter Berücksichtigung seiner statistischen Lebenserwartung in eine Monatsrente umgerechnet werden. Dabei sind – laut BGH – die nach § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG vom Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten Vervielfältiger für den Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung zu verwenden.


    BGH, Urt. v. 21.11.2012 – XII ZR 150/10


    In welchem Umfang jemand sein Vermögen im eigenen Alter benötigen wird, lässt sich mit hinreichender Sicherheit erst beurteilen, wenn der Unterhaltspflichtige selbst Rentner ist. Bis dahin ist sowohl die Entwicklung seiner Alterseinkünfte als auch der dann für ihn geltende Selbstbehalt ungewiss. Deshalb braucht er Vermögen in der Höhe, die sich aus der Anlage der ihm zuzugestehenden zusätzlichen Altersversorgung ergibt, bis dahin nicht für Unterhaltszwecke einzusetzen.


    Insofern unterscheidet sich der

    BGH-Beschluss v. 07.08.2013 – XII ZB 269/12

    von dem Fall im o.g. Urteil v. 21.11.2012 - XII ZR 150/10, in dem der Unterhaltspflichtige bereits Rente bezog, weswegen der BGH eine Verwertungspflicht bejaht hat.


    Selbstgenutzte Immobilie


    Daneben kann der Unterhaltspflichtige aber auch noch über eine selbst genutzte Immobilie verfügen. Dieses Haus oder die Eigentumswohnung selbst ist ebenfalls als Vermögen verwertungsfrei. Der Wert einer angemessenen selbst genutzten Immobilie bleibt bei der Bemessung des Altersvermögens nämlich grundsätzlich unberücksichtigt, weil eine Verwertung nicht zumutbar ist. 

    BGH, Beschl. v. 07.08.2013 - XII ZB 269/12

  • Altersvorsorge des Schwiegerkindes

    Legt das selbständig erwerbstätige Schwiegerkind mehr als 25% seines Bruttoeinkommens nachweislich für die eigene Altersvorsorge an, muss das akzeptiert werden: Pfälzisches OLG Zweibrücken vom 6.6.2014 - 2 UF 176/12.

  • Altersvorsorge der Hausfrau

    Wie berechnet man bei einer Hausfrau deren Altersvorsorgeschonvermögen? Die übliche Formel „5% vom Bruttoeinkommen“ würde ja rechnerisch zu „Null“ führen.


    Der Fall:


    Es geht um knapp 8.000 € Elternunterhalt (die bedürftige Mutter ist bereits verstorben, das Sozialamt klagt). Die beklagte Tochter ist 1950 geboren, verheiratet, Hausfrau, und hat 98.000 € Vermögen.


    Der BGH hat die Sache an das OLG Köln zurückverwiesen zur weiteren Aufklärung mit folgenden Hinweisen:


    Der zur Zahlung von Elternunterhalt Verpflichtete ist verheiratet und erzielt kein eigenes Erwerbseinkommen. Für ihn besteht grundsätzlich kein Bedürfnis, ein eigenes Altersvorsorgevermögen zu bilden.


    Für dessen Alter vorzusorgen, obliegt vielmehr dem erwerbstätigen Ehegatten im Rahmen des Familienunterhalts (vgl. Senatsurteil BGHZ 196, 21=FamRZ 2013, 363 Rn.26). Dabei partizipiert der Unterhaltspflichtige nicht nur an der primären Altersversorgung, sondern auch - entgegen der Auffassung  des Oberlandesgerichts Köln - an der sekundären. So wie die Ehegatten in einer Hausfrauenehe während der aktiven Zeit des erwerbstätigen Ehegatten von dessen Einkommen leben, leben sie nach Renteneintritt von dessen Rente nebst Zusatzversorgung.


    Dies gilt allerdings nicht, soweit der Unterhaltspflichtige über seinen Ehegatten nicht hinreichend für das Alter abgesichert ist. Das muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen. Eine unzureichende Altersversorgung ist gegeben, wenn der Ehegatte selbst nicht über eine Altersversorgung verfügt, die den Maßstäben zum Elternunterhalt entspricht. Der Unterhaltspflichtige kann hingegen nicht auf die Versorgung durch seinen Ehegatten verwiesen werden, wenn diese den Maßstäben nicht gerecht wird, die der Senat für die des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen aufgestellt hat. Deshalb ist für die Prüfung, ob auf das Vermögen des nichterwerbstätigen Unterhaltspflichtigen zurückgegriffen werden kann, zugleich die Kontrollüberlegung anzustellen, ob sein Ehegatte hinreichend für das Alter abgesichert ist, was im Zweifel dann zu verneinen wäre, wenn er über keine zusätzliche Altersversorgung verfügt, die einem Kapital von 5% seines Bruttoeinkommens unter Berücksichtigung einer jährlichen Kapitalverzinsung von 4% bezogen auf den Zeitraum vom Einstieg in das Erwerbsleben bis zum Beginn der Unterhaltsverpflichtung entspricht. Wenn die von dem erwerbstätigen Ehegatten begründete Altersversorgung hiernach unzureichend erscheint, ist mit dem Vermögen des Unterhaltspflichtigen die entsprechende Versorgungslücke aufzufüllen und es insoweit vor dem Zugriff des Gläubigers des Elternunterhalts zu schützen.


    Sollte das Oberlandesgericht aufgrund der noch zu treffenden Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Antragsgegnerin ihr Vermögen benötigt, um die auf einem unzureichenden Altersvorsorgevermögen beruhende Versorgungslücke aufzufüllen, käme der Einsatz ihres Vermögens insoweit nicht in Betracht. Sollte das Oberlandesgericht hingegen zu der Auffassung gelangen, dass der Antragsgegnerin kein gesondertes Altersvorsorgevermögen zuzubilligen ist, weil sie über ihren Ehemann im Alter hinreichend abgesichert ist, dürfte ihre Leistungsfähigkeit aufgrund der getroffenen Feststellungen für den geforderten Elternunterhalt nicht zweifelhaft sein


    BGH XII ZB 236/14, Beschluss vom 29.4.2015

  • Altersvorsorgeschonvermögen

    Grundsätzlich sind die erwachsenen Kinder auch gehalten, in wirtschaftlich vertretbarer Weise ihr Vermögen zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ihrer Eltern einzusetzen.


    Der Bundesgerichtshof hat 2006 zur Höhe des Schonvermögens beim Elternunterhalt eine Faustformel veröffentlicht.

    Bisher war der BGH bereits davon ausgegangen, dass vom monatlichen Einkommen 5% (bezogen aufs Brutto) für die eigene Altersvorsorge beiseitegelegt werden darf - zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversicherung. Dieselben 5% nimmt der BGH nun als Basis der Berechnung des Schonvermögens.

    Einem seinen pflegebedürftigen Eltern unterhaltspflichtigen Kind steht zusätzlich zu seiner Altersversorgung ein Altersvorsorgevermögen in Höhe von 5% seines lebenszeitigen Bruttoeinkommens anrechnungs- und verwertungsfrei zu.

    Beispiel:


    Ein 55 jähriger Unterhaltspflichtiger hat in den letzten 30 Jahren durchschnittlich 50.000 € verdient - summa summarum 1.500.000 €. Hätte er davon jedes Jahr 5% beiseite gelegt, hätte er 75.000 € auf der hohen Kante - plus Zinsen (4% durchschnittlicher Zinssatz). In dieser Größenordnung also dient sein Vermögen - egal, wie es angelegt ist, der eigenen Altersvorsorge.


    Dann ist aber noch ein Gegen-Check vorzunehmen: Wird der Unterhaltspflichtige im eigenen Alter angemessen leben können? Maßstab wären z.B. mindestens 1.400 € oder 75% des letzten Nettoeinkommens. Sonst ist die o.g. Summe passend zu erhöhen. Insbesondere für Selbständige darf diese Überprüfung nicht fehlen.


    BGH - 30.08.2006 - XII ZR 98/04

    bekräftigt mit Beschl. v. 07.08.2013 – XII ZB 269/12

  • Verwertungspflicht im Rentenalter

    Verwertbares Vermögen eines unterhaltspflichtigen Kindes, das selbst bereits die Regelaltersgrenze erreicht hat, kann in der Weise für den Elternunterhalt eingesetzt werden, dass dieses in eine an der statistischen Lebenserwartung des Unterhaltspflichtigen orientierte Monatsrente umgerechnet und dessen Leistungsfähigkeit aufgrund des so ermittelten (Gesamt-)Einkommens nach den für den Einkommenseinsatz geltenden Grundsätzen bemessen wird. Vom Unterhaltspflichtigen kann verlangt werden, sein Vermögen insoweit einzusetzen, als ihm auch nach Abzug des Elternunterhalts ein ausreichendes Vermögen verbleibt, um seinen angemessenen Lebensbedarf zu bestreiten. Das vom Unterhaltspflichtigen für die Altersvorsorge angesparte verwertbare Kapital kann in Anlehnung an § 14 BewG unter Berücksichtigung seiner statistischen Lebenserwartung in eine Monatsrente umgerechnet werden. Dabei sind – laut BGH – die nach § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG vom Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten Vervielfältiger für den Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung zu verwenden.


    BGH, Urt. v. 21.11.2012 – XII ZR 150/10


    In welchem Umfang jemand sein Vermögen im eigenen Alter benötigen wird, lässt sich mit hinreichender Sicherheit erst beurteilen, wenn der Unterhaltspflichtige selbst Rentner ist. Bis dahin ist sowohl die Entwicklung seiner Alterseinkünfte als auch der dann für ihn geltende Selbstbehalt ungewiss. Deshalb braucht er Vermögen in der Höhe, die sich aus der Anlage der ihm zuzugestehenden zusätzlichen Altersversorgung ergibt, bis dahin nicht für Unterhaltszwecke einzusetzen.


    Insofern unterscheidet sich der


    BGH-Beschluss v. 07.08.2013 – XII ZB 269/12


    von dem Fall im o.g. Urteil v. 21.11.2012 - XII ZR 150/10, in dem der Unterhaltspflichtige bereits Rente bezog, weswegen der BGH eine Verwertungspflicht bejaht hat.

  • Selbstbewohnte Immobilie

    Neben seinem Altersvorsorgeschonvermögen kann der Unterhaltspflichtige aber auch noch über eine selbst genutzte Immobilie verfügen. Dieses Haus oder die Eigentumswohnung selbst ist ebenfalls als Vermögen verwertungsfrei. Der Wert einer angemessenen selbst genutzten Immobilie bleibt bei der Bemessung des Altersvermögens nämlich grundsätzlich unberücksichtigt, weil eine Verwertung nicht zumutbar ist. 

    BGH, Beschl. v. 07.08.2013 - XII ZB 269/12

  • 5% von Null sind Null

    Wie berechnet man bei einer Hausfrau deren Altersvorsorgeschonvermögen? Die übliche Formel „5% vom Bruttoeinkommen“ würde ja rechnerisch zu „Null“ führen.


    Der Fall:


    Es geht um knapp 8.000 € Elternunterhalt (die bedürftige Mutter ist bereits verstorben, das Sozialamt klagt). Die beklagte Tochter ist 1950 geboren, verheiratet, Hausfrau, und hat 98.000 € Vermögen.


    Der BGH hat die Sache an das OLG Köln zurückverwiesen zur weiteren Aufklärung mit folgenden Hinweisen:


    Der zur Zahlung von Elternunterhalt Verpflichtete ist verheiratet und erzielt kein eigenes Erwerbseinkommen. Für ihn besteht grundsätzlich kein Bedürfnis, ein eigenes Altersvorsorgevermögen zu bilden.


    Für dessen Alter vorzusorgen, obliegt vielmehr dem erwerbstätigen Ehegatten im Rahmen des Familienunterhalts (vgl. Senatsurteil BGHZ 196, 21=FamRZ 2013, 363 Rn.26). Dabei partizipiert der Unterhaltspflichtige nicht nur an der primären Altersversorgung, sondern auch - entgegen der Auffassung  des Oberlandesgerichts Köln - an der sekundären. So wie die Ehegatten in einer Hausfrauenehe während der aktiven Zeit des erwerbstätigen Ehegatten von dessen Einkommen leben, leben sie nach Renteneintritt von dessen Rente nebst Zusatzversorgung.


    Dies gilt allerdings nicht, soweit der Unterhaltspflichtige über seinen Ehegatten nicht hinreichend für das Alter abgesichert ist. Das muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen. Eine unzureichende Altersversorgung ist gegeben, wenn der Ehegatte selbst nicht über eine Altersversorgung verfügt, die den Maßstäben zum Elternunterhalt entspricht. Der Unterhaltspflichtige kann hingegen nicht auf die Versorgung durch seinen Ehegatten verwiesen werden, wenn diese den Maßstäben nicht gerecht wird, die der Senat für die des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen aufgestellt hat. Deshalb ist für die Prüfung, ob auf das Vermögen des nichterwerbstätigen Unterhaltspflichtigen zurückgegriffen werden kann, zugleich die Kontrollüberlegung anzustellen, ob sein Ehegatte hinreichend für das Alter abgesichert ist, was im Zweifel dann zu verneinen wäre, wenn er über keine zusätzliche Altersversorgung verfügt, die einem Kapital von 5% seines Bruttoeinkommens unter Berücksichtigung einer jährlichen Kapitalverzinsung von 4% bezogen auf den Zeitraum vom Einstieg in das Erwerbsleben bis zum Beginn der Unterhaltsverpflichtung entspricht. Wenn die von dem erwerbstätigen Ehegatten begründete Altersversorgung hiernach unzureichend erscheint, ist mit dem Vermögen des Unterhaltspflichtigen die entsprechende Versorgungslücke aufzufüllen und es insoweit vor dem Zugriff des Gläubigers des Elternunterhalts zu schützen.


    Sollte das Oberlandesgericht aufgrund der noch zu treffenden Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Antragsgegnerin ihr Vermögen benötigt, um die auf einem unzureichenden Altersvorsorgevermögen beruhende Versorgungslücke aufzufüllen, käme der Einsatz ihres Vermögens insoweit nicht in Betracht. Sollte das Oberlandesgericht hingegen zu der Auffassung gelangen, dass der Antragsgegnerin kein gesondertes Altersvorsorgevermögen zuzubilligen ist, weil sie über ihren Ehemann im Alter hinreichend abgesichert ist, dürfte ihre Leistungsfähigkeit aufgrund der getroffenen Feststellungen für den geforderten Elternunterhalt nicht zweifelhaft sein


    BGH XII ZB 236/14, Beschluss vom 29.4.2015

  • Notgroschen

    Für den Notgroschen, der darüber hinaus noch verbleiben darf, gibt es keine Faustformel. Am besten ist, der Unterhaltspflichtige kann konkrete Verwendungsabsichten begründen: Rücklage für neues Auto, Anschaffung Hausrat, Instandhaltung Immobilie, Urlaubsreise etc.

  • Verwirken Rabeneltern ihren Elternunterhalts-Anspruch?

    Als Zauberformel, die gegen Elternunterhalt wirken soll, wird gern die "unbillige Härte" nach § 1611 BGB verkauft.


    Eine wichtige Entscheidung des BGH zur Rabeneltern-Thematik erging am 12. Februar 2014:

    Keine Verwirkung des Anspruchs auf Elternunterhalt bei einseitigem Kontaktabbruch des Unterhaltsberechtigten gegenüber seinem volljährigen Sohn


    Der unter anderem für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass ein vom Unterhaltsberechtigten ausgehender einseitiger Kontaktabbruch gegenüber seinem volljährigen Sohn für eine Verwirkung seines Anspruchs auf Elternunterhalt allein regelmäßig nicht ausreicht.


    Die Antragstellerin, die Freie Hansestadt Bremen, verlangt von dem Antragsgegner aus übergegangenem Recht Elternunterhalt. Die Eltern des 1953 geborenen Antragsgegners trennten sich 1971; ihre Ehe wurde noch im selben Jahr geschieden. Der Antragsgegner verblieb im Haushalt seiner Mutter und hatte anfangs noch einen losen Kontakt zu seinem Vater. Nach Erreichen des Abiturs im Jahr 1972 brach der Kontakt des volljährigen Sohnes zu seinem 1923 geborenen Vater ab. Dieser bestritt seinen Lebensunterhalt als Rentner aus den Erträgen einer Lebensversicherung sowie einer geringen Altersrente. 1998 errichtete er ein notarielles Testament, in dem er seine Bekannte zur Erbin einsetzte. Zudem bestimmte er, dass der Antragsgegner nur den "strengsten Pflichtteil" erhalten solle. Erläuternd führte der Vater in dem Testament aus, dass zu seinem Sohn seit rund 27 Jahren kein Kontakt mehr bestehe. Im April 2008 verzog der Vater in eine Heimeinrichtung; er starb im Februar 2012. Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner im Hinblick auf die seinem Vater in der Zeit von Februar 2009 bis Januar 2012 nach dem Sozialgesetzbuch erbachten Leistungen auf Zahlung eines Gesamtbetrages von 9.022,75 € in Anspruch.


    Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht den Antrag zurückgewiesen, weil der Anspruch auf Elternunterhalt verwirkt sei. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.


    Der Bundesgerichtshof hat den Beschluss des Oberlandesgerichts auf die Rechtsbeschwerde aufgehoben, die Beschwerde zurückgewiesen und damit die amtsgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt. Der – zur Höhe unstreitige - Anspruch auf Elternunterhalt war trotz des Kontaktabbruchs zu dem volljährigen Sohn nicht nach § 1611 Abs. 1 BGB* verwirkt.


    Ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch stellt wegen der darin liegenden Verletzung der sich aus § 1618 a BGB ergebenden Pflicht zu Beistand und Rücksicht zwar regelmäßig eine Verfehlung dar. Sie führt aber nur bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts. Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht festgestellt. Zwar mag der Vater durch sein Verhalten das familiäre Band zu seinem volljährigen Sohn aufgekündigt haben. Andererseits hat er sich in den ersten 18 Lebensjahren seines Sohnes um diesen gekümmert. Er hat daher gerade in der Lebensphase, in der regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich ist, seinen Elternpflichten im Wesentlichen genügt. Die Errichtung des Testaments selbst stellt keine Verfehlung dar, weil der Vater insoweit lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht hat.


    Beschluss vom 12. Februar 2014 – XII ZB 607/12



  • Verwirkung: Scheidungswaisen

    Die Generation, in der es viele "Scheidungswaisen" gibt, kommt allmählich in das Alter, in dem die Eltern pflegebedürftig werden. Daher hat die o.g. BGH-Entscheidung zum Thema "Kontaktabbruch" eine hohe Bedeutung für die kommenden Jahre der Elternunterhalts-Rechtsprechung.


    In diesem Bremer Fall, über den der BGH am 12.2.2014 entschied, trennten die Eltern sich, als das Kind 18 Jahre alt war. Das OLG Oldenburg hatte noch gemeint, dass es Aufgabe des Vaters gewesen wäre, es nicht zu einem endgültigen Bruch kommen zu lassen und dass die Zurückweisung von Kontaktversuchen des Sohnes (Mitteilungen über das Abitur und die Verlobung) kränkend und traumatisierend für das Kind gewesen seien.


    Der BGH sah das deswegen anders, weil über die Vater-Sohn-Beziehung der ersten 18 Lebensjahre nichts nachteiliges bekannt war.


    Das bedeutet jedoch, dass diejenigen Kinder, die ihren Vater nur "Erzeuger" titulieren, weil er ihnen nie ein Vater war, sich Hoffnung machen können, dass die Gerichte ihren Fall anders beurteilen und sie von der Elternunterhaltspflicht befreien.


    Aus der BGH-Entscheidung vom 12.2.2014 kann man ablesen, dass die Kinder, die früh von ihrem Vater „verstoßen“ wurden oder nie Kontakt zu ihrem Erzeuger hatten oder andere „besondere Umstände“ beweisen können, Verwirkung einwenden können. Jedoch werden sicherlich die Sozialhilfeträger diese BGH-Entscheidung jedem „Scheidungswaisen“ entgegenhalten, bis ein Sachverhalt bis zum BGH getragen wird, in dem der Kontaktabbruch zur Verwirkung führt. Da hilft nur gute anwaltliche Argumentation.


    Die Reihe der bisherigen BGH-Entscheidung zur Thematik "Rabeneltern" zeigt:


    Für "Verwirkung" müssen schon ganz besondere Umstände vorgetragen (und bewiesen!) werden. Einfacher Kontaktabbruch reicht nicht, wenn aber ein besonderes Verschulden des Elternteiles hinzukommt oder es vielleicht niemals Kontakt und Fürsorge (auch finanzielle) gab, könnte im Einzelfall Verwirkung vorliegen.

  • Psychisch kranke Eltern im Heim

    In dem vom BGH am 15.9.2010 entschiedenen Fall wurde keine Verwirkung gesehen, weil Voraussetzung ein gewisses Verschulden des Unterhaltsberechtigten ist. Wer aber psychisch krank ist, trägt an seinem Schicksal keine Schuld.


    Der Fall:


    Es ging es um eine Mutter, die aufgrund einer Psychose mit Antriebsschwäche und Wahnideen ihren Sohn seit dessen 10. Lebensjahr nicht mehr versorgen konnte. Nur auf Familienfeiern sah man sich nochmal, sonstigen Kontakt aber hatte der Sohn stets abgelehnt. Als die Mutter nun auf Kosten des Sozialamtes ins Heim kam, sollte er Elternunterhalt zahlen. Der Sohn argumentierte dagegen u.a., die Mutter sei eine "Rabenmutter" gewesen und habe damit den Anspruch verwirkt. Das sah der BGH anders.

    Mitteilung der Pressestelle des BGH:


    Der für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Sozialhilfeträger, der einem im Heim lebenden Elternteil Sozialleistungen erbracht hat, von dessen Kindern eine Erstattung seiner Kosten verlangen kann.


    Die Klägerin, Trägerin der öffentlichen Hilfe, nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Elternunterhalt für seine 1935 geborene Mutter in Anspruch. Die Mutter, die sich seit April 2005 in einem Pflegeheim befindet, litt schon während der Kindheit des Beklagten an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik und damit einhergehend an Antriebsschwäche und Wahnideen. Sie hat den Beklagten nur bis zur Trennung und Scheidung von ihrem damaligen Ehemann im Jahr 1973 - mit Unterbrechungen wegen zum Teil längerer stationärer Krankenhausaufenthalte - versorgt. Seit spätestens 1977 besteht so gut wie kein Kontakt mehr zwischen dem Beklagten und seiner Mutter.


    Der Beklagte wendet zum einen Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs durch den Sozialhilfeträger und u. a. wegen Fehlverhaltens seiner Mutter ein. Da sie ihn als Kind nie gut behandelt habe, würde es zum anderen eine unbillige Härte bedeuten, wenn er gegenüber dem Sozialhilfeträger kraft Rechtsübergangs für den Unterhalt der Mutter aufkommen müsste.


    Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte Abweisung der Klage.


    Die Revision des Beklagten blieb erfolglos. Der Unterhaltsanspruch ist nicht verwirkt.


    Eine Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung scheitert bereits am hier nicht erfüllten Zeitmoment, wonach der Gläubiger seinen Anspruch nur dann verliert, wenn er sein Recht längere Zeit- mindestens ein Jahr - nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre. Hier hat sich die Behörde durchgängig um die Realisierung des auf sie übergangenen Unterhaltsanspruchs bemüht. Deshalb durfte sich der Beklagte auch nicht darauf einrichten, dass die Klägerin ihr Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (so genanntes Umstandsmoment).


    Weiter hat der Senat entschieden, dass eine psychische Erkrankung, die dazu geführt hat, dass der pflegebedürftige Elternteil der früheren Unterhaltsverpflichtung seinem Kind gegenüber nicht gerecht werden konnte, nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten im Sinne des § 1611 BGB mit der Konsequenz eines Anspruchsverlustes betrachtet werden kann.


    Wegen der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigen die als schicksalsbedingt zu qualifizierende Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf den Beklagten es nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Lebenssachverhalt auch soziale bzw. öffentliche Belange beinhaltet. Das ist u. a. der Fall, wenn ein erkennbarer Bezug zu einem Handeln des Staates vorliegt. Eine solche Konstellation lag der Senatsentscheidung vom 21. April 2004 (XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097) zugrunde, in der die psychische Erkrankung des unterhaltsberechtigten Elternteils und die damit einhergehende Unfähigkeit, sich um sein Kind zu kümmern, auf seinem Einsatz im zweiten Weltkrieg beruhte. Soziale Belange, die einen Übergang des Unterhaltsanspruchs auf die Behörde ausschließen, können sich auch aus dem sozialhilferechtlichen Gebot ergeben, auf die Interessen und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen. Der Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger bleibt damit auf Ausnahmefälle beschränkt.


    BGH vom 15. September 2010 - XII ZR 148/09

  • Verwirkung: bei den Großeltern aufgewachsen

    In einem anderen Fall, in dem - wie oben - die Mutter sich wenig um ihr Kind gekümmert hatte, war das Kind später von der Unterhaltslast befreit worden. Jene Mutter war aber nicht psychisch krank, sondern hatte sich frei entschieden, ihr Kind nicht selbst großzuziehen:


    Der Fall:


    Mutter und Tochter lebten nur die ersten eineinhalb Jahre zusammen - gemeinsam bei den Großeltern. Danach ließ die Mutter ihr Kind dort zurück und brach auch den Kontakt fast vollkommen ab. Aus zwei gescheiterten Ehen hat sie vier weitere Kinder, mit denen sie vorübergehend auch in den USA lebte.


    Wie der BGH entschied, kann die Mutter und damit auch das Sozialamt kein Geld verlangen. Die Mutter habe sich weder finanziell noch in Liebe und Fürsorge um ihr Kind gekümmert. Dies offenbare einen "groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme". In solch einem besonderen Fall sei es "mit dem Rechtsempfinden schlechthin nicht zu vereinbaren", wenn nun die Tochter für ihre Mutter zahlen müsse.


    BGH - 19.5.2004 - XII ZR 304/02

  • Verwirkung wegen Vernachlässigung

    Verwirkung wegen gröblicher Vernachlässigung, indem die – jetzt pflegebedürftige - Mutter über eine längere Zeit nicht nur elementare Bedürfnisse ihrer Kinder nach Versorgung mit Nahrung und Hygiene, sondern auch die körperliche und sexuelle Integrität missachtet hat.

    OLG Frankfurt/Main - Beschluss vom 22.03.2016 (2 UF 15/16) 

  • Verwirkung: keine rosige Kindheit

    Eltern können im Alter dann keinen Unterhalt von ihren Kindern verlangen, wenn sie selbst ihren Kindern keinen Unterhalt gezahlt haben und diesen deswegen die berufliche Zukunft verbaut wurde. Dies hat das Familiengericht Krefeld entschieden (AG Krefeld, Urt. v. 30.10.2009, 65F 130/09).


    Der Fall:

    Das Sozialamt leistete einer Mutter 176 Euro monatlich. Der Sohn hätte ausreichend Einkommen gehabt, um dies zu ersetzen. Die Kindheit des Sohnes war nicht rosig gewesen. Bereits im Alter von 13 Jahren (1959) hatte er nach Beendigung der Volksschule einer Arbeit nachgehen müssen, weil die Mutter nicht bereit war, ihm eine längere Schulausbildung oder Berufsausbildung zu ermöglichen. Zudem hatte er seit den sechziger Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter gehabt. Einziges Beweismittel dieses Sohnes für seine Geschichte war seine eigene Aussage. Der Versicherungsverlauf bei der Rentenversicherung belegte, dass er bereits vor seinem 14. Geburtstag erwerbstätig war.


     


    Die Entscheidung:

    Das Familiengericht Krefeld entschied, dass die Mutter ihre Unterhaltspflicht gemäß § 1611 BGB gegenüber dem Sohn ihrerseits gröblich verletzt habe, so dass seine Inanspruchnahme grob unbillig wäre.

    Das Gericht glaubte dem Beklagte, dass er damals durchaus ein konkretes Interesse daran gehabt habe, nach der Volksschule eine Ausbildung zu machen. Es sei ihm damals nicht die Möglichkeit gegeben worden, den Schulbesuch fortzusetzen oder eine Berufsausbildung zu absolvieren.

    Das Gericht berücksichtigte dabei durchaus die Wirtschaftslage der fünfziger Jahre. Bei beengten Verhältnissen der Herkunftsfamilie war es nicht unüblich, dass Kinder bereits früh ins Erwerbsleben eintreten mussten. Andererseits war damals überhaupt nicht absehbar, welche Bedeutung die Rechtsfigur des Elternunterhaltes heutzutage bekommen würde - schon wegen der Lebenserwartung und der völlig anderen sozialen Bedingungen. Heutzutage würde die Verweigerung des Ausbildungsunterhaltes gegenüber einem 13jährigigen sicherlich eine gröbliche Verfehlung sein. Mag demnach auch zu den Bedingungen der Jahre 1959 ff. die Verweigerung des Ausbildungsunterhalts keine grobe Verfehlung gewesen sein, so komme es nicht auf die subjektive Vorwerfbarkeit allein an, sondern auch auf die veränderten Zeitumstände, die die damalige Ausbildungsverweigerung als Grund für die heutige grobe Unbilligkeit der Unterhaltsverpflichtung ansehen lassen.


    AG Krefeld, 30.10.2009, 65 F 130/09

  • Erfolgsproblem Beweislast - wie ich helfen kann

    Beispiele für Fälle aus meiner Praxis, in denen das Sozialamt ohne Gerichtsverfahren eingesehen hat, dass es meinem Mandanten nicht zumutbar wäre, Unterhalt zu zahlen:


    • sexueller Mißbrauch durch den Vater
    • mit 16 von den Eltern aus dem Haus geworfen und nie unterhalten worden
    • Opfer einer Straftat durch den Vater
    • selbst heute in psychiatrischer Behandlung wegen traumatisierender Kindheit

    Hauptproblem in der Praxis ist die Beweisbarkeit der traumatisierenden Familiengeschichte.


    Wenn Sie sich rechtzeitig beraten lassen, helfe ich Ihnen beim Zusammentragen und Sichern der Beweise.

  • Pflegeverpflichtung - und dann trotzdem ins Heim

    Früher war es üblich, dass Eltern ihren Kindern das Haus schon "mit warmen Händen" übergaben und sich ein Mitwohnrecht behielten und "Wart und Pflege" von den Kindern erwarteten. Dem lag die Vorstellung zugrunde, dass man bis zu seinem Tod zuhause wohnen und dort versorgt und gepglegt werden kann. In vielen alten Notarverträgen fehlt daher die Möglichkeit, dass das nicht klappt, weil eine stationäre Heimpflege erforderlich ist.


    Wenn nichts dazu im Vertrag geregelt ist, stellt sich aber dennoch die Frage, ob das eine finanzielle Bedeutung hat, z.B. ob die Kinder die weggefallene Pflegeverpflichtung beim Sozialamt abbezahlen müssen. Die Lücke im Vertrag muss dann durch "ergänzende Vertragsauslegung" geschlossen werden. Lassen Sie sich dabei unbedingt anwaltlich beraten. Jeder Notarvertrag ist anders, jeder Sachverhalt muss einzeln abgewogen werden.


    BGH 2010:

    a) Ergänzende Vertragsauslegung ist geboten, wenn die Beteiligten eines Übergabevertrages bei dessen Abschluss davon ausgegangen sind, der Übergeber könne im Alter zu Hause gepflegt werden, und deshalb keine Regelung für den Fall seines Umzugs in ein Senioren- oder Pflegeheim getroffen haben (vgl. Senat, Beschl. v. 21. November 2002, V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127; Beschl. v. 23. Januar 2003, V ZB 48/02, NJW-RR 2003, 577, 578; Urt. v. 9. Januar 2009, V ZR 168/07, NJW 2009, 1348 [für ein Wohnrecht] sowie Krüger, ZNotP 2010, 2).


    b) Eine solche Regelungslücke ist unter Berücksichtigung der von den Parteien eingegangenen Bindungen zu schließen. Sollen die Verpflichtungen des Übernehmers, wie hier, zu der Alterssicherung des Übergebers beitragen oder diese umfassend gewährleisten, entspricht es dessen Absicherungsinteresse, dass ihm im Umfang der ersparten Aufwendungen ein Anspruch auf Beteiligung an den Pflegekosten zusteht, wenn er in einem Maße pflegebedürftig wird, dass er professionelle Pflege braucht und der Übernehmer seine Pflegeverpflichtung deshalb nicht mehr selbst erfüllen kann (vgl. Senat, Beschl. v. 21. November 2002, V ZB 40/02, NJW 2003, 1126, 1127).


    Der Umfang der ersparten Aufwendungen richtet sich nach dem Inhalt der ursprünglichen Verpflichtung zu Wart und Pflege (Senat, aaO). An die Stelle nicht mehr zu erbringender Sachleistungen treten Zahlungsverpflichtungen, die den Wert der ersparten Aufwendungen für diese Leistungen abschöpfen (Senat, Beschl. v. 23. Januar 2003, V ZB 48/02, NJW-RR 2003, 577, 578). Hinsichtlich vereinbarter Pflege- und sonstiger Dienstleistungen (z.B. Reinigung von Wohnung und Bekleidung, Zubereitung von Mahlzeiten) ist zu differenzieren:


    Sind die Vertragsparteien bei Abschluss des Übergabevertrages übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Übernehmer hierfür eine Hilfskraft engagiert und bezahlt, zählt das Entgelt für die Hilfskraft zu den infolge des Heimaufenthalts ersparten Aufwendungen. Dagegen tritt an die Stelle von Pflege- und Dienstleistungen, die nach der Vorstellung der Vertragsparteien von dem Übernehmer oder dessen Familienangehörigen persönlich erbracht werden sollten, kein Zahlungsanspruch des Übergebers. Andernfalls führte die ergänzende Vertragsauslegung zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstandes. Der Übernehmer verpflichtet sich zu der Pflege und Betreuung des Übergebers meist in der Annahme, die geschuldeten Dienste selbst oder durch Familienangehörige, also ohne finanziellen Aufwand, erbringen zu können. Es entspricht deshalb in aller Regel nicht dem - für die ergänzende Vertragsauslegung maßgeblichen - hypothetischen Parteiwillen, dass Geldzahlungen an die Stelle der versprochenen Dienste treten, wenn diese aus Gründen, die der Übernehmer nicht zu vertreten hat, nicht mehr erbracht werden können. Müsste der Übernehmer den aufgrund des Heimaufenthalts des Übergebers entstandenen (Frei-)Zeitgewinn in Geld ausgleichen, wäre jedoch genau dies die Folge.


    Abweichendes ergibt sich, anders als die Revision unter Hinweis auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (RNotZ 2005, 485 sowie Urt. v. 5. April 2004, I-9 U 180/03, juris Rdn. 46 ff.) meint, nicht aus der Entscheidung des Senats vom 21. November 2002 (V ZB 40/02, NJW 2003, 1126). Die darin enthaltenen Erwägungen zu dem Umfang der von der Übernehmerin geschuldeten Pflegeleistungen dienten nicht dazu, die infolge des Heimaufenthalts der Übergeberin ersparte Zeit für Pflegeleistungen zu konkretisieren. Sie sollten vielmehr verdeutlichen, dass die Übernehmerin keine Vollzeitpflege schuldete und deshalb auch dann keine professionellen Pflegekräfte hätte engagieren und bezahlen müssen (woraus sich dann ersparte Aufwendungen ergeben hätten), wenn deren Inanspruchnahme für eine ordnungsgemäße häusliche Pflege der Übergeberin im Laufe der Zeit unumgänglich geworden wäre.


    c) Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze ist das Berufungsgericht für den hier zu beurteilenden Sachverhalt rechtsfehlerfrei zu einer ergänzenden Auslegung des Übergabevertrages gelangt, nach der dem Vater des Beklagten zu 1 kein Geldausgleich für die ihm versprochenen, infolge seines Heimaufenthalts aber nicht mehr möglichen Pflege- und Dienstleistungen seitens der Beklagten zusteht.


    Etwas anderes käme zwar in Betracht, wenn die Beklagten aus in ihrer Person liegenden Gründen heute nicht mehr in der Lage wären, die geschuldeten Leistungen selbst zu erbringen und deshalb - lebte der Übergeber noch in ihrem Haus - nach § 2 Nr. 2b des Übergabevertrages verpflichtet wären, auf ihre Kosten eine Hilfskraft zu besorgen; denn in diesem Fall hätten die Beklagten infolge des Heimaufenthalts des Übergebers finanzielle Aufwendungen erspart. Dass es sich so verhält, macht der Kläger indes nicht geltend. Auf ersparte Aufwendungen für Sachleistungen ist die Klage nicht gestützt worden.


    BGH · Urteil vom 29. Januar 2010 · Az. V ZR 132/09

  • Rückforderung von Schenkungen durch das Sozialamt

    Für die Bemessung des angemessenen Unterhalts eines Beschenkten gemäß

    § 529 Abs. 2 BGB kommt der nach § 94 Abs. 1a SGB XII für den Übergang von

    Unterhaltsansprüchen auf Sozialhilfeträger maßgeblichen Einkommensgrenze

    von 100.000 Euro pro Jahr keine Bedeutung zu.

    BGH, Urteil vom 16. April 2024 - X ZR 14/23


    +++


    Zu billig verkauft: Gemischte Schenkung?

    Kommt häufig vor: Oma überträgt ihr Häuschen innerhalb der Familie zu einem "Freundschaftspreis". Kommt sie später ins Heim, forscht das Sozialamt nach, ob dies eine (gemischte) Schenkung war.


    Das OLG Hamm hat dazu folgendes ausgeführt:


    „Der subjektive Tatbestand einer gemischten Schenkung setzt voraus, dass die Vertragsparteien um die Wertdifferenz zwischen den beiden Leistungen wissen und übereinstimmend wollen, dass der überschießende Wert unentgeltlich gegeben wird, die Gegenleistung also nicht lediglich ein gewollt günstiger Preis sein sollte (vgl. BGH NJW 2012, 605 ff). Ist dies zwischen den Beteiligten streitig, ist für die Würdigung, ob eine gemischte Schenkung vorliegt, von besonderer Bedeutung, ob die Vertragsparteien sich überhaupt einer Wertdifferenz zwischen den beiden Leistungsseiten bewusst und sich insoweit darüber einig waren, jedenfalls den überschießenden Leistungsteil dem Beschenkten unentgeltlich zuzuwenden. Maßgebliche Bedeutung kommt hierbei dem Verhältnis zwischen dem Wert der Zuwendung und dem Wert der Gegenleistung zu. Besteht hierbei eine auffallende, über ein geringes Maß deutlich hinausgehende Diskrepanz, dann begründet dies im Einklang mit der Lebenserfahrung die tatsächliche, widerlegbare Vermutung für einen Schenkungswillen der Vertragsparteien. Hierfür sind nicht nur die objektiven Werte der Leistungen, sondern vor allem auch die Wertspannen zu berücksichtigen, innerhalb derer die Vertragsparteien den Wert der Leistungen auch unter Berücksichtigung der Beziehung, in der sie zueinander stehen, in einer noch vertretbaren Weise hätten annehmen können (vgl. BGH aaO).


    Vorliegend wollten die Vertragsparteien nicht, dass der überschießende Leistungsteil der Mutter des Antragsgegners dem Enkel und seiner Ehefrau unentgeltlich zukommen sollte. Dies steht nach dem Ergebnis der vor dem Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme und den gesamten übrigen Umständen fest. Dem Antragsteller, der Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht geltend macht und daher die Beweislast unter anderem auch für die Bedürftigkeit der Mutter des Antragsgegners trägt, ist der ihm obliegende Beweis gelungen.


    (…)


    Demnach steht fest, dass der überschießende Leistungsteil der Mutter des Antragsgegners dem Enkel und seiner Ehefrau aus subjektiver Sicht der Vertragsparteien nicht unentgeltlich zukommen sollte. Für sie stellte nach ihren subjektiven Vorstellungen die Wertdifferenz von 9.000 € ein zulässiger "Abschlag" innerhalb der Familie, aber auch eine „Gegenleistung“ im weiteren Sinne für das Entgegenkommen des Zeugen X dar.


    (…) Der Zeuge und seine Ehefrau haben angesichts der oben bereits dargestellten Notlage der Mutter des Antragsgegners mit dem Erwerb des Erbbaurechts - es drohte der Verlust des Erbbaurechts und somit der "Wohnung" der Großmutter im Wege der Zwangsversteigerung - der Großmutter einen Gefallen erwiesen. Der Zeuge X konnte und durfte daher einen gewissen Abschlag vom Kaufpreis als "Gegenleistung" im Rahmen der zulässigen Preisgestaltung erwarten. Zudem wurde ihm nach seiner Aussage seitens des Notars mitgeteilt, dass ein gewisser „Abschlag“ innerhalb der Familie zulässig sei. Nach den Vorstellungen  der Vertragsparteien wurde der überschießende Teil daher nicht unentgeltlich gegeben. Vielmehr bewegte sich der vereinbarte Kaufpreis nach den Vorstellungen der Parteien noch innerhalb des zulässigen Preisgestaltungsrahmens.

    (…) Der Antragsgegner verkennt die besonderen Umstände des vorliegenden Sachverhaltes, die zu der Übertragung des Erbbaurechts an den Zeugen X und dessen Ehefrau geführt haben.“

    Oberlandesgericht Hamm, 13 UF 256/16, 30.10.2017


    +++


    Enkel müssen ihr Sparbuch auflösen, wenn Oma ins Heim kommt:

    OLG Celle, Urt. v. 13.02.2020 - 6 U 76/19



  • Weihnachtsgeschenke für Jahre im Voraus?

    Der Fall:

    Die Mutter hatte an ihre Tochter im Jahr 1994 ein Haus übertragen und ihr in den Jahren 2002 und 2003 noch insgesamt 13.000 € Bargeld geschenkt zwecks Sanierungsarbeiten.


    Von 2006 bis zu ihrem Tod 2007 hielt sich die großzügige Mutter in einem Pflegeheim auf. Ihre Rente reichte aber nicht, die anfallenden Kosten zu decken, so dass sie ergänzende Sozialhilfe erhielt. Der Kläger als Sozialhilfeträger wollte 12.000 Euro wegen Verarmung der Schenkerin gemäß § 528 BGB zurückhaben. Die Schenkung des Hauses war nicht Gegenstand der Forderung, weil diese mehr als zehn Jahre her war, aber das Bargeld, wovon der Sozialhilfeträger 1.000 € als "Anstandsschenkungen" nicht forderte.


    Die beklagte Tochter weigerte sich. Begründung:  die Zahlungen ihrer Mutter seien nicht nur für sie alleine, sondern auch für ihren Ehegatten und ihre Kinder bestimmt gewesen, nämlich als Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke für einige Jahre im Voraus. Letztlich berief sie sich auch darauf, dass sie die Schenkungen ihrer Mutter für ihren eigenen Bedarf benötige.


    Die Entscheidung:

    Das Landgericht Coburg gab der Klage statt. Die Mutter (übergegangen auf den Sozialhilfeträger) hatte gegen ihre Tochter einen Anspruch gemäß § 528 BGB wegen Verarmung des Schenkers.

    Die Beklagte vermochte das Gericht nicht von ihrer Angabe, es habe sich um Geldgeschenke auf Jahre im Voraus für sich und ihre Angehörigen gehandelt, zu überzeugen. Nach Auffassung des Gerichts entspricht dies nicht der Lebenserfahrung. Auch die tatsächliche Verwendung zur Bezahlung von Handwerkerleistungen an dem Haus der Beklagten spricht dafür, dass die Schenkungen nur an sie erfolgt waren.

    Soweit die Tochter erklärt hatte, die Erfüllung des Rückforderungsanspruchs führe dazu, dass sie selber in wirtschaftliche Not gerate, hielt das Gericht diese Behauptung für nicht überzeugend. Es stellte fest, dass 1994 an die beklagte Tochter nicht nur ein Haus, sondern auch ein landwirtschaftliches Grundstück übertragen worden war. Daher hielt das Gericht eine wirtschaftliche Notlage der Tochter (sogenannter Notbedarf) für nicht einmal schlüssig vorgetragen, geschweige denn nachgewiesen.


    Daher gab das Landgericht der Klage des Sozialhilfeträgers in vollem Umfang statt.


    Landgericht Coburg, Urteil vom 13.08.2010 - 13 O 784/09, rechtskräftig

  • Exkurs: Ehegatte im Heim

    Ein Ehegatte kommt ins Heim, der andere lebt zuhause – wie wirkt sich das finanziell aus?


    Der BGH hatte über eine solche Konstellation am 27.4.2016 zu entscheiden (XII ZB 485/14). Anker für diese Rechtsfrage ist der „Familienunterhalt“ nach § 1360 BGB, über den Gerichte selten zu entscheiden haben, weil er das Zusammenleben der Gatten voraussetzt und innerhalb bestehender Familiensysteme selten prozessiert wird. Hier war aber das Sozialamt und eine gerichtlich bestellte Betreuerin beteiligt.


    Der Fall:


    Die Ehefrau ist aufgrund einer schweren Erkrankung pflegebedürftig im Heim und bezieht dafür Sozialhilfe. Der Ehemann ist Rentner und hat Renteneinkünfte von 1.042,82 EUR. Das Sozialamt hat 132,56 € errechnet, die die Ehefrau als mtl. Eigenanteil leisten könne. Die Betreuerin verklagt den Ehemann auf Zahlung in dieser Höhe.


    Die Entscheidung:


    Das OLG hat den zu zahlenden Betrag auf monatlich 43 € herabgesetzt. Der BGH hat die Entscheidung des OLG bestätigt. Seine Leitsätze lauten:


    1. Wird ein Ehegatte stationär pflegebedürftig, so entsteht ihm ein besonderer persönlicher Bedarf, der vor allem durch die anfallenden Heim- und Pflegekosten bestimmt wird. In diesem Fall richtet der Familienunterhaltsanspruch ausnahmsweise auf Zahlung einer Geldrente.


    2. Ein solcher Unterhaltsanspruch setzt die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners voraus. Der dem Unterhaltsschuldner mindestens zu belassene Eigenbedarf kann zulässigerweise nach dem in der Düsseldorfer Tabelle unter den Leitlinien der OLG ausgewiesenen sogenannten eheangemessenen Selbstbehalt bemessen werden.



    Was ist Familienunterhalt?


    § 1360 BGB regelt, dass beide Ehegatten innerhalb bestehender Familie einen angemessenen Beitrag zum bestehenden Lebensbedarf der gesamten Familie zu leisten haben. In der Haushaltsführungs-Ehe werden die Haushaltsaufgaben und die evtl. Kindererziehung gleichwertig mit dem Erwerbseinkommen angesehen. In der Doppelverdiener-Ehe trägt jeder im Verhältnis seiner Einkünfte bei. Aus § 1360a Abs. 2 S. 2 BGB ergibt sich, dass der erwerbstätige Ehegatte dem anderen ausreichende Barmittel als „Wirtschaftsgeld“ zur Verfügung zu stellen hat, aber es gibt keinen solchen Zahlungsanspruch wie beim Trennungsunterhalt. Zusätzlich steht beiden Gatten ein „Taschengeld“ für persönliche Bedürfnisse zu. Eine Besonderheit des Familienunterhaltes ist nach bisheriger Rechtsprechung, dass kein Ehegatte sich auf einen angemessenen oder notwendigen Selbstbehalt nach Düsseldorfer Tabelle berufen kann. Die Ehegatten müssen alle verfügbaren Mittel miteinander teilen.


    Heimunterbringung als Sonderfall beim Familienunterhalt


    Zieht ein Gatte aus Alters- oder Krankheitsgründen in ein Heim, bedeutet das in der Regel keine „eheliche Trennung“, also ist kein „Getrenntlebensunterhalt“ geschuldet, sondern weiter der „Familienunterhalt“. Die Gatten möchte ja nicht ihre Scheidung vorbereiten und sich möchten auch nicht als Single versteuert werden.


    Legt man aber die Grundsätze des Familienunterhaltes an (kein Selbstbehalt), werden dem zurückgebliebenen Ehegatten die nötigen Mittel zum Leben entzogen.


    Daher hat der BGH die Heimunterbringung als „Sonderfall des Familienunterhaltes“ gewertet und wie beim Trennungsunterhalt auf die Selbstbehalte zurückgegriffen.


    Der Selbstbehalt kann sich erhöhen, wenn der Unterhaltspflichtige den anderen im Heim regelmäßig besucht (Fahrtkosten).


    BGH XII ZB 485/14, Beschluss vom 27.4.16


    Nicht nur Selbstbehalt, sondern hälftiges Einkommen?

    Der BGH entwickelte diese Gedanken weiter in einem Elternunterhaltsfall.


    Dort heisst es:


    Auch wenn mit der pflegebedingten räumlichen Trennung keine innere Abkehr von der ehelichen Lebensgemeinschaft verbunden ist, wendet der BGH die Rechengrundsätze aus dem Trennungsunterhalt an, damit nicht der Ehegatte finanzielle besser dasteht, der sich zur Trennung vom pflegebedürftigen Ehegatten entschließt, BGH - Beschluss vom 27.04.2016 (XII ZB 485/14).


    Offen geblieben ist in dieser BGH-Entscheidung jedoch, ob dem unterhaltspflichtigen Ehegatten der Tabellen-Selbstbehalt zu belassen ist oder nach dem Halbteilungsgrundsatz generell die Hälfte seines Einkommens als Selbstbehalt zu belassen ist (vgl. BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 33 ff.), wobei der BGH letzteres für richtig zu halten scheint.


    Vermögen für Heimkosten verwerten

    Das Haus des Ehemannes stellt verwertbares Vermögen dar, das der Bewilligung von Pflegewohngeld entgegensteht. Daran ändere auch nichts, dass das Haus im Alleineigentum des Ehemannes steht und der Ehegatte sich weigert, es zur Deckung der Pflegekosten seiner Ehefrau einzu­setzen.


    Aus der Entscheidung:


    Zur Begründung führte der 12. Senat aus, Pflegewohngeld werde nur gewährt, wenn das Einkommen und das Vermögen des Heimbewohners und seines nicht getrennt lebenden Ehepartners zur Finanzierung der Investitionskosten ganz oder teilweise nicht ausreiche.


    Die Heimbewohnerin habe zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht von ihrem Ehemann getrennt gelebt, so dass dessen Vermögen zu berücksichtigen sei. Das Haus des Ehemannes stelle verwertbares Vermögen dar, das der Bewilligung von Pflegewohngeld entgegenstehe.


    Daran ändere auch nichts, dass das Haus im Alleineigentum ihres Ehemannes gestanden habe und die Heimbewohnerin darüber nicht habe ver­fügen können. Das Haus sei auch nicht deshalb unverwertbares Vermögen, weil der Ehegatte sich geweigert habe, es zur Deckung der Kosten der Pflege seiner Ehefrau einzu­setzen.


    Zwar dürfte der Gesetzgeber von der Annahme ausgegangen sein, dass nicht getrennt lebende Ehegatten für einander einstünden. Dafür, dass der Gesetz­geber bei einem Versagen dieser Einstandsgemeinschaft von einer Berücksichtigung auch des Vermögens des Ehegatten absehen wollte, bestünden keine Anhaltspunk­te. Die Berücksichtigung des Hauses als verwertbares Vermögen stelle auch trotz der Weigerung des Ehemannes keine unzumutbare Härte dar.


    Mit diesem Urteil hat das Oberverwal­tungsgericht eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen geändert und die Klage der inzwischen verstorbenen Heimbewohnerin abgewiesen.


    Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 09.11.2018 - 12 A 3076/15


    ++++++++++++++++++++++++++++++++++++


    Von einer Übertragung der neuen Regelung ab 1.1.2020 (Angehörigen-Entlastungsgesetz) zum Unterhaltsrückgriff auch auf Ehegatten wurde wegen deren besonderen gegenseitigen familiären Einstandspflicht abgesehen. Im SGB XII wird dieser besonderen Verpflichtung durch das Institut der Einstandsgemeinschaft (§ 27 Abs. 2 SGB XII) Rechnung getragen. Weder der Koalitionsvertrag noch die bereits bestehende Regelung in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sehen eine Entlastung von Ehegatten vor, sodass diese Personengruppe nicht zu den Begünstigten dieser Reform gehört.




Zur Seite "Alt werden"?
Share by: