Der Fall:
Die Trennungskinder sind 10 und 11 Jahre alt und leben seit einer Gerichtsentscheidung vor 4 Jahren bei der Mutter.
Sie haben bereits mehrfach und nachhaltig geäußert, beim Vater wohnen zu wollen (er wohnt weiter im ehemaligen Familienheim).
Sie haben zu ihm eine intakte Bindung, das wurde gutachterlich festgestellt.
Alle Instanzen waren dennoch der Auffassung, dass die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter nach wie vor dem Wohl der drei gemeinsamen Kinder am besten entspricht. Sie habe die höhere Erziehungskompetenz, insbesondere größere Bindungstoleranz.
Der Vater hatte Jugendamt, Verfahrensbeistand und Gutachter gegen sich.
Der BGH führt aus, warum der geäußerte Wille der Kinder nicht der leitende Maßstab der richterlichen Entscheidung ist.
Der BGH hat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt. Die einzelnen Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Nach § 159 Abs. 1 FamFG ist ein Kind persönlich anzuhören, Ausnahmen nach Abs. 2 sind zu begründen.
Der vom Kind geäußerte Wille hat bei kleineren Kindern vornehmlich Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen, ist mit zunehmendem Alter jedoch auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit bedeutsam.
Dies wird von einer gefestigten – insbesondere verfassungsgerichtlichen – Rechtsprechung gestützt, wonach die Willensäußerung des Kindes Ausdruck seines Rechts auf Selbstbestimmung ist (BVerfG v. 18.5.2009 – 1 BvR 142/09).
Der BGH hatte am 31.10.2018 – XII ZB 411/18 - bereits entschieden, dass auch Dreijährige angehört werden müssen.
Durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder wurde ab 1.7.2021 die gesetzliche Differenzierung nach Alter des Kindes aufgegeben, die Pflicht zur Anhärung erweitert und als wichtige Funktion der Anhörung herausgearbeitet, dass das Gericht sich einen persönlichen Eindruck vom Kind verschafft.
Zur Berücksichtigung des Willens des Kindes und seiner Interessen sieht das Gesetz die Bestellung eines Verfahrensbeistands vor (§ 158 FamFG). Die Einrichtung der Verfahrensbeistandschaft ist übereinstimmend mit der ihr vorausgegangenen – inhaltsgleichen – Verfahrenspflegschaft Ausdruck der Subjektstellung des Kindes in seiner Individualität als Grundrechtsträger. Sie soll in Fällen eines Interessenkonflikts zwischen Kind und Eltern insb. die einseitige Vertretung der Interessen des Kindes ermöglichen und unterscheidet sich insofern vom Aufgabenkreis des FamG und der weiteren Beteiligten. Die Verfahrensbeistandschaft trägt auch dem Umstand Rechnung, dass Scheidungskinder sich oftmals in einer verunsicherten psychischen Situation befinden und ein Verfahrensbeistand das Kind durch die Vertretung seiner Interessen gegenüber dem FamG entlasten kann.
OLG Brandenburg - Beschluss vom 05.11.2021 - 13 UF 122/21:
Das Unterlassen der Bestellung eines Verfahrensbeistandes gem. § 158 FamFG in einem Verfahren zur Übertragung des Rechts zur Ausübung der Schulwahl stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar.
Gemäß § 158 FamFG hat das Gericht einem Kind in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Dies ist in Verfahren nach § 1671 regelmäßig der Fall, weil das Interesse des Kindes jedenfalls zu einem seiner beiden gesetzlichen Vertreter in erheblichen Gegensatz steht, § 158 II Nr. 1 FamFG Die Unterlassung stellt zugleich einen Aufklärungsmangel dar.
Für das Absehen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands besteht nach § 158 III 3 FamFG eine Begründungspflicht. Wird von der Bestellung eines Verfahrensbeistands in den in § 158 II FamFG aufgeführten Regelfällen abgesehen, ist dies nach Abs. 3 S. 3 dieser Bestimmung in der Endentscheidung nachprüfbar zu begründen. Wird das Absehen von der Bestellung nicht oder nur unzureichend begründet, liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hauptsacheentscheidung führen kann.
Dies führt, wie von den Beteiligten beantragt, und um ihnen keine Tatsacheninstanz zu entziehen, zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht, damit dieses die notwendigen, einer Beweiserhebung im Sinne § 69 I 3 FamFG hier gleichstehenden Ermittlungen (§ 26 FamFG) durch Bestellung und Anhörung eines Verfahrensbeistands nachholt.
Im konkreten Fall hat der BGH die Vorinstanzen darin bestätigt, dem Kindeswillen im Ergebnis keine ausschlaggebende Bedeutung zuzumessen, da ihm gewichtigere Gründe des Kindeswohls entgegenstünden. Unbeschadet einer intakten Bindung der Kinder zum Vater, fielen dessen deutliche Defizite in der Erziehungsfähigkeit und der Bindungstoleranz ins Gewicht. Er vermöge es weniger als die Mutter, den Kindern die zu ihrer Entwicklung notwendigen Freiräume zu geben und eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Negativ sei sein langjähriges drängendes Einwirken auf die Kinder zu gewichten.
In Übergabesituationen, wenn es den Kindern schwerfalle, sich von ihm zu lösen, filme er diese Situationen, statt den Kindern stärkend zur Seite zu stehen. Dies zeige seine mangelnde Empathie für die Bedürfnisse der Kinder. Er lasse es an der notwendigen Loyalität zu der Mutter fehlen, wodurch er die Kinder unter „Koalitionsdruck“ setze und in Loyalitätskonflikte bringe. Auch der Verfahrensbeistand habe zwar den gegenläufig geäußerten Willen der Kinder berücksichtigt, diesen aber – übereinstimmend mit der Sachverständigen und dem Jugendamt – als vom Vater beeinflusst und im Widerspruch zu weiteren, gewichtigen Belangen des Kindeswohls angesehen.
Dass der geäußerte Wille des Kindes nicht der Maßstab des Gerichtes ist, hat das AG Frankenthal in der Entscheidung 71 F 108/21 am 1.6.2021 wie folgt formuliert:
Die elterliche Sorge kann gegen den ausdrücklich erklärten Willen eines 13jährigen Kindes aufrecht zu erhalten sein, wenn eine ausreichende Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern im Übrigen gegeben ist.
Die Mutter beantragte die Übertragung der alleinigen Sorge auf sich. Zum einen entspreche dies dem Wunsch des Kindes, zum anderen sei der Antragsgegner an dem Kind nicht interessiert und übe daher die elterliche Sorge faktisch nicht aus.
Mangelndes Engagement muss aber nicht zur alleinigen Sorge führen, wenn die Eltern sonst zusammenarbeiten können und das gebotene Maß an Gemeinsamkeiten und wenigstens ein gewisses Interesse für das Kind vorhanden ist. Ein Elternteil kann für die Entwicklung des Kindes zurücktreten und damit weniger wichtig bleiben, während der Andere für die tägliche Erziehungsarbeit zuständig war und ist, ohne dass sich weitere Auswirkungen für die Entwicklung des Kindes ergeben. Oft haben sich die Eltern für dieses Modell auch schon vor der Trennung entschieden - dann treten ohnehin keine Änderungen ein. Motivlage und tatsächliche Hintergründe entziehen sich einer Bewertung von außen fast zwingend. Erkennbare Zurückhaltung ist kein Zeichen von Verantwortungslosigkeit. Verzicht für sich kann wohlbedacht sein, auch um gerade das Kind belastenden Streit zu vermeiden. Maßstab ist wie immer das Wohl des Kindes. Zeigt ein Elternteil aber nachhaltig kein Interesse an der Entwicklung des Kindes und pflegt keinerlei Kontakt zum Kind, sondern überlässt dem anderen Elternteil die Sorge mit allen Entscheidungen alleine, dann stellt sich berechtigt die Frage, welche gemeinsame Sorge hier noch ausgeübt wird, sodass auf Antrag die Sorge auf den diese tatsächlich ausübenden Elternteil ggf. zu übertragen ist.
Vor diesem Maßstab sei die gemeinsame elterliche Sorge im vorliegenden Fall nicht aufzuheben. Zwar sei der Antragstellerin zuzugestehen, dass sich die Kommunikation auf ein Mindestmaß beschränke. Allerdings hätten sich auch keine Umstände ergeben, zu denen etwa der Antragsgegner für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht zur Verfügung gestanden hätte. Eine gewisse aktive Grundverantwortung übe der Antragsgegner zudem dadurch aus, dass er den Kindesunterhalt regelmäßig bezahle. Schließlich ergebe sich aus den vorgelegten Chatverlaufsprotokollen, dass der Antragsgegner grundsätzlich an dem Kind Interesse gezeigt habe. Vor diesem Hintergrund könne von einer gänzlichen Gleichgültigkeit nicht ausgegangen werden, wenngleich auf die Tatsache, dass sich der Antragsgegner etwa zu den letzten Geburtstagen des Kindes nicht gemeldet habe, nachvollziehbar den Anschein einer Interessenlosigkeit gesetzt wurde. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich keine zu entscheidenden Konflikte der Eltern in wesentlichen Belangen abzeichneten, der Vater sich in jeder Hinsicht kooperationsbereit erklärt habe und Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung, die das Einvernehmen beider Eltern voraussetzen würden, nicht bevorstünden. In der Vergangenheit hätten die Eltern eine Kindeswohl dienliche Entscheidung praktizieren können. Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei auch vor dem Hintergrund, dass sich das Kind in der persönlichen Anhörung ausdrücklich für die Alleinsorge der Mutter ausgesprochen habe, geboten.
Zwar sei der Wunsch des nunmehr 13jährigen Kindes grundsätzlich anzuerkennen. Indes komme ihm nicht die alleinige oder entscheidende Bedeutung zu. Denn es sei im Rahmen der persönlichen Anhörung offenbar geworden, dass das Kind aufgrund der Erfahrungen der letzten beiden Jahre von dem Antragsgegner enttäuscht sei, diesen indes jedoch nicht gänzlich und dauerhaft ausschließen möchte. Eine Auseinandersetzung mit dem Vater und der Vater-Sohn-Beziehung entspreche auch entwicklungspsychologisch der weiteren persönlichen Entwicklung des Kindes am besten, sodass das Gericht insgesamt die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch vor diesem Hintergrund als kindeswohldienlicher ansehe.
Wenn Eltern ihre Erziehungsvorstellungen gegen einen 15jährigen durchsetzen wollen, ist das nicht immer leicht. Umso schwieriger noch, wenn die Eltern getrennt sind und nicht an einem Strang ziehen. So hat sich das OLG Brandenburg mit der Umgangsverweigerung eines 15jährigen befasst, für dessen Vater das AG Umgangsrechte festgeschrieben hatte.
Das Kind selbst kann nicht verpflichtet werden, den Umgang wahrzunehmen. Es ist auch nicht Aufgabe des Gerichts, das Kind zum Umgang zu überreden oder zu bedrängen. Allerdings wird dies vom Obhuts-Elternteil erwartet. § 1684 BGB regelt das (einklagbare) Rechtsverhältnis der Eltern untereinander. Dazu gibt es in Abs. 2 eine Wohlverhaltensklausel.
Damit werden Eltern zum wechselseitigen loyalen Verhalten bei der Verwirklichung des Umgangsrechts verpflichtet. Die Mutter hat also auch auf einen schon 15jährigen erzieherisch einzuwirken, damit der die Widerstände gegen den Umgang abbaut und das Kind eine positive Einstellung zum Vater gewinnt - und hat das Kind zur Wahrnehmung des Umgangs anzuhalten. Das gelte auch dann, wenn der Sohn seinen Vater „schwierig“ finde: „Auch solche Auseinandersetzungen im Verhältnis Kind - Elternteil fördern die kindliche Entwicklung.“
Der Sohn wird zitiert mit „Das ist eine Sache zwischen mir und meinem Vater“, was rechtlich so nicht ist. Er wolle nicht dem Zwang einer Umgangsregelung (eines festen Gerüstes) unterlegen sein, vielmehr nach eigener spontaner Entscheidung den Vater ggf. besuchen. Daher hatten die Richter hier den Eindruck, dass die Mutter dem kindlichen Willen - jedenfalls bzgl. des Umgangs mit dem Vater - freien Lauf lässt und allein den kindlichen Willen respektieren will.
Darauf nahmen die Richter keine Rücksicht: „Der freie Willen, den der betroffene Sohn bei der Wahrnehmung von Umgang gerne für sich in Anspruch nimmt, ist ein typisches kindliches Merkmal, dem Eltern bei der Erziehung ihres Kindes eben durch entsprechende erzieherische Maßnahmen begegnen müssen.“
Die Mutter befürchtete nun, dass sie Zwangsgeld zahlen muss, wenn der Sohn die Termine boykottiert.
Mit Recht: Klappt der Umgang nicht, wird vermutet, dass die Mutter diese o.g. Pflichten verletzt hat – zu ihrer evtl. Entlastung muss sie dann vortragen, was sie konkret unternommen hat und wie sie erzieherisch so eingewirkt hat, dass der 15jährige bereitwillig zur Wahrnehmung des Umgangs wäre.
OLG Brandenburg - Beschluss vom 17.06.2021 - 9 UF 39/21
Im Juli 2021 ist recht unbemerkt eine gravierende Änderung in Kindschaftsverfahren vor dem Familiengericht in Kraft getreten, nämlich als Nebeneffekt des Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder.
Es geht um die Frage, wann die betroffenen Kinder im familiengerichtlichen Verfahren anzuhören sind. Bislang war das ab 14 Jahre Pflicht, darunter war es abzuwägen.
Diese Abwägungskriterien wurden verschärft, die Anhörung aller Kinder gleich welchen Alters ist nun die Regel – die Ausnahme muss gut begründet sein, § 159 FamFG.
In der Praxis sieht das wie folgt aus:
Bislang gab es nach Antragseinreichung recht früh – Sollvorschrift § 155 Abs. 2 FamFG binnen eines Monats – einen Termin, in dem die Erwachsenen gehört wurden, also in der Regel die Eltern und das Jugendamt, ggf. ein Verfahrensbeistand. Die Termine führten häufig zu einer Vereinbarung der Eltern, nicht zuletzt unter dem Damoklesschwert „Wenn Sie sich nicht einigen, muss Ihr Kind vom Richter angehört werden.“
Tatsächlich war dies für viele Eltern ein Motiv, dem Kind das ersparen zu wollen. In der Tat erzeugen solche Anhörungen – egal wie gut der Richter sie gestaltet – häufig Koalitionsdruck beim Kind.
Nach neuem Recht läuft es nun anders ab: Mit den Eltern wird eine Einigung erarbeitet. Diese muss familiengerichtlich gebilligt werden (§ 156 Abs. 2 FamFG), sonst wäre sie z.B. beim Umgangsrecht nicht vollstreckbar oder beim Sorgerecht gar nicht wirksam. Diese Billigung darf das Gericht aber nach neuem Recht nicht mehr ohne Anhörung des Kindes aussprechen.
Merke: Die Kinder werden also jetzt immer angehört, auch wenn die Eltern sich einigen.
In Verfahren vor dem Familiengericht rund um das Kindeswohl kommt einem „Verfahrensbeistand“ große Bedeutung zu. Früher auch „Anwalt des Kindes“ genannt soll diese Person die Interessen des Kindes formal in das Verfahren einbringen. Denn das Gesetz geht davon aus, dass das Interesse des Kindes nicht mit dem beider Eltern im Einklang sein kann – sonst würden diese sich nicht vor Gericht darüber streiten. Häufig legt der Sachverhalt nahe, dass die Eltern vornehmlich ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen oder aufgrund der Intensität ihres Konflikts die Gefahr besteht, dass sie die Interessen des Kindes aus dem Blick verlieren.
Das FamG Nauen hat in einem Fall eines Kleinkindes unter 3 Jahren keinen Verfahrensbeistand bestellt, weil das Kind ohnehin zu klein sei, um seinen Willen zu ermitteln. Das hob das OLG Brandenburg auf und gab die Akte zur Nachbesserung zurück.
Der Hinweis auf das junge Alter des Kindes rechtfertige das Absehen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt. Der Verfahrensbeistand habe die Aufgabe, das dem Kindeswohl entsprechende Interesse des Kindes zu ermitteln und im Verfahren zur Geltung zu bringen (§ 158b Abs. 1 FamFG ). Die Wahrnehmung der Kindesinteressen sei von der - bei dem Kleinkind möglicherweise eingeschränkten - Erkennbarkeit einer Willensäußerung - völlig unabhängig. Gerade bei Kindern unter drei Jahren, die ihren Willen noch nicht oder nur ganz begrenzt äußern können, sei der Verfahrensbeistand, da er nicht nur "Sprachrohr" des Kindes, sondern Vertreter der objektiven und subjektiven Kindesinteressen ist, grundsätzlich erforderlich. Kinder, die wegen ihres jungen Alters möglicherweise nicht persönlich angehört werden (§ 159 Abs. 2 Nr. 2 , 3 FamFG ), bedürfen im Verfahren regelmäßig eines eigenen Interessenvertreters, damit ihre individuellen Interessen im Verfahren nicht in den Hintergrund treten (OLG Hamm FamRZ 2018, 456 ; Prütting/Helms/Hammer FamFG § 158 Rn. 15).
Hinweis:
Auch wenn der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet, dass der Richter selbst den Sachverhalt und das Kindeswohl ermitteln muss, wird dies in der Praxis häufig auf die Verfahrensbeistände delegiert. Diese sprechen auch mit Dritten (z.B. Kita) und erstellen häufig einen ausführlichen schriftlichen Bericht, der dem Richter als Entscheidungsgrundlage dient. Konstruktive Zusammenarbeit mit dem Verfahrensbeistand ist daher für die Eltern günstig, wenn sie ihr Anliegen positiv beurteilt haben möchten.
OLG Brandenburg - Beschluss vom 21.12.2022 (13 UF 116/22)
Wenn ein Kind seinen getrenntlebenden Elternteil plötzlich nicht mehr sehen will, muss es dafür Gründe geben. Im Fall eines 7jährigen Mädchens, das bei seiner Mutter wohnte, war die Mutter von „sexuell getönten Vorfällen“ beim Umgangskontakt ausgegangen, der Vater von einer Manipulation durch die Mutter.
Das Amtsgericht beauftragte einen Sachverständigen, der keine Anhaltspunkte für einen hinreichenden Tatverdacht eines Kindesmissbrauchs fand. Es sprach daher nach Auffassung des Gerichts einiges dafür, dass die Ablehnung des Mädchens maßgeblich auf eine Beeinflussung durch die Mutter zurückging.
Nach zwei Jahren Gerichtsverfahren und Streit beantragte der Vater die Herausnahme des Mädchens aus der Obhut der Mutter, weil deren Manipulation kindeswohlschädigend sei. Sachverständiger, Jugendamt und der Verfahrensbeistand des Kindes unterstützten sein Anliegen, aber weil das Mädchen sich absolut verweigerte, den Vater zu sehen, kam nicht in Betracht, dass sie bei ihm wohnen könne.
In einem Eilverfahren hatte das Amtsgericht das zu diesem Zeitpunkt 9-jährige Kind aus dem Haushalt der Mutter genommen und in ein Kinderheim gegeben.
Während der Heimunterbringung sollte sich – fern der Beeinflussung durch die Mutter, mit der keinerlei Umgang stattfinden durfte – das Kind dahin stabilisieren, dass es die unerklärliche Kontaktverweigerung zum Vater aufgeben würde. So sollte perspektivisch die gewünschte Übersiedlung des Kindes in den Haushalt des Vaters ermöglicht werden.
Das OLG Frankfurt am Main hat allerdings die Vorgehensweise des Familiengerichts nicht gebilligt und umgehend nach Eingang der Beschwerde die Rückführung des Kindes in den Haushalt der Mutter veranlasst.
Das Familiengericht darf demnach die Unterbringung des Kindes im Heim nicht allein deshalb anordnen, da eine betreuende Mutter ihr Kind dahin beeinflusst, dass es den nicht betreuenden Vater nicht mehr sehen möchte und es deswegen zu einem Kontaktabbruch kommt.
Die von dem Kind empfundene Ablehnung des nicht betreuenden Elternteils kann – wenn überhaupt – durch eine Heimunterbringung nicht ohne gravierende Verletzung des Grundrechts des Kindes auf freie Persönlichkeitsentwicklung überwunden werden.
Die negativen Folgen dieser Grundrechtsverletzung überwiegen nach Auffassung des OLG Frankfurt das berechtigte Umgangsinteresse des Vaters. Eine Maßnahme, mit der ein Kind über eine Heimunterbringung dazu gebracht werden soll, gegen seinen Willen in den Haushalt desjenigen Elternteiles zu wechseln, zu dem es aktuell jeden Kontakt ablehnt, ist daher nicht rechtmäßig.
Die Wünsche und Vorstellungen des Kindes völlig zu ignorieren stelle eine nicht zu vertretende Grundrechtsverletzung dar. Eine besondere Rolle spielte für die Entscheidung, dass es keine Anhaltspunkte für eine unzulängliche Versorgung des Kindes im Haushalt der Mutter gab.
Das Mädchen sei eine exzellente Grundschülerin mit altersgerechten Kontakten zu Gleichaltrigen und guten sozialen Kompetenzen. Unter solchen Umständen könne der entgegenstehende Wille eines neun Jahre alten Mädchens nicht übergangen werden.
Die nachvollziehbare Verzweiflung des umgangsberechtigten Vaters habe nach Auffassung des Senats dazu beigetragen, dass Jugendamt, Sachverständiger und Verfahrensbeistand eine solche den Willen des Kindes brechende Maßnahme befürwortet hätten.
Dabei sei jedoch nicht hinreichend beachtet worden, dass der Kontaktabbruch zur hauptbetreuenden Mutter für das Kind unerträglich gewesen sei, während das Kind unter dem fehlenden Umgang zum Vater in keiner Weise gelitten, sondern diesen aktiv gewünscht habe.
Da zudem äußerst fraglich schiene, ob das gewünschte Ziel eines Wechsels in den Haushalt des Vaters durch die Heimunterbringung überhaupt erreicht werden könne, sei die Maßnahme im Übrigen völlig ungeeignet.
OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 03.04.2024 – 7 UF 46/23
Hinweis: Ein anderer Senat des OLG Frankfurt hatte 2005 genau andersherum entschieden. Die zeitlich begrenzte Heimaufnahme sei das kleinere Übel für das Kind verglichen mit der langfristigen Schädigung durch die Manipulation und Entfremdung - OLG Frankfurt a.M. 19.04.2005 - 6 UF 155/04
Allerdings hatte der BGH 2011 in einem Fall, in dem das entfremdete Kind seit 10 Monaten im Heim war, die Rückführung zur Mutter angeordnet, weil noch nicht alle „milderen Mittel“ wie z.B. eine Umgangspflegschaft, ausprobiert worden waren - BGH, Beschluss vom 26.10.2011 - XII ZB 247/11.