Von einer Übertragung der neuen Regelung zum Unterhaltsrückgriff auch auf Ehegatten wurde wegen deren besonderen gegenseitigen familiären Einstandspflicht abgesehen. Im SGB XII wird dieser besonderen Verpflichtung durch das Institut der Einstandsgemeinschaft (§ 27 Abs. 2 SGB XII) Rechnung getragen. Weder der Koalitionsvertrag noch die bereits bestehende Regelung in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sehen eine Entlastung von Ehegatten vor, sodass diese Personengruppe nicht zu den Begünstigten dieser Reform gehört. Es gilt hier also das ganz normale Unterhaltsrecht.
Der BGH hatte über eine solche Konstellation am 27.4.2016 zu entscheiden (XII ZB 485/14). Anker für diese Rechtsfrage ist der „Familienunterhalt“ nach § 1360 BGB, über den Gerichte selten zu entscheiden haben, weil er das Zusammenleben der Gatten voraussetzt und innerhalb bestehender Familiensysteme selten prozessiert wird. Hier war aber das Sozialamt und eine gerichtlich bestellte Betreuerin beteiligt.
Der Fall:
Die Ehefrau ist aufgrund einer schweren Erkrankung pflegebedürftig im Heim und bezieht dafür Sozialhilfe. Der Ehemann ist Rentner und hat Renteneinkünfte von 1.042,82 EUR. Das Sozialamt hat 132,56 € errechnet, die die Ehefrau als mtl. Eigenanteil leisten könne. Die Betreuerin verklagt den Ehemann auf Zahlung in dieser Höhe.
Die Entscheidung:
Das OLG hat den zu zahlenden Betrag auf monatlich 43 € herabgesetzt.
Der BGH hat die Entscheidung des OLG bestätigt. Seine Leitsätze lauten:
1. Wird ein Ehegatte stationär pflegebedürftig, so entsteht ihm ein besonderer persönlicher Bedarf, der vor allem durch die anfallenden Heim- und Pflegekosten bestimmt wird. In diesem Fall richtet der Familienunterhaltsanspruch ausnahmsweise auf Zahlung einer Geldrente.
2. Ein solcher Unterhaltsanspruch setzt die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners voraus. Der dem Unterhaltsschuldner mindestens zu belassene Eigenbedarf kann zulässigerweise nach dem in der Düsseldorfer Tabelle unter den Leitlinien der OLG ausgewiesenen sogenannten eheangemessenen Selbstbehalt bemessen werden.
Der BGH entwickelte diese Gedanken weiter in einem Elternunterhaltsfall.
Dort heisst es:
Auch wenn mit der pflegebedingten räumlichen Trennung keine innere Abkehr von der ehelichen Lebensgemeinschaft verbunden ist, wendet der BGH die Rechengrundsätze aus dem Trennungsunterhalt an, damit nicht der Ehegatte finanziell besser dasteht, der sich zur Trennung vom pflegebedürftigen Ehegatten entschließt, BGH - Beschluss vom 27.04.2016 (XII ZB 485/14).
Offen geblieben ist in dieser BGH-Entscheidung jedoch, ob dem unterhaltspflichtigen Ehegatten der Tabellen-Selbstbehalt zu belassen ist oder nach dem Halbteilungsgrundsatz generell die Hälfte seines Einkommens als Selbstbehalt zu belassen ist (vgl. BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 33 ff.), wobei der BGH letzteres für richtig zu halten scheint.
Da das Eheband während der Trennung weiterbesteht, beeinflussen grundsätzlich alle in dieser Zeit eintretenden positiven und negativen wirtschaftlichen und persönlichen Entwicklungen der Ehegatten die ehelichen Lebensverhältnisse, es sei denn, sie beruhen auf Veränderungen nach der Trennung, die auf einer unerwarteten und vom Normalfall erheblich abweichenden Entwicklung beruhen. Auch die Kosten für die Unterbringung in einem Pflegeheim können daher als Trennungsunterhalt geltend gemacht werden.
Vier Jahre nach der Trennung waren die betagten Eheleute noch immer nicht geschieden. Die 75jährige Frau musste in ein Pflegeheim. Ihre eigene Rente reichte neben dem Pflegegeld nicht für die Heimkosten, es fehlten knapp 1.000 € mtl. Der Mann hatte seit der Trennung knapp 500 € mtl. Trennungsunterhalt gezahlt. Mehr wollte er nicht zahlen, weil die Frau ihr Vermögen verzehren solle (Verkauf von Schmuck, Widerruf einer Schenkung an die Tochter).
Das Amtsgericht verurteilte ihn, alles bis auf seinen Selbstbehalt von 1.200 € für die Heimkosten der Frau abzuführen. Diese Rechenmethode ging das OLG Koblenz nicht mit, sondern wandte den üblichen Halbteilungsgrundsatz an.
Dazu führte das OLG zunächst aus, dass die Entwicklung seit der Trennung nicht so unerwartet und vom Normalfall erheblich abweichend sei, dass sie nicht beim Trennungsunterhalt zu berücksichtigen sei. „Auch und insbesondere“ krankheits- und pflegebedingte Kosten einschließlich der Kosten für betreutes Wohnen oder die Unterbringung in einem Pflegeheim prägen die ehelichen Lebensverhältnisse. In einem solchen Fall bestimmen die Kosten der erforderlichen Heimunterbringung den Unterhaltsbedarf des getrenntlebenden Ehegatten konkret.
Die Verwertung des Vermögens erschien dem OLG auch bei der längeren Trennungszeit nicht zumutbar.
Auch sei die Entscheidung der Frau über die Form ihres Lebens in einem Pflegeheim statt in einer Wohnung mit einem ambulanten Pflegedienst als ihre persönliche Entscheidung grundsätzlich zuzubilligen und von dem getrenntlebenden Ehemann zu respektieren.
Angesichts der bescheidenen finanziellen Verhältnisse gestand das OLG der Frau aber kein Einzelzimmer zu und mutete ihr dazu auch einen Wechsel in ein preiswerteres Heim zu. Das OLG rechnete dann mit den fiktiv herabgesetzten Heimkosten durch und wandte den Halbteilungsgrundsatz an mit dem Ergebnis, dass die Frau daraus ihren (fiktiv gekürzten) konkreten Bedarf decken könne.
OLG Koblenz, Beschl. v. 22.6.2020 – 13 UF 275/20
Das Haus des Ehemannes stellt verwertbares Vermögen dar, das der Bewilligung von Pflegewohngeld entgegensteht. Daran ändere auch nichts, dass das Haus im Alleineigentum des Ehemannes steht und der Ehegatte sich weigert, es zur Deckung der Pflegekosten seiner Ehefrau einzusetzen.
Aus der Entscheidung:
Zur Begründung führte der 12. Senat aus, Pflegewohngeld werde nur gewährt, wenn das Einkommen und das Vermögen des Heimbewohners und seines nicht getrennt lebenden Ehepartners zur Finanzierung der Investitionskosten ganz oder teilweise nicht ausreiche.
Die Heimbewohnerin habe zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht von ihrem Ehemann getrennt gelebt, so dass dessen Vermögen zu berücksichtigen sei. Das Haus des Ehemannes stelle verwertbares Vermögen dar, das der Bewilligung von Pflegewohngeld entgegenstehe.
Daran ändere auch nichts, dass das Haus im Alleineigentum ihres Ehemannes gestanden habe und die Heimbewohnerin darüber nicht habe verfügen können. Das Haus sei auch nicht deshalb unverwertbares Vermögen, weil der Ehegatte sich geweigert habe, es zur Deckung der Kosten der Pflege seiner Ehefrau einzusetzen.
Zwar dürfte der Gesetzgeber von der Annahme ausgegangen sein, dass nicht getrennt lebende Ehegatten für einander einstünden. Dafür, dass der Gesetzgeber bei einem Versagen dieser Einstandsgemeinschaft von einer Berücksichtigung auch des Vermögens des Ehegatten absehen wollte, bestünden keine Anhaltspunkte. Die Berücksichtigung des Hauses als verwertbares Vermögen stelle auch trotz der Weigerung des Ehemannes keine unzumutbare Härte dar.
Mit diesem Urteil hat das Oberverwaltungsgericht eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen geändert und die Klage der inzwischen verstorbenen Heimbewohnerin abgewiesen.
Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 09.11.2018 - 12 A 3076/15