"Wie lange muss ich Unterhalt zahlen?" - "Bekomme ich den Unterhalt lebenslang?"
Das sind verständlicherweise die Fragestellungen, die meine Mandanten an mich haben. Und viele erliegen dem Irrtum, ich könne nun die "Düsseldorfer Tabelle" zur Hand nehmen und ihnen die Antwort errechnen. So einfach geht es nicht. Auch die Faustformel "1/3 der Ehezeit" gibt es nicht wirklich. Unterhalt ist keine Mathematik, sondern Billigkeitsabwägung. Deshalb ist die Frage der Begrenzung und Befristung von Unterhalt nach der Scheidung die, die im Vorfeld bei der Beratung am schwierigsten zu beantworten ist. Zudem spielt ja auch die Entwicklung während der Trennungszeit eine Rolle. Nicht nur, ob die besonders lang oder kurz ist, sondern auch, ob der/die Unterhaltsberechtigte die Zeit nutzen kann, um berufliche Nachteile aufzuholen.
Die einzig zuverlässige Antwort auf Ihre Fragen lautet daher:
"Das kommt drauf an!"
"2008 wurde der Unterhalt nach der Scheidung so gut wie abgeschafft - oder?"
So sah es anfangs wirklich aus. Aber der BGH hat das rasch korrigiert. Auch nach der Unterhaltsreform 2008 gibt es noch zahlreiche Fälle, in denen nach der Scheidung weiter Unterhalt gezahlt wird. Gegenüber dem Trennungsunterhalt ändert sich "nur" die Begründung und der Rechenweg - und es gibt die Möglichkeit der Begrenzung und Befristung.
In seinen Entscheidungen vom 25.9.2019 – XII ZB 25/19 - und 16.10.2019 – XII ZB 341/17 - fasst der BGH noch einmal seine Rechtsprechung zur
Begrenzung und Befristung
des nachehelichen Unterhalts zusammen. Er betont, dass die Befristung regelmäßig ausscheidet, wenn der Unterhaltsberechtigte nach einer
durch die Rollenverteilung in der Ehe verursachten Einschränkung seiner Erwerbstätigkeit lediglich Einkünfte erzielt, die seinen eigenen angemessenen Bedarf nach § 1578 Abs. 1 BGB unterschreiten. Allerdings können
ehebedingten Nachteile durch ehebedingte Vorteile kompensiert werden.
§ 1578 b BGB berücksichtigt aber nicht nur ehebedingte Nachteile, sondern auch die nacheheliche Solidarität. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltspflichtige – unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten – durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein.
Eine
Erkrankung
ist zwar regelmäßig als schicksalhaft anzusehen und begründet keine ehebedingten Nachteile - BGH vom 14.05.2014 - XII ZB 301/12 - und der infolge der Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse eingeschränkte Erwerb von
Rentenanwartschaften
wird durch den Versorgungsausgleich ausgeglichen - BGH vom 4.7.2018 – XII ZB 122/17. Erfüllt der erkrankte unterhaltsberechtigte Ehegatte aber aufgrund der Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht die Voraussetzungen für den Bezug einer
Erwerbsminderungsrente, so reicht dies aus, um die Befristung zu hindern.
Der Fall:
Die Scheidung war kurz nach der Silberhochzeit, die die Eheleute aber schon nicht mehr feierten, weil sie da seit gut zwei Jahren getrennt waren. Von den drei Kindern war das Jüngste da 17.
Die geschiedene Ehefrau hatte Physiotherapeutin gelernt. Während des Zusammenlebens war sie überwiegend Hausfrau und Mutter, nach der Trennung fand sie in ihrem erlernten Beruf eine Vollzeitstelle. Dabei verdient sie rd. 2.000 € netto. Der Mann hat als selbständiger Architekt rd. 9.000 € netto und einen Wohnvorteil von 1.350 €, aber auch rd. 3.500 € Abzugsposten. Rechnerisch ergeben sich so 1/2 ( (6/7 von 2.000) + (6/7 von 9.000-3.500) + 1.350 ) rd. 2.000 € Unterhalt für die Frau.
Das Amtsgericht befand 1/3 der Ehezeit als "Schonfrist" für Nachscheidungsunterhalt angemessen, eine Faustformel, von der man an Amtsgerichten oft hört.
Vor dem OLG wollte die Frau lebenslang Unterhalt mit der Begründung, die Rollenteilung während der Ehe habe einen Karriereknick verursacht, so dass sie dauerhafte ehebedingte Nachteile habe. Ohne Heirat, Erziehung und Betreuung der Kinder stünde sie aktuell als sehr gut verdienende Physiotherapeutin da. Hätte sie nicht geheiratet, Ehe und Kinder hinweggedacht, hätte sie sich im Bereich Gesundheitswissenschaften fortgebildet und würde mittlerweise eine Führungsaufgabe in einem Krankenhaus, eine Reha-Klinik oder Pflegeeinrichtung ausüben. Alternativ hätte sie sich selbständig gemacht mit 60.000 € Gewinn.
Das OLG Köln führt die Üblichkeiten zu § 1578b BGB aus (Kompensation ehebedingter Nachteile, nacheheliche Solidarität und Billigkeitsabwägungen, Darlegungs- und Beweislast).
Diese Grundsätze angewandt fand das OLG, dass die Frau ihre ehebedingten Nachteile nicht ausreichend substantiiert dargelegt hatte. Allein aus der Tatsache, dass sie sich während der Ehe den Kindern und dem Haushalt gewidmet hatte, lasse sich nicht ohne weiteres ein ehebedinger Nachteil schließen. Denn als Physiotherapeutin sei sie in einem Beruf / Fachgebiet tätig, in dem es keine klassischen Aufstiegschancen durch Fort- oder Weiterbildungen gebe, da es schon an einem hierarchischen Aufbau innerhalb einer Physiotherapiepraxis fehle.
Der allgemeine Hinweis auf hypothetische Chancen (Klinik, Selbständigkeit) war dem OLG nicht konkret genug, weil es dazu auch der Darlegung der entsprechenden Bereitschaft und Eignung bedurft hätte, die vom OLG auf Plausibilität hätte geprüft werden und der Widerlegung durch den Ehemann zugänglich gewesen wäre. Die Frau habe nicht vorgetragen, dass Physiotherapeuten regelmäßig notwendigerweise im Laufe ihres beruflichen Daseins diesen Weg gehen und aufgrund dessen finanziell besser dastehen.
Das OLG befasste sich dann mit der 1/3-Faustformel. Diese war dem OLG zu pauschal, es vermisste die konkrete Abwägung (Ehedauer, schützenswertes Vertrauen, wirtschaftliche Verflechtung, Belastung des Unterhaltspflichtigen, bereits gezahlter Trennungsunterhalt).
Das OLG sprach der Frau für 5 Jahre den vollen rechnerischen Unterhalt zu, dann schmolz der Unterhalt allmählich ab, bis 8 Jahre nach der Scheidung endgültig Schluss war.
Ein unbegrenzter und unbefristeter Unterhaltsanspruch kommt also auch bei einer Ehedauer von mehr als 23 Jahren - gerechnet bis zur Einreichung der Scheidung - und der Betreuung und Erziehung dreier gemeinsamer Kinder nicht automatisch in Betracht.
OLG Köln, Beschluss v. 16.3.2021 - 14 UF 196/19
Anmerkung: An die nirgends geschriebene 1/3-Faustformel klammert die Praxis sich, vor allem bei außergerichtlichen Verhandlungen. Denn es bleibt das Problem, dass auch das hier vom OLG Köln bezifferte Abwägungsergebnis rechnerisch nicht erklärlich ist und daher keine Handhabung für die Praxis in anderen Fällen bietet.
Auf die Frage meiner Mandanten "Wie lange?" kann man also weiterhin keine seriös-verbindliche Antwort geben.
Wenn Sie über 11.000 € mtl. netto Familieneinkommen haben (ersparte Miete im Eigenheim zählt auch dazu), dann gelten für Sie andere Regeln: bitte aufs Bild klicken. Für Unterhalt in wohlhabenden Familen gilt nämlich die Bedarfsmethode der relativen Sättigungsgrenze.
Alle anderen finden in den
FAQ ihre Antworten zum Nachscheidungsunterhalt.
Ehegattenunterhalt bei Kinderbetreuung durch Unterhaltspflichtigen
Der Fall:
Die geschiedene Ehefrau bezieht nach einem Schlaganfall eine Erwerbsminderungsrente. Der gemeinsame 7jährige Sohn wohnt beim Ehemann, der deshalb nur noch 30 Wochenstunden arbeitet.
Dem OLG genügte auf Seiten der Frau der Hinweis auf die gesetzliche Erwerbsminderungsrente nicht. Dies schließe nicht grundsätzlich aus, dass man noch bis zu drei Stunden täglich arbeiten könne, § 43 Abs. 2 S.2 SGB VI, und bis zu 525 € mtl. anrechnungsfrei verdienen könne, § 96a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI. Das Gericht stellt klar, dass eine Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 2 ZPO dem Unterhalts-Anspruchsteller nicht zugute kommt. Es fehle hier jeder Vortrag zu Anstrengungen, die sie unternommen habe, um sich zu qualifizieren und zu bewerben.
Die Frau bezog auch Wohngeld. Das OLG führte aus, dass in jedem Einzelfall geprüft werden müsse, ob das als Einkommen anzurechnen sei – hier war das teilweise so.
Auf Seiten des Mannes rügte das OLG die Stundenreduktion auf 30 und rechnete mit dem Vollzeitgehalt. Denn angesichts der finanziellen Gesamtsituation sei die Einkommensreduzierung rücksichtslos. Schuldet ein geschiedener Ehegatte nachehelichen Unterhalt und betreut gleichzeitig ein minderjähriges Kind, kann er seine bisher vollschichtig ausgeübte Erwerbstätigkeit nicht teilweise zur Wahrnehmung der Betreuung des Kindes mindern, soweit das Kind das 3. Lebensjahr vollendet hat. Dies folgt aus der Regelung des § 1570 Abs. 1 BGB, die für einen Unterhaltspflichtigen und Unterhaltsberechtigten gleichermaßen gilt. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Möglichkeit einer Drittbetreuung des Kindes nicht besteht. Der 7jährige sei in einer Ganztagsschule ausreichend betreut. Das Argument, der Vater benötige die freie Zeit für Besorgungen und Haushaltseinkäufe sowie für Fahrten mit dem Sohn zum Fußballtraining, verfing nicht.
Der Mann hatte seit einigen Jahren keine Steuererklärung abgegeben – das OLG rechnete ihm vor, dass er Steuererstattungen hätte bekommen können und rechnete ihm diese zu.
Schulden, die der Mann noch auf die Scheidungskosten abzahlte, wurden ihm nicht abgezogen.
Zu lösen war nun die Frage, wie der Kindesunterhalt zu berücksichtigen war, denn die Mutter zahlte nichts an den Vater, der bekam Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt, dorthin erstattete die Mutter nur 5 Euro monatlich. Beim UVK-Regress kann kein fiktives Einkommen berücksichtigt werden.
Der Vater durfte bei sich den Unterhaltsanspruch des Sohnes abziehen (unter Anrechnung der UVK-Leistungen).
OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2020 – 9 UF 248/19
Beim BGH bahnt sich eine Grundsatzänderung beim Kindesunterhalt an, die Auswirkungen auf die Berechnung des Ehegattenunterhaltes hat, wenn minderjährige Kinder im Haushalt leben. „Einer zahlt, einer betreut“ hieß es bislang ganz grundsätzlich beim Kindesunterhalt, so z.B. in BGH 14.02.2077, XII ZB 190/04, mit wenigen Ausnahmen. Der BGH hat dies bislang zwar nicht explizit aufgegeben, hat aber in mehreren Entscheidungen nun das zusammengerechnete Elterneinkommen zur Grundlage der Bedarfsermittlung der Kinder genommen.
In der Wechselmodellberechnung vom 11.01.2017 (XII ZB 565/15) überraschte das erstmal noch nicht, weil es hier das „einer betreut“ nicht gibt - aber in der Entscheidung zum mietfreien Wohnen der Kinder vom 18.05.2022 (XII ZB 325/20) verdichtete sich der Eindruck, dass der BGH seine Sichtweise auf die Bedarfsermittlung ganz grundsätzlich verändert hat oder bislang von allen falsch verstanden wurde.
Schon in der Elternunterhaltsentscheidung vom 15.02.2017 – XII ZB 201/16 – wurden die Auswirkungen klar: Auch beim betreuenden Elternteil entstehen Kosten für Kinder, die er als Naturalunterhalt leistet, die aber gegenüber den nachrangigen Eltern vom Einkommen abgezogen werden können.
In der Entscheidung zum Trennungsunterhalt bei guten Einkommensverhältnissen vom 29.09.2021 (XII ZB 474/20) zeigte sich, dass die betreuende Mutter mehr Trennungsunterhalt benötigte, weil sie von ihrem eigenen Einkommen auch Kosten des Kindes in ihrem Haushalt deckte.
Berechnet wird das nun wie folgt: Aus dem zusammengerechneten Einkommen erfolgt die Einstufung in die Düsseldorfer Tabelle. Der nicht-betreuende Elternteil muss dennoch für das Kind nur das zahlen, was seiner eigenen Einkommensgruppe entspricht.
Der „Fehlbetrag“ ist also der Naturalunterhalt und wird relevant für die Unterhaltsberechnung zwischen den Ehegatten als Abzugsposition bei dem, bei dem das minderjährige Kind lebt.
Hiervon abweichend das
OLG Bamberg, Beschluss vom 06.06.2024 - Aktenzeichen 2 UF 222/23:
"Soweit nach neuerer Ansicht des Bundesgerichtshofs (B. v. 29.09.2021, Az. XII ZB 474/20 = FamRZ 2021, 1965 ; B. v. 18.05.2022, Az. XII ZB 325/20 = FamRZ 2022, 1366 ) beim das gemeinsame Kind im Residenzmodell betreuenden Elternteil im Rahmen der Bedarfsermittlung beim Ehegattenunterhalt ein Abzug für Kindesunterhaltsleistungen in Form von Naturalunterhalt auf Grundlage eines Kindesunterhaltsbedarfs aus dem gemeinsamen Einkommen beider Eltern vorzunehmen sei, vermag sich der Senat dieser Rechtsansicht nicht anzuschließen, vgl. auch OLG Oldenburg vom 16.05.2023 (Az. 3 UF 32/23 = FamRZ 2023, S. 1371 ) verwiesen und von der Darstellung weiterer Gesichtspunkte, die dieser neueren Ansicht des Bundesgerichtshofs entgegenstehen (vgl. hierzu z.B. Handbuch Familienrecht/Kintzel, 12. Aufl. 2021, Kap. 6 Rdn. 675 und 706 m.w.N.; Götz/Seiler, Systemwechsel im Unterhaltsrecht?, FamRZ 2022, 1338 ; Schürmann, jurisPR-FamR 18/2023 Anm. 4)."
Wer gesetzlich krankenversichert ist und Unterhalt von seinem getrenntlebenden oder geschiedenen Ehegatten erhält, muss mit einer Erhöhung seiner KV-Beiträge rechnen, denn Unterhaltsleistungen gehören zu den beitragspflichtigen Einnahmen i. S. des § 3 I S. 1 BeitrVerfGrsSz / § 240 I S. 1 SGBV.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Unterhalt – wie üblich – monatlich gezahlt wird oder ob man sich auf eine Einmal-Abfindung geeinigt hat.
Eine Ehefrau war als Hausfrau beitragsfrei in der Familienversicherung Ihres Mannes, fiel mit der Scheidung dort heraus und wurde freiwilliges Mitglied. Der geschiedene Ehemann hatte ihr aus einer notariellen Trennungs- und Scheidungsvereinbarung zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt eine einmalige Abfindung i. H. von 120.000 Euro zu zahlen. Die Krankenversicherung teilte diesen Betrag durch 12 und setzte den KV-Höchstbeitrag fest, damals knapp 800 EUR mtl.
Dagegen zog die Frau durch Instanzen und trug vor, die Abfindung habe einen Unterhaltsanspruch der nächsten 10 Jahre abgegolten, weshalb der Betrag durch 120 Monate zu teilen sei. Dann hätte der KV-Beitrag mtl. knapp 200 EUR betragen.
Sozialgericht, Landessozialgericht und Bundessozialgericht gaben ihr nicht recht:
Unterhaltsleistungen sind ungeachtet ihrer Zahlungsweise für freiwillige Mitglieder der GKV grundsätzlich beitragspflichtig - ausführlich hierzu BSG, Urteil v. 28.6.2022 – B 12 KR 11/20 R. Bei der Bemessung der Beiträge zur GKV sind einmalig gezahlte Unterhaltsabfindungen nach § 5 Abs. 3 BeitrVerfGrsSz dem jeweiligen Beitragsmonat mit einem Zwölftel des Betrags für zwölf Monate zuzuordnen. Diese Verteilung des Zahlbetrags begegnet weder einfach-rechtlichen noch verfassungsrechtlichen Bedenken und begründet im Fall der Klägerin auch keinen unverhältnismäßigen Härtefall. Entsprechendes gilt für die Beitragsbemessung in der sPV.
BSG Urt. v. 18.10.2022 – B 12 KR 6/20 R
Im Fall des OLG Brandenburg bezog die 59 Jahre alte Ehefrau schon zehn Jahre eine volle Erwerbsminderungsrente von rd. 1400 Euro mtl. Es war schon beim Amtsgericht im Scheidungsverfahren geprüft worden, ob sie trotzdem noch einen Minjob schaffen konnte, aber die ärztlichen Gutachten hatten den Richter vom Gegenteil überzeugt, weil sie nach Darmkrebs unter Stuhlinkontinenz litt und aus Scham ihre Wohnung kaum verließ.
Sie wollte nach 28 Ehejahren dauerhaft Nachscheidungsunterhalt, der Mann wollte nichts zahlen und schon gar nicht lange.
Über den Versorgungsausgleich erhöhte sich ihre Rente um 250 Euro mtl. und das OLG Brandenburg nahm sich der Aufgabe an, zu berechnen, was das für den Unterhalt bedeutet. Bei der Unterhaltsberechnung wird zwischen „ehelichem Bedarf“ und „Bedürftigkeit“ unterschieden. Aus dem Bedarf ergibt sich, was der Ehefrau im Ergebnis zur Verfügung stehen muss, bei der Bedürftigkeit wird das Eigeneinkommen angerechnet. In einfach gelagerten Fällen sind die Beträge bei Bedarf und Bedürftigkeit identisch.
Nicht aber, wenn der Unterhaltsberechtigte schon Rentner ist und vom Versorgungsausgleich profitiert, der Unterhaltspflichtige aber noch nicht Rentner ist und daher keine aktuelle Kürzung hinnehmen muss.
Für diese Konstellation bedeutet das: nur der kleine selbst erarbeitete Rentenbetrag von 1.400 EUR prägte zusammen mit dem Einkommen des Mannes (hier 2.400 EUR) den ehelichen Bedarf, davon wurde aber der volle Rentenbetrag inclusive des Versorgungsausgleiches – mithin 1650 EUR – abgezogen.
Mit diesen Zahlen kommen 250 EUR Unterhalt heraus (in der Entscheidung ergab sich ein anderer Betrag, weil noch für verschiedene zeiträume Abzugspositionen berücksichtigt wurden).
Das begrenzte das OLG dann trotz der langen Ehedauer auf vier Jahre, denn die ehebedingten Nachteile waren durch den Versorgungsausgleich aufgefangen worden:
"Die Dauer der Übergangsfrist ist nach ober- (vgl. etwa OLG Celle NJW 2009, 521 ) und höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2008, 2581 ) nicht schematisch an der Ehedauer zu orientieren; gleichwohl hat die Ehedauer für den Umfang der nachwirkenden unterhaltsrechtlichen Verantwortung der Ehegatten füreinander Bedeutung. Sie bietet einen kalendermäßig greifbaren und daher ansatzweise konkreten Maßstab für die Bemessung des Umstellungszeitraums, der sich damit meistens als Bruchteil der Ehezeit darstellen wird. Als weitere Abwägungskriterien für die konkrete Bestimmung einer Übergangsfrist werden daneben insbesondere das Alter des Unterhaltsberechtigten, die Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen, die Länge des Zeitraums, in dem bereits Trennungsunterhalt gezahlt wird, sowie die beiderseitigen Vermögensverhältnisse in Betracht kommen (OLG Celle, NJW 2008, 2449 [2450]).
Auf Seiten des Antragstellers ist zu berücksichtigen, dass die Unterhaltszahlungen seinen finanziellen Spielraum selbst bei Zugrundelegung fiktiver Einkünfte spürbar einschränken dürften. Gegen eine zeitnähere Beendigung des Umstellungszeitraums sprechen aber insbesondere das relativ fortgeschrittene Alter der Ehefrau bei Rechtskraft der Scheidung und der Umstand, dass diese nach Beendigung des Umstellungszeitraums ihren Lebensstandard schon aus gesundheitlichen Gründen durch eigene Erwerbstätigkeit nicht mehr heben kann.
Allerdings wird die Antragsgegnerin trotz eingeschränkter Erwerbsfähigkeit von den Unterhaltszahlungen des Antragstellers im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit nicht abhängig sein. Vielmehr wird sie in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt durch ihre Renteneinkünfte in einem Maße zu decken, das das Existenzminimum bei Weitem, aber auch den eheangemessenen Selbstbehalt (1.280 €, Nr. 21.4 Brb. UL) übersteigt.
Setzt man die genannten Kriterien zur Dauer der Ehezeit in Beziehung, die von der Eheschließung bis zur Zustellung des Scheidungsantrags nahezu 28 Jahre gewährt hat, erscheint es dem Senat unter Würdigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte angemessen, den Anpassungszeitraum, in dem ein voller Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu zahlen ist, auf rund vier Jahre nach Rechtskraft der Scheidung zu bemessen, mithin bis zum 31.1.2026."
OLG Brandenburg - Beschluss vom 12.06.2024 (13 UF 153/21)