Sorgerecht

Gemeinsame Sorge - Alleinentscheidungsbefugnis - Aufenthaltsbestimmung - Umzug - Sorgerechtsentzug

Wenn Sie in Aachen psychosoziale Beratung in ihrer Trennungssituation benötigen, z.B. zu Umgangs- und Sorgerechtsfragen, können Sie sich an eine der freien Beratungsstellen wenden. Bevor eine Streitigkeit zwischen Eltern vom Richter entschieden wird, sollte idealerweise eine gemeinsame Beratung bei einer dieser Stellen stattgefunden haben.
Den sogenannten "Beratungsführer" für Aachen mit allen beratenden Professionen finden sie auf der Seite
www.trennung-scheidung-aachen.de.

Elternvereinbarungen können Fragen des Sorgerechts (Ausübung, nicht: Übertragung!) und des Umgangs regeln, aber auch finanzielle Absprachen.
Soweit es um das Sorge- und Umgangsrecht geht, handelt es sich nicht um echte Verträge im Sinne des Zivilrechts. Ihre Einhaltung ist daher zwischen den Eltern nicht unbedingt einklagbar. Ihre rechtliche Verbindlichkeit beurteilt sich deshalb auch nicht nach dem Vertragsrecht, sondern nach kindschaftsrechtlichen Maßstäben (Kindeswohl). Anders aber Unterhaltsvereinbarungen, Absprachen über die Kosten des Umgangs (insbesondere für das "Holen und Bringen") und andere finanzielle Nebenabreden - solche Vereinbarungen sind echte zivilrechtliche Verträge.
Sind Elternvereinbarungen dauerhaft verbindlich?

Elternvereinbarungen haben durchaus rechtlichen Einfluss auf das gerichtliche Verfahren. Insbesondere wenn die Eltern sich einig sind und bleiben: Dann ist der Richter daran bis zur Grenze des § 1666 BGB - Kindeswohlgefährdung - gebunden! Für Umgangsverfahren verlangt § 156 Abs. 2 FamFG ausdrücklich die richterliche Billigung einer Einigung - und inzident die Prüfung, dass die Regelung dem Kindeswohl nicht widerspricht.
Mehr als nur einen solchen Widerspruch muss der Richter prüfen, wenn ein Elternteil sich an die Vereinbarung nicht mehr halten möchte. Allerdings hat dieser Elternteil zu erklären, warum er damals einverstanden war und es heute nicht mehr ist. Er muss also veränderte Umstände oder neue Erkenntnisse vortragen.

  • Haben wir trotz Trennung weiter das gemeinsame Sorgerecht?

    Die Antwort heißt schlicht ja, wenn Sie auch bisher die gemeinsame Sorge hatten (also eheliches Kind oder Sorgeerklärung). Die Trennung ändert also zunächst nichts. Seit Juli 1998 ist es Gesetz, daß Trennung und Scheidung die Frage des Sorgerechts nicht mehr automatisch berühren. Stellt keiner der Elternteile einen Antrag auf Alleinsorge, bleibt es automatisch bei der gemeinsamen Sorge.



  • Müssen wir alles gemeinsam unterschreiben?

    Nein. Der Gesetzgeber hat gesehen, daß dies nicht praktikabel wäre. Es gibt eine "Alleinentscheidungsbefugnis" gemäß § 1687 BGB. Die beinhaltet, daß der Elternteil, bei dem das Kind lebt (im Einverständnis mit dem anderen!), alles allein entscheiden kann - außer "Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung". Dieser Rechtsbegriff ist unbestimmt und wird durch die Rechtsprechung konkretisiert.


    Zwei Beispiele: Die Entscheidung, ob das Kind mittwochs in der letzten Unterrichtsstunde an einer Niederländisch-Arbeitsgemeinschaft teilnehmen darf, gilt als alltäglich. Die Entscheidung, ob nach der 4. Klasse der Wechsel auf Gesamtschule oder Realschule ansteht, gilt als erheblich. Ob Ihre Angelegenheit alltäglich oder erheblich ist, läßt sich nur im Einzelfall auslegen.


    Dies bedeutet, daß der Elternteil, bei dem das Kind überwiegend lebt, sich über die praktisch ganz im Vordergrund stehenden Fragen des Alltags nicht mit dem anderen Elternteil verständigen muß. Umgekehrt hat der andere Elternteil, bei dem sich das Kind etwa am Wochenende oder in den Ferien aufhält, eine auf Fragen der tatsächlichen Betreuung beschränkte Alleinentschei­dungsbefugnis während dieser Zeit. Achtung: Noch völlig ungeklärt ist, wie die "Allentscheidungsbefugnis" bei den sogenannten "Pendelkindern" oder "2-Familien-Kindern" wirkt, das Kind also bei beiden Elternteilen einen Lebensmittelpunkt hat.

  • Gibt es überhaupt noch alleiniges Sorgerecht?

    Die nicht verheirateten Mütter haben für ihre Kinder alleinige Sorge, wenn sie nicht eine Sorgeerklärung zugunsten des Vaters abgegeben haben oder (seit 2013) der nichteheliche Vater sich die Sorge gerichtlich erstritten hat. Alleinsorge ist zur Ausnahme geworden für die Kinder miteinander verheirateter Eltern, die sich getrennt haben.


    Wenn der andere Elternteil der Alleinsorge zustimmt (und das über-14-jährige Kind nicht widerspricht), ist Alleinsorge recht unproblematisch. Auch dann muss aber das Familiengericht mitwirken, allein beim Jugendamt oder Notar wird man sein Sorgerecht nicht quitt.


    Aber was ist, wenn der andere Elternteil weiter für die gemeinsame Sorge eintritt oder selbst einen Antrag auf Alleinsorge stellt? In der Praxis ist die gemeinsame Sorge seit 1998 der Regelfall. Es gibt Familienrichter, die diese den Parteien durchaus "aufzwingen" - andere lassen sich aber von offensichtlichen Kommunikationsstörungen (die im Gerichtssaal laut und deutlich werden) beeindrucken und halten die Auflösung der gemeinsamen Sorge für das richtige Mittel, Frieden herzustellen.


    Welcher Auffassung Ihr Familienrichter in solchen Fällen der Kommunikationsstörung zuneigt, kann Ihnen Ihr Anwalt vor Ort vielleicht sagen. Wird ein Antrag auf Alleinsorge gegen den Willen des Anderen gestellt, so muß dieser jedenfalls gut begründet werden. Das Jugendamt wird automatisch eingeschaltet und macht sich anhand von Gesprächen mit beiden Eltern ein eigenes Bild. Je nach Alter des Kindes wird auch dieses vom Jugendamt und vom Gericht angehört.


     

    Das OLG Hamm hat es trotz bestehender Kommunikationsprobleme zwischen den geschiedenen Eltern bei der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen.


    Die Kinder sind 9 und 11 und leben bei der Mutter. Die hat bereits das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht und möchte die komplette Alleinsorge. Sie hat dies mit zunehmenden Kommunikationsproblemen zwischen ihr und dem Kindesvater begründet, unter denen auch die Kinder zu leiden hätten. In erster Instanz, beim Familiengericht Marl, hatte sie recht bekommen. Das OLG Hamm hat es jedoch abgelehnt, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und der Kindesmutter die Alleinsorge zu übertragen.


    Nach Auffassung des Oberlandesgerichts rechtfertigen die im Jahre 2012 aufgetretenen Kommunikationsprobleme zwischen den Eheleuten keine Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Maßstab und Ziel sei insoweit allein das Kindeswohl und nicht der Ausgleich persönlicher Defizite zwischen den Eltern. Unter Würdigung aller Gesichtspunkte des zu entscheidenden Falls sei die gemeinsame elterliche Sorge beizubehalten. Ihre Ausübung habe offenbar bis Mitte des Jahres 2012 funktioniert. Auch wenn die Kindesmutter persönlich eine Kommunikation mit dem Vater verweigere, rechtfertige dies nicht seinen Ausschluss von der elterlichen Sorge. Der Kindesmutter sei es zuzumuten, weiterhin im Interesse des Kindeswohls mit dem Vater zu kooperieren. Dem Kindesvater sei es zuzumuten, seine Positionen gegenüber der Kindesmutter in maßvoller Weise geltend zu machen.


    OLG Hamm, Beschluss vom 23.7.2013, 2 UF 39/13


  • Entscheidet der Scheidungsrichter immer auch über das Sorgerecht?

    Nein. Der Scheidungsrichter entscheidet über die Scheidung. Sonst nichts - außer, es werden Anträge gestellt. Wenn man also will, dass zusammen mit der Scheidung über die elterliche Sorge entschieden wird, muss man einen eigenen Antrag stellen. In der Praxis kann die Sorgerechtsregelung aber nicht bis zur Scheidung warten - dann wird ein eigenständiges Verfahren mit eigenem Aktenzeichen (und Kosten) eingeleitet, wenn die Eltern sich nicht einigen konnten. Können Eltern sich einigen (egal ob mündlich oder schriftlich, ob mit oder ohne Jugendamt), brauchen sie den Richter gar nicht. Der Staat mischt sich also nur bei Trennungs-Familien ein, die darum bitten.

  • Was ist der Vorteil von gemeinsamer Sorge?

    Gemeinsame Sorge kann von den Eltern als lästig empfunden werden, wenn die Paar-Beziehung so zerrüttet ist, daß jeder Kontakt vermieden werden soll. Für das Kind aber kann hierin eine Chance liegen, den Kontakt zum Besuchs-Elternteil, der sonst kein Sorgerecht hätte, nicht zu verlieren. Nach älteren rechtstatsächlichen Untersuchungen aus der Zeit, in der die Alleinsorge der Mutter die Regel war (vor 1998), hatte mehr als die Hälfte der geschiedenen Väter ein Jahr nach der Scheidung keinerlei Kontakt mehr zu dem Kind. Der Verlust der elterlichen Sorge wirkt bei den betroffenen Vätern vielfach demotivierend; dies hat zur Folge, daß sie ihr Umgangsrecht nicht mehr wahrnehmen. Aus diesen Gründen ist es grundsätzlich erstrebenswert, wenn Eltern auch nach Trennung und Scheidung die elterliche Sorge gemeinsam wahrnehmen.

  • Schulwahl = Alltagsangelegenheit?

    Kann ein Elternteil (bei gemeinsamer Sorge) ohne das Einverständnis des anderen Elternteils das gemeinsame Kind an einer anderen Schule anmelden?


    Können ja - dürfen nein, (weil die meisten Schulleiter nicht danach fragen, was der andere Sorgeberechtigte dazu sagt).


    § 1687 BGB gibt dem Elternteil, bei dem das Kind lebt, eine Alleinentscheidungsbefugnis in Alltagsangelegenheiten.


    Was ist also eine „Alltagsangelegenheit“? Alles, was den weiteren Werdegang des Kindes nicht unumkehrbar beeinflusst und keine Auswirkungen auf das Leben des Kindes während der Umgangszeiten mit dem Anderen hat.


    Dazu gehört z.B. die Frage, ob das Kind in der Schule die Basketball-AG mitmacht (außer: die läge genau am Mittwochnachmittag, an dem das Kind Umgang mit dem Vater hat).


    Umstritten als Alltagsangelegenheit ist schon die Frage, ob das Kind als 2. Fremdsprache Latein oder Spanisch lernt. Da kann man sich Pro und Contra vorstellen.


    Ganz eindeutig ist die Wahl der weiterführenden Schule oder gar ein Schulwechsel keine Alltagsangelegenheit, weil von großer Bedeutung für den weiteren Lebensweg.


    Beispiel für eine „Angelegenheit von besonderer Bedeutung" ist die Umschulung eines neunjährigen Grundschulkindes wegen Umzuges der Mutter. 


    Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern hatten sich getrennt, die Mutter war mit den gemeinsamen Kindern in einen anderen Ort gezogen und hatte dort das jüngste Kind in der Grundschule vor Ort angemeldet.

    Hiermit war der Vater nicht einverstanden. Er bot an, das Kind jeden Tag morgens bei der Mutter abzuholen, mit dem Auto zu der bisher besuchten Grundschule zu fahren und auch wieder nach Schulschluss zurückzubringen. Die Mutter wandte sich daraufhin an das Familiengericht und beantragte, ihr im Eilverfahren die Alleinentscheidungsbefugnis für die Schulwahl allein zu übertragen. Weder vom dem Amtsgericht noch vor dem Oberlandesgericht hatte der Vater Erfolg.


    Aus den Gründen:

    Maßstab für die Entscheidung, welchem der beiden Elternteile die alleinige Entscheidungsbefugnis für die Frage des Schulbesuchs übertragen wird, ist das Wohl des Kindes. Die Schule am Wohnort der Mutter ist im Rahmen eines zehnminütigen Fußwegs zu erreichen. Für das Kind entfallen aufwendige Fahrten, die bei Beibehaltung des bisherigen Schulorts anfallen würden. Im Hinblick auf die weitere Schullaufbahn des Kindes, die durch eine steigende Stundenanzahl und eine Abnahme der Freizeit gekennzeichnet ist, ist es sinnvoll, eine Schule für das Kind zu wählen, bei der es geringere Fahrtzeiten hat. Beim Anfall von Freistunden kann das Kind kurzfristig nach Hause gehen, so dass eine größere Flexibilität besteht.

    Daneben bestehen Zweifel, ob der Vater in Zukunft langfristig in der Lage sein würde, das Kind mit dem Auto an seinen bisherigen Schulort zu bringen. Zudem gibt es am Wohnort der Mutter eine größere Auswahl an weiterführenden Schulen, als am bisherigen Schulort, so dass für die künftige Schullaufbahn des Kindes am Wohnort bessere Möglichkeiten bestehen. Der teilweise Verlust des bisherigen schulischen und damit auch sozialen Umfelds wiegt nicht so schwer, dass aus Gründen des Kindeswohls ein weiterer Besuch der alten Schule notwendig ist.


    Anmerkung:

    Dabei spielte eine Rolle, dass die neue Schule das Kind trotz fehlender Einwilligung des sorgeberechtigten Vaters bereits beschulte und das Kind sich zum Zeitpunkt der Entscheidung seit vier Monaten dort eingelebt hatte.

    OLG Schleswig 7.12.2010, 10 UF 186/10


  • Beispiel: Religionszugehörigkeit

    Der Fall:


    Vater ist Moslem, Mutter evangelisch. Der knapp 3jährige Junge lebt seit der Trennung bei der Mutter. Sie haben das gemeinsame Sorgerecht. Die Mutter hat ursprünglich die elterliche Sorge für das Kind begehrt, weil die Eltern über dessen religiöse und kulturelle Entwicklung uneinig seien. Das Kind solle im christlichen Glauben erzogen und getauft werden und in der Schule am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen. Das Kind werde während des Umgangs mit dem Vater von diesem gegen den christlichen Glauben eingestellt und zugunsten des muslimischen Glaubens beeinflusst.


     


    Vor dem Amtsgericht bekam sie recht, das OLG Karlsruhe hob dies wieder auf. Es sei nicht geboten, ein knapp dreijähriges Kind, dessen getrennt lebende, jedoch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern unterschiedlichen Religionsgemeinschaften angehören, bereits jetzt endgültig in eine Religionsgemeinschaft zu integrieren. Ein so kleines Kind sei noch nicht in der Lage, Fragen des religiösen Bekenntnisses sinnvoll zu verstehen, sondern ahme lediglich das ihm von seinen Eltern aufgezeigte Verhalten nach, ohne damit etwas Sinnhaftes verknüpfen zu können. Auch wenn dem Kind die unterschiedlichen religiösen Handlungen seiner Eltern bewusst sein sollten, kann es daraus keine Rückschlüsse ziehen und die einzelnen Religionen nicht bewerten. Deswegen sei eine Entscheidung über sein religiöses Bekenntnis aus Gründen seiner Erziehung noch nicht geboten.


    Dies entspricht nach Ansicht des OLG auch der gesellschaftlichen Realität in Deutschland. Aus der klassischen Säuglingstaufe wird zunehmend eine Kindertaufe, und zwar teilweise (erst) im erinnerungsfähigen Alter. Hinzu kommt, dass das Kind bei der Mutter und im Umgang mit dem Vater sowieso mit unterschiedlichen Praktiken der Religionsausübung konfrontiert wird. Eine Entscheidung über sein religiöses Bekenntnis löst dieses Spannungsverhältnis nicht.


    Vielmehr seien die Eltern aufgerufen, religiöse Toleranz gegenüber dem jeweils anderen Bekenntnis zu üben. Bei religiöser Toleranz der Eltern bestehe keine Gefahr eines Loyalitätskonflikts des Kindes, sodass es nicht seinem Wohl entspricht, eine Entscheidung über seine Religionszugehörigkeit zu fällen. Vielmehr sei es aus der Sicht des weltanschaulich neutralen Staates geboten, das Kind nicht bereits frühzeitig in eine Religionsgemeinschaft zu integrieren.


    Das Gericht ging also davon aus, dass sich das Kind zu einem späteren Zeitpunkt eigenständig einer Religion zuordnen will, und wollte in diesen Prozess nicht regulierend eingreifen.


    OLG Karlsruhe, Beschl. v. 03.05.2016 – 20 UF 152/15


     


  • Wer hilft Eltern, sich zu einigen, wenn es etwas wichtiges zu entscheiden gibt?

    Das Jugendamt muß helfen, es gibt eine Beratungspflicht. Allerdings kann an sogenannte freie Beratungsstellen delegiert werden. Bei jedem Scheidungsantrag, bei dem gemeinschaftliche minderjährige Kinder von der Scheidung betroffen sein werden, erhält der zuständige Mitarbeiter beim Jugendamt vom Gericht eine Nachricht. Die Jugendämter sind sodann verpflichtet, die Eltern über das Angebot der Trennungs- und Scheidungsberatung zu informieren. Aber auch schon vor dem Scheidungsantrag können Sie Kontakt zum Jugendamt aufnehmen und um ein Beratungsgespräch mit beiden Eltern bitten.


    Aachener Beratungsstellen finden Sie auf der Homepage des Arbeitskreises Trennung/Scheidung.


    Eine Form der Hilfe zur Einigung ist Mediation, über die Sie an anderer Stelle auf meiner Homepage mehr erfahren.


    Können sich die Eltern in einer "erheblichen Angelegenheit" letztlich nicht einigen, kann für diese Einzelfrage das Gericht angerufen werden - oder dies als Anlaß eines Antrags auf Alleinsorge genommen werden.

  • Wer nur halbtags arbeitet, bekommt die Kinder?

    Das ist wahrscheinlich statistisch die Wahrheit und trifft statistisch auch häufiger für Mütter zu als für Väter - aber es gibt eben keinen solchen Automatismus.


    Aus der gegenteiligen Begründung des OLG Saarland (6 UF 106/10):

    „Bei der allein am Kindeswohl auszurichtenden Frage, welchem der Elternteile die elterliche Sorge oder - wie hier - ein Teilbereich dieser zu übertragen ist, sind die Erziehungseignung der Eltern - einschließlich ihrer Bindungstoleranz -, die Bindungen des Kindes - insbesondere an seine Eltern und Geschwister -, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie der Kindeswille als gewichtige Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Außer diesen Aspekten sind je nach den Begleitumständen des Falles weitere Gesichtspunkte wie Erziehungsbereitschaft, häusliche Verhältnisse, soziales Umfeld und Grundsätze wie der einzubeziehen, dass Geschwister nicht ohne besonderen Grund voneinander getrennt werden sollen. Nach dem Förderungsprinzip ist die elterliche Sorge dem Elternteil zu übertragen, der am Besten zur Erziehung und Betreuung des Kindes geeignet erscheint und von dem es voraussichtlich die meiste Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit erwarten kann. Dabei kann berücksichtigt werden, dass ein Elternteil weitergehende Möglichkeiten zur Betreuung des Kindes hat; denn je jünger ein Kind ist, umso wichtiger ist es für seine Entwicklung, dass es sich in der Obhut eines Menschen weiß, der Zeit hat, auf seine Fragen, Wünsche und Nöte einzugehen. Ein Primat des beruflich weniger eingespannten Elternteils ist damit allerdings nicht verbunden."


    Der berufstätige Vater erhielt das Sorgerecht, auch wenn er nachweislich (etwas) weniger Zeit zu Hause ist als die Mutter.

  • Wenn zwei sich streiten...

    Das OLG Brandenburg entwickelt sich zum Vorreiter eines strengen Umgangs mit Eltern, die ihr Kind in Loyalitätskonflikte stürzen. In der Familiensache 13 WF 78/10 stritten sich beide so sehr, dass für beide der Schuss nach hinten losging:


    Beiden wurde das Sorgerecht (Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht der Gesundheitssorge, Recht, Anträge auf Hilfe zur Erziehung zu stellen und das Recht zur Schulwahl) entzogen.


    Der Sohn konnte dennoch beim Vater wohnen bleiben, weil er dies wollte.


  • Vollmachtslösung hat Vorrang vor Sorgerechtsentzug

    Bundesgerichtshof, Beschluss v. 29.4.2020 – XII ZB 112/19


    1. Dem sich aus der gesetzlichen Gesamtvertretung des minderjährigen Kindes durch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern ergebenden Bedürfnis für eine Autorisierung eines Elternteils zur alleinigen Wahrnehmung elterlicher Vertretungsbefugnisse kann durch Erteilung einer Vollmacht entsprochen werden.


    2. Das Grundverhältnis für diese Vollmacht ist regelmäßig das sich aus dem fortbestehenden gemeinsamen Sorgerecht ergebende gesetzliche Rechtsverhältnis. Daraus ergeben sich insbesondere Kontrollbefugnisse und -pflichten und gegebenenfalls auch Mitwirkungspflichten des vollmachtgebenden Elternteils. Eines gesonderten Vertrags zwischen den Eltern bedarf es für das Grundverhältnis nicht.


    3. Die Bevollmächtigung des mitsorgeberechtigten Elternteils kann eine andernfalls notwendige Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteileine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Hierfür ist eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern erforderlich, soweit eine solche auch unter Berücksichtigung des durch die Vollmacht erweiterten Handlungsspielraums des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist.



  • Kinderfotos im Netz als Sorgerechts-Problem

    Das Posten von Kinderfotos in digitalen Medien – von facebook über snapchat bis Tiktok – sehen manche Eltern sehr kritisch. Was aber, wenn Eltern sehr unterschiedliche Auffassungen davon haben: einer postet gern das Familienglück, der andere ist strikt dagegen?

    Dann landet dies als Sorgerechtsfrage vor dem Familiengericht. Bei getrennt lebenden Eltern wird die Rechtsfrage an § 1628 BGB aufgehängt: Mit der sog. Alleinentscheidungsbefugnis in Alltagsangelegenheiten / Betreuungsangelegenheiten würde ermöglicht, dass jeder Elternteil das für seine Zeit mit dem Kind allein entscheiden könnte.

    Das lehnte das OLG Düsseldorf aber ab. Es handele sich nicht um eine Alltagsfrage, sondern um eine von erheblicher Bedeutung, weil die Auswirkungen sich nicht auf die mit dem Elternteil verbrachte Zeit beschränken.

    Für die Verbreitung von Fotos des Kindes in digitalen sozialen Medien ist also gemäß § 22 KUG und Art. 6 I UAbs. 1 lit. a DSGVO die Einwilligung beider sorgeberechtigter Elternteile erforderlich.

    Der Elternteil, der gegen Kinderfotos im Internet ist, bekommt beim OLG Düsseldorf die alleinige elterliche Sorge für diese Frage, um es dem Anderen verbieten zu können.

    Denn es entspreche dem Kindeswohl am besten, wenn der entscheidet, der die Gewähr für eine Verhinderung der weiteren Bildverbreitung bietet. 


    Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss v. 20.7.2021 – II-1 UF 74/21



  • § 1666 BGB: Wie weit darf das Familiengericht ins Sorgerecht eingreifen (hier: Smartphone-Verbot) ?)

    Darf das Familiengericht einer 9-Jährigen das Smartphone verbieten? 


    Das Amtsgericht hat einer Mutter aufgegeben, verbindliche Zeiten und Inhalte hinsichtlich der Nutzung von TV, Computer, Spielkonsole, Tablet für ihr Kind zu finden. Darüber hinaus sollte dem Kind bis zum 12. Geburtstag kein eigenes und frei zugängliches Smartphone mehr zur Verfügung gestellt werden. Zu Recht?


    Der Fall:

    Vater und Mutter stritten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre 9 Jahre alte Tochter. Im Rahmen der Kindesanhörung ergab sich, dass das damals 8-jährige Mädchen freien Zugang zum Internet über Geräte der Mutter hatte und über ein eigenes Smartphone verfügte.

    Das Amtsgericht hat der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen, aber ihr zugleich aufgegeben, „feste Regeln, insbesondere verbindliche Zeiten und Inhalte hinsichtlich der Nutzung von im Haushalt verfügbaren Medien (insbesondere TV, Computer, Spielkonsole, Tablet) für das Kind zu finden“, einzuführen, dem Gericht mitzuteilen und umzusetzen. Das Kind dürfe kein eigenes und frei zugängliches Smartphone haben. Die Auflage wurde bis zum 12. Geburtstag des Kindes befristet.

    Gegen die Aufenthaltsbestimmung ging der Vater zum OLG. Der Verfahrensbeistand der Tochter sowie die Kindsmutter schlossen sich der Beschwerde an und begehrten die Aufhebung der Auflagen zur Mediennutzung.


    Die Entscheidung des OLG Frankfurt:

    Das OLG Frankfurt hat die Auflagen aufgehoben. 

    Zur Begründung verweist es zunächst auf die Voraussetzungen gerichtlicher Auflagen nach §§ 1666, 1666a BGB. Staatliche Maßnahmen tangierten immer auch die Grundrechte der Eltern, so dass verfassungsrechtlich hohe Anforderungen an einen Eingriff in die elterliche Personensorge zu stellen seien.

    Maßnahmen dürften, so das OLG, nur getroffen werden, „wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird“. Es müsse positiv festgestellt werden, „dass bei weiterer Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadensnachteil des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist, die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts rechtfertigt eine eingreifende Maßnahme nicht“.

    Es sei nicht Aufgabe des Staates, „die im Interesse des Kindeswohls objektiv beste Art der Sorgerechtsausübung - soweit eine solche überhaupt festgestellt werden kann – sicherzustellen“, grenzt das OLG ab.

    Die Anordnungen zur Mediennutzung und der Nutzung eines Smartphones griffen hier unberechtigt in die grundrechtlich geschützten Elternrechte der Kindesmutter ein. Eine konkrete Gefährdung des Kindes durch die Mediennutzung sei nicht festgestellt worden. "Allgemeine Risiken der Nutzung smarter Technologien und Medien durch Minderjährige begründeten nicht per se eine hinreichend konkrete Kindeswohlgefährdung." 

    Medien- und Internetkonsum durch Kinder und Jugendliche berge zwar Gefahren, denen Eltern geeignet begegnen müssten. Dies betreffe "sowohl die zeitliche Begrenzung... als auch die inhaltliche Kontrolle". Der Zugang zu jugendgefährdenden Inhalten über YouTube könne schädliche Wirkungen haben, gleiches gelte hinsichtlich für die aktuelle Altersgruppe nicht freigegebener Spiele mit "verstörenden, schädigenden Inhalten" oder die Verwendung von WhatsApp, bei denen die Kinder oder Jugendlichen als Sender und Empfänger "gewünschter oder unerwünschter Nachrichten betroffen sein" könnten.

    Äußerst fraglich sei jedoch, ob generell eine Schädlichkeit angenommen werden könne, wenn Kindern die Möglichkeit eröffnet werde, Medien in dieser Weise zu nutzen. Die Schädigungsformen seien vielmehr mit anderen Gefahren etwa durch ausgedehnte Fernsehzeiten oder auch eine ausschließliche Ernährung von Junkfood vergleichbar. Zusammenfassend stellt das OLG deshalb fest: "Allein der Besitz eines Smartphones, Tabletts, Computers oder Fernsehers mit oder ohne Internetzugang rechtfertigt ... nicht die Annahme, dass Eltern durch die Eröffnung eines Zugangs ihr Kind schädigen. Dazu müssen im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte hinzutreten, aus denen sich die konkrete Gefahr einer Schädigung ergeben."

    Die Nutzung digitaler Medien müsse zum Schutz von Minderjährigen gegebenenfalls pädagogisch begleitet werden. Hierbei ergäben sich jedoch individuelle Spielräume, die - solange keine konkrete Kindeswohlgefährdung vorliege - innerhalb der jeweiligen Familien eigenverantwortlich festgelegt werden können. Es gelte insoweit auch für die Familiengerichte der Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Eingreifens.

    Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.06.2018 - 2 UF 41/18



  • § 1666 BGB: Schulverweigerer muss nicht ins Kinderheim

    Das OLG Bamberg hatte es mit einem Fall von Home-Schooling zu tun. Die Eltern von drei Kindern hielten vom staatlichen Schulsystem nichts.


    Das Jugendamt brachte den Fall vors Familiengericht, wo es um die Frage ging, welche Mittel man gegen die Eltern habe. Es stand der Entzug des Sorgerechts und die Inobhutnahme in ein Heim zur Diskussion. Es wurden zwei verschiedene Gutachten eingeholt. Die Eltern waren – abgesehen von ihrer Haltung zur Schulpflicht – voll erziehungsfähig. Keines der Kinder hatte Auffälligkeiten, auch keinen Rückstand oder besonderen Förderbedarf im Lesen, Schreiben oder Rechnen.

    Ein zweites Gutachten erläuterte, dass Schulabsentismus eine starke Entwicklungsgefährdung darstelle mit hohem Chronifizierungsrisiko. Es war die Rede von möglichen Angststörungen oder oppositionellen und dissozialen Störungen. Daher sei die dringende Notwendigkeit zur Wiedereingliederung des Kindes in das Schulsystem gegeben, wobei eine dauerhafte Herausnahme des Kindes aus der Familie wenn irgend möglich zu vermeiden sei, aber eben auch nicht ausgeschlossen wurde.

    Das Familiengericht verhängte – die Heimaufnahme androhend - Auflagen gegen die Eltern, in Zusammenarbeit mit Jugendamt, Mobilen Sonderpädagogische Dienst (MSD) für Kinder mit Förderbedarf im Hören, der zuständigen staatlichen Schulpsychologin schrittweise wieder einen Schulalltag einzuführen und bis dahin den Heimunterricht durch die Mutter mit regelmäßigen Lernstandserhebungen in der Schule fortzusetzen.


    Gegen diese Auflagen wandten die Eltern sich an das OLG.

    Vor dem OLG relativierte der zweite Sachverständige die wahrscheinlichen psychischen Störungen als eine allgemeine statistische Aussage, ohne dass in dieser Familie konkret bereits Anhaltpunkte für eine solche Entwicklung erkennbar seien.

    Der vom OLG persönlich angehörte 12jährige hinterließ in dort einen positiven Eindruck.

    Die Auflagen wurden aufgehoben: Für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen ist nicht Aufgabe des Familiengerichts. Vielmehr stehen der Schulbehörde hierfür die sich aus dem Schulgesetz ergebenden Maßnahmen zur Verfügung, die von dieser in eigener Zuständigkeit zu prüfen sind.

    §§ 1666, 1666a BGB ermöglichen lediglich ein staatliches Einschreiten zur Abwehr einer konkreten Kindeswohlgefährdung, nicht die Durchsetzung einer bestmöglichen Förderung des jeweils betroffenen Kindes.

    Im Falle eine Schulverweigerung kann nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung angenommen werden, sondern alle wesentlichen Aspekte des konkreten Einzelfalls sind zu ermitteln und hinsichtlich einer konkreten Kindeswohlgefährdung zu bewerten. Allgemeine Erwägungen reichen zur Begründung einer konkreten und erheblichen Gefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB nicht aus.


    OLG Bamberg - Beschluss vom 22.11.2021

    2 UF 220/20


    Die Gedanken lassen sich auf jeden Fall übertragen, in dem Eltern andere Erziehungsvorstellunge als der "Mainstream" haben, aber das Kind dadurch keinen Nachteil erleidet.




  • § 1666 BGB: Kein Sorgerecht wegen sado-maso-Neigung?

    Die sexuelle Neigung eines Elternteiles ist für das Sorgerecht nicht zwingend maßgebend.


    Die Vorliebe eines Elternteils z.B. für sado-masochistische Sexualpraktiken steht einem Sorgerecht nicht entgegen. Solange die sexuelle Veranlagung keine negativen Auswirkungen auf den Nachwuchs hat, ist sie reine Privatsache. Das hat das OLG Hamm beschlossen (Beschluss vom 01.02.2006 – 10 UF 147/04).


    Der Fall: Ein getrennt lebendes Ehepaar streitet um die vierjährigen Zwillinge, jeder will den Anderen wegen Erziehungsunfähigkeit vom Sorgerecht ausschließen. Der Mann begründete dies mit den sexuellen Vorlieben der Kindesmutter für Sado-Masomachismus. Sie habe ständig wechselnde Männerkontakte sowie perverse sexuelle Neigungen.


    Dies ergebe sich aus  Fotos, die in seinem Besitz seien. Es bestünde die Gefahr, dass die Kinder in einer sexualisierten Umgebung aufwüchsen. Die perversen Neigungen der Kindsmutter beeinträchtigten das Schamgefühl der Zwillinge und sexualisierten sie unangemessen. Seine Frau sei daher in ihrer Erziehungsfähigkeit eingeschränkt, und das Sorgerecht müsse allein ihm zugesprochen werden.


    Die Entscheidung: Das OLG Hamm holte ein familienpsychologisches Gutachten ein. Es kam wie der Gutachter zu der Erkenntnis: Die sexuelle Ausrichtung eines Elternteils ist grundsätzlich seine Privatsache, es sei denn, sie hat negative Auswirkungen auf das Kind. Die sexuelle Veranlagung eines Elternteils ist für sich alleine genommen keine Disqualifikation als Sorgerechtsinhaber. Beurteilungen von Lebenswandel und Moral sind ebenfalls immer nur in ihren Auswirkungen auf das Kind zu beurteilen, was je nach Altersstufe des Kindes unterschiedlich sein kann. Auswirkungen auf das Kindeswohl hat immer nur konkretes Verhalten eines Elternteiles.


    Dafür müsste sich der Lebenswandel des Erziehungsberechtigten vielmehr konkret auf das Kindeswohl auswirken. Doch das habe man im vorliegenden Fall nicht feststellen können, so die Richter. Denn die Frau habe ihr Sexualleben vom Lebensraum ihrer Kinder klar getrennt. Zu diesem Ergebnis sei das Jugendamt gekommen, das wiederholt unangemeldete Hausbesuche bei der Mutter und ihrem neuen Freund unternommen habe. Dabei habe die Behörde keinerlei Hinweise auf eine „sexualisierte Umgebung“ finden können. Die Kindeseltern müssten sich trotz der bestehenden Konflikte auch in Zukunft das Sorgerecht für die Zwillinge teilen, so das Gericht.


  • Streit um den Reisepass

    BGH, Beschluss vom 27.03.2019 - Aktenzeichen XII ZB 345/18:


    a) Der personensorgeberechtigte Elternteil hat wie auch der umgangsberechtigte Elternteil in entsprechender Anwendung der §§ 1632 Abs. 1 , 1684 Abs. 2 BGB grundsätzlich einen Anspruch auf Herausgabe des Kinderreisepasses.

    b) Der Herausgabeanspruch besteht nur insoweit, als der berechtigte Elternteil für die Ausübung seines Rechts den Kinderreisepass benötigt.

    c) Die berechtigte Besorgnis, dass der die Herausgabe begehrende Elternteil mit Hilfe des Kinderreisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreiten (etwa das Kind ins Ausland entführen) will, kann dem Herausgabeanspruch entgegenstehen.


  • Wie viel ist Ihnen Ihr Sorgerecht wert?

    Was für eine Frage!?

    Das lässt sich doch in Geld gar nicht messen!


    Alles, was ich besitze, mehr noch, ist mir das Sorgerecht für mein Kind wert!


    Schön, wenn Sie so denken. Die Wertbemessung bestimmt nämlich die gesetzlichen Gebühren des Anwaltes, der für Sie tätig ist. Und da sieht der Gesetzgeber im FamGKG einen "Regelwert" vor: 4.000 € ist Ihnen Ihr Sorgerecht in der Regel wert. Mehr nicht.


    Das mag Sie als denjenigen freuen, der aus diesem Wert die Anwalts- und Gerichtsgebühren berechnet bekommt: 850,85 € incl. MwSt. für den Anwalt, 420 € für das Gericht.


    Nun bedenken Sie aber bitte: In vielen Sorgerechtsverfahren brauchen Sie viel Gesprächszeit mit Ihrem Anwalt. Sie wollen ihm viele Einzelheiten erzählen. Der Sachverhalt verändert sich vielleicht laufend. Ihr RA soll für Sie erreichbar sein. Er soll auch für Ihre Befindlichkeiten, Ihre psychische Not, ein Ohr haben. Er soll Ihre Position ausführlich vor Gericht vertreten, schriftlich und mündlich. Es werden oft mehrere Gerichtstermine anberaumt. Es wird vielleicht ein Gutachten eingeholt, dessen Lesen schon mehr als eine Stunden braucht, und zu dem Ihr RA insbesondere dann ausführlich Stellung nehmen soll, wenn es nicht in Ihrem Interesse ausfällt. Wenn Sie wissen, dass der kalkulatorische Stundensatz eines Fachanwaltes incl. seiner Bürokosten bei 250-350 € liegt, erkennen Sie, dass ein Sorgerechtsverfahren für Ihren RA selten wirtschaftlich ist. Denn ein Sorgerechtsverfahren, in dem ich weniger als drei Stunden Zeit aufgewendet habe, gibt es nicht.


    Das OLG Köln hat ein Einsehen gehabt und mit Beschluss vom 21.3.2013 - II-12 WF 247/12 - den Gegenstandswert eines aufwendigeren Sorgerechtsverfahrens auf 5.000 € festgesetzt, als der Regelwert noch bei 3.000 € lag. 


    Ich halte es mit meinen Mandanten anders:


    Sorgerechtsverfahren rechne ich nach meinem konkreten Zeitaufwand ab. So kann jeder Mandant selbst entscheiden, wie intensiv er mich in Anspruch nehmen will.


    Von Interesse bleibt der Gegenstandswert jedoch für die Gerichtskosten sowie in Fällen von VKH.

  • Sorgerecht für unverheiratete Väter - das Schweigen der Mütter

    Ledige Väter bekommen auf Antrag das gemeinsame Sorgerecht zugesprochen - sofern die gemeinsame Sorge nicht dem Kindeswohl entgegensteht.


    Das Gesetz vom Mai 2013 findet auch auf vorher geborene nichteheliche Kinder Anwendung.


    Stellt der Vater den Antrag, bittet das Gericht die Mutter um eine schriftliche Stellungnahme. Dazu setzt das Gericht ihr eine Frist. Die Länge der Frist steht im Ermessen des Richters, sie kann zwei, vier oder mehr Wochen dauern. (Es ist also falsch, wie in manchen Medien berichtet wurde, dass die Frist stets sechs Wochen dauere. Ist das Kind schon älter als sechs Wochen, kann sie also kürzer sein).


    Sie darf allerdings frühestens 6 Wochen nach der Geburt enden (Karenzzeit im Wochenbett).


    Äußert sich die Mutter nicht innerhalb der festgesetzten Frist, spricht das Gericht dem Vater in einem beschleunigten und vereinfachten Verfahren ohne persönliche Anhörung gemäß § 155 a FamFG das gemeinsame Sorgerecht zu.


    An das Schweigen der Mutter werden weitreichende Folgen geknüpft. Die Maxime des Gesetzgebers lautet nämlich inzwischen (wie in vielen anderen europäischen Ländern): "Die gemeinsame Sorge ist die Regel und in den meisten Fällen die beste Alternative für das Kindeswohl".


    Die Mutter darf also auf keinen Fall diese Gerichtspost einfach ignorieren!


    An die Stelle der persönlichen Anhörung der Eltern tritt ihre schriftliche Anhörung. Die Voraussetzungen, unter denen eine persönliche Anhörung des Kindes (§ 159 FamFG) stattzufinden hat, bleiben hiervon allerdings unberührt. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands wird zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes im vereinfachten schriftlichen Verfahren regelmäßig nicht erforderlich sein (§ 158 Absatz 1 FamFG), da die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge in diesem Verfahren nur in Betracht kommt, wenn dem Gericht keine Gründe bekannt sind, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können.


    Trägt die Mutter Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, so ist das Verfahren als „normales“ Sorgerechtsverfahren fortzusetzen. Das Gericht überträgt die Mitsorge, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht (Negativprüfung).


    Dabei kann jedoch nicht bereits die Ablehnung einer gemeinsamen Sorge durch die Kindesmutter die Annahme begründen, dass in einem solchen Fall die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, denn dann hätte es die Mutter nach wie vor allein in der Hand, ob es zu einer gemeinsamen Sorgetragung kommt oder nicht. Angesichts des gesetzlichen Leitbildes, das nunmehr nach Möglichkeit die in gemeinsamer Verantwortung ausgeübte Sorge beider Elternteile vorsieht, ist zu verlangen, dass konkrete Anhaltspunkte dafür dargetan werden, dass eine gemeinsame Sorge sich nachteilig auf das Kind auswirken würde.


    Jeder Elternteil kann die gemeinsame Sorge beantragen, also auch die Mutter, die den Vater in die Verantwortung holen will.


     Selbstverständlich bleibt es den Eltern weiter unbenommen, wie bisher eine gemeinsame Sorgerechtserklärung beim Jugendamt abzugeben.


    Eine Änderung der Entscheidung (auch der im vereinfachten Verfahren nach § 155a FamFG, die nur durch Schweigen der Mutter zustandegekommen ist), ist nach § 1696 BGB nur möglich, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist (Abänderungsgrund). Das bedeutet, einem Vater, der die Mitsorge nach § 155 a FamFG durch Schweigen der Mutter bekommen hat, ist die Sorge schwieriger zu entziehen als einem Vater, der durch Sorgerechtserklärung oder Heirat mitsorgeberechtigt geworden ist!


     

    Checkliste für Väter zum Sorgerecht


    Die Rechtsanwaltskammer Koblenz hat eine Checkliste für Väter erstellt:


    Punkt 1


    Ist die leibliche Mutter nicht bereit, den Vater am Sorgerecht zu beteiligen, so kann dieser beim Familiengericht einen Antrag auf ein Mitsorgerecht stellen. Der Antrag kann mit einem formlosen Schreiben per Post an das Gericht geschickt werden. Der Antrag auf Mitsorge wird beim Gericht protokolliert.


    Das Familiengericht muss dem Antrag stattgeben, es sei denn, die gemeinsame Sorge widerspricht dem Kindeswohl. In diesem Fall muss die Mutter erläutern, warum kein gemeinsames Sorgerecht möglich ist. Das Jugendamt wird ebenfalls angehört. Ist mit großem Widerstand der Mutter gegen die Mitsorge des Vaters zu rechnen, sollte frühzeitig die professionelle Unterstützung eines Anwalts in Anspruch genommen werden, um den Streit nicht eskalieren zu lassen.


    Punkt 2


    Leben die Eltern getrennt und zieht das Kind zum Vater, kann der Vater auch das alleinige Sorgerecht für das Kind beantragen, wenn eine gemeinsame elterliche Sorge nicht möglich ist und eine Entscheidung zugunsten des Vaters dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Ist das Kind über 14 Jahre alt, hat es die Möglichkeit, der elterlichen Sorge durch den Vater zu widersprechen.


    Für die Beantragung des alleinigen Sorgerechts sollte sich der Vater zunächst beim Jugendamt beraten lassen. Bei akuter Kindeswohlgefährdung durch die Mutter kann das Gericht sofort angerufen und um eine Eilentscheidung gebeten werden.


    Eine Sorgerechtsübertragung allein auf den Vater kommt bei verheirateten oder geschiedenen Eltern in Betracht, wenn das Kind bei dem Vater besser aufgehoben ist oder wenn beide Eltern dies so wollen. Bei einem schweren Konflikt zwischen den Eltern, sollten sich die Betroffenen von einem Fachanwalt für Familienrecht beraten lassen.


    Punkt 3


    Sollte das Verhältnis der Eltern noch in der Weise intakt sein, dass die Mutter einer gemeinsamen Sorge zustimmt, kann der Antrag, den Vater in die elterliche Sorge mit einzubeziehen, ebenfalls von der Mutter beim Familiengericht gestellt werden.


    Punkt 4


    Bei der Beantragung des Sorgerechts sind keine Fristen zu beachten. Maßgeblich für die Entscheidungen des Gerichts ist immer das Kindeswohl in der aktuellen Situation.


  • Kein Mitsorgerecht für Vater ohne Wertschätzung der Mutter

    Wird ein Kind in einer Ehe geboren, haben die Eltern automatisch eine gemeinsame elterliche Sorge. Bei nichtehelich geborenen Kindern entsteht die gemeinsame Sorge durch gemeinsame Erklärung beim Jugendamt oder richterliche Entscheidung. Wenn die Eltern sich dann trennen, können sie zwar alle wirtschaftlichen Verflechtungen auflösen, aber schwerlich die Verbindung über das Kind. Sie müssen sich über alles, was für dessen Erziehung wesentlich ist, irgendwie miteinander abstimmen. Und wenn das so häufig zu Streit (und Gerichtsverfahren) führt, dass dies das Kind beeinträchtigt, hebt das Familiengericht die gemeinsame Sorge wieder auf bzw. führt sie bei unverheirateten Eltern gar nicht erst ein. 


    So geschah es auch vor dem AG Wolfenbüttel. Die Mutter hatte das alleinige Sorgerecht durch die Geburt und der Einrichtung der gemeinsamen Sorge nicht zugestimmt. Die Beziehung der unverheirateten und getrennten Eltern war von hohem Konfliktpotential und wechselseitigen Vorwürfen und Misstrauen geprägt. Fehlende Wertschätzung war offensichtlich. So sprach der Vater der Mutter deren Erziehungsfähigkeit ab, warf ihr verantwortungsloses, kindeswohlschädigendes Handeln, Realitätsverlust sowie offensichtliche Bindungsstörungen vor und bezichtigte sie der Lügen und Täuschungen. Ernsthafte Ansätze, mittels Erziehungsberatung die Kompromissfähigkeit zu verbessern, kamen auch vom Vater nicht. 

    Das 3jährige Kind wohnte bei der Mutter, der regelmäßige Kontakt zum Vater musste erst noch angebahnt werden. 


    Der Vater hatte das Nachsehen, sein Antrag auf gemeinsame Sorge wurde abgewiesen. 

    Das OLG Braunschweig sollte diese Entscheidung ändern, aber der Vater bekam für seine Beschwerde nicht einmal Verfahrenskostenhilfe – „mangels Erfolgsaussicht“. 

    Die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts setzt eine tragfähige Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung voraus. Ein nachhaltiger und schwerer elterlicher Konflikt, das Fehlen jeder Kooperation und Kommunikation oder die Herabwürdigung des anderen Elternteils sprechen in der Regel gegen eine gemeinsame Sorge. 


    Entgegen der Auffassung des Vaters dient die Übertragung der Mitsorge auch nicht zur Verhinderung erzieherischer Alleingänge der Mutter. Die Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist kein Instrument zur gegenseitigen Kontrolle der Eltern. Ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen. 


    Hinweis: Auf die Frage, welcher Elternteil die Situation verursacht hat, kommt es meist gar nicht an, denn Familienrecht ist kein Strafrecht und die sorgerechtlichen Entscheidungen sind nicht dazu gemeint und geeignet, Fehlverhalten zu sanktionieren. Wenn die gemeinsame Sorge aufgehoben wird, erhält zu 99% der Elternteil, bei dem das Kind lebt, die Alleinsorge. Der andere ist daher immer gut beraten, sich konfliktscheu zu verhalten und die geballte Faust in der Tasche zu lassen, bevor er wegen Streit über relative Nichtigkeiten dauerhaft das Sorgerecht verliert. Wer im Gerichtsverfahren seinen Fokus auf Vorwürfe legt, wird sein Ziel nicht erreichen. 


    OLG Braunschweig, 21.07.2022, 1 UF 115/21


  • Keine gemeinsame Sorge, wenn es viele Konfliktthemen gibt

    Das OLG Köln hat am 6.11.2013 die gemeinsame Sorge für einen ledigen Vater nicht eingerichtet:

    Dem Sorgerechtsverfahren waren schon einige gerichtliche Umgangsverfahren vorangegangen, so dass die Familie "gerichtsbekannt" war.


    Der Vater hatte zu etlichen erzieherischen Entscheidungen der Mutter - schulisch, gesundheitlich und finanziell - eine abweichende Meinung, und hatte auch ohne Sorgerecht versucht, Einfluß zu nehmen. Sowohl das 14jährige Kind selbst als auch eine Gutachterin meinten, die gemeinsame Sorge ermögliche noch mehr Konflikte als zuvor.


    OLG Köln 10 UF 89/13 - 6.11.2013


    Ähnlich auch das OLG Brandenburg am 19.9.2013 - 9 UF 96/11:


    Die Ausübung der gemeinsamen Verantwortung für ein Kind erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern. Fehlt es daran und sind die Eltern zur Kooperation weder bereit noch in der Lage, kann die gemeinsame Sorge für das Kind dem Kindeswohl zuwiderlaufen (BVerfG). Da im Zuge einer Trennung vielfach Kommunikationsprobleme auftreten, können diese nicht ohne Weiteres zu einer ablehnenden Entscheidung nach § 1626 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB nF führen. Vielmehr muss auf der Kommunikationsebene eine schwerwiegende und nachhaltige Störung vorliegen, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, wenn man seine Eltern zwingen würde, die Sorge gemeinsam zu tragen (BT-Drucks. 17/11048, S. 17).



    Zwischen den Eltern besteht keine tragfähige soziale Beziehung. Sie schätzen einander nicht. Es herrscht großes Misstrauen. Der Vater wirft der Mutter mangelnde Bindungstoleranz vor. (...) Die Mutter kann dem impulsiv und fordernd wirkenden Verhalten des Vaters nicht viel entgegensetzen. (...) Das Temperament der Mutter unterscheidet sich sehr von dem des Vaters. Der Vater ist wortgewandt und temperamentvoll. (...) Die Mutter schirmt sich ab, um dem Elternstreit zu entgehen. Sie kann dem Vater auch keine Wertschätzung entgegenbringen.


    (...) Wie die Eltern bei diesen Gegebenheiten - nach Meinung des Vaters - in der Lage sein sollen, wichtige Entscheidungen für die Kinder einvernehmlich zu treffen, erschließt sich nicht. Auch nach dem Gutachten der Sachverständigen Dr. St… vom 29.09.2011 können die Eltern keine gemeinsamen Absprachen treffen und selbständig Konflikte lösen. Bereiche einer konstruktiven Kooperation sind nicht erkennbar. Das Konfliktniveau ist durchgängig hoch, was auch die Eltern-Kind-Beziehung beeinträchtigt.


    In ihrem Gutachten vom 28.02.2013 hat die Sachverständige Dr. B… den Konflikt der Eltern als gravierend und unversöhnlich beschrieben. Nach ihrer Einschätzung ist die Kommunikation der Eltern defizitär und die Beziehung zwischen ihnen gestört. Die Abwertung der Mutter und ihrer Familie durch den Vater ist erheblich. (...) Die geringe Wertschätzung der Mutter durch den Vater wirkt sich - so die Sachverständige - auf deren Kooperationsfähigkeit aus. Sie zieht sich infolgedessen zurück. Dies kann der Vater wiederum nicht akzeptieren, da er nach seiner Vorstellung zur Kooperation bereit ist. Die Sachverständige spricht in diesem Zusammenhang von einem circulus vitiosus (Teufelskreis).


    (...) Die gemeinsame elterliche Sorge widerspricht hier dem Wohl der betroffenen Kinder. Der Elternkonflikt würde durch eine Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts aller Voraussicht nach nur noch verschärft. Das liegt nicht im wohlverstandenen Interesse der Kinder, die durch die fortwährenden, auch gerichtlich geführten Auseinandersetzungen der Eltern ohnehin schon belastet sind.


    Hiervon konnte sich der Senat anlässlich der Anhörung von F… und Fl… am 31.07.2013 selbst überzeugen.

    Keine gemeinsame Sorge bei mangelndem Interesse an kindlichen Bedürfnissen


    Ein anderer unverheirateter Vater stellte sich in der ersten Lebenszeit seines Kindes sehr sperrig an.


    Vereinbarte Besuchstermine hat er wiederholt abgesagt. Dann aber forderte er sein Besuchsrecht vehement ein und postulierte Bedingungen, u.a., dass dafür der Mittagsschlaf des Kleinkindes verschoben werde. Er arbeitete weder mit Beratungsstellen noch mit der Verfahrensbeiständin konstruktiv zusammen. Dieser erklärte er, er wolle keinen Kontakt mehr zur Kindesmutter. Er wolle das gemeinsame Sorgerecht. Dann könne er seine Besuchszeiten selbst bestimmen und müsse sich nicht nach der Kindesmutter richten. Zum Gerichtstermin erschien er unentschuldigt nicht.


    Die Quittung hierfür erteilte ihm das Gericht:


    „Unter diesen Umständen muss festgestellt werden, dass dem Kindesvater die Bedürfnisse eines Kleinkindes offensichtlich völlig fremd sind und ihn diese auch nicht interessieren. Der Mittagsschlaf des Kindes wird als Schikane empfunden und für die Freundin des Kindesvaters wird ein Besuchsrecht eingefordert, bevor überhaupt ein regelmäßiger Umgang des Kindes mit dem Vater läuft.


    Es muss weiter festgestellt werden, dass der Kindesvater den Sinn des gemeinsamen Sorgerechts, nämlich gemeinsam zum Wohle des Kindes verantwortliche Entscheidungen zu treffen, offensichtlich nicht verstanden hat. Er kennt sein Kind nicht, nimmt keine Besuchstermine wahr, will keinen Kontakt zur Kindesmutter und meint, mit dem gemeinsamen Sorgerecht könne er Besuchszeiten alleine bestimmen, ohne sich nach der Kindesmutter richten zu müssen, der gegenüber er in seinen Emails einen völlig unangemessenen Befehlston an den Tag legt.


    Danach wäre bei einer Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts auf beide Eltern jedenfalls derzeit zu erwarten, dass der Kindesvater noch respektloser gegenüber der Kindesmutter seine vermeintlichen Rechte einfordern würde, um ohne Rücksicht auf die Belange des Kindes, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Dies würde dem Kindeswohl widersprechen.


    Die Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Eltern gemeinsam kommt daher derzeit nicht in Betracht.“


    AG Gießen (Beschluss vom 01.12.2013 – 243 F 1052/13 SO) 



  • Warum das gemeinsame Sorgerecht in der Regel dem Kindeswohl dient

    "Verteidigt sich die Mutter gegen den auf die gemeinsame Sorge gerichteten Antrag des Vaters allein mit dem Vortrag, die mütterliche Alleinsorge sei generell am besten für das Kind, wird sie unterliegen müssen, weil sie konkrete Anhaltspunkte nicht dargelegt hat, die im zu entscheidenden Einzelfall gegen die Kindeswohldienlichkeit der gemeinsamen Sorge sprechen könnten. Das Leitbild der gemeinsamen Sorge kann gegen das geltende Recht nicht mehr abstrakt-generell in Frage gestellt werden - auch nicht durch eine „restriktive“, „äußerst zurückhaltende“ oder „behutsame“ Anwendung des § 1626 a II BGB, die allein auf einer Ablehnung der gesetzgeberischen Entscheidung beruht. (...) Der Vortrag der Antragsgegnerin, des Verfahrensbeistandes und des Jugendamtes, die Eltern seien zur Kommunikation miteinander nicht in der Lage, ist nicht geeignet, die Vermutung zu erschüttern, die gemeinsame Sorge diene dem Kindeswohl. (...) Es ist nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnissen nicht zu erwarten, dass durch eine Ablehnung der gemeinsamen Sorge die derzeit offensichtlich unzulängliche, dringend verbesserungsbedürftige Kommunikation zwischen den Eltern gefördert und der Elternstreit beendet würde und damit die Ursachen wegfielen, von denen zu befürchten ist, dass sie in nächster Zukunft Leid und Kummer des Kindes bewirken werden.(...) Der eventuell aufkommende Loyalitätskonflikt des Kindes und die ihm wahrscheinlich bevorstehende Überbeanspruchung durch das Empfinden, ihm werde Parteinahme für einen Elternteil abverlangt, finden ihre Ursache nicht in der Zuordnung der Entscheidungsbefugnis an die Mutter oder in der fehlenden Mitwirkung des Vaters, sondern im Elternstreit. Dem Kind kann ganz offensichtlich nicht durch eine Zuordnung der elterlichen Sorge auf die Antragsgegnerin oder auf beide Eltern gemeinsam geholfen werden, sondern durch einen anständigen, wenn schon nicht höflichen oder netten Umgang der Eltern miteinander.(...) Der Senat misst dem Willen des nicht ganz sechs Jahre alten Kindes kein entscheidendes Gewicht zu. Altersgemäß wird die Fähigkeit zur Beurteilung tatsächlicher Umstände und erst recht hypothetischer Verläufe noch nicht ausgeprägt sein. Mit dem Ermessen der Bedeutung eines abstrakten Gedankengebildes wie dem Rechtsinstitut der elterlichen Sorge wird einem Kind im Vorschulalter zu viel abverlangt.(...) Spekulationen darüber, ob in unbestimmter Zukunft, wenn eventuell doch eine Obhutsentscheidung anstehen sollte, eine gemeinsame Entscheidungsfindung möglich sein sollte, können die heute anzuordnende Sorgezuordnung wegen vollständiger Ungewissheit aller maßgeblichen Umstände nicht beeinflussen.(...) Streit um den Umgang wird durch eine Entscheidung über die elterliche Sorge indes nicht behoben oder auch nur vermindert. Beide Eltern bleiben - völlig gleichgültig, ob Alleinsorge oder gemeinsame Sorge besteht - dem Kind verpflichtet, einen dauerhaften, regelmäßigen und zuverlässigen Umgang mit dem nicht obhutgebenden Antragsteller sicherzustellen, und jeder von beiden hat dabei alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigen könnte (§§ 1626III 1, 1684I, II BGB). (...) Die Alleinsorge dient nicht dem Ziel, die Schwierigkeiten des gemeinsamen Entscheidens trotz unterschiedlicher Auffassungen zu vermeiden. Sie soll die Eltern nicht von der Last befreien, eigene Ansichten vom jeweils anderen in Frage stellen zu lassen und die eingenommene Position zu überprüfen und zu ändern. Da das Wohl des Kindes, nicht die Befindlichkeiten der Eltern, das bestimmende Tatbestandsmerkmal des § 1626 a II BGB ist, werden umstrittene gemeinsame Entscheidungen der Eltern dem Festhalten an der Alleinsorge der Mutter in aller Regel vorzuziehen sein.


    OLG Brandenburg vom 03.08.15 (13 UF 50/15)

  • Unverheiratet - Sorgerecht - Belgien / Niederlande - Zuzug aus dem Ausland

    Deutschland ist eines der letzten europäischen Länder, in denen dem Vater nicht ab Geburt automatisch die Mitsorge zusteht, wenn er nicht verheiratet ist.

    Typischer Fall in der Euregio:


    Ein deutsches unverheiratetes Paar wohnt in Eupen, Kelmis, Raeren oder Kerkrade - also im Ausland.


    Ein Baby wird geboren. Es bekommt die deutsche Staatsangehörigkeit.


    Nach welchem Recht beurteilt sich nun das Sorgerecht?


    Die Brüssel IIa-Verordnung ist anzuwenden; mangels kollisionsrechtlicher Regelungen ist auf das Internationale Privatrecht am ständigen Wohnsitz / gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes abzustellen. Das IPR kann auf das Aufenthaltsrecht oder das Heimatrecht abstellen, das ist je nach Land zu prüfen.


    Angenommen, das nun auf das Baby anzuwendende Recht ergibt eine natürliche Mitsorge des Vaters (anders als das deutsche Recht). In Belgien und Holland wäre dies der Fall.

    Was geschieht mit dem Sorgerecht bei Umzug aus dem Ausland nach Deutschland?


    Sobald das Kind nach dem Umzug nach Deutschland hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Achtung: Internationale Kindesentführung vermeiden), sind deutsche Gerichte zuständig für die Beurteilung des Sorgerechts.


    Dabei war für möglich gehalten worden, dass der Vater seine Mitsorge durch den Umzug verliert.


    Anders OLG Celle, Beschl. v. 04.06.2018 - 10 WF 86/18:


    Nach Art 16 Abs. 3 KSÜ führt ein Aufenthaltswechsel des Kindes nicht zum Wegfall eines bestehenden Sorgerechts, vielmehr besteht es entsprechend dem Recht des früheren Aufenthaltsorts fort. Hierdurch sollen die Beteiligten vor überraschenden Folgen eines solchen Aufenthaltswechsels des Kindes geschützt werden.


    Das auf die elterliche Verantwortung anzuwendende Recht bestimmt sich nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, die Vollstreckung und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (fortan: KSÜ) und ist in Deutschland seit 01.01.2011 in Kraft. Es ist in zeitlicher Hinsicht auf Maßnahmen anzuwenden, die nach dem Inkrafttreten in einem Vertragsstaat getroffen werden sollen (Art. 53 Abs. 1 KSÜ).


    Bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit nach Kap. II des Übereinkommens wenden Gerichte ihr eigenes Recht an (Art. 15 Abs. 1 KSÜ), also deutsches Recht. Die Herstellung des gemeinsamen Sorgerechts (§ 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB) setzt voraus, dass dem antragstellenden Elternteil die elterliche Sorge noch nicht zusteht.


    Der Vater kann also kein Verfahren auf Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge einleiten, denn diese steht ihm ja bereits zu.

    Praktisches Problem


    Der unverheiratete Vater wird vor deutschen Behörden, in Schulen und bei Ärzten aber immer vor dem Problem stehen, dass er keine Sorgerechtserklärung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB vorweisen kann und dass ihm daher nicht geglaubt wird, dass er das gemeinsame Sorgerecht hat. Denn die genannten Ansprechparter werden nicht internationales Kollisionsrecht prüfen. Daher ist ihm nun anzuraten, vor dem deutschen Familiengericht ein Verfahren auf Feststellung der gemeinsamen Sorge zu führen. Dafür kann er auch VKH bekommen, so war es im Fall des OLG Celle.


  • Das ist das Mindeste: Auskunftsrecht

    Wenn man schon kein Sorge- und Umgangsrecht bekommt - warum auch immer - dann hat man zumindest einen Auskunftsanspruch.


    Im Fall des OLG Hamm ist die Tochter 5, der ledige Vater hat kein Sorge- und Umgangsrecht. Gewalt gegen die Mutter (möglicherweise auch gegen das Kind) und seine Inhaftierung haben dabei eine Rolle gespielt. Die Mutter lehnt jeden Kontakt zu ihm ab, fühlt sich bedroht, und hält sein angebliches Interesse am Kind für ein Rache- und Machtgehabe ihr gegenüber. Das Familiengericht Bottrop hat entschieden, dass der Vater alle 6 Monate einen schriftlichen Bericht und zwei Fotos des Kindes erhalte, die er Dritten nicht zugänglich machen und nicht in sozialen Netzwerken veröffentlichen dürfe. Der 2. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm hat den Beschluss des Familiengerichts Bottrop bestätigt. Die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruches gemäß § 1686 BGB seien erfüllt. Der Vater habe ein berechtigtes Interesse an der verlangten Auskunft. Ein solches liegt vor, wenn keine andere zumutbare Möglichkeit besteht, die maßgeblichen Informationen zu erhalten und der andere Elternteil über die begehrten Informationen verfügt.

    Die Erteilung der verlangten Auskunft widerspreche nicht dem Kindeswohl. Insoweit sei ein strenger Maßstab anzulegen. Gründe, die zur Versagung eines Umgangsrechts führten, genügten nicht. Die verlangte Auskunft könne nur dann abgelehnt werden, wenn der antragstellende Elternteil mit der Auskunft lediglich rechtsmissbräuchliche Ziele verfolge. Von einer derartigen Missbrauchsabsicht sei beim Kindesvater nicht auszugehen.

    Soweit Drohungen ausgesprochen worden seien, handele es sich um unerwachsenes Imponiergehabe, das durch Provokationen des Bruders der Kindesmutter ausgelöst worden sei. Der Wunsch der Mutter, keinen persönlichen Kontakt zum Vater haben zu müssen, stehe ihrer Auskunftsverpflichtung nicht entgegen, weil die Auskunft nicht durch einen persönlichen Kontakt erteilt werden müsse.


    Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 25.11.2015 - 2 WF 191/15

  • 20.000 EUR für Sorgerechtsgutachten

    Wenn das Sorge- und Umgangsrecht zwischen getrenntlebenden Eltern streitig ist, muss das Familiengericht oft ein Sachverständigengutachten einholen, um eine Entscheidungsgrundlage zu haben. Das OLG Braunschweig befasste sich mit einer Familie, die seit 2018 getrennt lebte und seither die Gerichte beschäftigte, sowohl die Familienabteilung mit etlichen Aktenzeichen wie die Strafabteilung. 

    Der 7jährige Sohn lehnte den Kontakt zum Vater 2020 ab. Die Gründe sollte eine Sachverständige klären. 

    Weil die Mutter im Verfahren beim Amtsgericht nicht mitwirkte und für sich und das Kind Gespräche mit der Sachverständigen verweigerte, versuchten Richterin und Sachverständige 2021 das Kind in der Schule anzuhören. Sie stießen auf eine derartige Ablehnung und Zurückweisung, dass sie daraus auf Manipulation durch die Mutter und massive Belastung des Kindes schlossen, die Richterin dem Vater mit einem sofort wirksamen Eilbeschluss vorläufig das Sorgerecht übertrug und dieser das sich wehrende und schreiende Kind aus der Schule trug. Fortan wohnte der Junge beim Vater. 

    Die Mutter wandte sich an die Presse und informierte die Öffentlichkeit über eine Internetseite über die – ihrer Meinung nach – Ungerechtigkeiten. Mehrere Zeitungen und Fernsehsender griffen den Fall auf. 

    Bei einer vom OLG auf ihre Beschwerde erneut angeordneten Begutachtung wirkte sie wiederum nicht mit, aus Datenschutzgründen. 

    Die ihr vom Gericht zugesprochenen Umgangszeiten nutzte sie letztlich, um das Kind einzubehalten. 

    Im Beschwerdeverfahren beim OLG konnte sie 2022 das Sorgerecht nicht zurückgewinnen und hatte auch vorerst nur noch begleiteten Umgang. 

    Das alles verschlang über 15.000 Euro Gutachtenkosten. Die Mutter beantragte nun mit verschiedenen Argumenten, dass sie an diesen Kosten nicht beteiligt werden dürfe. Immerhin habe sie ja nicht mitgewirkt. Ganz im Gegenteil: weil sie in der Beschwerdeinstanz verloren hat, musste sie den Teil der Kosten, der dort entstanden war, sogar allein tragen – nur die Kosten in der 1. Instanz wurden hälftig geteilt. 


    Hinweis: 

    Sachverständigengutachten in Sorgerechtsverfahren verursachen häufig Kosten in der Größenordnung von 10.000 € und können bei hoch streitigen Verhältnissen zwischen den Kindeseltern auch deutlich höher sein, so dass Kosten bis zu 20.000 € noch nicht als außergewöhnlich und überraschend zu bezeichnen sind. 

    OLG Braunschweig, 22.07.2022, 1 UF 180/20


  • Ruhen der elterlichen Sorge

    Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge stellen unser Rechtssystem vor besondere Herausforderungen. Im Fall des OLG Karlsruhe war es eine 9jährige Syrerin, die seit Mitte Oktober in Deutschland bei ihrem Onkel wohnte. Zu ihren Eltern in Syrien hielten sie und der Onkel nahezu täglichen Kontakt per Telefon. Nun musste das deutsche Familiengericht auf Antrag des Jugendamtes prüfen, ob das so genügte oder ob dem Kind ein Vormund in Deutschland zu bestellen war.


    Das Jugendamt meinte, dass die Eltern aufgrund der eingeschränkten Versorgungslage in Syrien sowie fehlender Kenntnisse des deutschen Sprach- und Rechtsraums nicht in der Lage seien, die elterliche Sorge auszuüben und deshalb das „Ruhen der Sorge“ festzustellen sei. Am Wohnort der Eltern werde an zwei bis drei Tagen pro Woche stunden- bis tageweise Strom abgeschaltet.


    Anders das Amtsgericht: die Eltern könnten mithilfe moderner Kommunikationsmittel die elterliche Sorge von Syrien aus ausüben. Die politische Situation im Herkunftsland und die bestehende Sprachbarriere seien für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge unerheblich.


    Dagegen ging eine vom Kind selbst eingelegte Beschwerde ein. In der Begründung steht, die Beschaffung von Vollmachten durch die Eltern sei sehr teuer und mühsam. Auch könne auf Grundlage von Vollmachten kein Asylantrag gestellt werden. Sie wünsche sich einen Vormund, der ihr bei allem helfen könne, sowie einen Verfahrensbeistand, der sie berate. Sie fügte ein "Dokument zur vorübergehenden gesetzlichen Vormundschaft" des Justizamtes in ... vom 11.01.2024 in deutscher Übersetzung bei, laut welchem der Onkel befristet für die Dauer von drei Monaten zu ihrem vorübergehenden gesetzlichen Vormund ernannt wird. Sinngemäß soll dies laut Übersetzung die Erlaubnis umfassen, mit dem Kind zusammenzuleben, Einwanderungs- und Passangelegenheiten zu regeln und sie an einer Schule anzumelden.

    Das OLG stellte nun fest, dass die von einer 9jährigen selbst eingelegte Beschwerde nicht wirksam sei – die Verfahrensfähigkeit setze erst mit 14 ein. Allerdings sei aus demselben Grund der Beschluss gar nicht wirksam: Das Amtsgericht hätte mit einem Verfahrensbeistand für die rechtliche Vertretung des Kindes im Verfahren sorgen müssen.


    Die Akte ging zurück zum Amtsgericht, um das nachzuholen.

    OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.06.2024 - Aktenzeichen 18 WF 59/24 



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